„Es wäre unseren Gegnern in Krise
so nützlich, dass wir uns alle versöhnen müssten, um den Planeten zu
retten! Die Einheit des Planeten bedroht von der gewaltsamen Spaltung
durch die Politiker, welch Glücksfall! Der Kapitalismus wird ökologisch,
um seine Haut zu retten. […] Ich wage zu behaupten: die Ökologie ist
das neue Opium des Volkes.“
Alain Badiou
Der aktuelle ökologische Diskurs ist sehr
gefährlich. Denn, was ursprünglich eine Bewegung war, die auf realer
Beschäftigung mit der Zerstörung unseres Planeten beruhte, ist von
unseren Herrschern vereinnahmt worden. Die Leute, welche dazu beitragen,
das System zu verteidigen, das den Planeten zerstört hat, sind nun
diejenigen, welche uns verkünden, dass, sollten wir nichts tun, die Welt
verloren sei. Seit wir wissen, dass das Klima sich erwärmt, sehen wir
den ankommenden Zug der Apokalypse und unsere grossen Bosse sind munter
aufgesprungen. Aber brauchen wir wirklich eine apokalyptische Vision, um
zu handeln? Ist die Welt nicht so schon kaputt genug? Und nicht nur
weil das Erdöl zur Klimaerwärmung beiträgt, sollten wir es bekämpfen.
Wohl eher, weil es Flüsse und Seen verschmutzt, weil es Grundlage von
grausamen Kriegen ist, wie demjenigen im Irak, weil es die Motoren der
Geländewagen antreibt, die uns daran hindern, unsere Städte so zu
geniessen wie wir möchten. Die Abholzung der Wälder beschäftigt uns
weniger wegen der Reduzierung des gelagerten CO2, sondern eher weil es
Völker von ihren Wohnorten verjagt, Misere und Verarmung erzeugt.
Hässlich ist es auch.
Weshalb, werdet ihr mich fragen, bin ich
pessimistisch hinsichtlich der „wunderbaren Einsicht“ der Politiker?
Weil ich denke, dass sie falsch ist und ihre Diskurse in den Irrtum
führen. Alle konzentrieren sich nämlich nur auf das Problem der
Klimaerwärmung, versuchen dafür eine Lösung zu finden, sind sich aber
nicht bewusst, dass sie nur ein Symptom ist für ein viel
beunruhigenderes Übel.
Wenn der Planet sich nämlich in einem so
armseligen Zustand befindet, so ist es, weil er von einem auf dem
Profit, und nur dem Profit basierenden Produktionssystem ausgebeutet
wurde. Das liberale Wirtschaftssystem gründet auf dem Streben nach
Profit und sorgt sich nicht um das Wohlbefinden der Menschen.
Die
„ökologische Katastrophe“ als Symptom einer viel globaleren Krankheit
zu erkennen, würde allerdings bedeuten, dass die Totalität des Systems
in Frage gestellt wird, was unter keinen Umständen geschehen
soll...(Ähnliches spielt sich derzeit mit der Wirtschaftskrise ab. Die
dominante Ideologie versucht uns weiszumachen, dass das
Wirtschaftssystem nicht etwa in Krise ist, weil es langfristig nicht
funktionieren kann, sondern lediglich etwas vom Weg abgekommen ist,
wegen dem „unmoralischen“ Handeln einiger Trader. Man macht sich also
daran, „den Kapitalismus zu moralisieren“, als ob ein Sandkorn die
Maschine blockierte, in Wahrheit sind alle Räder der Maschine verbogen
und kaputt...)
Aus diesen Gründen bin ich einverstanden mit den
Autoren des „Kommenden Aufstands“, dass „wir, dort, wo sie die
Entgleisungen des aktuellen Regimes der Verwaltung von Wesen und Dingen
als „Katastrophe“ bezeichnen, nur die Katastrophe seines ach so guten
Funktionierens sehen können“.
