Hamburg: Stadt wurde selbst gemacht

Flora bleibt unverträglich

Versuch eines zusammenfassenden Berichtes und einer autonomen Einschätzung der Demo am 30. April und des Gefahrengebietes im Schanzenviertel rund um den 1. Mai in Hamburg

Die Demonstration am 30.4. hat unsere Erwartungen übertroffen. Wir, das sind einige Leute aus dem Umfeld der Roten Flora, die wie viele andere aktiv an der Demo teilgenommen haben. Die Polizei schätzte die Anzahl der Teilnehmenden auf ca. 4000 Menschen, der Lautsprecherwagen sprach später von 6000 Menschen. Wir denken, diese Schätzung liegt vielleicht etwas zu hoch und welche will, nimmt einfach die Mitte mit 5000 Teilnehmer_innen.

 

Die gegen Gentrifizierung und kapitalistische Stadtentwicklung gerichtete Demonstration wurde überraschenderweise nicht von einem Spalier begleitet. Damit sollte einerseits vermutlich Konfliktpotential herausgenommen und andererseits auf die gesellschaftliche Breite der Demonstration reagiert werden. Wir werten dies als Erfolg des breit angelegten Demonstrationskonzeptes. Tatsächlich war es angenehm, mal ohne mehrreihiges Spalier durch die Stadt zu gehen, und wir glauben, dass dies zum ungewöhnlich entspannten Start der Demo beigetragen hat. Dass dies in Hamburg leider nicht dem Normalfall entspricht, zeigte der nächste Tag, an dem die 18 Uhr Demo mit mehr als 2000 Leuten in einem mehrreihigen Wanderkessel durch menschenleere Straßen geführt, immer wieder aufgestoppt und teilweise angegriffen wurde.

Nervig fanden wir auf der Demo am 30.4. die Böllerwürfe. Es gab wieder mehrere Verletzte in den eigenen Reihen. Wozu Böller an den Straßenrand geworfen werden, wenn noch nicht mal ein Spalier vorhanden ist und dort nur solidarische Menschen unterwegs sind, ist für uns nicht nachvollziehbar. Doch auch wenn Bullen am Rand oder gar in der Demo stehen, ist Bewurf vor allem anderen eine Gefährdung der eigenen Leute. Es gab in diesem Zusammenhang wieder einmal einige sehr unschöne Szenen und wir denken, es gibt an dieser Stelle nachhaltigen Diskussionsbedarf. Auch im Sinne weiterer  Proteste und Demonstrationen.

Breit aufgestellt

Zur Demo gegen eine mögliche Räumung der Roten Flora und des Wagenplatzes Zomia wurde nicht nur die eigene autonome Szene erreicht, sondern das gesamte Spektrum stadtentwicklungspolitischer Proteste. Dies drückte sich auch in den Redebeiträgen und den inhaltlichen Schwerpunktsetzungen aus. Gleichzeitig wurde die Demo angeführt von einem beeindruckenden autonomen Block. Während die Demo vorne sehr lautstark war, nahm dies zur Mitte und zum Ende des Zuges hin stark ab. Auch Ketten wurden dort kaum gebildet, was sich zu einem späteren Zeitpunkt rächte.

Die Mischung der Leute war heterogen und das sonnige Wetter tat sein übriges. Insgesamt ist es gelungen, und dies ist vielleicht die wichtigste Erfolgsmeldung dieses Tages, eine Fusion unterschiedlicher Protestspektren herzustellen. Schwarzer Block und Stadtteilinitiativen, Anwohner_innen und radikale Linke überschnitten sich in ihren Forderungen und einer Widerstandsperspektive um ein Recht auf Stadt. Damit ist die Bewegung zur Verteidigung der Roten Flora gut aufgestellt, eine noch breitere Protestwelle kündigt sich möglicherweise an. Die Demo am 30.4. war weder der Anfang noch das Ende der Kampagne "Flora bleibt unverträglich". Sie kann eine Steilvorlage sein für weitere Demos und Aktionen, die die Frage, um was es bei einer Räumung der Flora geht, nämlich den Begriff von Stadt und Gesellschaft, aufgreifen und weiter verbreitern.

