Diesmal ist alles anders - und doch ist es nur die logische Fortsetzung dessen, was in Wien in den letzten Jahren, katalysiert durch die Audimax-Besetzung 2009, an alternativen Strukturen entstanden ist. Statt einer Hörsaal-Besetzung oder einer weiteren Demonstration mit verhältnismäßig (zu) geringer Beteiligung um in der festgefahrenen österreichischen Politik Gehör zu finden einfach machen, wovon andere bestenfalls reden - meist aber nicht einmal das. Wo von den Medien erfundene "Wutbürger[innen]" gegen - wie man meinen könnte - "eigentlich eh olles" demonstrieren (womit sie ja "eigentlich eh" auch recht haben) nehmen sich jene, die in der Reflektion und Analyse der "Euro/Schulden/Griechen/Kapitalismus/und eigentlich eh olles-Krise" schon ein Stück weiter sind, als aufgestauten Frust und Wut (dieses Ventil ist bei jenen ohnehin permanent geöffnet) an unschuldigen Parks und Plätzen abzulassen, einfach den Raum der uns (eigentlich?) ohnehin allen zusteht / zustehen sollte.
In der Nacht von 13. auf 14. Oktober wurden die über einen Hof zusammenhängenden Gebäude Lindengasse 60-62 (bzw. Zieglergasse 19) besetzt. Exakt drei Monate nach der Räumung des Lobmeyr-Hofes, dessen Besetzung einiges an Staub aufgewirbelt hat und "Wiener Wohnen", den kapitalistisch bewaffneten Arm der Wiener SPÖ, gehörig in Erklärungsnotstand gebracht hat (ebenso die Grünen, die die "Legalisierung von Zwischennutzungen" ins Koalitionsprogramm hineinverhandelt hatten, sich nun aber machtlos dem Treiben von Inseraten-Stadtrat Michael Ludwig ausgeliefert sahen). Unnötig zu erwähnen, dass dieser Notstand bis heute nicht aufgelöst wurde. "Hände falten, Goschn halten" ist kein Verhaltensmonopol des Klein- und Spießbürgertums. Mehrere Beiträge von WienTV, in denen sowohl die Pressesprecherin der Wiener Polizei als auch die Direktorin von Wiener Wohnen interviewt worden, sagen mehr als tausend Worte (alle Videos im Blog-Eintrag vom 14. Juli)
Schutzzone, BUWOG und Neubauer Grüne - wie geht das zamm?
Dieses Mal jedoch ist das Haus nicht am Stadtrand sondern im Zentrum, es sind nicht Sommerferien sondern Semesterbeginn (wenngleich Studierende nur ein Teil des Ganzen sind), das Haus gehört nicht der Stadt oder dem Staat sondern einem skandalumwitterten Immobilienkonzern und Neubaus Bezirksvertretung wird von den Grünen angeführt im Gegensatz zu Ottakring, wo sich Politik-Polizei-Medien-Verflechtungen offenbart haben, wie sie viele wohl kaum (noch) für möglich gehalten hätten. Doch hier geht es um Altbauten auf einem Grundstück mit Millionenwert in einer der städtischen Schutzzonen zur Erhaltung des Stadtbildes.
Das Gebäude Lindengasse 62 stammt aus
der Biedermeierzeit und ist ebenso wie die anderen beiden Gebäude weder
einsturzgefährdet noch baufällig oder sonst irgendwie gefährlich. Im
Gegenteil: Noch bis vor ein bis zwei Jahren war im innen gut ausgebauten
Gebäude Lindengasse 62 die "Neue Sentimental Film" untergebracht - ein
Nachmieter wurde bezeichnenderweise wegen zu hoher Mietforderungen des
vorherigen Eigentümers nicht gefunden. Dieser verkaufte schließlich an
die BUWOG - die das Haus nun ohne jeden Anlass (außer der
Profitinteressen) abreißen will und mit den Bezirksgrünen scheinbar auch
schon einen Modus gefunden hat, wie dies vonstatten gehen soll: Ein
kleiner Teil des Grundstücks an der Kreuzung Zieglergasse/Lindengasse
soll als "öffentlicher Park" genutzt werden - ein "Verhandlungserfolg"
der Grünen, der Millionenprofite für die BUWOG auf diesem Grundstück
erst möglich macht - was ohne den Abriss der schutzwürdigen und gut
erhaltenen Gebäude (die IG Denkmalschutz protestierte bereits im Jänner 2011
mit einem offenen Brief) nicht möglich wäre. Für einen Abriss der
Gebäude wäre jedenfalls ein Bescheid der (grünen!) Bezirksbehörde nötig,
der allem Anschein nach noch nicht ausgestellt wurde, wodurch den
Grünen die entscheidende Verhandlungsposition zwischen BesetzerInnen und
BUWOG zukommen könnte.
