Wenn jetzt Stimmen der CDU in den Medien dominanter werden, dann ist das nicht, weil die linken Stimmen zu den Vorfällen der geballten Wut schweigen, sondern weil der politische Diskurs, also die deutsche Mitte, weiter nach rechts rückt.
Ob der Aufruhr Absicht gewesen ist, halte ich für erwiesen, soll aber nicht Gegenstand dieses Textes sein. Dafür sprechen verschiedene Gründe. Die Ernennung von dem pensionierten, eskalations-freudigem Dudde als die oberste Polizeiinstanz. Die Vorkampagne mit Trizzen und Reizen der ohnehin staatsfeindlich Eingestellten Menschen, z.B. das Wegprügeln des Cornerns und der Nachttanzdemo und des Camps. Dann am Freitag die „Welcome to Hell Demonstation“, was keine Überraschung war, nicht laufen lassen und verprügeln, einpfeffern und auseinandertreiben, wegen ein paar schwarzen Tüchern, das glauben auch nur die Mainstream Medien und vielleicht noch ein paar geblendete Polizisten selber. Es gab keine Auflagen, keine Bestätigung von der Versammlungsbehörde, obwohl die Bürokratie doch sonst immer so akkurat und termingerecht arbeitet. Aber für G20 sind Grundgesetze bewusst von Organen ignoriert worden. Nicht nur mit dem Versammlungsverbot für Menschen mit subversiven Einstellungen (kannte man ja schon von der Flora-Demo), auch mit dem Räumen eines genehmigten Camps. Als dann eine gefühlte Ewigkeit in St.Pauli keine Polizei zu sehen war, obwohl doch angekündigt worden war, das Plan B vorsieht durch St. Pauli zu demonstrieren, war die Polizeitaktik abzusehen; eskalieren, zugucken und dann die Medien instrumentalisieren. Auch andere Lügen der Presse überraschen nicht, kein Foto von den 100 Leuten mit Eisenstangen vor der Flora konnte präsentiert werden, nur ein Aktivist mit einem Straßenschild, vermutlich eine Teil für eine Barrikade und zu schwer als Schlagstock. Eine Kugel im Wasserwerfer soll den massiven Zwillenbeschuß nachweisen. Ein Knaller vom Dach und Gerüchte über stationierte Gehwegplatten rechtfertigten den Einsatz eines Sonderkommandos. Ein Laserpointer wurde zur Strahlenwaffe. Die Polizeigruppe die angeblich das Schulterblatt nicht räumen konnte, hätte aber problemlos die Leute vor dem geplünderten Supermarkt in die andere Richtung wegprügeln können. Das räumen des Schanzenviertels ist seit Jahren geübte Polizeitaktik, nur zum G 20 funktioniert das auf einmal nicht mehr?! Stundenlang stehen Polizeihundertschaften, geschätzte 10.000 Polizisten, wenn man die anderen 10.000 für die Sicherheit der Politiker abstellt, um die Schanze herum und gucken zu wie Demonstranten alles auseinander nehmen, Geschäfte plündern und Feuer errichten.
Was jetzt folgen soll, als Konsequenz der Ausschreitung, ist eine Datei oder Liste von allen Linksextremistischen Demonstranten. Die Polizei gibt selbst zu, illegal schon lange solche Listen zu führen. Wenn es der Polizei passt, sind plötzlich die ganzen Kriminellen, Krawalltouristen, Hooligans, Randalierer und Chaoten wieder politisch. In den Medien wurde sonst ziemlich eindeutig das Wort Demonstrant, Aktivist oder politisch vermieden.
Die zweite geforderte Konsequenz soll die Räumung der letzten besetzten Häuser und Projekte sein.
Auch wenn ich vermute das dies am zu erwartendem hohen Widerstand und den kalkulierten Kosten von wochenlangem Protest nicht gewagt wird, ist die Richtung vorgegeben. Die CDU verfällt in einen Mittelalter-Slang und spricht von „Brandschatzern“ und „Mordbrennern“.
Die Bildzeitung liefert den Auftakt zu einem medialen Lynchmob, Fotos von unverpixelten und nicht verurteilten, also lediglich verdächtigten werden betitelt mit Straftaten. In den anderen Sozialmedia Netzwerken sucht man ein Demonstrant, der zufällig zu nah an einem Polizisten stand, der angeblich Blind nach einem Böllerwurf wurde, eine Ente gibt sogar die Polizei später zu.
Die Zeitungen und besorgte Bürger richten nun selbst, die Justiz wird nicht mehr benötigt, die „Demokratie“ führt sich selbst ad absurdum. Das viele der stärksten Lügen später auffliegen ist relativ egal, sie haben in den Köpfen bereits gewirkt. Es gab schon Suizide nach Lügen der Bildzeitung. Folgendes Szenario: Ein Mann hebt einen Stein auf, ein Foto, eine Unterschrift und plötzlich ist der Mann ein Steinewerfer, wollte vielleicht nur die Straße frei räumen. Oder auf der Straße liegen geplünderte Artikel, jemand hebt sie auf, Foto, Beschreibung, und derjenige ist ein Plünderer. Selbst wenn jemand schuldig ist, dann ist das Sache der Gerichte, und nicht der Öffentlichkeit oder der Selbstjustiz von nicht Beteiligten.