Stadt selbst machen

Ein Häuserblock mit vielleicht 20 Pappfiguren thematisierte verschiedene Projekte und Konflikte um Leerstand und Recht auf Stadt. Mehrere Menschen begleiteten die Demonstration als überdimensionale Kameras verkleidet und beobachteten unaufdringlich aufdringlich das Geschehen. Ein Wasserturm, eine Rote Flora, ein Frappant und viele andere Häuser starteten an der Spitze der Demo, um in der Schanzenstraße den autonomen Block nach vorne zu lassen und sich am Rand und weiter hinten wieder einzureihen. Initiativen haben gegen die Umgestaltung des Real-Geländes demonstriert, und Mieter_innen der Esso Häuser auf St. Pauli gegen ihre Vertreibung. Menschen aus St. Georg kritisierten die dortige Verdrängung von Drogenszene und Straßenprostitution durch die neue Sperrgebietsverordnung, NO BNQ machte aus der Demo eine Konfettiparade.

An anderer Stelle der Bernhard-Nocht-Straße wurde der zu großen Teilen leerstehende Astraturm und das Riverside Hotel umgestaltet und ein Bundeswehrfahrzeug dem Kriegseinsatz entzogen. Die Forderung nach Enteignung von Privateigentum wurde spontan aufgegriffen und in einem Lidl Markt kurzerhand die Selbstbedienung eingeführt, um die Demonstration mit Getränken zu versorgen. In Altona wurde in einem Akt des zivilen Ungehorsams, das Motto der Demo "Stadt selbst machen" aufgegriffen und der Holzplattenzaun der Ikea-Baustelle von vielen Leuten aus dem mittleren Bereich der Demonstration im Vorbeigehen demontiert.

Der Polizeiangriff auf die Demonstration

Die Polizei reagierte hierauf mit einem unserer Ansicht nach absolut unverhältnismäßigen, gewalttätigen Einsatz, der die Situation massiv eskalierte. Ein Trupp Polizeibeamter stürmte von vorne am Zaun entlang durch die Demo und Menschenmenge und stieß dabei auf den mehr als berechtigten Widerstand von zahlreichen Demonstrationsteilnehmer_innen. Nur der Ruhe und Besonnenheit der Beteiligten der Demonstration ist zu verdanken, dass es durch den polizeilichen Einsatz an dieser engen Stelle keine Panik mit vielen Verletzten gab.

Wir sind uns etwas unsicher, ob an dieser Stelle die Demonstration nicht zu früh beendet wurde. Besser als ein überstürztes Ende wäre möglicherweise der Aufruf gewesen Ketten zu bilden und stehen zu bleiben, um die Bullen aus der Demo zu halten und dann langsam, aber selbstbewusst zum Platz der Abschlusskundgebung durchzurücken, um dort noch einen gemeinsamen Abschluss durchzusetzen mit Beiträgen zur Verdrängung in Altona.

Um die Auflösung herum wussten die Leute im hinteren Bereich nicht, was in der Mitte los war. Dort war zeitweise ein Kessel entstanden, der aber nicht gehalten wurde, während vorne ein Mob aus mehreren hundert Leuten in den Seitenstraßen aufgrund der sich verstärkenden Polizeiangriffe und Wasserwerfereinsätze militante Auseinandersetzungen mit der Polizei begann. Dieser zog sich begleitet von Sachbeschädigungen und kleineren Barrikaden in Richtung Altona-Altstadt und Ottensen zurück. In Folge der Auflösung wurden vier Fahrzeuge der Polizei demoliert.

