Angeklagte verurteilen rechtswidrigen Prozess scharf.
Am Mittwoch, dem 6.10.2010, mussten sich 6 Atomkraftgegner_innen vor dem Amtsgericht Kandel bei Karlsuhe verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, an einer Aktion beteiligt gewesen zu sein, bei der sich 3 Aktivist_innen im November 2008 in der Nähe der französischen Grenze an einen Betonblock unter den Bahnschienen gekettet hatten, um einen Castortransport mit radioaktivem Atommüll für über 12 Stunden aufzuhalten. Tatvorwurf ist Nötigung, also das Hindern des Zugführers (unter gewaltsamem Zwang mit verwerflichem Zweck) am Weiterfahren.
Der erste Verhandlungstag wird von den Beteiligten als Skandalprozess bewertet. Der erste Prozesstag fiel mit den 6.10.2010 mitten in eine Zeit, in der sich die Anti-AKW-Bewegung mit Hochtouren auf den Atommülltransport nach Gorleben ab 5. November vorbereitet. Am 6.10. umzingelten zur gleichen Zeit Tausende den baden-württembergischen Landtags iin Stuttgart mit der Forderung: “Atomkraftwerke abschalten!” Hier findet ein politischer Prozess statt. Wir sollen von weiteren Protesten abgehalten werden. Ein Urteil noch vor dem nächsten Castortransport nach Gorleben soll andere abschrecken”, so eine der Angeklagten.
Der Verlauf des Prozesses wird von Seiten der Teilnehmenden als rechtswidrig eingeschätzt. Nach Stunden von schikanösen Einlasskontrollen, in denen alle Prozessteilnehmeden auf richterliche Anordnung durchsucht und so gut wie sämtliche Gegenstände abgenommen bekamen, wurden sogar den Angeklagten Stifte und andere für ihre Verteidigung nötigen Gegenstände wie Laptops verweigert. Richter Sturm wollte die Verhandlung beginnen, obwohl ein Angeklagter immer noch von Sicherheitskräften festgehalten und nicht in den Prozesssaal gelassen wurde. Nur durch selbstbewusstes Auftreten der Angeklagten konnte verhindert werden, dass der Prozess ohne ihn geführt wurde.
Auch während der Verhandlung wurden die Beschuldigten massiv in ihrer Verteidigung eingeschränkt und behindert. Das Stellen von Anträgen, ein Grundrecht vor Gericht, wurde unterbunden, indem die Angeklagten immer wieder unterbochen und ihnen das Wort entzogen wurde. Pausen zur juristischen Besprechung und Verfassen von Anträgen, die direkt auf Fehlverhalten des Richters eingingen (Beschwerden, Ablehnung des Richters, Aussetzung der Verhandlung) wurden verweigert. Auch wurde keine umfassende Akteneinsicht gewährt. Juristisch legitime Anträge wurden mit der Begründung abgelehnt, sie seien ein “Missbrauch prozessualer Rechte” und dienten der “Prozessverschleppung”. Richter Sturm ging sogar so weit, den Angeklagten anzudrohen, er würde sie aus ihrem eigenen Prozess entfernen lassen, sollten sie weitere Verteidigungsanträge stellen und erteilte zwei Angeklagten ein Ordnungsgeld von 100 Euro oder einem Tag Ordnungshaft, als sie einen richterlichen Beschluss über die Maßnahmen beantragten. “Es darf nicht sein, dass sämtliche Paragraphen der Strafprozessordnung für die Zwecke der Angeklagten genutzt werden”, so die Staatsanwaltschaft.
“Das ist hier kein Einzelfall. Richter_innen und Staatsanwält_innen sind gewohnt, dass Menschen ihre Rechte nicht kennen”, so eine der Angeklagten. “Wenn wir uns selbstbewusst auch ohne Anwält_innen verteidigen, greifen sie häufig auf ihr Gewaltmonopol zurück. Dass Rechtsstaaten Unrechtsstaaten sind, wird offensichtlich, wenn ihre Vertreter_innen ihre eigenen Gesetze mit Füßen treten, um ihre Interessen durchzusetzen.”