Als dritte folge der Proteste eine Kampagne gegen die Linke Bewegung, eine Spaltung in friedliche (also legitim), und gewaltbereite Subversive. Dann besteht noch ein Interesse die Subversiven in Spaltungskämpfe zu verwickeln. Wenn die Anarchisten nicht mehr mit den Kommunisten agieren können. Das Ziel ist das die Linken so zerstritten sind in Spaltungskämpfe, das sie handlungsunfähig werden und nur noch in Abwehrkämpfen gefangen sind.
Wenn das gelingt, die emanzipatorische Freiheitsbewegung zu zerschlagen, dann gute Nacht Welt, mit dem Idealismus fällt die Menschlichkeit.
Schon die deutschen Idealisten Hegel, Hölderlin und Schelling schrieben ungefähr zu Zeiten der französischen Revolution: „ Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! Denn jeder Staat muss freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören“. Aus einem Zeitungsartikel mit dem Titel „Waren wir nicht auch schon mal weiter?“ vom 27.05.2017.
Wenn das nicht anarchistisch ist. Auch Tolstoi und unzählige andere Anarchisten und Idealisten haben erkannt, das Freiheit unter einem Staat unmöglich ist. Als der Bürgerkrieg in Spanien 1939 verloren war, nachdem die Anarchisten erst mit den Kommunisten gegen die Faschisten kämpften, dann von den Kommunisten verraten und vernichtet wurden, begann das grausigste Kapitel der Menschheit. Die internationalen Brigaden in Spanien waren liberale Anarchisten aus ganz Europa gewesen. Mit ihrer Vernichtung breitete sich der Faschismus über den Kontinent aus und der Holocaust begann.
Auch andere esoterische oder bürgerliche Strömungen mögen für die Freiheit kämpfen, den Mut ihr Leben und ihr Gesundheit und ihre verbliebene Freiheit zu riskieren oder opfern, haben die wenigsten.
Ich hasse Gewalt, ich möchte keine Gewalt anwenden, niemals.
Aber es ist zynisch von einem Staat über Gewaltlosigkeit zu reden, der alle Gewalt lenkt, anordnet und ausübt. Und das kurze aufflackern der Gegengewalt, mehr noch der zeitweiligen Macht über einen Bereich und somit der Machtverlust (ob wirklich erkämpft oder inszeniert hier egal) des Staates als unpolitisch zu bewerten, ist grotesk. Auch ich glaube nicht, dass Straßenfeuer und Plündern wirkliche Lösungen sind, aber es wäre ein Anfang, um etwas neues entstehen zu lassen, braucht es zuerst einen Freiraum. Es ist außerordentlich wichtig, das die politischen Kämpfer (tatsächlich sind nicht alle politisch) auf unseren Konsens achten und ihn verteidigen. Keine Verletzungen von Dritten und den Wirtschaftsschaden von Kleinbürgern gering halten.
Eine verbrannte Mülltonne ist sicher verträglich, ein abgebrannter Kleinwagen oder ein zerstörter Kiosk kann eine Existenz gefährden.
Das gelebte Anarchie, also eine selbstorganisierte Gesellschaft, anders aussieht als das Chaos in Hamburg, wird wohl unser offenes Geheimnis bleiben.
Die Medien werden stets das Bild der Zerstörung, des Aufstandes, des Hasses, der Gewalt, der Enteignung zeigen und betiteln: Kriminell (1) oder „Das ist Anarchie!“(2).
Die erste Kategorisierung hat Recht, den die Zerstörung von Eigentum, die Aneignung von Konzerneigentum, die Konfrontation mit der Exekutive des Staates ist gegen das Gesetz. Aber das Gesetz ist die schriftliche Verfügung von einer Minderheit über eine Mehrheit, kurz die Moral des Staates. Die zweite Kategorie liest man seltener, dass kann auch vorteilhaft sein, wenn wir den Begriff im Bewusstsein der Leute neu besetzen können. Jeder der Wagenplätze, Umsonstläden und Besetzte Häuser kennt sollte wissen; das ist praktische Anarchie. Anarchie ist eben ein Synonym für
Freiheit und Gesetzlosigkeit. Wobei statt Gesetzen Regeln und Vereinbarungen der Betroffenen gelten.
Im übrigen fande ich, die Enteignung von Rewe mit der anschließenden freundlichen Umverteilung und die Party mit dem gesponsertem Alkohol und den Lebensmitteln bei Feuerschein, schön und nicht bedrohlich. Ein Hauch von Freiheit und Revolution. Es gab wohl auch einzelne Egoisten, die nichts abgeben wollten und einige die nicht aus dem Bedürfnis des Augenblickes ausgewählt haben, sondern aus ökologischen Gesichtspunkten, aber diese Plünderer waren wohl mehr die Produkte des Kapitalismus.
Super
Klasse Text.