Dieses Ergebnis des Polizeieinsatzes spricht für sich. Aus dieser Perspektive war die Auflösung wahrscheinlich die richtige Entscheidung. Wir denken, es ist durchaus zum Ausdruck gekommen, welche Protestdynamik polizeiliche Angriffe auf Demonstrationen entwickeln können. Der für unseren Geschmack leider eher zu leise Lautsprecherwagen ließ weitere Durchsagen im allgemeinen Schlachtengetümmel ohnehin etwas hoffnungslos und mehr symbolischer Natur erscheinen. In Zusammenhang der Auflösung gab es leider mehrere Verletzte und nach unserem Stand auch vorläufige Festnahmen.

Erfolgsmeldungen der Innenbehörde

Während die Situation im Schanzenviertel weitgehend unter Kontrolle der Polizei blieb und dort nur kleinere Auseinandersetzungen begleitet von sofortigen Wasserwerfereinsätzen stattfanden, knallte es an vielen Orten um das Gefahrengebiet herum. Im Anschluss verbuchte die Polizeipresse den Tag, für uns eher überraschend, als Erfolg des polizeilichen Einsatzkonzeptes. Wir lassen sie gerne in ihrem Glauben und stellen fest: Noch mehr solche polizeilichen Erfolge und die erste Million wird vermutlich bald voll sein.

Politisch im Vordergrund steht offenbar das bemühte Interesse des neuen SPD-Senates, Normalität und Kompetenz im Bereich der inneren Sicherheit zu demonstrieren (dies folgt der bisherigen politischen Linie im Umgang mit der Roten Flora und der Weigerung das Gebäude vom Markt zu nehmen). In der Realität konnte die Einrichtung eines Gefahrengebietes im Schanzenviertel politische Sachbeschädigungen im Stadtgebiet nicht verhindern. Eine unvollständige Auflistung im Folgenden soll dies aufzeigen. Das Gefahrengebiet lief sicherheitstechnisch auf die Gesamtlage bezogen daher eher ins Leere, ist juristisch aber dennoch ein echter Skandal und stellte im der Schanzenviertel einen polizeilichen Belagerungszustand her.

Unvollständige Liste der Ereignisse rund ums Gefahrengebiet

ALTONA
- Große Bergstraße - Ikea Bauzaun demontiert, Leute auf der Baustelle
- Nach der Demoauflösung rund um die Große Bergstraße
4 Polizeifahrzeuge durch Steinbewurf entglast, brennende Müllcontainer, allgemeine Verwüstungen, kleinere Barrikaden und Auseinandersetzungen mit der Polizei in den Seitenstraßen.
- Max Brauer - brennende Gegenstände auf der Straße
- Chemnitzstraße - Altpapiercontainer brennen
- Ottensen Maklerbüro Glasbruch
- Ottensen Mercado Glasbruch
- Große Elbstraße Glasbruch bei einem Lokal
ST.  PAULI
- Astraturm Farbe und Glasbruch
- Bernhard-Nocht-Straße: Bundeseswehrfahrzeug abgefackelt
- Reeperbahn Lidl: Selbstbedienung, alles für alle und zwar umsonst
- Balduinstraße Glasbruch
- Riverkassematten Glasbruch und Kneipe von ca. 100 Leuten gestürmt. Inventar und mehrere Nobelkarossen von Gästen auf dem Parkplatz beschädigt. Ein Türsteher wurde beim Betreten des Lokals umgeschubst, um sich Zutritt zu verschaffen.

