Die öko-soziale Frage und die Linke

Eisberg

Bei Antikapitalisten ist die „soziale Frage“ eine anerkannte Größe und hat ihren fest angestammten Platz in ihren Diskursen. Die Kapitalismuskritik vieler Linker jedoch greift deutlich zu kurz, wenn in ihr angenommen wird, allein durch die Auflösung von Privateigentum, Vergesellschaftung oder kollektives Eigentum, also simplen Verteilungsfragen, würde sich die Menschheit ein Reich des Friedens und der Freiheit ohne materielle Sorgen erkämpfen können. Dieser Artikel soll einen Diskussionbeitrag darstellen, der anregen soll sich um die Erweiterung der antikapitalistischen Theorie und daraus einer Perspektive für die Zukunft zu bemühen.

 

Ein Staatskapitalismus wie zur Zeiten des so genannten „real existierenden Sozialismus“ gilt glücklicherweise bereits unter vielen (bei weitem nicht allen) Linken als deutlich gescheitert. In der UdSSR und der DDR und den anderen Ländern der damaligen „realsozialistischen“ Welt hat sich nach der Enteignung der Kapitalisten eine neue Bourgeoisie gebildet, die aus den Kadern der so genannten „kommunistischen“ Parteien entstand und die sich ebenfalls ein Mehr an Gütern und Rechten gegenüber der Mehrheitsgesellschaft mit fragwürdigen Begründungen sicherten. Aber auch wenn dieses Problem einer neuen Oberschichtenbildung gelöst wäre, wäre ein grundlegender Konstruktionsfehler unseres derzeitigen Wirtschaftssystems noch lange nicht gelöst: Der abgöttische, ja fast religiöse Glaube an das Wirtschaftswachstum.


Wirtschaftswachstum bedeutet bei den Verfechtern der freien Marktwirtschaft eine Möglichkeit der Entschärfung der sozialen Frage, indem man arme Menschen nach und nach besser stellt, ohne das von oben eine Umverteilung erfolgen muss. Die These dazu ist, dass ein größerer Kuchen auch einen entsprechend größeren Krümel für die unteren Gesellschaftsschichten ergäbe. Tatsächlich hat sich mit Hilfe des Wirtschaftswachstums in den letzten 100 Jahren eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingung im Vergleich zu früheren Tagen für zumindest die Menschen der ersten Welt und seit einigen Jahrzehnten der Mittelschicht in der zweiten Welt ergeben. Andererseits aber hat sich die Schere zwischen Arm und Reich dabei nicht etwa geschlossen sondern ist noch weiter und krasser auseinander gegangen. Ein Großteil der Menschheit jedoch konnte in keinster Weise vom Wachstum einiger weniger Abgeschlossener Wirtschaftsräume profitieren.


Für viele linke Gruppen verspricht Wachstum ebenfalls die Lösung von umfassenden Problemen. Eine der bekanntesten Parolen in dieser Richtung ist hierbei wohl „Luxus für alle“, oder auch „her mit dem schönen Leben“, welche in Richtung eines materiellen Wohlstands auf einem für alle Menschen gleichermaßen hohen Standard abzielen. Ein durch Wachstum ständig steigender Wohlstand, der gerecht an alle verteilt wird, ist hier die Utopie, die angestrebt wird. Dieser Utopie hingen auch diverse frühe sozialistische Theoretiker an, etwa wenn sie sich durch Wegfall von Konkurrenz oder gesteigerte Plangenauigkeit durch den Wegfall der Irrationalität des Marktes eine weitere Steigerung der Produktivkraft erhofften. Entsprechend lösen sich nur die wenige Menschen von der Idee eines Wirtschaftswachstums, egal ob sie sich selbst im linksradikalen, linken oder bürgerlichen Spektrum verorten. Ständiges Wachstum aber setzt voraus, dass Wachstum schlussendlich auch endlos möglich sein muss. Die Frage, wie endloses Wachstum in einer endlichen Welt überhaupt möglich sein kann, konnte aber bisher von Niemanden beantwortet werden. Deswegen wird sie von den meisten Ökonomen schlichtweg ignoriert oder auf spätere Generationen abgewälzt. Die Veröffentlichung der Studie „The Limits Growth“, die 1972 zum ersten mal eindeutig bewies, dass grenzenloses Wachstum einen unrealisierbaren Mythos darstellt, hat seit dem nicht zu einem relevanten Umdenken bei Ökonomen sowohl des kapitalistischen, als auch des sozialistischen Lagers geführt. Auch nicht, nachdem die Erkenntnisse der damaligen Studie heute um ein vielfaches erweitert wurden und an Genauigkeit und Aussagekraft gewonnen haben.


