Libyen Überblick Mittwochmorgen

ليبيا

In diesem Moment wird in Libyen ein Massaker angerichtet, das Land steht vor einem blutigen Bürgerkrieg. Dieser Text soll über den aktuellen Stand der Dinge in Libyen sowie die Reaktionen außerhalb Libyens informieren und Links zur Vertiefung des Themas auflisten. Entgegen der Behauptungen deutscher Medien, Informationen würden nur spärlich fließen, kommen diese massenhaft durch. Es gibt genug Material für eine fortlaufende Berichterstattung. Wieso dies nicht erfolgt und stattdessen über unwichtige Themen wie Guttenbergs raubkopierte Doktorarbeit diskutiert wird ist vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse absolut unverständlich.

 

Wer kämpft gegen wen?

Offensichtlich haben sich große Teile der Armee sowie der Polizei den Demonstranten angeschlossen, die jedoch auf Videos nicht zu erkennen sein werden, da sie grundsätzlich ihre Uniformen abgelegt haben. Teile der Armee desertieren und flüchten z.B. nach Malta. Dort sind schon mehrere Kampfflieger, Hubschrauber sowie Kriegsschiffe angekommen. Die Demonstranten bestanden im Kern, wie bereits in den vorherigen Revolutionen der Nachbarländer, wohl aus Jugendlichen. Wer sich das bisherige Videomaterial ansieht, erkennt jedoch, dass die Demonstranten bereits einen bunten Querschnitt der Bevölkerung darstellen. Es ist davon auszugehen, dass die Fronten nicht (nur?) entlang sozialer Schichten verlaufen, sondern auch zwischen den verschiedenen Stämmen Libyens. In den heutigen Tagen zeigt sich, dass das alte Stämmesystem noch immer einen starken Einfluss auf die libysche Gesellschaft hat, denn verschiedene Stämme haben verschiedene Kompetenzen.
So gehört Muammar al-Gaddafi zum Stamm der Al-Gaddadfa, welche unter anderem die Luftwaffe dominieren. Das würde auch erklären, wieso mit Flugzeugen auf Demonstranten geschossen wird. Die Piloten haben offensichtlich viel zu verlieren, sie gehören möglicherweise zum Stamm der Al-Gaddadfa und denken, sie müssten um ihr Leben fürchten, wenn die Demonstranten die Oberhand gewinnen. Die Al-Gaddadfa kontrollier(t)en trotz ihrer geringen Größe zentrale Ölgebiete, wodurch sie die Macht des Landes innehielten. Es wird vermutet, dass Gaddafis Herrschaft unter anderem deshalb so lange andauert(e), weil er es schaffte, die anderen Stämme gegeneinander aufzuhetzen.
Weitere Truppen auf Seiten Gaddafis bestehen aus Söldnern aus dem Sudan, Chad, Nigeria und Simbabwe, also den Ärmsten der Ärmsten. Die Söldner haben nichts zu verlieren, kämpfen wohl für wenige Dollar am Tag. Der extrem schnelle Einsatz von Söldnern spricht für eine lange Vorbereitung seitens des Regimes.
Der größte Stamm des Landes, die Al-Zuwayya, dem ca. ein Sechstel der Bewohner des Landes angehören, hat sich den Demonstranten angeschlossen. Sie beherrschen ebenfalls große Ölfelder und drohten am Sonntag, die Ölproduktion im Falle weiterer Gewalt zu stoppen. Ein weiterer, sehr großer Stamm, die Warfalla, stehen mittlerweile ebenfalls auf der Seite der Protestierenden. Es ist anzunehmen, dass beide Stämme und desertierte Militärs die Revolution mit Waffen versorgen. Es kursieren Berichte über geöffnete Waffenlager, an denen sich die Aufständischen bedienen. Am Dienstag ging auf Twitter die Aussage eines führenden Stammesmitgliedes der Al-Zuwayya um, laut welcher Stammesmitglieder unterwegs nach Tripolis sind, um der Bevölkerung zu helfen. Die Warfalla tun es den Al-Zuwayya wohl gleich.
Zu den Schauplätzen der Kämpfe lässt sich sagen, dass Tripolis und umliegende Dörfer im kompletten Chaos versinken, während der Osten des Landes, dessen zentrale Rolle die Stadt Benghazi einnimmt, bereits befreit ist. Im Falle Benghazis haben sich die Regimetreuen angeblich in die umliegenden Dörfer zurückgezogen, jedoch gibt es keine neueren Berichte über Zusammenstöße. Es gibt ebenfalls keine genauen Aussagen darüber, welche weiteren Städte befreit sind, oder wie es um küstenferne Städte im Landesinneren steht. Von ägyptischen Aktivisten wird bestätigt, dass die Grenzposten zu Ägypten auf libyscher Seite verlassen wurden und nun mit Aufständischen besetzt sind. Tripolis und weitere Städte entlang der Küste im Umkreis von etwa 200 Kilometer sind jedoch hart umkämpft. Für mehr Informationen siehe die Google Map am Ende des Beitrags.

