Bei den G-20-Protesten beherrschte das Chaos die Straßen. Nicht nur die Polizei verlor den Überblick bei den zahlreichen Ausschreitungen. Eine Rekonstruktion anhand der Einsatzberichte.
Von Veronika Wulf (Text) und Benedict Witzenberger (Grafik)
Während die Staats- und Regierungschefs der G 20 in der Elbphilharmonie Beethovens Neunter Sinfonie lauschten, in geschützten Kolonnen vom Hotel zum Tagungsort chauffiert wurden und in den Messehallen über die großen Themen der Welt debattierten, schien auf Hamburgs Straßen Anarchie ausgebrochen.
Die friedlichen Demonstrationen gingen unter zwischen gewaltsamen Krawallen linksautonomer Kräfte. Vermummte brannten Autos und Straßenbarrikaden nieder, schlugen Schaufenster ein, plünderten Geschäfte und lieferten sich Straßenkämpfe mit Polizisten. Molotowcocktails, Böller und Eisenstangen auf der einen Seite, Tränengas, Schlagstöcke und Wasserwerfer auf der anderen.
Die Dienstprotokolle der Polizei geben einen detaillierten Einblick, was, wo und wann an dem Wochenende der Ausschreitungen passierte.
6. Juli, 16:30-18:30, An der Alster 64
Unbekannte Täter zerstechen den Reifen eines geparkten Pkw der kanadischen Delegation.
6. Juli, 20:13, Königstraße 9; Louise-Schroeder-Straße
Brennende Barrikaden werden gemeldet, geparkte Autos beschädigt.
6. Juli, 22:26, Neuer Pferdemarkt
Etwa 1000 Personen werden durch Einsatzkräfte mit Wasserwerfern in Richtung Schulterblatt gedrängt.
6. Juli, 23:16, Rote Flora
Eine Fahrzeugkolonne der Polizei wird massiv beworfen. Auf der Fahrbahn vor der Roten Flora brennt ein etwa drei Meter hohes Feuer.
7. Juli, 07:13, Schützenstraße/Richtung Stresemannstraße
Polizeikräfte verfolgen 350 gewaltbereite Demonstranten und setzen Schlagstöcke und Pfefferspray ein.
7. Juli, 07:36, Elbchaussee 43
200 vermummte Demonstranten setzen ein Auto in Brand und zünden Pyrotechnik.
7. Juli, 07:44, Altonaer Rathaus
Verkehrskräfte melden Personen, die mit Steinen die Scheiben des Altonaer Rathauses einwerfen, kurz danach setzen sie 17 Autos in Brand.
7. Juli, 07:46, Max-Brauer-Allee Richtung Altona
100 Personen werfen Molotow-Cocktails.
7. Juli, 07:49, Bereich Altona, Nähe Platz der Republik
Ein Polizeihubschrauber wird mit einer roten Leuchtrakete beschossen, die ihn knapp verfehlt.
7. Juli, 07:51, Max-Brauer-Allee/Präsident-Krahn-Straße
50 schwarz Gekleidete greifen zwei Polizeiautos an, in denen Beamte sitzen, schlagen Scheiben ein und beschmierten die Karosserie mit Farbe. Auf einen leeren Polizeiwagen werfen sie einen Molotow-Cocktail, der allerdings nicht zündet.
7. Juli, 07:53, Einsatzleitung
Der Polizeiführer entscheidet, dass Bereitschaftspolizisten alarmiert werden, Anfahrt aus Lübeck mit Sonderrechten.
7. Juli, 07:55, Zeughausmarkt/Seewartenstraße
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken stellt sich in einer Personengruppe den Polizisten als “parlamentarischer Beobachter” vor.
7. Juli, 07:59, Einsatzleitung
Der Polizeiführer entscheidet, dass die Bundesreserve alarmiert wird, eine Hundertschaft aus St. Augustin wird eingeflogen.
7. Juli, 08:12, Einsatzleitung
Der Polizeiführer veranlasst ein Fernschreiben an Bund und Länder mit der Bitte um weitere Unterstützung.
7. Juli, 09:27, Elbchaussee 54
Demonstranten schlagen diverse Scheiben des Konsulats der Mongolei ein.
7. Juli, 09:46, Mönckebergstraße
200 Personen, manche vermummt, bewegen sich in die Bergstraße, greifen Polizisten an, die sie zurückdrängen, weitere 200 Personen kommen dazu.
7. Juli, 10:42, Buceriusstraße/Domstraße
500 Demonstranten gehen auf die Fahrbahn, eine Sitzblockade wird von Polizisten durch Wegtragen, Wegschieben und mit Schlagstöcken geräumt.
7. Juli, 11:02, Gorch-Fock-Wall Richtung Jungiusstraße
150 Demonstranten behindern mit Absperrbaken eine Kolonne des G-20-Gipfels, Polizei räumt die Straße, unter anderem mit Wasserwerfern.
7. Juli, 11:28, Holstenwall Höhe Handelskammer
Fünf Schläger greifen ein Delegationsfahrzeug an, niemand wird verletzt.
7. Juli, 12:27, Einsatzleitung
Der Einsatzleiter kontaktiert das BKA und schlägt vor, dass die Delegierten direkt von der Messe zur Elbphilharmonie gebracht werden, statt vorher noch in die Hotels, um die erschöpften Polizisten zu entlasten. Eilig wird die Strecke stark abgesichert, “einbetoniert” heißt es bei der Polizei.
