Mein Kopf bleibt oben - der Bahnhof auch!

Helga

Am Freitag ab 9:00 Uhr wurde im Saal 1 des Amtsgerichts Stuttgart gegen die S21 Gegnerin Helga prozessiert. Ihr wurde ihm Rahmen der Proteste gegen das Bahn- und Immobilienprojekt Stuttgart 21 am 18.8 und am sogenannten "schwarzen Donnerstag", dem 30.9 jeweils Körperverletzung vorgeworfen. In beiden Fällen ist die vermeintliche Betroffene die Polizeibeamtin Richter. Die Verhandlung begann um 9.00 Uhr und wurde um 10.50 Uhr unter Auflage von 45 Sozialstunden Eingestellt. Im weiteren der Ablauf der Verhandlung und eine Einschätzung der momentanen Repressionen gegen S21 Gegner_innen

 

Das politische Klima um Helga und den Prozess

 

Es ist der erste Prozess für Helga, aber nicht ihr letzter. Gegen die zweifache Mutter wird auch ihm Rahmen des 20.6 (Stürmung einer S21 Baustelle nach einer Montagsdemo) wegen schwerem Hausfriedensbruch und schwerem Landfriedensbruch ermittelt. Damit ist sie nicht alleine. Die Polizei, die eine eigene Sondereinheit 20.6 zusammengestellt hat, ermittelt aktuell gegen 700 Aktivist_innen. Vor dem heutigen Prozesstag hatte Helga wie 55 andere Personen einen Strafbefehl im Zusammenhang mit der Besetzung des Nordflügels letzten Jahres im Herbst erhalten. Endeten die ersten Prozesse gegen die Nordflügel-Besetzer_innen noch mit einer Verurteilung der Aktivist_innen zu je 10 Tagessätzen (Staatsanwalt Häusler), wurde der letzte Prozess gegen Auflage von Sozialstunden gegen 2 Beschuldigte eingestellt. Helga bezahlte ihren Strafbefehl ohne Widerspruch einzulegen. Die genau Zahl der Ermittlungen gegen S21 Gegner_innen und der laufenden Anklagen ist schwer zu ermitteln, müsste sich aber inzwischen über der Marke von 2700 Ermittlungs und Anklageverfahren bewegen.

 

Der Prozessverlauf

 

Als der Prozess gegen Helga um 9:00 eröffnet wurde war der größte Saal des Stuttgarter Amtsgerichts komplett belegt (ca. 60 Sitzplätze). Die beiden Presseplätze waren Belegt mit einem Reporter der Taz und linksunten.indymedia.org (mir)

 

9:00 Uhr

Gemeinsame Belehrung der 4 Zeug_innen

9:10 Uhr

Die Anklage wird von der Staatsanwaltschaft vorgelesen.

9:12 Uhr

Die Angeklagte macht Angaben zu ihrer Person

9:15 Uhr

Auf Antrag des Anwaltes wird ein Video als Beweismittel gesichtet (zu der vorgeworfenen Körperverletzung am 18.8)

ca. 9:30 - 10:00 Uhr

Der Anwalt von Helga stellt den Antrag das Verfahren in beiden Fällen (18.8 und 30.9) gegen Auflage einzustellen damit der Rechtsfrieden der Stadt gewahrt bleibe und beide Seiten erhobenen Hauptes den Gerichtssaal verlassen können. Die Staatsanwältin und das Gericht erklären sich dazu bereit, wollen aber zuerst noch die Zeugin Richter anhören. Es gibt eine längere Debatte ob dies nötig ist oder nicht

ca. 10.00 - 10.38 Uhr

Die Zeugin Richter wird angehört. Um 10.38 wird sie aus dem Zeugenstand entlassen. Der Anwalt kommentiert: "Das hat uns jetzt keine Einzige Erkenntnis gebracht, die wir nicht auch den Akten hätten entnehmen können."

10:50

Der Prozess gegen Helga wird Eingestellt unter der Auflage von 45 Sozialstunden

 

Kommentar

 

Eine Polizistin gibt an, im Abstand von etwa einem Monat zwei mal von derselben Person angegriffen worden zu sein. In beiden Fällen habe es sich um Körperverletzung gehandelt. Am 30.9 trug sie nach eigener Angabe einen Oberkörperschutz auf den die immerhin 48-Jährige Helga  einmalig beidhändig mit flacher Hand geschlagen haben soll. Dies habe die Beamtin Richter "wirklich gemerkt". Hämatome (blaue Flecken) haben sich nach eigener Angabe nicht gebildet, ebenso war die Beamtin Richter nicht Krankgeschrieben oder Arbeitsunfähig nach der unterstellten Tat. Der Anwalt stellte zu Recht die Vermutung an, das ohne politische Motivation ein solcher Angriff, sollte er stattgefunden haben, nicht zur Anzeige gekommen wäre.  