Was passiert in den umkämpften Städten?

Kein anderer Begriff als der des totalen Chaos ist hier angebracht. Jede Menschenansammlung wird sofort von Söldnern, die an vielen Straßenecken aufgestellt sind und von auf Dächern positionierten Scharfschützen beschossen. Größere Ansammlungen werden von Hubschraubern und Jets angegriffen. Es kursieren Berichte, wonach auch auf Menschen geschossen wird, die nur vor die Tür gehen. Killerkommandos dringen in Häuser ein und töten ziellos. Ärzte dürfen nicht helfen, werden ebenfalls erschossen, wenn sie sich Verletzten nähern. Die Krankenhäuser sind überfüllt, die Blutkonserven bereits leer. Ärzte können oft nur zusehen, wie die Menschen sterben, weil sich die Medikamente dem Ende neigen. Ebenfalls gibt es Berichte über gezielte Tötungen von Ärzten in den Krankenhäusern selbst. Die Zahl der Toten dürfte innerhalb der letzten Tage unvorstellbar schnell gestiegen sein. Aufgrund der medizinischen Lage werden sie auch in den nächsten Tagen rapide steigen. In den Medien kursieren verschiedene Zahlen, die höheren sind wohl die realistischeren.
Ihr werdet am Ende dieses Beitrags eine Linkliste finden. Schaut euch die Videos und Twitteraccounts an, denn nichts von dem was hier steht, kann die Lage so gut beschreiben wie genannte Quellen. Vorsicht bei den Videos, ist teilweise sehr extremes Material. Nur so viel: auf einige Demonstranten wurde mit Luftabwehrraketen geschossen. Es existieren grausame Bilder der Toten, die wirklich nichts für schwache Nerven sind. Das ist eine ernst gemeinte Warnung!

Was tut der Rest der Welt?


Regierungen:
Zuschauen. Die UN beraten über mögliche Konsequenzen (Embargo, Luftraumsperre), haben sich bisher aber nur zu einer Verwarnung hinreißen lassen. Möglicherweise werden durch das Vetorecht der ständigen Mitglieder mal wieder konsequente Handlungen geblockt, man kann aufgrund der Tatsache, dass der Sicherheitsrat in versteckten Hinterzimmern diskutiert, nur mutmaßen. Mächtigen Staaten, unter anderem Deutschland und den USA, fällt scheinbar ebenfalls nicht ein, was zu tun ist. Stattdessen hört man auch von diesen nur Verwarnungen und die Androhung von Sanktionen. Die Arabische Liga belässt es zunächst auch nur bei einem Tadel und der Androhung von Konsequenzen. Niemand scheint zu bemerken, dass Gaddafi offensichtlich durchgedreht, verrückt und unberechenbar ist und nicht auf Drohungen hören wird. Peru hat bisher als einziges Land alle diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen gekappt. Das ist vorbildlich und andere Regierungen müssen schnellstmöglich folgen.
Problematisch könnten die Haltungen der Länder werden, die große Teile ihres Ölimports aus Libyen beziehen, darunter Italien, dessen Regierung ohnehin gute Beziehungen zu Gaddafi unterhält. Libyen ist einer der größten Ölproduzenten und der drittgrößte Lieferant der EU.