7. Juli, 13:00, Holstenstraße/Scheplerstraße
Ein Verkehrsposten wird mit einem Molotow-Cocktail angegriffen, Demonstranten ziehen Mülltüten auf die Straße und zünden sie mithilfe eines Brandsatzes an.
7. Juli, 16:24, Millerntorplatz
Aufklärungskräfte melden 300 bis 400 Personen, die massiv Pyrotechnik zünden.
7. Juli, 16:29, Hafentor
Polizisten melden 3000 Personen auf der Fahrbahn, Wasserwerfer kommen nicht durch.
7. Juli, 17:10, Elbe
Der Einsatzabschnitt Wasser drängt Schlauchboote von Greenpeace hinter die Absperrung.
7. Juli, 17:11, Willy-Brandt-Straße
Demonstranten greifen eine Kolonne Saudi-Arabiens an, es entsteht ein Sachschaden.
7. Juli, 18:30, Hein-Köllisch-Platz
Polizisten setzen Reizgas gegen Demonstranten ein, auch Aufklärungskräfte werden getroffen.
7. Juli, 19:03, Schulterblatt gegenüber der Roten Flora
Polizisten melden 100 Vermummte mit Eisenstangen, die ein Feuer entzünden, die Polizei zieht sich aus taktischen Gründen zurück. Kurz danach wächst die Gruppe auf 1000 Personen, Polizisten werden mit Böllern beworfen, Eingreifkräfte und Wasserwerfer werden herverlegt.
7. Juli, 19:51, Susannenstraße/Rosenstraße
Ein Polizist gerät in Bedrängnis und gibt einen Warnschuss ab.
7. Juli, 19:57, Neuer Pferdemarkt/Budapester Straße
Gegen 1200 Demonstranten wenden die Einsatzkräfte körperliche Gewalt und Wasserwerfer an. Die Polizisten stellen fest, dass sich viele Teilnehmer auf Englisch unterhalten, einige haben Wechselkleidung dabei.
7. Juli, 20:15, Pferdemarkt
1000 Personen haben sich versammelt, Flaschen werden geworfen, Böller gezündet.
7. Juli, 21:13, Sternstraße/Augustenstraße
Eine Häuserfront brennt.
7. Juli, ab 21:20, Schulterblatt
Personen sind auf Dächern, Demonstranten zerschlagen Gehwegplatten und ziehen mit Steinen Richtung Reeperbahn.
7. Juli, 21:22, Otzenstraße 9
200 Personen nehmen die Straße auseinander.
7. Juli, 21:31, Schulterblatt
Die Polizei rüstet massiv auf und rechnet beim Vorrücken mit schwersten Verletzungen.
7. Juli, 21:35, Hauptbahnhof HH
Personen stapeln Gegenstände im Gleis auf, der Betrieb wird eingestellt.
7. Juli, 12:37, Bleicherstraße 62
Brennende Barrikaden, das Feuer greift auf eine Wohnung über.
7. Juli, ab 21:41, Schulterblatt
Auf die Geschäfte Rewe und Budnikowsky werden Molotow-Cocktails geworfen, Läden werden geplündert.
7. Juli, 21:53, Schulterblatt 1
Etwa 30 vermummte Personen stehen auf dem Dach des Gebäudes und einem Baugerüst. Mit Eisenstrangen, Molotow-Cocktails, Wurfgeschossen und Stahlkugeln aus einer Präzisions-Zwille greifen sie die Polizei auf der Straße an.
7. Juli, ab 21:58, Schulterblatt
Rewe brennt, Demonstranten greifen Feuerwehrkräfte an und versuchen, mit Brennkanistern in die Haspa-Filiale einzudringen.
7. Juli, 22:43, Sternstraße/Lagerstraße
Polizisten setzen fünf Mal Tränengas ein.
7. Juli, 22:50, Altonaer Straße
Polizisten werden mit Pyrotechnik beworfen.
7. Juli, 22:51, Kampstraße
Ein Blumenladen und ein Vodafone-Geschäft werden angezündet.
7. Juli, 23:06, Schanzenviertel
“Schanzenviertel zur Festung ausgebaut” heißt es im polizeilichen Lagebericht.
7. Juli, 23:23, Schulterblatt
Der Polizeiführer gibt die Weisung, zunächst nicht einzugreifen, die Polizei befürchtet einen Hinterhalt.
7. Juli, 23:40, Schulterblatt
Die Polizei räumt das Schulterblatt unter Einsatz von Zwangsmitteln, bricht Türen ein, dringt auf das Dach vor und nimmt 13 Personen fest.
8. Juli, ab 00:06, Schanzenstraße/Schulterblatt
Rewe, Dat Backhus und ein o2-Shop werden entglast und geplündert.
8. Juli, 01:03, Susannenstraße/Bartelsstraße
80 Vermummte bewerfen Polizisten mit Flaschen und Steinen und rufen “Ganz Hamburg hasst die Polizei”.
8. Juli, 02:00, Hamburg
Die Lage entspannt sich deutlich.
Weitere Protokolle
Auch dem Spiegel wurden Protokolle zugesteckt. Sie sind natürlich nicht als Fakten zu betrachten sondern geben wieder, was die Bullen in den Momenten der Meldungen glaubten:
https://linksunten.indymedia.org/de/node/218530