Es ist also das System als Ganzes
zu hinterfragen, nicht nur ein Effekt, dessen Ursache der Kapitalismus
ist. Denn der ökologische Diskurs (gemeint ist der dominante Diskurs)
entfremdet die Umweltprobleme, indem er ihnen eine eigene Ursache und
Dynamik gibt. Somit wird, was zuvor nur der Effekt einer Katastrophe
war, zu seiner eigenen Ursache, womit er sich von seiner ursprünglichen
Ursache (dem System der kapitalistischen Produktion) entfernt und die
Leute die Ursachen der Probleme nicht mehr erkennen. Dies ist ein erster
entfremdender Effekt dieser Ideologie. Genau wie wir in Gott unseren
eigenen Anteil als dessen Erschaffer nicht mehr erkennen, erkennen die
Leute den Anteil des Kapitalismus in den an unserem Planeten
verursachten Schäden nicht mehr.
Eine andere Schattenseite
dieses Diskurses ist die Tatsache, dass er uns pausenlos Schuldgefühle
zu geben sucht, indem er uns für alle Übel auf dieser Erde
verantwortlich macht. Weil wir zur Arbeit das Auto genommen, das Wasser
laufen gelassen oder vergessen haben, beim Gehen das Licht zu löschen,
sei die Welt in einem solchen Zustand. Dieser Diskurs versucht, uns
dermassen schändlich darzustellen, dass wir uns für nicht mehr legitim
genug halten, die Verantwortung der Mächtigen für die Zerstörung des
Planeten anzuprangern. Die Wurzel des Problems sind nämlich nicht unsere
kleinen privaten Handlungen sondern der Kapitalismus, denn dieses
System basiert auf dem Gesetz des Stärkeren und der Herrschaft der
Konkurrenz. In dieser Dynamik haben sich die grossen Förderbänder
intensiver Produktion entwickelt, die im Akkord Rohstoffe und (vor
allem!) Humankapital verschlingen, um ein Maximum an Profit zu
garantieren. In der Wirtschaftsbilanz zählt der Dollar einiges mehr als
der Mensch. Zudem war es der Kapitalismus, der eine intensive
Landwirtschaft hervorgebracht hat, um noch mehr Gewinn anzuhäufen, indem
die Flüsse ausgetrocknet, die Wälder abgeholzt und die Arbeiter
ausgebeutet werden, damit die Ernten ergiebig ausfallen. Diese Produkte
werden danach ans andere Ende der Welt geschickt, obwohl sie dort
produziert werden, wo in unmittelbarer Nachbarschaft ganze Völker
krepieren, weil sie nichts zu essen haben. Es ist offensichtlich, dass
es die Mächtigen waren, die die Welt zerstört haben.
Dieser
Prozess der Schuldzuweisung wird übrigens von einer Bande von
schwärmerischen Milliardären verstärkt, die nun plötzlich, nachdem sie
den Planeten jahrelang als Spielplatz gebraucht hatten, die Erkenntnis
haben, „dass man etwas tun sollte!“ Sie geben also Konferenzen (für die
man natürlich zahlen muss, denn nur die Wohlhabenden können schliesslich
die Welt retten, indem sie Bio kaufen zum Beispiel...), machen Filme,
ja alles, um uns zu „mobilisieren“. Und wenn sie noch mehr verschmutzen,
indem sie die Konferenzsäle in aller Welt in Privatjets bereisen oder
indem sie – freilich wunderschöne – Orte aufsuchen, die jedoch so
abgelegen sind, dass man sie per Helikopter erreichen muss und dabei
Tausende von Litern Öl ins Meer geworfen werden, ja wenn sie mehr
verschmutzen als (mindestens!) ein Dutzend Arbeitslose, die Auto fahren,
das Licht ohne Unterbruch brennen, die Wasserhähne, den Kühlschrank
offen und die Heizung bei offenen Fenstern laufen lassen, dann ist es
letztendlich doch zu einem guten Zweck...(wobei wir beruhigt sein
können, denn ihren Kohlenstoffverbrauch kompensieren sie ja!)
Die
Botschaft, die diese Filme übermitteln ist, dass jetzt, wo wir (sic!)
diese Erde zerstört haben, es auch wir sind, die „mobilisieren“ sollten,
damit die „Grossen dieser Welt“ für unsere Probleme eine Lösung finden
(wie die verantwortungsbewussten Eltern, die aufputzen, was ihre kleinen
Kinder kaputt gemacht haben).
