Deutsche Telekommunikationsunternehmen speichern nach wie vor Verbindungsdaten über Zeiträume von bis zu einem halben Jahr. Die Praxis widerspreche einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, laut dem die Unternehmen Verbindungsdaten nur noch kurzzeitig zu Abrechnungszwecken speichern dürften, erklärte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) unter Berufung auf einen "Leitfaden zum Datenzugriff" (PDF-Datei) der Generalstaatsanwaltschaft München. Ein Sprecher der Behörde bestätigte heise online die Echtheit des Dokumentes. Wie das nur für den internen Gebrauch bestimmte Schreiben von Polizei und Staatsanwaltschaft in die Öffentlichkeit gelangen konnte, konnte der Sprecher nicht erklären.
Der Leitfaden enthält eine Liste, der zufolge nahezu alle Telekommunikationsanbieter die Verbindungsdaten ihrer Kunden mehrere Wochen oder sogar Monate speichern. BT, M-Net und Hansenet speichern demnach sämtliche Verbindungsdaten 180 Tage lang. Verkehrsdaten von E-Plus würden 90 Tage vorrätig gehalten. Dabei würden häufig auch die Verbindungsdaten der Anrufer und Bewegungsdaten gespeichert, die für Abrechnungszwecke nicht relevant sind, teilte der AK Vorrat mit.
Der AK Vorrat bezeichnete die Sammelpraxis der TK-Anbieter als "skandalös" und illegal. Sie könne sich für unbescholtene Bürger nachteilig auswirken, etwa wenn über die Speicherung von Bewegungsdaten Handybesitzer verfolgt werden, die sich nur zufällig in der Nähe eines Verdächtigen aufhielten.
Die Netzbetreiber wiesen die Vorwürfe zurück, rechtswidrig zu handeln. Ein E-Plus-Sprecher erklärte gegenüber heise online, "eine auch nur 'begrenzte' Vorratsdatenspeicherung im Sinne der durch das Bundesverfassungsgericht untersagten Praxis findet nicht statt. Verkehrsdaten werden zweckgebunden und zeitlich befristet ausschließlich für die gesetzlich, zum Beispiel durch das Telekommunikationsgesetz, erlaubten Sachverhalte vorgehalten." Auch die Deutsche Telekom beteuerte in einer Stellungnahme gegenüber heise online, dem urGrundsatz der Datensparsamkeit zu folgen. Mit ihrer Speicherpraxis schöpfe das Unternehmen die Möglichkeiten des Telekommunikationsgesetz nicht voll aus.
[Update]
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar betonte laut dpa das Recht der Anbieter, Verbindungsdaten bis zu sechs Monate für Abrechnungszwecke zu speichern. "Nach meinen Erkenntnissen aus den Beratungen und Kontrollen halten sich die Telekommunikationsunternehmen grundsätzlich an diese Vorgaben", teilte er mit. Welche Daten abrechnungsrelevant seien, werde von ihm kritisch hinterfragt. In Branchenkreisen wird allerdings auch eingeräumt, dass diese innerbetriebliche Speicherung einen Nebeneffekt haben kann: Müssen die Anbieter ihre Informationen auf richterlichen Beschluss für Ermittlungsbehörden öffnen, gehören auch diese Daten dazu. (jh)
Petition des AK Vorrat zum Verbot der Vorratsdatenspeicherung
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) hat eine ePetition online gestellt, mithilfe welcher die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung vom Bundestag als unzulässig erklärt werden soll. Außerdem soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, sich für eine Aufhebung der entsprechenden EU-Richtlinie und ein EU-weites Verbot dieser Verdächtigungs- und Kriminalisierungspraxis einzusetzen.
Die Website zur Petition findet ihr hier:
http://www.zeichnemit.de/
Damit der Petent Kai-Uwe Steffens vom AK Vorrat eine Audienz bei den Herren und Damen des Petitionsausschuss bekommt, braucht es 50.000 Unterschriften. Dafür sind in den kommenden 7 Tagen noch 32.000 Unterschriften nötig. Die Mitzeichnungsfrist läuft dann unabhängig davon noch bis zum 6.10.2011 weiter.
Natürlich gibt es Diskussionsbedarf, wie der zunehmenden Rundumüberwachung durch den Staat im Bereich der Internet und Telekommunikation, aber auch im Straßenraum durch Videoüberwachung am besten begegnet werden kann. Mit guten Argumenten kann man den Sinn einer Petition gegen die Aushöhlung von informationeller Selbstbestimmung hinterfragen, die erstmal Klarname und Adresse von der/dem Unterzeichnenden verlangt.
