Der Gipfel der Herrschenden ist vorbei, die Diffamierungen und Angriffe des bundesdeutschen Repressionsapparats gegen die radikale und revolutionäre Linke haben gerade erst begonnen! Eine vollständige Aufarbeitung des G20-Gipfels, des Protests und des Widerstands dagegen sowie dessen Nachwirkungen wird wohl noch einige Wochen, wenn nicht sogar Monate dauern. Mit diesem Text – welcher u.a. als Flugblatt in Burg verteilt wurde – wollen wir als Antifaschistische Aktion Burg [AAB] und damit auch Teil des bundesweiten „Fight G20“-Bündnisses allerdings einen ersten Überblick zum G20 und dessen Nachwirkungen wiedergeben. In nächster Zeit wird es weitere Veröffentlichungen geben, die sich u.a. mit den von uns als Bündnis organisierten Blöcken bei der „Welcome to Hell“-Demo und der Großdemonstration sowie den direkten Aktionen auseinandersetzen
Die Proteste gegen den G20-Gipfel und ihre ersten Nachwirkungen
Es war schon sehr früh klar, dass die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg besonders schwierig werden würden. Ein Gespräch zwischen dem Anmelder des (antikapitalistischen) Protest-Camps und dem Bezirksamt endete nach wenigen Minuten mit der Übergabe des ablehnenden Bescheids. Die Idee der Vernetzung, der gemeinsamen Organisierung der besonders in aufreibenden Protesten notwendigen Reproduktion als Dauerkundgebung mit Veranstaltungen zu G20-Themen im öffentlichen Raum, galt bereits als Angriffspunkt der Repressionen. Durch die Allgemeinverfügung vom 9. Juni 2017 wurde die Versammlungsfreiheit in weiten Teilen der Hamburger Innenstadt während des G20-Gipfels am 7. und 8. Juli massiv eingeschränkt. Die Camps der GipfelgegnerInnen sollten per Verwaltungsakt aus weiten Teilen des Stadtgebiets verdrängt und jeglicher Protest aus dem Stadtbild verbannt werden. Anfang Juni wurde bekannt, dass die Hamburger Polizei für den G20-Gipfel eine Gefangenensammelstelle (Gesa) in einem leer stehenden Großmarkt in der Schlachthofstraße in Hamburg-Harburg einrichten würde. Die Unterbringung der Gefangenen sah in 70 jeweils 9m² großen Sammelzellen für bis zu fünf Personen pro Zelle in Containern vor. Dazu befanden sich 50 Einzelzellen mit einer Größe von jeweils 3,23m² in der neun Meter hohen und 12.000m² großen Halle. Am 12. Juni 2017 gab das Innenministerium bekannt, dass ab sofort und bis zum 11. Juli Grenzkontrollen an den deutschen Schengen-Binnengrenzen durchgeführt werden sollen, sowohl an den Land- und Seegrenzen als auch an Flughäfen. Es folgten Hausdurchsuchungen in Privatwohnungen und der Vereinsadresse des Roten Aufbau im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Die repressiven Mittel reichten von „Gefährderansprachen“, öffentlicher Diffamierung von Einzelpersonen über die Behinderung und Zerstörung von Campinfrastruktur bis hin zu Razzien und Präventivhaft.
