Selbstbefreiung der Flüchtlinge statt rassistischer Verfolgung in Deutschland
Refugee Conference in Jena and Action-day in Zella-Mehlis - Stellungnahme und Video-Bericht von der VOICE-Konferenz in Jena und der Kundgebung in Zella-Mehlis (Refugee Conference)
Am Ostersonntag versammelten sich vor dem Isolationslager für Flüchtlinge in Zella-Mehlis Flüchtlingsgemeinschaften aus verschiedenen Bundesländern sowie Delegationen aus anderen Städten, um ihre Solidarität mit den dort zur Zeit wohnenden Flüchtlingen zu bekunden und sie in ihrem Kampf zu stärken.
Der Besuch und die Kundgebung in Zella-Mehlis bildeten den Abschluss der zweitägigen Flüchtlingskonferenz in Jena, zu der THE VOICE Refugee Forum unter dem Motto „Wir werden die Isolation aus den Lagern heraus brechen!“ aufgerufen hatte. Mindestens 70 Flüchtlinge aus verschiedenen Teilen Deutschlands nahmen an dem sehr intensiven Treffen teil, um ihre Vision der Befreiung von ihren Unterdrückern zu entwickeln und den Kampf der Unterdrückten und den Widerstand in den Flüchtlingslagern zu vereinen.
Die Flüchtlinge diskutierten auch die Konferenz der Abolish!-Kampagne, die in Berlin stattfinden wird. Man kam überein, dass sich die Konferenz auf die Verknüpfung der Kämpfe der Unterdrückten konzentrieren solle, indem die aktiven Flüchtlingskämpfe zur Aufdeckung der tagtäglichen Verfolgung von Flüchtlingen gefördert werden.
Am Sonntag Mittag erreichten die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer zusammen mit anderen Delegationen und AktivistInnen aus anderen Bundesländern das Isolationslager in der Industriestr. 29 in Zella-Mehlis. Bereits die Teilnahme an der Konferenz demonstrierte die Entschlossenheit und Mut der Flüchtlingsgemeinschaften und -komitees aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Brandenburg, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie hatten ihre Freiheit und ihre Würde erkämpft, indem sie die ihnen per Gesetz aufgezwungene Einschränkung der Bewegungsfreiheit, nämlich die Residenzpflicht, ignorierten. Sie kamen, um während der Konferenz gemeinsame Strategien zu entwickeln und vor allem am Ostersonntag gemeinsam mit den Flüchtlingen aus Zella-Mehlis zu sein und ihre Solidarität durch ihre Anwesenheit zu bekunden.
„Wir sind hier, um euch zu sagen, dass euer Kampf hier in Zella-Mehlis symbolisch für die Kämpfe aller Flüchtlinge bundesweit ist, sei es in Meinersen bei Gifhorn, sei es in Augsburg oder anderswo. Alle Isolationslager müssen weg, denn sie sind unmenschliche Instrumente der Isolation und Ausgrenzung!“ war in einem der Redebeiträge auf der Kundgebung vor dem Lager zu hören und "wir sind keine Gefangenen".
Als einige Flüchtlinge ins Gebäude gehen wollten, versperrten zwei Angestellte einer Sicherheitsfirma im Treppenhaus den Weg. Lauter Protest erhob sich gegen die absurde wie unverschämte Handlung. Statt auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen und den Weg zum Waschraum bzw. zu den Zimmern der Freunde freizugeben, mischten sich noch weitere Personen der Lagerverwaltung mit ein und schafften ein Chaos. Sie riefen die Polizei hinzu, die die ganze Zeit draußen vor Ort war. Die beiden Beamten wurden mit wütenden Beschwerden überschüttet, dass der Zugang zum Gebäude verweigert wird. Sie versuchten dies zu begründen, dass eine Kundgebung nur für draußen genehmigt sei. Dem Argument, dass zwar die Kundgebung draußen stattfinde, dies aber nicht bedeuten kann, dass das Gebäude gesperrt werde, konnte der Einsatzleiter nichts entgegensetzen. Danach standen über Stunden die zwei "securities" Zigaretten rauchend an die Wände im Eingangsbereich gelehnt, um weiter Kontrolle auszuüben. Währenddessen gesellte sich Personal der Behörde zu einigen an der Auffahrt zum Lager verweilenden Polizisten – verärgert, den Protest für die Schließung des Lagers nicht unterdrücken zu können, befriedigt, wenigstens eine Provokation angezettelt zu haben. Später kamen zwei in zivil gekleidete Polizisten und gingen zum Isolationslager. Einer von ihnen drohte in herrischer Manier, einen Vertreter von THE VOICE, ihn nicht zu fotografieren. Derselbe Mann saß später mit einem Kollegen in einem silbernen BMW und fotografierte die abfahrenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Protestes. Er wurde nach seiner Identität gefragt und zur Rede gestellt. Weil er sich weder vorstellen noch filmen lassen wollte, startete er den Motor und verschwand.