Die politische Diskussion zur Ökologie greift, zumeist vollkommen losgelöst von sozialen Aspekten, diese Frage teilweise in Bezug auf den Klimawandel auf. Aber auch diese Diskussion ist verkürzt, haben wir es doch mit mehr als nur das Schwinden der Eisberge und einem Anstieg von Temperaturen zu tun. Schlussendlich geht es um die Endlichkeit aller vom Menschen nutzbar gemachter Ressourcen. Erdöl ist eine der wenigen Ressourcen, bei dem eine breite Bevölkerungsmehrheit inzwischen irgendwie mitbekommen haben sollte, dass es in naher Zukunft ausgehen wird. Daraus für einen persönlich gezogene Konsequenzen jedoch haben weiterhin Seltenheitswert. „Seltene Erde“ trägt die knappen Vorkommen schon in seinem Namen, jedoch besteht bei wesentlich mehr Rohstoffen die Gefahr, dass sie uns irgend wann nicht mehr zur Verfügung stehen. Ein Beispiel hierfür ist Schwefel, das nach Schätzungen in 50 Jahren nicht mehr industriell zur Düngung von Boden genutzt werden kann. Die Folge wäre das Wegbrechen von Ernteerträgen durch industrielle Landwirtschaft und damit kurz gesagt eine sich exponentiell immer weiter verschärfende Hungersnot. Dieses Problem wurde in Ansätzen bereits von Karl Marx erkannt, der 1867 eher beiläufig folgende Worte niederschrieb:


„Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“


Bei einer Verschärfung der ökologischen Krise, an deren Beginn die Menschheit meiner Ansicht nach bereits steht, verschärft sich konsequenterweise auch die soziale Frage. Ob mensch bei schmelzenden Eisbergen absäuft, wie bei einer Hungersnot die Nahrung verteilt wird oder ob mensch bei knappen Erdölressourcen immer noch Porsche fahren kann entscheidet sich im Kapitalismus durch den Preis den mensch zu bezahlen bereit, oder besser gesagt zu zahlen in der Lage ist. Eine konsequente Lösung der sozialen Frage schließt also auch eine konsequente Lösung der ökologischen Frage mit ein, um die Freude für den neu gewonnenen materiellen „Luxus für alle“ nicht all zu kurz geraten zu lassen.


Im Umkehrschluss ist aber auch die Lösung der ökologischen Frage von der sozialen Frage nicht zu trennen. Die kapitalistische Wirtschaftsweise ordnet die "Produktionsfaktoren" Mensch und Natur dem Ziel des Mehrwertgewinnes unter. Der Kapitalismus braucht Wachstum um weiter fortzubestehen, denn nur durch das Wachstum der Summe des eigenen Kapitals besteht überhaupt der Anreiz wirtschaftlich tätig zu werden. Wachstum aber brauch immer eine materielle Grundlage, selbst reine Kapitalprodukte wie Aktien sind schlussendlich Wetten auf die Gewinnerwartung von Industrien, die handfeste Produkte herstellen und vertreiben. Auch Recycling und sparsame Verwendung von Material verlangsamen den Verbrauch von Rohstoffen bestenfalls minimal. Im Kapitalismus ist die Lösung der ökologischen wie auch sozialen Fragen also unmöglich.


Notwendig ist also ein Wirtschaftssystem, dass einerseits alle Menschen gleichermaßen materiell bedenkt, andererseits aber hochgradig Ressourceneffizient ist. Dann ist aber auch klar, das ein materieller Luxus für alle nicht möglich ist. Europäer und Amerikaner leben bereits weit über ihre Verhältnisse, die Armen (im Verhältnis zur dritten Welt Reichen) genauso wie die (wirklich) Reichen. Eine Gleichverteilung aller Ressourcen ist also darüber hinaus nur mit Suffizienz, also Verzicht, überhaupt möglich. Das bedeutet aber keineswegs ein Leben in Armut, sondern die Abkehr vom Übermaß. Beispielsweise dem inflationären Konsum von Fleisch, wie er in der ersten Welt üblich geworden ist. Jeder Mensch auf der Welt könnte sich mehr als Satt essen, wenn die stark Ressourcen ziehende Fleischindustrie nur noch eine Fleischbeilage die Woche liefern müsste. Das nur, um ein simples Beispiel zu nennen.