 

Beachtenswert ist auch die Videoauswertung. In den wenigen Sekundenbruchteilen in denen der Schlag angeblich passiert ist, schwenkt die Kamera um. Geht es im Fall Helga um wenige Sekundenbruchteile, ist es bei der noch andauernden Verhandlung gegen den Stuttgarter Antifaschisten Chris (siehe hierzu die linksunten.indymedia.org Artikel) eine Zeitspanne von 21 Sekunden. In beiden Fällen wird die Aussage der Beamt_innen von den Videoaufnahmen stark in Zweifel gezogen (ist es doch seltsam sieht mensch minutenlang nichts, und gerade in der Video"pause" soll der Schlag passieren) scheint das die Richter_innen in den Prozesses wenig zu beeindrucken. Auch die von Polizeilicher Seite massiv begangenen Körperverletzungen am 30.9 wurden in dem Verfahren nicht thematisiert. Einzig die Angeklagte erinnerte in ihrer Einlassung an diese.

 

Für weitere Verhandlungen sollte hier ein Lernprozess stattfinden. Die Verwertbarkeit von Videoaufnahmen scheinen juristisch unseren Genoss_innen vor Gericht nichts einzubringen. Alle Beweise, auch Videoaufnahmen, werden von dem Leumund der Beamt_innen übertrumpft. Entscheidender ist wohl die Wirkung der Videoaufnahmen für die anwesenden Menschen im Publikum. Ist es auch zumeist nicht möglich als Zuschauer_in die auf einem Laptop gezeigten Videos direkt mitzuverfolgen, sind die Erklärungen der Zeug_innen, des Gerichts und der Staatsanwält_innen, wieso genau in dieser kurzen Zeitspanne die Tat gefallen sein soll, zumeist entlarvend. Eine Möglichkeit diese Wirkung zu verstärken wäre die Beantragung einer Videowand und eines Beamers um die Videos auch den Prozessbegleiter_innen zugänglich zu machen. Juristisch uninteressant, wäre es eine Möglichkeit die Prozessbegleiter_innen stärker einzubinden.

 

Die Repression um Stuttgart 21

 

Die juristische Verfolgung um Stuttgart 21 nimmt weiter zu. So waren Beamte der Polizei vor dem linken Wohn- und Arbeitsprojekt Projektwerkstatt Stuttgart (projektwerkstatt-stuttgart.de), um von einer dort gemeldeten Person eine ED-Behandlung vorzunehmen. Begründet wurde dies mit Ermittlungen im Rahmen des 20.6. Desweiteren wurden Hausdurchsuchungen bei den Parkschützern und Cams21 durchgeführt, außerdem bei einem Fotojournalisten und noch anderen Aktivist_innen (die genau Zahl ist noch nicht bekannt.). Im Rahmen der Verhandlungen um den 30.9 wurden Aktivist_innen bereits zu Bewährungsstrafen verurteilt. Es bleibt weiterhin zu befürchten das noch mehr Menschen im Rahmen von S21 zu Bewährungs oder Gefängnisstrafen verurteilt werden.

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Erstmal Respekt und Anerkennung für Helgas Engagement! Was mir allerdings abolut unverständlich ist: Wiso hat ihr Anwalt eine Einstellung vorgeschlagen bzw. Helga diese angenommen? Erhobenen Hauptes hätte Helga genausogut mit einer Verurteilung den Saal verlassen können, dann sogar erst Recht! Und einen "Rechtsfrieden" gibts in Stuttgart doch auch sowieso schon lange nicht, mit Oberstaatsanwalt Häußler, Staatsanwalt Biehl und Richterinnen und Richtern die Polizistinnen und Polizisten mehr glauben schenken als dem Videobeweis... Sorry, aber ich kann beim besten willen nicht verstehen wiso hier nicht auf ein Freispruch hingewirkt und das Gericht dadurch gedrängt wurde sich zumindest wiedermal bloßzustellen als Instrument der Machtelite. Vorallem vor dem Hintergrund das gerade bei zwei Verfahren (Helga und Chris) die Polizisten durch den Videobeweis widerlegt worden sind bzw. das Video wundersamerweise immer genau dann wegschwenkt wenn es was zu filmen gibt... Wie gesagt, dennoch natürlich großes Lob an Helga für ihr Engagement, allerdings sollte sie ihre Prozessstrategie überdenken bzw. sich evtl. einen Anwalt suchen welcher im Gericht etwas offensiver vorgeht.

Weil nicht jedeR einE MärtyrerIn werden will?