EIMSBÜTTEL
- Osterstraße Telefongeschäft Glasbruch
- Osterstraße Bei 3 Banken Glasbruch
- Bezirksamt Eimsbüttel 35 Scheiben eingeworfen

Erwähnt sei noch Farbgläserwürfe in der Nacht zu Montag auf den Carport und das Auto von Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Jutta "Es gibt in Hamburg keine Wohnungsnot" Blankau. Mit Farbe gefüllte Gläser flogen in die Scheiben des Volkswagens, Reifen wurden zerstochen. Zwei Autos brannten laut TAZ und Mopo im gleichem Zusammenhang bei einem Immobilienbesitzer in Hamburg-Marienthal, der ein leerstehendes Haus in der Juliusstraße neben der roten Flora besitzt, welches vor kurzem besetzt und geräumt wurde. Bereits im Vorfeld der Demo krachte es beim Bezirksamt Mitte, welches für die Räumung von Zomia zuständig ist und zwei Anhänger der Hamburger Reiterstaffel der Polizei gingen nach Berichten der Presse im Rahmen eines verspäteten Osterfeuers außer Dienst.

Gefahrengebiet Schanzenviertel

Im Schanzenviertel gab es Samstagabend kleinere Scharmützel mit der Polizei und Wasserwerfereinsätze gegen Schaulustige. Sonntagabend glich die Schanze einer Geisterstadt. Das Viertel war zeitweise hermetisch abgeriegelt. Der komplette Straßenverkehr wurde  an beiden Tagen still gelegt. Einige Anwohner_innen wurden mittels Platzverweis in ihre Wohnungen eingesperrt. Am Sonntag stellte sich das bis auf ein Großaufgebot der Polizei leere Straßenbild als Ausnahmezustand dar. Es gab zahlreiche rassistisch motivierte Platzverweise gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund, unzählige weitere Personenkontrollen und Platzverweise. Eine größere Gruppe Jugendlicher wurde, noch während die 18 Uhr Demo in der Max-Brauer-Straße unterwegs war, vor der Flora eingekesselt und per HVV-Bus in Gewahrsam genommen.

Diese Zustände waren und sind untragbar! Zukünftige Gefahrengebiete und hermetische Abriegelungen des Stadtteils werden nach diesem Auftritt sicher nicht mehr widerstandslos hingenommen. Die Aushebelung bürgerrechtlicher Mindeststandards im Schanzenviertel bei Demonstrationen und Straßenfesten darf nicht zum Modellfall einer totalitären Sicherheitsarchitektur werden.

Ein Anwohner berichtet auf einem stadtpolitischen Blog: "Viele Stadtteilbewohner mussten ihr Auto nach dem Samstagausflug außerhalb der „Gefahrenzone“ abparken und zu Fuß nach hause. Wir trafen auch Niendorfer, die orientierungslos den Kiez suchten, weil sich noch nicht einmal ein Taxi am Schlump finden ließ. Viele große „Tanz in den Mai“ – Partys im Stadtteil wurden wegen „nicht erreichbar“ schlicht kurzfristig abgesagt. Getränkelieferanten wurden auch nicht durchgelassen…usw. In der Bernstorffstraße und selbst auf der Schanze fiel der übliche Wochenend – Trubel jedenfalls aus. Es war eher wie an einem Sonntagabend. Hinzu kam, dass an jeder Ecke (bei uns im 100m – Abstand) Polizei mit ca. 15 Leuten / 2 Wannen stand – gespenstisch. Und die Polizei hatte wohl auch das bekommen, was eigentliches Ziel der Gefahrenzone gewesen sein dürfte: Sie waren mit den meist jugendlichen Protestlern mehr oder weniger alleine auf der Straße. Statt unübersichtlicher Lage mit kaum voneinander zu unterscheidenden Partygängern und linken Aktionsgruppen. Auch keineswegs linke AnwohnerInnen haben diese Komplettabsperrung als vollkommen unangemessen empfunden. Erstaunlich, dass in den Medien online dazu nichts kommt. Und man fragt sich natürlich auch: Wird jetzt der Stadtteil bei jeder Demo / Schanzenfest derart abgeriegelt, dass die meisten nicht mehr reinkommen? Ist das das neue Einsatzkonzept aus der nunmehr SPD – geführten Innenbehörde? Wird die Stadt dann jetzt demnächst immer verboten / abgeriegelt, während wir für „Recht auf Stadt“ demonstrieren?"