Menschen:
Es finden Demonstrationen in den Metropolen der Welt statt, z.B. Washington, Berlin und London. Den Demonstrationen, die meist vor den Botschaften stattfinden, schließen sich oft MitarbeiterInnen der Botschaften an. Sehr viele Diplomaten, darunter Libyens Repräsentanten in den UN und der Arabischen Liga, haben ihre Tätigkeiten aus Protest niedergelegt. Es gibt Berichte über symbolische Sitzblockaden in palästinensischen Städten. Am engagiertesten tritt die ägyptische Bewegung auf. Seit Tagen werden Konvois mit medizinischem Material losgeschickt, die zwischenzeitlich an der Grenze von ägyptischen Soldaten aufgehalten wurden. Mittlerweile werden die Konvois jedoch von beiden Seiten durchgewunken. Die Grenze spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bezüglich des Informationsflusses. Der mit Abstand größte Teil der Videos aus Libyen wird über die libysche Grenze gebracht und aus Ägypten hochgeladen.

Internetgemeinde:
Anonymous tritt ebenfalls engagiert und entschlossen auf. Die Operation Libya attackiert libysche Websites, unter anderem den militärischen Emailserver. Somit dürfte zumindest die elektronische Kommunikation der auf Gaddafis Seite verbleibenden Militäs teilweise oder sogar ganz gestört sein. Des Weiteren finden Infokampagnen sowie ausführliche Diskussionen über weiteres Vorgehen statt (z.B. ein Angriff der UNO- website, falls die Vehandlungen ergebnislos bleiben). Interessant ist auch, dass das größte der Anonymous Netzwerke zwischenzeitlich aufgrund von DDoS Attacken aus Iran zusammenbricht. Offensichtlich fürchtet sich das iranische Regime vor der Internetgemeinde und egal, was man von Anonymous halten mag: Das ist ein gutes Zeichen!
Eine weitere Gruppe, Telecomix, stellt, wie schon in Ägypten und Tunesien, sichere Internetverbindungen per Telefonleitung zur Verfügung. Google und Twitter versuchen, ihren für die arabischen Revolutionen neu geschaffenen Dienst Text-to-Tweet zu verbreiten, mit welchem per Anruf eine Nachricht bei Twitter veröffentlicht werden soll. Inwiefern die Technik verbreitet ist und genutzt wird, lässt sich jedoch nicht genau sagen.

Was wird jetzt passieren?


Diese Frage ist so offen wie keine andere. Das alte Regime ist am Ende, so viel ist sicher, denn nach den Vorgängen der letzten Tage wird die Bevölkerung Libyens keine Regierung wie diese mehr akzeptieren. Problematisch könnten jedoch die Interessen der einzelnen Gruppen werden. Ob Stämme wie die Al-Zuwayya ebenfalls Demokratie und Menschenrechte anstreben, kann zumindest bezweifelt werden. Auch wenn sich die Einflussname dieses Stamms bisher positiv auswirkt, muss diese auf lange Sicht kritisch gesehen werden, denn ein Stammessystem an sich hat mit europäischen Demokratievorstellungen relativ wenig zu tun. Sobald Gaddafi besiegt ist heißt es also erstmal abwarten.

Belege:

Weitere Links:

Interessante Twitter Accounts:

und natürlich die Hashtags #Libya #Feb17 #Tripoli und andere, die in den Nachrichten bei Twitter gepostet werden.

Gaddafi will als Märtyrer in Libyen sterben? Hoffen wir, dass ihm sein Wunsch schnellstmöglich erfüllt wird.

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gute sammlung, dankeschön.

 

informationen gibt's auch auf  http://www.wadinet.de/blog/

...für den beitrag!