Für die Protestdemo am 06. Juli 2017 wurden hingegen keinerlei Auflagen erteilt. Die Vermutung lag nah, dass die Demo nicht angemeldet starten sollte. Das polizeiliche Vorgehen gegen den Demozug war dann, wie erwartet, auch äußerst brutal. Der Tod von Menschen wurde in einer äußerst gefährlichen Situation billigend in Kauf genommen. Die Strategie war offensichtlich: Geplant schien das Aufsprengen des Demozuges und die mutmaßliche Ingewahrsamnahme der gesamten Demospitze. Die Regeln des Rechtsstaates, die außerhalb des bis dahin herbei fantasierten „Ausnahmezustandes“ wenigstens dazu geeignet sein sollten, den Rahmen des erlaubten Protestmaßes abzustecken, wurden immer weiter beschnitten. Mittlerweile waren auch jene, die einen „friedlichen“ Protest ausleben wollten, betroffen von Repressionen und massiver Polizeigewalt. Die Nachttanzdemo am Vorabend als auch die Auftaktkundgebung der „Welcome to Hell“-Demo waren zuvor ohne Zwischenfälle verlaufen. Als Vorwand, um die Demo anzugreifen und die Demospitze vom Zug zu trennen, galt das Vermummungsverbot. Das Vermummungsverbot ist eine typisch deutsche Errungenschaft des Rechtsstaates, die mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit begründet, Grundrechte beschränkt und bei Zuwiderhandlungen weitere Beschränkungen der Versammlungsfreiheit rechtfertigen soll. Die Absurdität der Situation, dass eine gesetzliche Beschränkung der Grundrechte der Demonstrierenden zu weiteren Einschränkungen der Versammlungsfreiheit führen kann, beschreibt die besondere Protestsituation in Deutschland. Im Normalfall, also außerhalb etwaiger „Ausnahmezustände“, reicht hingegen die Androhung von Repression, um Gehorsam zu erzwingen und Protestgeschehen zu kontrollieren. In Hamburg war die Situation am 6. und am 7. Juli durch die Polizei zeitweise nicht mehr kontrollierbar.
In der Broschüre haben wir in einem Text über Wirkmacht kapitalistischer Logik und die Ohnmacht des Einzelnen beschrieben, „dass noch die eigene Unterwerfung unter die herrschenden Interessen als selbstgewählt und selbstgewollt erscheint. Trotz Krise und Perspektivlosigkeit regt sich nämlich kaum Widerstand gegen die Brutalität zeitgenössischer Politikprojekte.“ Dieser Zustand der Regungslosigkeit wurde am G20-Wochenende durchbrochen. Für 2 Tage bestimmten die Proteste die Berichterstattung zum Gipfel. Aber sehr schnell änderte sich Situation und unsere unheilvolle Vorhersage verselbstständigte sich: „Zukunftsängste, Veränderungswünsche und gleichzeitige Konflikt- und Handlungsverbote bilden die Angelpunkte eines angstgesteuerten Massenbewusstseins als Ausdruck brachliegender Handlungsfähigkeit und ist Begleiterscheinung von Resignation und Empathielosigkeit. Der neoliberale Diskurs gelangt damit ans Ziel. Selbst wenn sein asozialer Charakter erkannt und Veränderungen befürwortet werden, erfolgt kein widerständiges Denken, sondern die resignative Schlussfolgerung, dass sich ja doch nichts ändern lässt.“
Die derzeitige Berichterstattung und die politischen Forderungen der Herrschenden bestimmenden Ergebnisse der als „Revolte“, „Gewaltexzess“ sogar „Holocaust“ oder auch als „Bürgerkrieg“ beschriebenen Zerstörungswut, offenbaren nicht nur ein erschreckendes Geschichtsbild. Das Ausmaß der Zerstörung ist bisher weder in Summe beschrieben noch als Liste der tatsächlichen Zerstörung zusammengefasst. Nur, dass es ein besonderes Ausmaß gewesen ist, darin sind sich alle einig. Wir wissen bisher nicht, welche Schäden überhaupt entstanden sind und können das Ausmaß der Zerstörung in kein Verhältnis setzen. Wir wissen nicht, wie viele Verletzte es unter den Protestierenden gab, noch welche Schäden dort entstanden sind. Ist am G20-Wochenende mehr kaputtgegangen als beim Tornado in Hamburg 2016? Brannten in einer Nacht mehr Autos als in einer Nacht 2015 in Paris? Die Berichterstattung dreht sich bisher in manipulativer Absicht um einzelne Ereignisse, die konkrete Sachschäden als besonders tragische Eingriffe in den Lebensalltag und Angriffe auf die individuelle Existenz abbilden. Diese einzelnen Existenzen hängen anscheinenden im besonderen Maße von der Unversehrtheit des Autos und der Möglichkeit zum Konsum im Kiez ab. Diese Privilegien werden nicht reflektiert, sondern der Verlust als Angriff auf die reale Existenz verurteilt. Mit bisher nicht näher bezifferter Zerstörung werden dann Gewaltfantasien der Anwohner im „Schanzenkiez“ gerechtfertigt, wonach der Polizei das Recht zu Beinschüssen zugebilligt wird und die Gleichsetzung von Nazis und Autonomen zum Standard gehört. Die Maske des Humanismus ist sehr dünn, auch im Wohlfühkiez der alternativen Szene in Hamburg.