Polizeipresse und Repression

Laut Polizeibericht wurden in der Walpurgisnacht 11 Polizisten leicht verletzt. Die Polizei nahm 17 Personen vorläufig fest, 50 wurden in Gewahrsam genommen. Gegen etwa 300 Personen, insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund, wurden Aufenthaltsverbote für den Bereich des Gefahrengebietes ausgesprochen. Der Stadtteil wurde teilweise komplett gesperrt und abgeriegelt. In mindestens einem Fall versuchte die Polizei laut Ermittlungsausschuss eine_r_m Betroffenen bei der Entlassung belastendes Material unterzuschieben (nach Benzin stinkende Handschuhe, die der_die_jenige noch nie gesehen hatte). Erst nach vehementem Protest behielt die Polizei ihr Material.
Am darauf folgenden 1. Mai kam es laut Medienberichten zu weiteren 42 vorläufigen Fest- und 28 Gewahrsamnahmen. Zu kleineren Auseinandersetzungen bei denen die Polizei sehr gewaltsam agierte kam es vor allem nach Auflösung der Demo rund um den Sternschanzenpark. Darüber hinaus wurden laut Polizei weitere 160 Aufenthaltsverbote rund um das Schanzenviertel ausgesprochen.


Der Ermittlungsausschuss Hamburg berichtet in diesem Zusammenhang: "Eine ältere Person wurde von Polizei bei der Festnahme am Boden liegend getreten, die im übrigen nur erfolgte, da er_sie keinen Ausweis dabei hatte. Eine_r_m Aktivist_in wurden 3 Zähne ausgeschlagen. Generell war das Auftreten der Polizei sehr aggressiv und ging gar nicht. In einer Messehalle hatte die Polizei aus Bayern eine Art „Privat-Knast“ errichtet und Gefangene dort eingeknastet. Diese wurden später in eine reguläre Hamburger Wache gefahren. Auf den Wachen wurden den Betroffenen ihr Recht zu telefonieren verweigert und auch der Kontakt zu Anwält_innen verwehrt. Dabei wurde gezielt von der Polizei gelogen. Insgesamt fand hier eine extreme Verzögerungstaktik statt, die letzten Leute wurden erst um 6 Uhr morgens entlassen".


Den 7 Leuten die auf dem Heimweg von der Polizei abgegriffen wurden und denen offenbar eine versuchte Autobrandstiftung vorgeworfen wird, weil angeblich ein paar Böller und Grillanzünder aufgefunden wurden, raten wir, wie allen anderen, die Aussage zu verweigern und sich an den Hamburger Ermittlungsausschuss zu wenden. Entgegen der nicht gerade subtil entflammten Begeisterung der Medien sehen wir in diesen Vorwürfen weder einen versuchten noch einen realen Autobrandstiftungsprozess, sondern lediglich heiße Luft und ein Beispiel dafür, wie Ermittlungsdruck aus rein gar nichts, eine Kriminalisierung und öffentliche Vorverurteilung konstruiert. 


Unser Fazit


Die Demo war super, das Gefahrengebiet rund um den 1. Mai eine Riesenscheiße, die aber ihren Zweck zum Teil verfehlte. Gewaltsam herbeigeführte Auflösungen von Demonstrationen gehen ebenso wenig widerspruchsfrei über die Bühne wie ein möglicher Angriff auf die Unverträglichkeit der Roten Flora.

Mensch darf gespannt sein, wie sich die Kämpfe um Rote Flora, Zomia, Recht auf Stadt und gegen die neue Mitte Altona weiterentwickeln. Die Demo hat Lust gemacht auf mehr. Auf die Proteste von Mieter_innen ebenso wie auf Hausbesetzungen oder den Widerstand gegen Großprojekte und Gentrifizierung. Sie hat deutlich gemacht, wir sind stadtentwicklungspolitisch keineswegs in der Defensive, sondern blicken nach vorne und sind im Protest ein Bild aus der Zukunft.