Somit sind wir mitten in einer
potenziell revolutionären Situation (die uns einen Startpunkt bietet, um
das System, das uns umfasst, zu kritisieren oder, noch besser, es los
zu werden) hypnotisiert und handlungsunfähig gemacht worden, einerseits
indem man unsere Schuldgefühle vergrössert, andererseits indem man vor
unserem Kopf apokalyptische Prognosen wie ein Pendel hin- und
herschwingt, damit wir uns alle verpflichtet fühlen, zusammen gegen die
Vernichtung dieser Welt zu kämpfen und die anderen Kämpfe bei Seite zu
lassen.
Es ist also verständlich, warum Badiou die Ökologie als
„das neue Opium des Volkes“ bezeichnet, denn in diesem polemischen Satz
ist die Analogie mit dem Marx'schen Religionsbegriff offensichtlich.
Gemäss Marx erlaubt die Religion, die Massen „einzuschläfern“, ihnen ihr
Leiden zu nehmen, oder, präziser, das Gefühl des Leidens, ohne ihnen
jedoch zu helfen. Die Religion hält also die Leute in einer Art weichem
Einverständnis, indem sie ihnen erklärt, dass sie zwar heute leiden
müssen, dass es morgen (im Paradies...) aber besser sein werde. Die
gegenwärtige Misere wird also mit einer baldigen Atempause
gerechtfertigt, einem Versprechen ewigen Glücks. Und während die Leute
aktiv werden könnten, um diese Misere zu vernichten, opfern sie ihre
Existenz in dieser Welt für ein illusorisches Versprechen eines besseren
Lebens nach dem Tod.
Im ökologischen Diskurs kann ein ähnlicher
Effekt beobachtet werden. Natürlich ist er nicht so betäubend wie
derjenige des religiösen Diskurses. Ganz im Gegenteil, er ist
elektrisierend, fast halluzinogen, führt aber genauso zur
Handlungsunfähigkeit. Denn in Anbetracht der „ökologischen Katastrophe“,
der Anordnung, dass „etwas getan werden muss“, werden alle von einer
Art niederschmetternden Frenesie gepackt. Tatsächlich fühlt man sich
betroffen in Anbetracht der unmittelbaren Gefahr des Endes der Welt, man
rennt in alle Richtungen wie ein bedrohter Ameisenhaufen und hofft,
dass unsere Entscheidungsträger eine Lösung finden. Das lähmt uns mehr
als alles andere, denn obwohl es andere Kämpfe gäbe, die weitergeführt
werden sollten, brauchen wir all unsere (natürlich saubere und
erneuerbare...) Energie für eine Illusion.
So könnte man den
halluzinogenen Effekt der Ökologie beschreiben, doch statt dass er uns
Dinge sehen lässt, die nicht existieren, fokussiert er uns auf winzige
Probleme, um damit die realen Fragen, die wir uns stellen sollten, zu
überdecken. All unsere Aufmerksamkeit ist auf eine Frage gerichtet, die
zwar nicht unwichtig ist, jedoch nicht im Mittelpunkt unseres Kampfes
stehen sollte. In Anbetracht der Misere und der Ungerechtigkeit, die auf
dieser Welt herrschen, realisiert man, dass es viel wichtigere Kämpfe
gibt. Diese Beschränktheit des ökologischen Diskurses ist problematisch,
da sie die Sicht auf die allgemeine Ebene verdeckt.
Denn es ist
leicht zu verstehen, dass Umweltverschmutzung und – zerstörung mit dem
Kapitalismus etwas zu tun haben, zerstören wir letzteren, wird der Rest
auch eher verschwinden.
Weshalb aber wurde der ökologische
Diskurs von den Herrschenden vereinnahmt? Es ist wohl mehr als nur eine
Wahlkampfvereinnahmung, eher ein Mittel, um ihr System zu retten, indem
sie jeglichen Widerstand unter dem Deckmantel eines globalen
Rettungsprojekts unterdrücken, damit jeder kritisieren und die Welt
retten kann, Hand in Hand. Alles kann unter dem Vorwand des Kampfes
gegen die Klimaerwärmung gerechtfertigt werden. In dieser tief
kritischen Phase des kapitalistischen Wirtschaftssystems erklärt man
uns, es müsse auf jeden Fall gerettet werden, denn es sei die einzige
Möglichkeit, die ökologische Katastrophe abzuwenden.
Es ist
allen voran eine riesige wirtschaftliche Chance und betrachtet man die
vorgeschlagenen Lösungen, um „den Planeten zu retten“, stellt man fest,
dass sie alle den Graben zwischen Arm und Reich noch vergrössern werden.
