Ein Flüchtling aus Nepal lässt sich von einem Zug überrollen. Er lebte in einem Heim, dessen Bewohner seit Langem über Schikanen der Ausländerbehörde klagen.
BREMEN taz
| Den zwei Schülerinnen bot sich ein grausiges Bild: Am
Dienstagnachmittag beobachteten die beiden 14 und 15 Jahre alten Mädchen
am Gifhorner Bahnhof, wie ein Mann vom Bahnsteig herabstieg und langsam
seinen Kopf auf die Schienen beugte.
Sie versuchten ihn zu warnen, doch er
verharrte auf den Gleisen, bis ihn der herannahende Güterzug aus
Hannover überrollte.
Bei dem Toten handelt es sich um einen 40-jährigen Nepalesen.
1996 kam er nach Deutschland, sein Asylantrag wurde abgelehnt.
Seither lebte er als Geduldeter in
verschiedenen Asylbewerberheimen. Die Behörden verweigerten ihm ein
Aufenthaltsrecht, doch weil er keinen Pass hatte, konnten sie ihn nicht
abschieben.
Fast 15 Jahre ging das so, zuletzt wohnte er in einem Heim in Meinersen nahe Gifhorn.
Der dortigen Ausländerbehörde gelang es
kürzlich, bei der Botschaft Nepals ein so genanntes Passersatzpapier
für ihn zu beschaffen. Es ermöglicht einen Grenzübertritt - und somit
die Abschiebung.
"Als er von der Abschiebung erfahren
hat, wusste er sich nicht mehr anders zu helfen", sagt eine Sprecherin
der Heimbewohner zur taz. Sie hätten der Ausländerbehörde und den
Politikern schon vorher gesagt, dass so etwas passieren würde.
Die Heimbewohner klagen seit Langem
über eine schikanöse Behandlung durch das Ausländeramt. "Wir werden vom
Rest der Gesellschaft isoliert und haben keine Privatsphäre", heißt es
in einem offenen Brief, den sie im Oktober verfasst haben.
Es gebe ständige Kontrollen und
Gängeleien, sie müssten sich jahrelang enge Zimmer mit mehreren Personen
teilen. Auch von Suizidgefahr war die Rede.
Die Bewohner forderten eine
Unterbringung in Wohnungen, die nach Auffassung der niedersächsischen
Grünen auch erheblich billiger wäre.
Am Mittwoch schrieben die Bewohner
einen neuen Brief: "Manche von uns müssen alle drei Tage zur
Ausländerbehörde, um unsere Duldung zu verlängern. Jedes Mal wird uns
die Abschiebung angedroht. Es ist wie eine Bestrafung."
Der Landkreis weist die Vorwürfe
zurück. "Ein Zusammenhang zwischen dem Suizid und der von einigen
Heimbewohnern kritisierten Unterkunft in Meinersen wird ausdrücklich
zurückgewiesen", heißt es in einer Erklärung des Kreises.
Man bedaure den Suizid
"außerordentlich". Doch die Behörde sei verpflichtet gewesen, den
Nepalesen abzuschieben. Hinweise auf eine Suizidgefährdung habe es keine
gegeben. "Die Gründe für den Suizid sind im persönlichen Umfeld zu
suchen."
Der niedersächsische Flüchtlingsrat
hält es hingegen für "glaubhaft", dass der Mann sich tötete, weil die
Abschiebung ihn in Verzweiflung stürzte. "Klar ist, dass der Landkreis
Gifhorn nicht zimperlich mit den Leuten umgeht", sagt Geschäftsführer
Kai Weber.
Die
Schikanen, über die die Flüchtlinge aus Meinersen klagen, seien bekannt.
"Die werden auch diesmal nicht besonders sensibel mit dem Mann
umgegangen sein."
Suizidrate hängt mit Haltung von Behörden zusammen
Erschreckend regelmäßiges Geschehen
KOMMENTAR VON CHRISTIAN JAKOB
Die Regelmäßigkeit ist erschreckend: Es vergehen meist nur wenige Wochen zwischen den Meldungen, dass sich einmal mehr ein Flüchtling in Deutschland getötet hat.
Die Suizidrate unter Geduldeten und abgelehnten Asylbewerbern dürfte unter allen Bevölkerungsgruppen am höchsten liegen - zusammen mit jener unter Strafgefangenen.
Zufall ist dabei nicht im Spiel: Es liegt auf der Hand, dass die Art, wie mit ihnen umgegangen wird, viele dieser Menschen in die Verzweiflung treibt.
Die Reaktion der Behörden ist stets dieselbe: Erhängt sich ein Gefangener im Abschiebeknast, springt ein Familienvater aus dem Fenster oder lässt sich ein Mann von einem Zug überrollen wie jetzt in Gifhorn - fast immer heißt es, die Gründe seien privater Natur, der Umgang des deutschen Staates mit ungewollten Einwanderern sei jedenfalls nicht Schuld.
Dabei hatten die Heimgenossen des toten Nepalesen aus Meinersen die Behörden vorher gewarnt.
Die Umstände, unter denen sie leben müssen, sind zermürbend: Isolation, Perspektivlosigkeit, Enge, Arbeitsverbot und Ausländerbehörden, die ihnen mit ihrer Haltung meist vor allem eines zu verstehen geben: Du bist hier nicht erwünscht, und sobald wir können, werden wir dich aus diesem Land entfernen.
Dem hält nicht jeder auf Dauer Stand.