Klar ist jedoch: Eine Lösung der sozialen Frage ist losgelöst von der ökologischen Frage nicht denkbar. Das 20. Jahrhundert stand klar unter dem Zeichen der sozialen Frage. Für Marx waren seine Erkenntnisse über die Beraubung der Natur durch den Kapitalismus nicht greifbar genug, um umfassende Konsequenzen in seiner Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie zu ziehen. Wir befinden uns bereits wesentlich näher am Peak Everything, als die Menschen des 19. Jahrhunderts, die die soziale Frage thematisierten. Deswegen ist es nun unsere Aufgabe als Antikapitalisten, die soziale Frage um den ökologischen Aspekt zu erweitern, um tragfähige Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten. Wir müssen jetzt die sozial-ökologische Frage für das 21. Jahrhundert stellen.


fn

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Mehr Eisberge auf linksunten bitte

Um mal die Retourkutsche zu fahren: Die Auflösung des Privateigentums, Vergesellschaftung oder Kollektivierung als "simple Verteilungsfrage" zu bezeichnen greift deutlich zu kurz. Die Eigentumsfrage, insbesondere wenn es um Eigentum an Produktionsmittel geht, hat enorme Auswirkungen eben auch auf die Ökologie und sehr viele andere Bereiche (Repression, Soziales, Tierrechte, Sexismus, Chauvinismus, Nationalismus, Militarismus etc.). Wer über die Produktionsmittel herrscht und von diesen profitiert entscheidet auch darüber inwieweit man die Umwelt des Profits wegen ausbeutet/zerstört. Natürlich, da stimme ich mit den AutorInnen absolut überein, würde ein antikapitalistisches System diese Problematiken nicht automatisch auflösen, aber es gäbe zumindest großes Potential dafür im Gegensatz zu einem kapitalistischen System welches auf Ausbeutung (sei es der Arbeiter, der Umwelt, der Tiere, anderer Nationen, eines Geschlechts etc.) angewiesen ist um zu bestehen. Von daher ist antikapitalistische Politik per se erstmal immer auch ökologisch, auch wenn keine ökologische Motivation dahintersteckt, von daher sehe ich auch keine zwingende Notwendigkeit sich derzeit auf die den ökologischen Aspekt zu konzentrieren. Das kapitalistische System ist, wenn nicht Urheber so zumindest Aggregat und Garant für sehr vielfältige, unterschiedliche Problematiken, ich halte es für verkürzt sich hier auf ein, zwei Aspekte, sei es der Soziale oder der Ökologische, zu fokussieren. Was natürlich nicht bedeutet dass man sich in der Praxis auf einen Teilbereichskampf konzentriert und das kapitalistische System in jeweiligem Bereich unter Druck setzt. Sollte der Kapitalismus mal überwunden worden sein dann sollte man das Potential nutzen und sich den einzelnen Problemfeldern zuwenden, je nachdem wo man dort dann noch ungenutztes Potential vorfindet und was einem persönlich am wichtigsten erscheint, sei es im Bereich der Ökologie, der Tierrechte, der Herrschaftslosigkeit, der sozialen Frage etc.

Hallo an den mit der Retourkutsche,

 

natürlich hast du Recht wenn du sagst, dass die Eigentumsfrage Auswirkungen auf die Ökologie und einige andere Lebenberreiche hat. Das habe ich auch gemeint, wenn ich sagte das "Im Kapitalismus [...]die Lösung der ökologischen wie auch sozialen Fragen also unmöglich" ist. Eine antikapitalistische Politik ist aber nicht per se ökologisch, weil eine antikapitalistische Wirtschaft nicht zwingend Ressourceneffizient und suffizient sein oder sich vom Gedanken des Wachstums (für mehr Wohlstand für alle) lösen muss, und wahrscheinlich auch nicht sein wird, wenn  man sich die Vorstellungen über eine antikapitalistische Wirtschaft in weiten Teilen der Linken einmal anguckt. Das sagst du ja auch selbst, wenn du schreibst das ein "antikapitalistisches System diese Problematiken nicht automatisch auflös[t]".

