[Tü] Grünen-Politiker Boris Palmer: "Affenversuche und Legebatterien sind legitim!"

Boris_Palmer

Am 27. März 2011 wurde in Baden-Württemberg der neue Landtag gewählt. Bündnis 90/Die Grünen, die seither Regierungspartei sind, hatten in ihrem Wahlprogramm auch Tierrechte als Leitidee verankert. Grundsätzlich wird ein respektvoller und ethisch verantwortbarer Umgang mit Tieren gefordert. Unter anderem sollen die Haltung, das Mitführen und die Verwendung von Wildtieren in mobilen Zirkusbetrieben sowie ihre Dressur beendet, vegetarische und vegane Ernährung sollen als vollwertige Ernährungsformen anerkannt und in allen öffentlichen Kantinen und Mensen sollen alternativ vegetarische und vegane Gerichte angeboten werden.

 

In Bezug auf Tierversuche fordern die Grünen: Wo immer möglich eine Abschaffung und den Einsatz alternativer Methoden; die Versuche an Primaten sollen innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens ganz beendet werden.

 

Boris Palmer als grüner Oberbürgermeister der einzigen Stadt in Baden-Württemberg, in der noch Experimente an Affen durchgeführt werden, hat sich seit 2009, als die Kampagne gegen die Tübinger Affenversuche gestartet ist, noch kein einziges Mal bewogen gefühlt, zu den Versuchen überhaupt Stellung zu nehmen.

Am 29. Oktober hatten Aktivisten der Kampagne bei einer öffentlichen Veranstaltung, bei der Boris Palmer anwesend war, Gelegenheit, ihn darauf anzusprechen. Das Ergebnis des Gesprächs: Seine Partei hat zwar im Wahlprogramm explizit das Ziel der Abschaffung der Affenversuche stehen, aber Palmer denkt nicht daran: Er habe mit den Experimentatoren über die Versuche gesprochen und ist der Meinung, der Nutzen für den Menschen sei größer zu bewerten als das Leid der Affen.

 

Dass er in Wirklichkeit über den "Nutzen" und die Ziele der Experimente in Tübingen nicht gut informiert ist, zeigte sich u.a. daran, dass er „Alzheimer-Patienten“ als Argument anführte, mit denen wir „mal sprechen“ sollten - bereits am Tag unserer ersten Demonstration für die Abschaffung von Tierversuchen, am 18. April 2009, hatte die „Neurowissenschaftliche Gesellschaft“, ansässig in Berlin-Buch, eine über halbseitige Anzeige im „Schwäbischen Tagblatt“ geschaltet, in der mit banalen Mitteln – dem Abdruck eines Fotos einer Alzheimer-Patientin – suggeriert wurde, die Alzheimer-Forschung sei auf Versuche mit Affen angewiesen. „Dieser Eindruck ist nicht richtig“, erklärte am 25. April der Alzheimer-Spezialist Prof. Mathias Jucker vom Hertie-Institut - das Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung ist eines der drei Tübinger Institute,1 an denen Primatenversuche durchgeführt werden - im Interview mit dem TAGBLATT. Er forsche zwar auch an Tieren über Alzheimer – allerdings an Fliegen und Würmern!2

 

Palmer hat nach eigenen Angaben mit den Wissenschaftlern gesprochen - die, indem sie "so auf mich zugekommen sind wie Sie jetzt", wohl bereits früher einiges an Lobby-Arbeit geleistet haben -, aber nicht daran gedacht, sich auch mit ExpertInnen der Gegenseite zu unterhalten, etwa mit jemandem von Ärzte gegen Tierversuche.

 

In unserem Gespräch zog er eine ganz klare und eindeutige Demarkationslinie zwischen "Menschen und Tieren" und sagte: "Tiere dürfen ausgebeutet und unterdrückt werden, weil sie keine Menschen sind, Ausbeutung von Tieren ist legitim, Legebatterien sind legitim."

In der Schweiz wurde die konventionelle Käfighaltung von Hühnern 1992, in Österreich 2005 und in Deutschland 2008 verboten. Ab 1. Januar 2012 ist sie zudem in der Europäischen Union verboten. Ab 2012 sind in der EU nur noch ausgestaltete Käfige erlaubt, die ein höheres Platzangebot (750 cm² pro Tier) sowie Scharrbereich, Sitzstangen und Nester bieten.

Boris Palmer fällt hier als grüner Politiker also nicht nur hinter alle Standards seiner eigenen Partei, sondern sogar hinter EU-Recht zurück!

 

Der "grüne" Oberbürgermeister Tübingens berief sich bei seiner Aussage, wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftlicher Fortschritt legitimierten die Inkaufnahme von Tierleid, auf eine "Axiomatik" - man sollte wohl besser sagen: Dogmatik -, welche u.a. aus dem Grundsatz besteht: Menschen dürfen Tiere ohne jegliche Rücksichtnahme ausbeuten, unterdrücken und auch für niedere und leicht ersetzbare Zwecke töten.

