Das sogenannte Vermummungsverbot ist ein kulturkämpferisches Relikt aus der pränuklearen Epoche. Es wurde kurz nach dem ersten multinationalen Atomunfall in dieser Weltregion in die hiesigen Gesetzbücher gekippt, als die herrschende Ignoranz für einen Augenblick in flächendeckende Panik umschlug, und dazu gemacht diejenigen zu behindern die schon bei den Gesichtskontrollen des „kalten Krieges“ nicht mitmachten. Diejenigen die sich ihrem Atommüll schutzlos dargeboten fühlten wollten so ihre selbstverschuldete Unmündigkeit vergesellschaften.
Frankfurt am Main, 31.3.2011: Der Prototyp des Überfalls in der Schanzenstraße – bei einer autonomen Demonstration gegen Neoliberalismus treffen die Polizeischlägertrupps des hessischen Innenministeriums welche nach nordamerikanischem Muster parallel zur NSU-Vertuschung aufgestellt wurden erstmals auf eine ebenbürtige Anzahl unbedingt abwehrbereiter Demonstranten. Die sogenannten „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE)“, deren Aufstellung den Rücktritt eines hessischen Polizeidirektors aus Gewissensgründen im Angesicht seines Innenministers mit sich gebracht hatte, hatten zuvor lediglich aus Konfigurationen kräftemäßiger Überlegenheit heraus gegen verstreute Demonstranten etwa im Zusammenhang mit der Waldbesetzung gegen den Flughafen und dem Bildungsstreik an den Universitäten agiert. Viele Teilnehmer waren mit der Hoffnung gekommen einen notorisch unfairen Gegner endlich einmal kräftemäßig unterlegen zu erleben.
Tatsächlich war die Demonstration zu groß um einfach mit Schlägertrupps angreifbar zu sein, und berechtigter Zorn über die Alltagsauswirkungen der „inneren Führung mit äußerem Rückgratersatz“ – d. h. anstelle professioneller Seelsorge bei Gewissenskonflikten kollektive Anlehnung an importierte kulturindustrielle Stereotype welche sich in ihrem Herkunftsland aus einem selbstmörderischen Militarismus und einem wirtschaftlich vorherrschenden militärisch-industriellen Komplex speisen und deren Auswirkungen jedes menschliche Umfeld zu vergiften drohen – hatte in dem geschilderten Zeitraum kaum einen anderen Ausweg gefunden als sich immer weiter zu akkumulieren. Selbstverständlich machten viele Demonstranten bei der Gefahrenabwehr von ihrer Autonomie Gebrauch, sowie von der Einsicht dass diese Frühform von menschenverachtendem Totalitarismus mit zunehmendem Wucher um so schwieriger zu bekämpfen sein würde.
Die Polizeischlägertrupps versuchten in die Großdemonstration einzudringen und wurden erstmals in ihrem Bestehen zurückgedrängt, zur Freude der Menschen. Doch anstatt aus sich selbst heraus zu verstehen oder aber sich seelsorgerisch bewusst machen zu lassen dass sie schlichtweg ein ungeeignetes Werkzeug für den gewollten Zweck sind, so wie ein Knüppel ein ungeeignetes Instrument ist um sich die Schuhe zu binden oder zu lösen, verhielt sich der Führer der Schlägertrupps kriminell anstatt professionell, reagierte persönlich gekränkt anstatt fachlich erhellt, und befahl einen gewaltsamen Racheakt. Wenig später lauerte an einer unübersichtlichen Doppelkreuzung eine gesammelte Horde von Polizeischlägertrupps, die eine kleine Gruppe der großen Demonstration ruckartig von zwei Seiten einkesselten und vom flüssigen Verlauf abtrennten.
Die Führung der Demonstration war koordinatorisch nicht in der Lage darauf angemessen zu reagieren, genauer gesagt fand über die gesetzliche Aufsichtspflicht hinaus keine Führung statt, wie bei autonomen Demonstrationen üblich. Unverhofft verblieb eine kleine dreistellige Zahl von Demonstranten, diejenigen mit dem erkennbar größten Zusammenhalt zueinander, denn gerade danach war der Angriffspunkt ausgesucht worden, als hilflose Opfer in den Händen eigen- und fremdgefährdend gekränkter Schlägertrupps ohne jede Gewähr von Rechtsstaatlichkeit. Augenzeugen der Situation wie der Verfasser blickten in die fassungslosen Gesichter derjenigen welche sich noch nicht gewiss waren ob es ihnen gelungen war im letztem Moment dem brutalen Angriff zu entschlüpfen, in die von bizarrer Schadenfreude entstellten Fratzen der Schlägertrupps, und die in gespenstischer Stille Deportation und Folter Harrenden.
