Pack’ die Luftmatratze ein!

Nuclear power no thanks
Erstveröffentlicht: 
14.10.2010

Das Bündnis »Castor schottern!« bereitet sich auf den nächsten Transport von Atommüll ins Wendland vor. Für den Protest sind unter anderem Handschuhe und festes Schuhwerk nötig.


Straßenbarrikaden, Hakenkrallen in Oberleitungen, Gebete, Samba-Bands, Sitzblockaden, Gleisbeschädigungen, Traktoren-Trecks - der Widerstand gegen die Castor-Transporte bietet für jeden etwas. Dieses Jahr steht auch das gemeinsame »Schottern« auf dem Programm. Ein Bündnis von etwa 130 Gruppen aus der autonomen Anti-Atom-Bewegung und der Interventionistischen Linken (IL) ruft dazu auf, die Schienen für den Transport unbefahrbar zu machen. »Atomausstieg ist Handarbeit«, lautet der Slogan.

Das Bündnis hat einen Schienenabschnitt ausgesucht, auf dem außer dem Transport kein anderer Zug fährt. Das ist auf der Strecke von Lüneburg bis Dannenberg der Fall, die Polizei lässt dort ohnehin schon Tage vor dem Atomtransport keinen Personenzug mehr verkehren. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: »Wir sind entschlossen, massenhaft den Schotter aus dem Gleisbett zu entfernen, also die Gleise zu unterhöhlen.« Unterstützt wird die Kampagne »Castor schottern!« von zahlreichen Einzelpersonen, Professoren wie Alex Demirovic, Michael Brie und Peter Grottian, Musikern wie Hannes Wader, Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretären, Abgeordneten der Linkspartei und Mitgliedern des Attac-Koordinierungskreises.

Das Vorhaben bedeutet eine große Veränderung der bisherigen Politik des linken Teils der Anti-Atom-Bewegung: weg von den klandestinen Aktionen kleiner Gruppen an den Schienen, hin zu einem militanten Massenprotest. Autonome Anti-Atom-Initiativen versuchen mit der Kampagne, ein größeres Bündnis zu schaffen. Zugleich radikalisiert die IL damit ihre Aktionsformen. »Sich in dieses Spannungsfeld zu begeben, macht auch die Qualität der Kampagne aus«, sagt Bernd Mühlenberg von »Castor schottern!«. Vor allem aber gehe es darum, »dass öffentlich für die Legitimität dieses Widerstands geworben wird und viele neue Akteure damit konfrontiert werden, dass man selbst Hand anlegen kann«. Die Resonanz ist bereits groß, doch wie viele Menschen dem Aufruf tatsächlich folgen und wie sich die Polizei und die Politik verhalten werden, ist unklar. Vor allem wenn diese auf harte Repression setzen, dürfte sich zeigen, wie verlässlich das Bündnis ist und ob sich ein Unterstützer wie Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft bei der Polizei entschuldigen oder jemand wie Peter Wahl von Attac den »Schwarzen Block« verteufeln wird, wie es beim G8-Gipfel in Heiligendamm geschehen ist.

Die Bundespolizei wertet schon den Aufruf von »Castor schottern!« als Anstiftung zu einem gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr und damit als Straftat. Auch der Straftatbestand der Störung öffentlicher Betriebe wird angeführt. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein ist da anderer Ansicht: Ein gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr setze voraus, dass es überhaupt Schienenverkehr gebe. Und wenn ein Protest vorher angekündigt werde, sei eine tatsächliche Gefährdung praktisch kaum möglich.

Seit 1977 wehren sich die Menschen im niedersächsischen Wendland gegen die Atomanlagen: Straßen wurden unterspült und unbefahrbar gemacht, die Schienenanlagen sabotiert, Polizeicontainer brannten aus, Brücken wurden beschädigt, falsche Wegweiser angebracht, um die Einsatzkräfte zu verwirren. Die Proteste hatten Erfolg: Zwar rollt immer noch hochradioaktiver Müll aus deutschen Atomanlagen in das Zwischenlager Gorleben, doch noch gibt es dort kein Endlager, und eine geplante Wiederaufbereitungsanlage wurde verhindert. Von Gewalt sprechen die Protestierenden übrigens selten, die meisten benutzen das Wort »Sachbeschädigung«.