Die Kriminalisierung des gerechten Protestes von Flüchtlingen kennen wir in all seinen Facetten. Doch nie hielt er uns ab, die Wahrheit in die Öffentlichkeit zu tragen und das Unrecht zu benennen. Jede Form der Einschüchterung und Kriminalisierung nehmen wir ernst und antworten mit verstärkter Kraft und Öffentlichkeitsarbeit.
Durch die Konfrontation ausgelöst von der Lagerverwaltung wurde das System der Isolation für jeden sichtbar. Flüchtlinge sollten ihren Besuch nicht mit in ihre Zimmer nehmen dürfen, ohne dass diese vorher kontrolliert wurden. Die Anwesenheit von Sicherheitspersonal, Polizei und Lagerverwaltung, die über die Verweigerung von Gutscheinen und Krankenscheinen Druck ausüben kann, sollte dazu dienen, die Lagerbewohner zu verängstigen und einzuschüchtern und sie so davon abzuhalten, nach draußen zu kommen und ihr natürliches Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wahrzunehmen. Doch der Protest der Kundgebungsteilnehmer zeigte seine Wirkung: Besucher betraten das Gebäude, ohne sich von den Sicherheitskräften beeindrucken zu lassen, und konnten sich selbst von den katastrophalen Zuständen im Lager überzeugen; Flüchtlinge aus dem Lager kamen nach draußen, um mit den Kundgebungsteilnehmern zu feiern.
„Das menschenfeindliche System der Ausgrenzung und die scheinheilige westliche Demokratie zeigen sich heute und hier deutlich durch die Anwesenheit der Lagerverwaltung und des Sicherheitspersonals. Sie repräsentieren heute und hier das menschenverachtende rassistische System der Abschiebung!“ war in einem anderen Redebeitrag zu hören.
In ihren Solidaritätsbekundungen und Redebeiträgen gingen die Vertreter und Vertreterinnen der Flüchtlingsgemeinschaften sowohl auf die Wichtigkeit der Selbstorganisation als auch die Ziele der Flüchtlingskämpfe ein. „Die Lebensbedingungen in den Heimen interessieren uns nicht! Wir wollen unsere Freiheit! Wir wollen in Freiheit und in Würde leben!“ sagte ein Flüchtling aus Braunschweig. Eine weitere Rednerin aus Velbert (NRW) sagte, alle Isolationslager seien Gefängnisse, daher sei die Schließung der Isolationslager für Flüchtlinge das einzig akzeptable Ziel. „Wir machen keine Kompromisse mit Lebensmittelgutscheinen, nicht mit Residenzpflicht, noch mit Arbeitsverboten!“ sagte sie weiter.
Neben den Redebeiträgen unterhielten sich die anwesenden Besucher und Gastgeber aus dem Lager in Zella-Mehlis und tanzten zu internationaler Musik. Die vielen Kinder, die in dem Lager keinen geeigneten Spielplatz haben, spielten mit den Besuchern. Wir, selbst Flüchtlinge aus anderen Lagern, ehemalige Flüchtlinge und Delegierte wussten, dass diese Tänze und diese Abwechslung nur eine kleine Sekunde Freude in den Leben dieser Kinder sein konnte. Wir waren voller Wut, zu sehen, in welchem Zustand unsere Kinder, Brüder und Schwester leben müssen in einem Land, in dem der Reichtum für ein gesundes und volles Leben für alle vorhanden ist. Wir waren voller Wut, wieder einmal zu sehen, wie wenig ein Menschenleben hier in Deutschland wert sein kann und wie die besten Jahre der Menschen hier, in der Sinnlosigkeit der Einöde und der Fremde, ausgegrenzt in einem Industriegebiet am Rande der Stadt am Walde vergeudet werden. Ein irakischer Flüchtling, früher Boxer, sagte wütend zu einer der gekommenen Journalistinnen: „Ich bin nur Besucher hier. Ich bin hierher gekommen, weil es Krieg gab in meinem Land! Seit 8 Jahren bin ich hier. Mit 27 bin ich gekommen. Wenn in meinem Land Frieden herrscht, bin ich der Erste, der von hier weg geht!“
Die Trauer setzte sich fort, als wir uns verabschiedeten und die jungen afghanischen Flüchtlinge aus dem Lager uns baten, doch bei ihnen in den bescheidenen Verhältnissen zu bleiben. Eins haben die Brüder und Schwester noch nicht vergessen: die im Hindukusch und in den Bergen Kurdistans und in den Wäldern West-Afrikas übliche Gastfreundschaft. Mit dem Gefühl, die Freunde alleine zu lassen, verließen wir Zella-Mehlis. Bei der Abfahrt fiel uns auf, dass das Isolationslager in Zella-Mehlis wie das in Gerstungen direkt an der Landkreisgrenze liegt. Das Ortsschild von Suhl ist nur einige hundert Meter vom Lager entfernt. In Landkreis Suhl werden die Flüchtlinge im Gegensatz zu Meiningen dezentral und nicht in Lagern untergebracht.