Die Distanzierungen von Gewalt werden in demokratischen Zirkeln entsprechend abgerufen und zeitnah geliefert. Wobei die Bereitschaft, für eine widerständische Protestkultur ohnehin zuvor äußerst unterentwickelt daherkam. Es dreht sich seit jeher vorallem darum, ob Protest friedlich bleibt und nicht um Inhalte. Friedlicher Protest wird seltener von der Polizei angegriffen, wirkmächtiger ist er nicht. Aber selbst dieses Versprechen des sorgsamen Umgangs seitens der Polizei wurde nun in Hamburg mehrfach gebrochen. Auch zuvor komplett friedliche Demos wurden komplett eskaliert. Dazu wird behauptet, dass Gewaltausbrüche (der Protestierenden und nie die der Polizei), die Vermittlung von Inhalten verhindern würden. Wie jedoch diese Inhalte, selbst wenn sie in der Tagesschau wörtlich zitiert werden und jeder Spaß sie vom Dach pfeift, ein mörderisches System aus Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung zu mehr Menschlichkeit bewegen sollen, bleibt offen.
Üblicherweise brauchen weder Medien noch Politik besonderen Ereignisse, um linke Politik als gewaltvoll zu verdammen und die Vertretenden vollständig und nachhaltig zu kriminalisieren. Das bewies bereits das Vorgeschehen. Jetzt ist es aber so, dass es im Nachgang der G20-Proteste zu öffentlichen und rechtswidrigen Fahndungsaufrufen sogar in der BILD kommt, dass auch in der Linken unter Zugriff auf Grundlage verdammender Darstellungen Debatten über Sinn und Unsinn von Gewalt geführt werden und die Beschränkungen demokratischer Rechte nicht mehr kritisiert werden dürfen und auch nicht kritisiert werden können – zumindest nicht, ohne dabei sinnlose Bekenntnisse zur Gewaltfreiheit abzuliefern. Schuld daran ist nicht die bisher nicht näher bezifferte Gewalt, sondern die Gewährleistung der Funktionalität der Ausbeutung.
Wenn es jetzt heißt, dass linke Zentren geschlossen werden müssten und es härtere Gesetz braucht, dann sind dabei auch Volksküchen, soziale Zentren und selbstorganisierte Freiräume gemeint. Härtere Gesetz treffen uns alle. Dass der Schutz der Bevölkerung von mutmaßlich „linker Gewalt“ nicht das Ziel solcher Maßnahmen ist, veranschaulicht gerade das G20-Wochenende in Hamburg sehr gut. Oberste Priorität hatte der Schutz des Gipfels und der Teilnehmenden. Während Trump, Erdogan und Co kein Haar gekrümmt wurde, werden Grundrechte beschnitten, Gewalt gegen Protestierende ausgeübt und mit vorgehaltener Maschinenpistole die Aufstandsbekämpfung geprobt.
Hinweis: Der Willkür und Brutalität der Bullen und der Justiz zum Trotz haben die AktivistInnen ihren Kampf entschlossen und vielseitig geführt! Die Aktionen in Hamburg zeigen, wie viele Menschen kein Vertrauen mehr in die kapitalistische Logik und den bürgerlichen Staat haben. Es wurde deutlich, dass selbst mitten in Metropolen in Deutschland entschlossener Widerstand konkret werden kann, dass man sich die Straßen und Viertel nehmen und eine Gegenmacht erkämpfen kann. Dabei wurden unzählige Menschen durch rohe Polizeigewalt teilweise schwer bis lebensgefährlich verletzt. Einige sitzen noch immer in Untersuchungshaft, an ihnen sollen nun Exempel statuiert werden, um die legitimen Proteste zu kriminalisieren und Ängste zu schüren. Lasst sie nicht allein und zeigt Solidarität!
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