Die Petition versteht sich daher als eine Form des Widerstandes unter vielen anderen möglichen gegen den Hans-Peter-Friedrich-Staat, nämlich als parlamentarische, mit der Abgeordnete aller Fraktionen mit basisdemokratischen Instrumenten unter Druck gesetzt werden könnten.
Info-Website des AK Vorrat
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/478/185/lang,de/
Der Direktlink zur ePetition
https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=17143
Twitter-Tags
#zeichnemit #akvorrat #vds
Hier der Originaltext:
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Die Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass die verdachtlose Vorratsdatenspeicherung nicht zulässig ist. Darüber hinaus möge er die Bundesregierung auffordern, sich für eine Aufhebung der entsprechenden EU-Richtlinie und für ein europaweites Verbot der Vorratsdatenspeicherung einzusetzen.
Die Begründung
Im Zuge einer Vorratsdatenspeicherung werden ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation (z.B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen, Beratungsstellen usw.) von 500 Millionen Europäern gesammelt. Eine derart weitreichende Registrierung des Verhaltens der Menschen in Deutschland ist inakzeptabel. Eine Vorratsdatenspeicherung höhlt Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, Beratungs- und andere Berufsgeheimnisse aus und begünstigt Datenpannen und -missbrauch. Sie untergräbt den Schutz journalistischer Quellen und beschädigt damit die Pressefreiheit im Kern.
In mehreren EU-Mitgliedstaaten sind die Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung, mit denen die EU-Richtlinie 2006/24 umgesetzt werden sollte, von höchsten Gerichten bereits für unvereinbar mit den Verfassungen der jeweiligen Staaten und somit für ungültig erklärt worden. Eine einheitliche Regelung, wie sie die Richtlinie ursprünglich aus Wettbewerbsgründen herstellen wollte, ist daher mit Vorratsdatenspeicherungen nicht herbeizuführen. Die notwendige einheitliche Regelung kann folglich nur darin bestehen, Vorratsdatenspeicherungen jeder Art in allen EU-Mitgliedstaaten zu untersagen.
Die Bundesregierung aufzufordern, die Abweichung Deutschlands von der EU-Richtlinie 2006/24 zur Vorratsdatenspeicherung genehmigen zu lassen (Art. 114 Abs. 4 AEUV) und nötigenfalls die Genehmigung einzuklagen.
Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Gültigkeit dieser Richtlinie und über den Genehmigungsantrag nicht umzusetzen, selbst wenn der Gerichtshof gegebenenfalls eine Geldbuße gegen Deutschland verhängen könnte.
Weiterhin konnte in der Vergangenheit, in der in einigen Staaten bereits Vorratsdatenspeicherungen stattfanden und die Daten für die Strafverfolgung bereitgestellt wurden, nicht schlüssig nachgewiesen werden, dass diese Daten für den vorgesehenen Zweck der Verfolgung schwerer Straftaten zwingend erforderlich sind. Die Erfahrungen lassen nicht erkennen, dass alternative Ermittlungsmethoden signifikante Nachteile für die Strafverfolgung nach sich ziehen.
Umgekehrt besteht bei vielen Menschen die Sorge, dass solche Daten, wenn sie erst einmal angehäuft werden, an verschiedenen Stellen Begehrlichkeiten wecken werden, die ursprünglich vorgesehenen Grenzen für die Verwendung der Daten aufzuweichen, und dass dem Druck der Interessenverbände auf Herausgabe von Daten irgendwann nachgegeben wird.
Die Geschichte lehrt uns, dass das Funktionieren eines demokratischen Staates zwingend davon abhängt, dass sich die Menschen, die in ihm leben, frei fühlen und bewegen können. Die Nutzung von Telekommunikation gehört in der Moderne unabdingbar zur Teilnahme am öffentlichen Leben, an Hilfe- und Selbsthilfegruppen und an politischen Diskussionen. Dieser Grundpfeiler unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung gerät bereits ins Wanken, wenn sich die Menschen beobachtet und kontrolliert fühlen, oder gar unter Generalverdacht gestellt sehen. Eine Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte durch Vorratsdatenspeicherung würde insofern eine ernste Gefahr für unser Land darstellen. Dem sollte sich der Deutsche Bundestag entschieden entgegenstellen und durch Drängen auf ein EU-weites Verbot von Vorratsdatenspeicherungen die Freiheitsrechte für alle 500 Millionen Menschen in der EU verteidigen.