Jede Form der Kriminalisierung und Provokation wird unseren Aktionen einen neuen Anfang setzen. Viele sind getötet worden durch die rassistische Politik der Migrationskontrolle, das Leben und die Hoffnung von Tausenden wurde zerstört. Es gibt nichts zu feiern. Unser Kampf wird weitergehen, wo immer wir uns befinden. Unsere Vision ist es, den Kampf der Unterdrückten zu unterstützen, sich von den Unterdrückern zu befreien. Solange wir unser aktives Engagement tagtäglich weiterführen, sind wir Teil jeder Revolution, egal wo sie stattfindet. Nicht nur im Namen unseres direkten Widerstands, sondern im Namen des Widerstands der Menschen überall auf der Welt gegen ihre Unterdrücker.
Im Fall von Zella-Mehlis ist die Schließung das mindeste. Jedes weitere Zögern, diese Forderung zu erfüllen, wird zu einem Ultimatum führen. Diejenigen, die sich weigern, unsere Forderung zu akzeptieren, machen die Sache nicht nur schlimmer, sondern entblößen und demaskieren auch die direkten Täter, die diese repressive Politik aus Rassismus, Diskriminierung und Verfolgung durchführen.
Viel kann getan werden, die institutionalisierte Verfolgung und den Rassismus des Lagersystems zu stoppen und damit Mord und Selbstmord, Traumata, psychologische Folter und sexuelle Übergriffe gegen Flüchtlinge zu verhindern. Wir rufen auf zur sofortigen Schließung aller Lager in Deutschland und verlangen die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in normalen Wohnungen! Wir rufen auf zum Widerstand gegen die staatliche Politik der Zwangsisolation! Wir verlangen die Abschaffung ungerechter Kontrollen, der Residenzpflicht und der tagtäglichen Repression gegen Flüchtlinge. Wir fordern eine Ende der Verletzung des grundlegenden Menschenrechts auf Bildung und medizinischer Versorgung.
Jede Form der Repression ist ein Missbrauch von Menschenrechten.
Vor und nach einer weiteren Flüchtlingskonferenz am 2. Juni 2011 in Hannover werden Aktivisten von The VOICE Refugee - Community Network zu einer Solidaritätstour zu den Flüchtlingscommunities und -lagern in verschiedenen Städten aufbrechen, aus denen Flüchtlingsaktivisten zur Konferenz in Jena angereist sind.
Im Bundesland Thüringen wächst die Selbstorganisierung der Flüchtlingscommunity. An der deutschlandweiten Flüchtlingskonferenz vom The VOICE Refugee Forum in Jena und dem anschließenden Protest vor dem Isolationslager in Zella-Mehlis nahmen Flüchtlingsdelegationen aus Braunschweig und aus Cuxhaven teil, um Solidarität zu zeigen und sich auszutauschen über die regionalen Erfahrungen.
Deswegen rufen wir alle auf, gegen diesen Rassismus, gegen Duldung, gegen die rassistischen Ausländerbehörden und gegen Residenzpflicht in Niedersachsen zu kämpfen. Kommt zu unserem großen Vernetzungstreffen am 2. Juli vom 12:00 bis 17:00 Uhr in Hannover. The VOICE Refugee Forum wird mit einigen Aktivisten aus Thüringen bzw. Baden Württemberg präsent sein.. . . . Einladung zum Treffen der Flüchtlinge in Niedersachsen - vom Asylbewerber Gifhorn Initiative. info: http://thevoiceforum.org/node/2115
"The VOICE" Break Isolation Pressespiegel von JW; ND; Insuedthueringen-local zu Zella-Mehlis Aktionstag in Thüringen 24.04.2011 >> http://thevoiceforum.org/node/2104
Wir wollen dem Netzwerk „Break Isolation!“ für die Durchführung der Organisation, sowie allen SpenderInnen, insbesondere für den Bus von Jena nach Zella-Mehlis, für ihre Unterstützung danken!
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