Wiener Gemütlichkeit statt Wut an der 15. Oktober-Demo
Nicht ganz zufällig fand die Besetzung - die am 14. Oktober gegen 18 Uhr via Indymedia öffentlich bekannt gemacht wurde - am Vorabend der internationalen Proteste im Zeichen der "Occupy"-Bewegung statt, im Zeichen derer auch in Wien zur Demonstration aufgerufen wurde. Wie jedoch zu erwarten war dominierte die Wiener Gemütlichkeit - "Wutbürger/innen" sehen anders aus. Woanders jedenfalls. Immerhin 2.500 Menschen kamen - aber gingen auch relativ rasch, als zwischen Ankunft am Heldenplatz gegen 17 Uhr und Schlusskundgebung um 19 Uhr eine große Lücke klaffte und ohnehin absehbar war, dass außer verschiedenen Bekehrungsversuchen durch die üblichen - sowie einige weitere - Gruppierungen und Organisationen nicht mehr viel passieren wird. Dem war dann auch so.
Daher hat man das Haus auch schon am
Vorabend besetzt - damit die Stube schon vorgewärmt ist für jene, die
zwar nicht am Heldenplatz ausharren oder gar campieren wollen, aber auch
nicht einfach nach Hause (in die "eigenen vier Wände", wie man so
"schön" sagt) gehen wollten, wie das leider sonst immer der Fall ist bei
Demonstrationen in Wien. Und da Zeltlager im kontinentaleuropäischen
Winter nur etwas für ganz hartgesottene oder Wahnsinnige sind, ist die
Besetzung eines Hauses, das viel Platz für Treffen und andere gemeinsame
Aktivitäten bietet, eine gar nicht so abwegige Idee. Lediglich
Anonymous Austria empfand die Hausbesetzung als "Missbrauch" der #Occupy-Bewegung - wie das denn nun zu verstehen sei, diese Antwort blieben sie trotz dutzendfacher Nachfrage auf Twitter schuldig.
Von "Eigentum" und "Besitz" - wie gerechtfertigt ist eine Haus-"Besetzung"?
Systematische Zerstörung von Altbauten in Wien - alle machen es
Feste feiern wie sie fallen
Bereits am Tag darauf, Sonntag, gab es mit dem Programm von "Tanz durch den Tag" ab 12 Uhr Gelegenheit, die Lehren dieser Erfahrungen anzuwenden. So war etwa von Anfang an klar, das um 22 Uhr - dann ohnehin nach schon zehn Stunden - die Party zu Ende sein muss - was offenbar auch gut kommuniziert wurde und vom Publikum erstaunlich gut angenommen wurde, das nach Abdrehen der Musik laut jubelte und klatschte. Die Tekkno-Party am Freitag musste ja am frühen morgen etwas abrupter beendet werden, was bei DJs wie Publikum gleichermaßen Unverständnis hervorrief.
Zum Abschluss noch ein paar Eindrücke aus dem Haus. Ein Pressespiegel findet sich ebenfalls im Blog des Epizentrums, hier sei lediglich noch auf einen Beitrag samt Interview-Mitschnitt (vom 24.10.) von Radio Orange auf nochrichten.net verwiesen.
Hausbesetzung: Utopia mit Ablaufdatum
http://kurier.at/nachrichten/wien/4309462.php