Dabei ging er in der Tat so weit, sich auf die angebliche „Legitimität“ von Legebatterien zu berufen, um im Umkehrschluss darauf hinzuweisen, dass dann auch die Versuche mit Primaten an den Tübinger Instituten legitim seien. Er sprach - entgegen den Leitlinien seiner eigenen Partei - auch davon, dass Tiere nach geltendem Recht Sachen seien, so dass sie vom Menschen willkürlich ausgebeutet werden dürften.

 

Insgesamt zog Palmer sich auf angeblich "geltendes Recht", Axiomatik und bürokratiebedingte (Un-)Zuständigkeitsbereiche zurück und verwies dabei explizit auf die "Logik" seiner Argumentation - dabei hat er aber in Wirklichkeit elementarste logische Grundsätze verletzt und fehlerhaft argumentiert; schon der Versuch, aus einer rein deskriptiven Aussage (dem, was ist) eine normative Aussage (das, was sein soll) abzuleiten, ist logisch nicht zulässig (Naturalistischer Fehlschluss bzw. Sein-Sollen-Fehlschluss/Humes Gesetz). Fakt ist ja, dass, insofern sich die Ideologie der gewaltdurchwirkten Ausbeutung von Tieren bis in die späte Moderne hinein aus der unabweisbaren Realität einer unter Versorgungsmangel leidenden Gesellschaft erklärte, dieses ökonomische Strukturmoment heute in den Industriegesellschaften überwunden ist: Der Tierausbeutung ist "die reale Grundlage ihrer historisch gewachsenen Notwendigkeitsideologie objektiv abhanden" gekommen, stellt beispielsweise der israelische Soziologe Moshe Zuckermann fest.

 

Palmers Aussage, die Wissenschaft untermauere die taxonomische Demarkation zwischen Mensch und Tier - die Palmer zu einer moralischen Demarkation ausweitete -, ist schlicht falsch. Dass er in diesem Bereich komplett uninformiert ist, zeigte sich daran, dass er tatsächlich mit längst widerlegten „Argumenten“ wie "Kulturfähigkeit" und "Werkzeuggebrauch" ankam, um am wesentlichen Unterschied von Menschen und anderen Tieren festzuhalten.

Wer am durch die moderne Wissenschaft seit Darwin widerlegten Mensch-Tier-Dualismus zur Legitimation von Gewalt gegenüber Tieren heute noch festhält, hängt einer Ideologie an - einem falschen Bewusstsein von den herrschenden Verhältnissen, einem gesellschaftlichen Bewusstsein, das sich gegenüber dem gesellschaftlichen Sein verselbständigt hat. Progressive WissenschaftlerInnen erkennen längst an, dass der Speziesismus - die Ideologie, welche das Ausbeutungsverhältnis gegenüber Tieren legitimiert -, von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, "unhaltbar" ist - so etwa Volker Sommer, Professor für evolutionäre Anthropologie am Londoner University College, in seinem Vortrag Vorbei mit den Grenzen. Warum sich der Mensch nur graduell vom Tier unterscheidet.

 

Den mehrmals ausgesprochenen Hinweis auf die Qualen, welche die Affen an den Tübinger Instituten durchleben müssen, ja jegliche Fragen nach dem Mitleid mit "Versuchstieren", ignorierte Palmer konsequent.

 

Reinhold Pix, Landtagsabgeordneter und tierschutzpolitischer Sprecher der grünen Regierungspartei, war zugegen, als die 60.000 Unterschriften gegen die Affenversuche in Tübingen übergeben worden sind und meinte: „In unserem Wahlprogramm hatten wir uns klar zu einem Ende der Affenversuche innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens ausgesprochen sowie möglichst für eine Abschaffung der Tierversuche generell, zumindest aber eine jährliche Reduzierung um zehn Prozent. Unseren Bürgern und Wählern gegenüber sind wir hierzu nun verpflichtet und müssen diesen Regierungsauftrag umgehend erfüllen“. – Man darf gespannt sein, ob – und wenn ja, wie schnell – die politisch Verantwortlichen ihre Versprechen verwirklichen werden oder ob sie genauso vor der Lobby, die jene vertritt, welche von der tagtäglichen Ausbeutung in diesem System profitieren, einknicken werden, wie es seit jeher die Art von Boris Palmer ist.