Anders als bei den mehrtägigen Sitzblockaden auf der Straße, die etwa die Kampagne »X-tausendmal quer« organisiert, wollen sich die Aktivisten von »Castor schottern!« nicht einfach wegtragen lassen. »Unser wichtigster Schutz ist die massenhafte Beteiligung, unsere Vielfalt und Entschlossenheit: Während Hunderte und Tausende die Schottersteine entfernen, werden andere durch menschliche Blockaden unter Einsatz von Körper schützenden Materialien wie Polstern, Luftmatratzen oder Planen die Aktion schützen. Wir bleiben so lange auf der Schiene, bis diese unbefahrbar ist«, heißt es in einem Flyer, auf dem eine junge Frau mit modischem Haarschnitt abgebildet ist, die in ihrem Blüschen Steine sammelt. Auch hip gekleidete Männer sind zu sehen, die Steine in ihren Sweatshirts tragen. Handschuhe trägt keine der Figuren und auch Gesichtsbedeckungen fehlen. Sonja Schubert, eine Pressesprecherin von »Castor schottern!«, rät dennoch allen Interessierten, feste Handschuhe und Schuhe zu benutzen. Eine Vermummung sei nicht nötig, da ohnehin viele Personen mit ihrem Namen zu der Aktion aufriefen. »Wenn Leute sich trotzdem vermummen wollen, ist dies aber auch möglich«, sagt Schubert.

Die Frage der Vermummung ist bei »Castor schottern!« wahrscheinlich weniger umstritten als die Größe des Bündnisses. Auf den Planungstreffen im Sommer hatten sich autonome Gruppen da­zu durchgerungen, Solid, die Jugendor­ganisation der Linkspartei, als Bündnispartner zu akzeptieren. Zusätzlich schlugen Gruppen der IL auch noch die Grüne Jugend als Partnerin vor. Doch die Vorbehalte gegen die Parteien - auch und ganz besonders gegen die Grünen - sind nicht nur in der autonomen Anti-Atom-Bewegung groß. Die Grünen wollten die Bewegung im Jahr 2000 mit dem sogenannten Atomkonsens befrieden. Die Proteste seien sowohl von der Form als auch vom Inhalt her falsch, ließ Jürgen Trittin, damaliger Bundesumweltminister, verlautbaren. Erst kürzlich traf ihn wieder der Zorn der Bewegung in Form einer Torte, als er in Hannover über die Atompolitik sprach. »Auch wenn die Grünen mittlerweile wieder ein eigenes Mobilisierungspotential haben: In der Bewegung werden sie als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung empfunden«, sagt Mühlenberg. Nun herrscht der Konsens, dass Parteien - außer der »Linken« - samt ihren Fahnen und Jugendorganisationen im Bündnis nichts zu suchen haben, die Schiene unbrauchbar gemacht und die Polizei nicht angegriffen wird. »Ziel sind nicht die Bullen, sondern ist die Schiene«, sagt eine Atomkraftgegnerin.

Anfang September, kurz nachdem die Bundesregierung ihre Pläne zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten verkündet hatte, trat »Castor schottern!« mit Pressesprechern, einer Website, Presseerklärungen und einer Kampagnenzeitung an die Öffentlichkeit. »Der Zeitpunkt der Veröffent­lichung unserer Aktion ist nicht zufällig: Die massenhaften Aktionen beim Castor-Transport im November werden unmissverständlich zeigen, dass die Atompläne der Stromkonzerne und ihrer Regierung politisch nicht durchsetzbar sind«, sagt Schubert. Die Kampagne fordert einen Stopp der Transporte, den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie und die Enteignung der Energiekonzerne wie Eon, RWE, ENBW und Vattenfall.

Seit 13 Jahren rollen die Castoren mit hochradioaktiver Fracht in die Lagerhalle neben dem Erkundungsbergwerk Gorleben. Der Atommüll aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague wird nach Informationen der Atomkraftgegner in diesem Jahr voraussichtlich am 7.+#8201;November im Wendland eintreffen. In Gorleben werden bereits über 90 Behälter gelagert. Etwa 40 Behälter voller Atommüll aus deutschen Kraftwerken, der in La Hague und im englischen Sellafield aufbereitet wurde, sollen noch geliefert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Abfall jemals wieder aus der Region entfernt wird, sinke mit jedem Transport, so die Befürchtung vieler Protestierender.

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