Man sieht es an den Ideen zur CO2-Steuer, die bedeuten würden, dass man
das Recht, zu verschmutzen, kaufen könnte, was den Wohlhabenden
erlauben würde, noch reicher zu werden und weiterhin zu verschmutzen und
die ärmeren Länder hingegen dazu zwingen, entweder mehr zu bezahlen als
sie können, oder die Produktion einzustellen zum Vorteil der reichsten
Produzenten.
Die anderen beworbenen Lösungen sind die
„Biotreibstoffe“ und die Atomenergie (jawohl, wir sprechen von sauberer
Energie...). Es reicht, an alle Hungeraufstände zurückzudenken, die in
den letzten zwei, drei Jahren rund um den Globus ausbrachen, um das
Wunder der „Biotreibstoffe“ richtig einzuschätzen, denn sie stehen in
einem klaren Zusammenhang mit dem Getreidemangel, der durch die
Produktion der „Biotreibstoffe“ ausgelöst wird. Zudem ist es alles
andere als eine ökologische Lösung, denn um genügend „Biotreibstoff“
herstellen zu können, müssten massiv Wälder abgeholzt werden. Da sieht
auch die Atomindustrie eine Möglichkeit, sich wieder auf dem
Energiemarkt zurückzumelden, und das trotz Tschernobyl, radioaktivem
Müll und umliegender Gebiete, die langsam aber sicher verstrahlt
werden...
Letztendlich sind die vorgeschlagenen Lösungen der
kapitalistischen Ökologie nur technologisch, das heisst sie bleiben auf
der Ebene der Form, während sich das Problem auf der Ebene des Inhalts
befindet. Man versucht, weiterhin zu produzieren, zu konsumieren, doch
ohne Verschmutzung, wenn möglich dank Hi-Tech-Gadgets, die uns erlauben,
alles zu kontrollieren, man schlägt Spiegel im All vor, um
Sonnenstrahlen abzulenken...Alles Vorschläge, die das wahre Problem
ausser Acht lassen.
Wie schon weiter oben bemerkt, wird die
Verschmutzung mehrheitlich durch ein industrielles Produktionssystem
verursacht, das grösstenteils überflüssig ist. Würden wir unser
Produktionskonzept dahingehend überdenken, genug, doch nicht zu viel zu
produzieren, wäre die Verschmutzung geringer. Es muss jedoch vor allem
ein Wirtschafts- und Politiksystem geschaffen werden, das sich nach dem
Menschen richtet und nicht nach dem Profit und dem Geld, was die Armut
und die Misere auf der Welt ausmerzen würde. Denn die ökologische
Revolution wird nur stattfinden, falls eine soziale, ökonomische und
politische Revolution stattfindet.
Quelle und Übersetzung: Le Réveil
Kommentar
Natürlich wäre es besser wenn alle gegen Erdöl kämpfen würden weil sie den Kapitalismus durchschaut haben. Meiner Meinung nach ist es aber trotzdem wichtig, dass viele Menschen auf ein Auto verzichten.
Dieses ewige "die" und "wir" gesabber geht mir ehrlich gesagt auf die Nerven. Wir stecken tatsächlich alle mit drin. JedeR muss seine Lebensweise ändern - auch "die da oben". Ja los zwingen wir sie dazu - auf gehts! Aber die Anstrengungen von Millionen "bewusster" Menschen einfach zu diskreditieren halte ich für unsolidarisch!
Bio nur für Reiche? Lebensmittel sind ohnehin viel zu billig. Wo in Europa kann Mensch so billig Lebensmittel einkaufen wie in Deutschland? Rumänische Gastarbeiter kaufen sich hier fein abgepackte Wurst ein und bringen sie nach Rumänien. Wenn ihr ordentlich produzierte Lebensmittel wollt die auch noch von Menschen mit einem angemessenen Lohn angebaut, geerntet und verpackt wurden dann kostet das eben auch Geld.
Wenn ihr die Lebensmittel nicht kaufen wollt dann bedient euch an der kapitalistischen Überflussgesellschaft (30 % der Lebensmittel werden in D weggeworfen) oder kümmert euch verdammt nochmal selbst um eure Lebensmittel. Dann werdet ihr aber schnell keine Zeit mehr haben euch über solche Probleme wie hier Gedanken zu machen.
Schaut euch doch selber an!?