Gegen die repressive Praxis der Gefahrengebiete gilt es, sich solidarisch und praktisch aufzustellen. Bereiche der inneren Stadt, die für Jugendliche aufgrund ihres Alters oder Migrationshintergrundes tabu sind, darf es nicht geben und dürfen nicht als Normalität durchgehen.

Unsere Solidarität gilt allen, die ein Verfahren an den Hals bekommen haben oder verletzt wurden und damit nicht alleine stehen sollen. Die Freude über die erfolgreiche Demonstration am 30. April soll nicht verbergen, dass dort, wo wir uns bewegen, immer auch Repression ist und jedes Verfahren eines zu viel ist.

Wir bedanken uns bei allen, die aus anderen Städten angereist sind und die Verteidigung der Roten Flora unterstützt haben. Wir hoffen, ihr hattet Spaß und dass wir viele von euch auf zukünftigen Demonstrationen für die Vervielfältigung autonomer Projekte wieder treffen. "Hamburg unsicher machen" war das Motto der Mobilisierung gegen die Innenministerkonferenz von letztem Jahr. Das selbe gilt nun für Frankfurt und natürlich auch den Rest des schwarzrotgoldenen Scheißhaufens!

In diesem Sinne: Lasst euch nie erwischen, Flora bleibt unverträglich!

Einige von der Straße

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Wir erinnern uns: Am Samstag, den 23.4., am Osterwochenende 2011 - eine Woche vor der Flora-Demo am 30.4., war das ehemalige Altonaer Finanzamt in der Großen Bergstraße 264 von knapp 100 Aktivist_innen besetzt worden, um dort das Autonome Centrum Altona Bahnhof durchzusetzen (siehe auch unter Indymedia für den ausführlichen Artikel samt Fotos, Presselinks und Hintergründen).

(vollständiger Artikel unter: http://de.indymedia.org/2011/05/306851.shtml)

"Das Städtische definiert sich als der Ort, wo die Menschen sich gegenseitig auf die Füße treten, sich vor und inmitten einer Anhäufung von Objekten befinden, wo sie sich kreuzen und wieder kreuzen, bis sie den Faden der eigenen Tätigkeit verloren haben, Situationen derart miteinander verwirren, dass unvorhergesehene Situationen entstehen." (Henri Lefebvre)

Das Hamburger Netzwerk "Recht auf Stadt" lädt ein zur kollektiven Verwirrung, Begegnung, und Zerstreuung. Über verschiedene Orte der Stadt verteilt, findet vom 2. bis 5. Juni 2011 jede Menge Geplantes & Ungeplantes statt. Seid dabei und: * bildet Situationen & Banden * streift durch die Stadt & diskutiert durch die Nacht * feiert auf dem Asphalt & analysiert den städtischen Abgrund * zerlegt die eigene Praxis & rettet das utopische Potential * kommt zum Recht-auf-Stadt-Kongress und bringt Eure Nachbarinnen und Nachbarn mit.


Programm und weitere Informationen wird es demnächst auf http://kongress.rechtaufstadt.net und in der Kongresszentrale im Centro Sociale geben (Sternstr. 2, 20357 Hamburg, Nähe U-Bhf. Feldstraße).

Kosten: 10 Euro (plus Spende; aber am Geld soll es nicht scheitern).
Kontakt: stadtkongress@buko.info. Workshops könnt Ihr auf dieser Seite anmelden.