 

ANTISPEZIESISTISCHE AKTION TÜBINGEN


  1. Abteilung Kognitive Neurologie, Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung, Ottfried-Müller-Str. 27, 72076 Tübingen; Labor für Primaten-Neurokognition, Abteilung für Tierphysiologie, Institut für Zoologie, Universität Tübingen, Auf der Morgenstelle 28, 72076 Tübingen; Max-Planck-Institut (MPI) für Biologische Kybernetik, Spemannstraße 38, 72076 Tübingen. [zurück]
  2. vgl. unseren Artikel Tierexperimenatoren widersprechen sich gegenseitig. [zurück]
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Sorry, aber wie naiv muß man sein um sich auf die Grünen bzw. deren Wahlprogramm zu beziehen?! Ist doch absolut nix neues dass das die Opportuenistenpartei Nr.1 ist, siehe den AtomKONSENS zwischen rot-grün und AKW-Betreiber, den ersten Auslandseinsatz der deutschen Armee seit dem zweiten Weltkrieg dem die angeblichen Antimilitaristen beteiligt waren oder den Sozialkahlschlag a la HartzIV, Praxisgebühr und Zeitarbeit.

 

Und mal ne einfache Verständnissfrage: Ich find das Engagement gegen Tierversuche mit Primaten prima, keine Frage, aber warum nennt ihr euch "Antispezietistische Aktion Tübingen" wenn ihr selbst eine Grenze zieht zwischen Primaten und anderen Spezies (Würmer und Fliegen)? Mit Antispezietismus hat das doch dann eigentlich nichtmehr viel zu tun, oder?

"Auch wenn der Begriff der Spezies wie jener der Rasse offensichtlich von sozialen Konstruktionen abhängt, so erscheint uns die Verwendung des Spezies-Begriffes, im Gegensatz zur Anwendung des Rassenbegriffes auf den Menschen, als sinnvoll, weil er trotz allem in den meisten Fällen eindeutige Eigenschaften zuweisen kann. Denn im Unterschied zu menschlichen „Rassen“ unterscheiden die Tierarten sich biologisch in vielerlei Hinsicht. Unterschiedliche Tiere aber haben auch ganz unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten. Es würde also keinerlei Sinn machen, eine Gleichstellung oder Gleichbehandlung aller Tiere zu fordern. Es müsste sich eigentlich von selbst verstehen, dass dies eine geradezu absurde Forderung wäre: Die konstruierte Kategorie „Tiere“ fasst ja sich gänzlich unterscheidende Arten und Individuen in Eins. Wir wollen außerdem ja gerade den Mensch-Tier-Dualismus, der alle anderen Tiere dem Menschen als dessen Gegenteil gegenüberstellt und so die Artenvielfalt und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Spezies verschleiert und die Ausbeutung bestimmter Spezies legitimiert, als Ideologie entlarven. – Eine solche Simplifizierung des Speziesismus-Begriffes resultiert wohl aus einem Missverständnis: Die manchmal zur Erklärung des Begriffes „Antispeziesismus“ angeführte Analogie zum Antirassismus oder Antisexismus wird überbetont. Solche Konzepte aber eins zu eins auf das des Antispeziesismus zu übertragen, ist schlicht sinnlos, da ein grundlegender Unterschied besteht: Rassismus und Sexismus funktionieren durch die ideologische Ungleichmachung von Gleichem. Speziesistische Ideologie funktioniert, zumindest dann, wenn sie die große Varianz innerhalb der Tierwelt verkennt und alle Tiere – den Menschen ausgeschlossen – gleichmacht, genau andersherum: Alle anderen Tiere werden vom Menschen abgegrenzt und als „Das Tier“ homogen kategorisiert. Diese Ideologie erlaubt es, hochentwickelte, komplexe Säugetiere als prinzipiell „gleich“ anzusehen wie Fruchtfliegen oder Spulwürmer. Dadurch kann eine Situation der Gefangenschaft und Ausbeutung, die offensichtlich im „Nutz“-Tier Leid erzeugt, entschuldigt werden: „Es ist ja nur ein Tier…“. Dass einige davon uns sehr ähneln und somit ählich Leiden empfinden wie wir, wird dadurch ausgeblendet."

Zum Weiterlesen: http://asatue.blogsport.de/2010/07/27/ein-gespenst-geht-um-das-gespenst-...

Danke für die gute Antwort, hab den Begriff Anti-Speziezismus tatsächlich wie im Text beschrieben immer mit Anti-Rassismus, Anti-Faschismus und Anti-Sexismus verglichen und hatte daher Probleme damit. Halte diese Bezeichnung aber gerade nach der Erklärung auch für irreführend.

Halte den Begriff nicht unbedingt für irreführend. Rassismus, Faschismus und Sexismus kann man ja auch nicht einfach direkt miteinander vergleichen.

Jede Herrschaftsform hat ihre spezifische, jeweils in vielen Punkten unterschiedliche Ausbildung, und gegen jede muss entsprechend mit anderen Mitteln, Forderungen etc. eingegangen werden.

Dass die Grünen längst nicht mher links sind, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, und demzufolge auch linke Öko-Politik für sie höchstens auf dem Papier existiert, sollte im Grunde schon lange jedem klar sein.

Ja, schon - aber trotzdem kann man ja versuchen, auch solche Leute auf ihre politischen Versprechen festzunageln und durch diesen Druck dann vielleicht doch etwas erreichen; ein Versuch ist's auf jeden Fall wert!