Den Angeklagten gelingen längere politische Einlassungen zur Sache (die hier nachgelesen werden können), in denen sie über die Endlagerproblematik, die Arbeitsbedingungen beim Uranabbau und die Schädlichkeit radioaktiver Strahlung referieren. Gegen 20 Uhr eskaliert der Verhandlungsverlauf, als ein Polizeibeamter eine Angeklagte in der Pause auf unterem Niveau beleidigt. Die Angeklagte beantragt beim Richter die Namensnennung um rechtliche Schritte einzuleiten und, zusammen mit einer weiteren Angeklagten, die Aussetzung der Verhandlung, weil sie nicht mehr verhandlungsfähig ist. Richter Sturm lehnt den Antrag ab, weil er “offensichtlich unbegründet” sei. Es gab kaum Pausen zum Trinken oder für Besprechungen, die Angeklagten können nicht mehr. Sturm will weitermachen und noch am selben Abend zu einem Urteil kommen. “Vermutlich in der Hoffnung, dass wir aufgeben uns zu verteidigen und uns verurteilen lassen”, meint ein Angeklagter.
Als eine Angeklagte darauf den Saal verlassen will, um sich emotional wieder zu stärken, lässt Sturm Fenster und Türen von Sicherheitskräften versperren, hindert die Angeklagte gewaltsam daran, den Raum zu verlassen und ordnet eine Kompletträumung des Saales an. Etwa 20 Zuschauer_innen werden aus dem Saal getragen. Die Angeklagten werden gewaltsam gegen ihren Willen im Raum gehalten, von weggetragenen Prozessbeobachter_innen draußen Schreie. Ein Zuschauer wird gefesselt in den Keller getragen und bedroht. Später berichten die Weggetragenen von erniedrigenden Beleidigungen durch die Beamten: “Ihr seid ein Nichts, ihr seid nichts wert, ihr stinkt.”
Richter Sturm will weiter verhandeln. Erst als selbst der Anwalt die Vertagung beantragt, weil auch er prozessunfähig ist, wird der Prozess auf den 26.10.2010, 11 Uhr verschoben.
“Wir werden als Gewaltäter_innen bezeichnet, weil wir uns für ein gesundes Leben einsetzen. Radioaktive Strahlung ist gewalttätig, Urannabbau, der Betrieb von Atomkraftwerken und die Endlagerung von Atommülll sind sozial unverantwortlich und gefährlich. Weil wir uns wehren, wurden unsere Grundrechte heute in zahlreichen Rechtsbrüchen massiv eingeschränkt. Es geht hier um Abschreckung und Machtdemonstration. Uns wird Gewalt vorgeworfen und verwerfliche Zwecke,” kommentiert ein Angeklagter den ersten Prozesstag, “aber ich freue mich, dass es nicht geklappt hat uns durch Kriminalisierung mundtot zu machen und wir die Gründe, gegen Atomkraft aktiv zu sein auch im Gericht thematisiert haben.”
Einigen der Angeklagten war im April 2009 ein Ausreiseverbot nach Frankreich während den Anti-Nato Protesten erteilt worden, weil sie “aufgrund ihrer Castorblockade von 2008 als linksmotivierte Gewalttäter bekannt” seien. “Hier wird kriminalisiert. Aber ich glaube daran, dass die Anti-Atom-Bewegung sich davon nicht beeindrucken lässt. Wir rufen weiter dazu auf, vielfältige, geeignete Aktionsmethoden anzuwenden, um den reibungslosen Ablauf der Castortransporte dieses Jahr zu verhindern und freuen uns auf einen heißen Herbst im Anti-Atom Widerstand. “
Im Vorfeld des Prozesses fanden in Karlsruhe die Cnastor-Aktionstage statt, während denen einige kleine Aktionen durchgeführt wurden, wie beispielsweise ein Schienenspaziergang an der Stelle der Blockade, bei dem die Teilnhemer_innen unterrichtet wurden, wie Bahnschienen sachgemäß nicht benutzt werden dürfen. Die Polizei war massiv anwesend und sehr nervös. Desweiteren fanden einige Informarmationsveranstaltungen statt, über geplante Aktivitäten während des diesjährigen Castors, über Uranabbau und über das Kernforschungszentrum in Karlsruhe. Ein Lock-on Workshop fand statt und ein Konzert.
Am nächsten Prozesstag, am 26.10. um 11 Uhr (Amtsgericht Kandel, Raum 25) werden unter anderem die Zeug_innen verhört werden. Zuschauer_innen erwünscht!
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