Thesen zum Kongress

Kernschmelze in Imagecity: Die Krise der neoliberalen Stadt

Beginnen wir mit dem Unerfreulichen. Und davon gibt es mehr als genug: Das aktuelle Stadtentwicklungsmodell verschärft soziale Spaltungen und Segregationen, organisiert Räume des Ausschlusses, Doorman-Häuser, Kreativquartiere, Business Improvement Districts, Residenzpflicht, Freihandelszonen, soziale Brennpunkte, verstrahltes Ödland. Schauen wir von der Metaebene ausgehend auf die Stadt und analysieren die Zusammenhänge zwischen Globalem & Regionalem, Inner- & Außerstädtischem und sezieren die ideologischen Schichten der neoliberalen Stadt.

Feindliche Umarmung: Partizipation & Vereinnahmung

Die zunehmenden Proteste gegen neoliberale Raumpolitik beantworten die Herrschenden mit einem ausgeklügelten Instrumentarium: Kooperationsangebote im von oben bestimmten Rahmen hier, Repressalien dort. Multikulturelle Symbolik in der Imagebroschüre, Kontrolle von Migrant_innen in der S-Bahn. Mitmach-Kunst in Wilhelmsburg, Blockade von Bürgerentscheiden auf Stadtebene. Der Widerstand selbst wird entpolitisiert, kulturalisiert, personalisiert und entschärft. Wie parieren wir den partizipatorischen Kuschelangriff? Gibt es Wege aus der Vereinnahmungsfalle?

PPP – Pop, Produktion, Prekarisierung

Mit dem Ende des Industriezeitalters gewinnen Städte wieder an Bedeutung als Orte der Produktion – diesmal von Bedeutungen, Images, Netzwerken, Haltungen, Subkulturen, die den Kern der neuen kapitalistischen Wertschöpfung bilden. Der "Subjektive Faktor", einst feministisch geprägter Einwand gegen die funktionale Zurichtung von Leben und Politik in der Fabrikgesellschaft, dient als kreative Ressource des prekarisierten "unternehmerischen Selbst". Letzteres ist auf gut vernetzte, offene Viertel angewiesen – die Gentrifizierungsgebiete, denen die Absturzzonen am Rande der Stadt gegenüber stehen – und mehr noch, auf eine ausbeuterische Warenproduktion in den Maquiladoras des globalen Südens. Denn deren Schwerstarbeit, die erst die Dinge fürs Leben zu Schleuderpreisen schafft, ist das dunkle Geheimnis der "kreativen Klasse". Welche neuen Allianzen bieten Möglichkeiten für Widerstand in der vollintegrierten Stadtfabrik? Wie sieht eine selbstbestimmte städtische Ökonomie aus, die sich nicht zum Komplizen der globalen Ausbeutung macht? Am Horizont leuchtet ein altes Versprechen wieder auf: die Aneignung der Produktionsmittel.

Tools, Tricks, Tänze: Vive la Difference!

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Noch vor kurzem schienen die Widerstände auf dem glitschigen Terrain des Postfordismus keinen Halt mehr zu finden. Doch plötzlich flackern verräumlichte soziale Auseinandersetzungen auf und beginnen sich zu vernetzen. Zeigen sich die Umrisse einer neuen sozialen Bewegung? 
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Unsere Lieblingsrubrik am Ende: die Utopie! "Es gibt kein Denken ohne U-topie, ohne Erforschung des Möglichen, des Anderswo", schreibt Henri Lefebvre. Und weil das so ist und Unmöglich-Mögliches bereits an einigen Orten durchschimmert, wollen wir uns in dieser Rubrik dem Erfreulichen widmen: Welche Gegenstrategien und Alternativen gibt es? Wie kann sich ein Recht auf Stadt genommen werden? Lassen sich verräumlichte Kämpfe auch zwischen Städten, über Kontinente, zu einem wirkungsvollen Rhizom verbinden? Wie könnten transnationale Räume aussehen, die nicht-hierarchisch und basisorganisiert funktionieren? Wie können städtische Ressourcen und Gemeingüter gerecht verteilt und auch für nächste Generationen gesichert werden? Oder – um mit Park Fiction zu fragen: Was passiert, wenn die Wünsche die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen...?