Hier sollte auch keineswegs eine Fixierung auf den ökologischen Aspekt in der antikapitalistischen Politik gefordert werden, vielmehr sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass eben dieser Aspekt offensichtlich vernachlässigt wird. Mensch muss sich bewusst machen, dass eben der Verschleiß der Ressourcen langfristig dazu führt, dass die Lebengrundlagen der Menscheit zerstört und endgültig verbraucht werden. Deswegen ist Ökologie auch nicht ein thema wie viele andere, denn sollte der Menscheit die materielle Grundlage zum Leben fehlen, muss er sich überhaupt keine Gedanken mehr über Themen wie "Repression, Soziales, Tierrechte, Sexismus, Chauvinismus, Nationalismus, Militarismus etc." machen, denn dann ist die Menscheit Geschichte.

Desweiteren gehen der antikapitalstischen Strömung auch wichtige Verbündete verloren, dadurch das sie den Schulterschluss mit ökologischen Bewegungen nicht sucht. Wie ich in meinem Text aufzuzeigen versucht habe, lassen sich beide Themen schlicht nicht voneinander lösen. Daher wäre es nun wichtig sich in Fragen der Ökologie und Ökonomie gegenseitig zu bilden und gemeinsam ein Konzept für eine andere Wirtschaft zu erarbeiten und gemeinsam das kapitalistische System unter Druck zu setzen. Der ökologischen Bewegung fehlt in großen Teilen das Bewusstsein für die Schädlichkeit des Kapitalismus als System an sich für die Ökologie. Der antikapitalistischen Bewegung fehlt das Bewusstsein für die Begrenztheit der Produkte der Natur, auf dem sämtlicher menschlicher Reichtum fußt.

"Sollte der Kapitalismus mal überwunden worden sein..."

 

Das einzige was den Kapitalismus überwinden wird ist die Natur, denn den Menschen fehlt dazu inzwischen Geist, Macht & Möglichkeit. "68" hätte es vielleicht noch eine Machtverschiebung mit revolutionärem Potenzial geben können, aber heute... der Zug ist abgefahren. Das Ende der nicht-regenerativen Ressourcen und die ausgereizten Senken werden letztlich Systemveränderungen erzwingen, da sie ein grenzenloses Wachstum nicht ermöglichen und das Wirtschaftssystem sich im Sinne der Selbsterhaltung anpassen muss. Die Frage um die sich bereits heute alles dreht ist: wie werden diese Systemveränderung gestaltet. Sie könnte antikapitalistisch und emanzipatorisch geprägt sein, die Herrschenden versuchen allerdings aktuell genau das Gegenteil: weg von der "sozialen Marktwirtschaft" hin zu einer modernen Aristokratie mit demokratischer Fassade. Insofern ist dieser Artikel hier ein völlig richtiger Ansatz.

und dein rechtes gesülze vom fehlenden geist der menschen und der natur kannst du dir sparen.

 

sowas wurde und wird schon immer von echten kommunisten diskutiert aber nicht mit wachstumsfragen. das ist rechte reformistische verkürzte regressive kapitalismuskritik und keine kritik der politischen ökonomie.

 

echter kommunismus ist humanisierung der natur - naturalisierung des menschen. (frei nach ernst bloch)

Den Menschen fehlt tatächlich der Geist, du kannst es auch Bildung, Bewusstsein, Ideologie und Utopie nennen. Wer soll bitte heutzutage oder in Zukunft den Kommunismus verwirklichen? Die Industriegesellschaften sind doch völlig aphatisch, entpolitisiert und verblödet. So weit wie heute war die Menscheit noch nie vom Kommunismus entfernt und das obwohl der Kapitalismus für alle offensichtlich am Ende ist. Schau nach Griechenland: Dort haben weder Kommunisten noch Linke in irgendeiner Form von der Systemkrise profitiert, im Gegenteil sind jetzt die Rechten am Zug. Die Ursachen für die mangelnde Akzeptanz linker bzw. kommunistischer Ideen liegt u.a. in der Ignoranz der Umweltfrage. Ohne Einbeziehung der Umweltfrage (welche unmittelbar verknüpft ist mit dem Wachstums-Begriff) lässt sich kein linkes und auch kein kommunistisches Gesellschaftsbild zeichnen. Und das Kommunismus automatisch Umweltschutz bedeutet ist nichts als eine hohle Phrase ohne Sinn.

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