Julian Assange ist im Gewahrsam der britischen Polizei. Der von Schweden wegen Vergewaltigungsverdachts gesuchte WikiLeaks-Gründer hat sich in London den Beamten gestellt. Auch die australische und die US-Justiz sind hinter ihm her - seine Anwälte kämpfen nun gegen die Auslieferung.
Julian Assange ist ein Mann mit guten Nerven. Die Polizisten waren ihm schon dicht auf den Fersen, da schickte er noch Nachrichten an Unterstützer in aller Welt. Online, bis der Inspektor kommt - es könnte auch ein Lebensmotto des Julian Assange sein, der sich am Dienstagvormittag in London der Polizei stellte. Der 39-jährige Australier sei "gemäß eines europäischen Haftbefehls" um 9.30 Uhr Ortszeit festgenommen worden, als er zu einem vereinbarten Treffen auf eine Londoner Polizeistation gekommen sei, teilte Scotland Yard mit. Assange müsse noch im Laufe des Tages vor dem Amtsgericht in Westminster erscheinen.
Der 39 Jahre alte Australier sei verhaftet worden, Er werde im Laufe des Tages einem Richter in London vorgeführt.
Am Montag hatten die Schweden eine überarbeitete Version eines Haftbefehls übermittelt, der keine formalen Fehler enthielt. Die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny verfolgt Assange wegen des Verdachts auf Vergewaltigung.
Dem Arrest waren lange Verhandlungen zwischen der Polizei und Assanges Anwälten vorausgegangen. Die Polizei hatte sich geweigert, Assange mitzuteilen, weshalb genau er eigentlich gesucht werde. Das werde er erst nach seiner Festnahme erfahren. Offenbar ist für ihn Einzelhaft mit Kontaktsperre vorgesehen.
Assanges Anwalt Mark Stevens nennt das Vorgehen der Schweden eine "Farce", wie er sie noch nie erlebt habe, und spricht von einem "politischen Trick". Sein Mandant habe nach dem vermeintlichen Verbrechen im August nicht nur mehrere Wochen in Schweden auf eine Vernehmung gewartet, sondern auch eine Befragung in der schwedischen oder der australischen Botschaft in London oder per Videokonferenz angeboten. Außerdem hätten weder er noch Assange selbst Akteneinsicht bekommen.
Assanges Anwälte wollen Kaution stellen
Staatsanwältin Ny verteidigte sich am Wochenende, die Rechtslage sehe eine Befragung in einer Botschaft nicht vor. Sie wolle Assange persönlich sehen, weil sie ihn eventuell festnehmen lassen müsse. Eine Auslieferung an die USA werde es allerdings nicht geben: "Das ist in einem Fall wie diesem nicht möglich."
Assanges Anwälte wollen nun einen Antrag auf Entlassung gegen eine Kaution stellen. Sie hoffen, dass ihr Mandant bald wieder auf freien Fuß kommt.
Das juristische Tauziehen um ein ursprünglich privates Problem ist längst Teil eines globalen Politikums geworden. Am Montag raunte US-Justizminister Eric Holder, die US-Regierung ermittle nicht nur wegen Spionageverdachts gegen Assange, sondern auch wegen möglicher anderer Vergehen. "Ich habe erst vergangene Woche eine Reihe von Dingen veranlasst, damit wir diese Leute verantwortlich machen können", sagte Holder, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Zuvor hatte schon der australische Justizminister Robert McClelland angekündigt, er werde Assange nur deshalb nicht den australischen Pass entziehen, damit er bei möglichen Reisen besser überwacht werden könne. Die australische Regierung werde "den amerikanischen Behörden jede Unterstützung gewähren".
Verquere Einstellung gegenüber Frauen?
Tatsächlich wirft die Verfolgung in Schweden diverse Fragen auf. Der Fall begann Mitte August mit einer Veranstaltung einer Organisation, die den schwedischen Sozialdemokraten nahe steht. Deren Sprecherin Anna A. hatte Assange eingeladen und ihn privat bei sich in Stockholm untergebracht. Unstrittig ist, dass Assange und Anna A. am Abend vor der Veranstaltung Sex miteinander hatten.
Am Tag darauf sprach Assange im Haus des schwedischen Gewerkschaftsbunds über die vorangegangene Veröffentlichung der Afghanistan-Protokolle. Unter den Zuhörern war auch eine junge Künstlerin aus Enköping namens Sofia W., die sich für die Veranstaltung als Fotografin akkreditiert hatte und Assange verehrte. Unstrittig ist, dass auch Sofia W. und Assange in der Nacht und am folgenden Morgen erneut Sex hatten, ehe er verschwand.
Kurz darauf erfuhren die beiden Frauen von den parallelen Affären, tauschten ihre Erfahrungen aus und beschlossen, gemeinsam zur Polizei zu gehen. Sie habe die jüngere Sofia eigentlich nur als Zeugin begleiten wollen, gab Anna A. später zu Protokoll. Assange sei zwar nicht gewalttätig, habe aber eine verquere Einstellung gegenüber Frauen und könne kein "Nein" akzeptieren.
Nach der Aussage der beiden Frauen beantragte die zuständige Staatsanwältin einen Haftbefehl auch wegen Vergewaltigung. Sie bestätigte dem Boulevardblatt "Expressen" den Namen des Beschuldigten. Doch innerhalb von weniger als 24 Stunden zog die Staatsanwaltschaft den Haftbefehl und den Vergewaltigungsvorwurf zurück - übrig blieb der Vorwurf der Belästigung.
Ausschreibung via Interpol "höchst ungewöhnlich"
Der Anwalt der beiden Frauen allerdings setzte dann durch, dass die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Vergewaltigung Wochen später wieder aufgenommen wurden. Im November erging ein neuer Haftbefehl. Die Schweden ließen Assange nun suchen. Der europäische Haftbefehl enthielt jedoch einen Formfehler - bis im Laufe des Montag die aktualisierte Version nach Großbritannien übermittelt wurde.
Was genau in jenen schwedischen Nächten geschehen ist, muss nun die Justiz klären; Assange hat alle Vorwürfe stets bestritten. Beide Frauen hatten ausgesagt, zunächst einvernehmlichen Sex mit Assange gehabt zu haben. Dies sei allerdings später umgeschlagen. Der Streit drehte sich offenbar um den Gebrauch von Kondomen.
Die schwedische Rechtspraxis ist in Bezug auf Sexualdelikte strenger als etwa die deutsche. Das Strafgesetzbuch legt fest, dass eine Person schon bei Androhung sexueller Handlungen wegen Vergewaltigung zu mindestens zwei Jahren und maximal sechs Jahren Haft verurteilt werden soll. Auf minder schwere Fälle stehen bis zu vier Jahre Haft.
Selbst wenn Assange schuldig im Sinne des schwedischen Gesetzes sein sollte - der Verfolgungseifer der dortigen Staatsanwaltschaft mit internationaler Ausschreibung via Interpol sei "höchst ungewöhnlich", heißt es in Berliner Regierungskreisen. Dazu passt das merkwürdige Verhalten der britischen Polizisten, die sich weigerten, auch nur den Grund der Festnahme vorab mitzuteilen.
Assanges Anwälte wollen erreichen, dass ihr Mandant vorerst nicht nach Schweden ausgeliefert wird. Sie fürchten eine Kettenreaktion - dass Assange an die USA weitergereicht wird und dort als Staatsfeind auf unabsehbare Zeit hinter Gittern verschwindet.