Die reaktionäre „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ geiferte tags darauf: Wenn die Knäste überfüllt seien solle die Polizei eben die Tierversuchslabore heranziehen gegen die dieselben Leute wenig zuvor ebenfalls protestiert hätten. Das ist unfreiwillig komisch, denn ganz gewiss hätte dasselbe Blatt jede Tiermaske als Vermummungsverstoß gedeutet, wenn es denn welche gegeben hätte, aber es verdeutlicht in seiner Absurdität den derartigen Konfrontationen zugrundeliegenden Konflikt: Die einen kommen aus einem Lebensalltag im dem man Karnevalsvereine wahlweise beim Wertstoffhof oder bei der Moschee abgeben kann, für die anderen sind sie der – unbewusste oder bewusste – Nabel ihrer Identität. Es geht also nicht um ein Vermummungsverbot, sondern um ein Vermummungsmonopol welches nach der Gewalt greift weil es mit sich selbst nicht mehr fertig wird.
Hinter der berühmten Parole „Ihr seid nur ein Karnevalsverein“ steckt mehr als nur oberflächlicher Spott sondern ein tiefer Einblick in eine seelsorgerische Krise. Die Karnevalsvereine dominieren die Kirchengremien und behindern die Seelsorger, welche wiederum gerade bei den besonders heiklen Berufsgruppen wie beispielsweise Polizeischlägertrupps ihrer Aufgabe nicht gerecht werden können, mit dem Ergebnis dass die Hackordnung der Karnevalsvereine die Rolle der Seelsorge übernimmt und es zu systematischen Gewaltexzessen kommt. Der berüchtigte Lagerkommandant Rudolf Höss soll angesichts von Übersetzungen alliierter Pressekommentare die zur Bombardierung der Transportwege nach Auschwitz aufriefen einmal erklärt haben, bzw. wurde von dem Neonazi Jürgen Rieger dementsprechend zitiert, wenn die Sondereinheiten der Polizei die Gleise sind die hierher führen dann sind die Karnevalsvereine die Schwellen auf denen sie liegen.
Kein Zweifel: Vermummung auf politischen Demonstrationen dient dem Personenselbstschutz gegen Kettenreaktionen und Spaltungsversuche. Die Absurdität von Vermummungsverboten wird in der Übertragung auf eine andere Alltagssituation offenkundig: Man stelle sich vor was geschähe wenn ein Polizeiauto auf der Autobahn plötzlich meint jeden der mit Blendschutz fährt rammen zu dürfen. Ein unfallfreier Sonnenauf- oder untergang würde undenkbar. Unfähig seinen Irrtum zu korrigieren würde es womöglich Verstärkung herbeirufen sobald sich herausstellt dass die gegnerische Knautschzone zu ausgeprägt ist um dagegen etwas zu erreichen. Oder es würde bereits unterhalb der Gewaltschwelle grenzwertig provozieren und sich vor irgendein Fahrzeug einordnen und versuchen dessen Fahrer allmählich zum synchronen Schlangenlinienfahren zu reizen bis es zu offener Gewalt kommt.
So könnte es im Straßenverkehr zugehen wenn ein gegen politische Oppositionelle aufgestellter Polizeischlägertrupp ersatzweise Vorfahrtachtung und Rücksichtnahme regeln würde. Seine Sprecher würden wahrscheinlich behaupten mit ihren Amokfahrten zu einer Erhöhung der Verkehrssicherheit beizutragen, denn in solchen Schlägertrupps finden sich diejenigen wieder die im Spektrum polizeilicher Aufgaben nichts weiter taugen und bereit sind ihre Negativauslese gegen die Realität aufzufassen. Unter dem Vorwand der Ordnungsmacht hat sich hier eine offiziell geförderte Form von Bandenkriminalität ausgeprägt über die ein berühmter europäischer Musiker einmal sagte, man bekommt davon das Bedürfnis die Polizei rufen bis man feststellt dass es die Polizei ist.
Wer vom seelischen Pflegenotstand der die Bundesrepublik Deutschland dominiert nicht reden möchte der sollte vom Extremismus schweigen. Denn ersteres ist eine traurige Realität, der besser damit abgeholfen wäre wenn eine Polizeiführung verkündete sie könne einem politischen Auftrag nicht erfüllen weil ihr unverzichtbare Komponenten fehlen, letzteres eine leere Totschlagsphrase die jeden treffen kann der darauf beharrt im Sinne seiner Rechtsposition den vollständigen Rechtsweg auszuschöpfen. Freilich wäre eine Installation von separaten Polizeiseelsorgern nach dem Vorbild der Militärseelsorger nicht hilfreich – spätestens die Gewaltenteilung, wenn nicht bereits die Säkularisation erfordert dass diese Aufgabe aus der Gesellschaft heraus geleistet wird, weil sie nur so ausgewogen und unabhängig ausgeübt kann. Gelingt dies nicht, dann lässt es erkennen dass eine Institution nicht gesellschaftlich getragen wird und somit nicht machbar ist.
Selbst der reaktionäre Historiker Heinrich August Winkler muss in seinen Schriften über den sogenannten „preußisch-bayerischen Bruderkrieg“ einräumen dass es sich in Wirklichkeit um einen Bürgerkrieg handelte, dessen emanzipatorisches Erbe an die Pariser Kommune überging, weil in Deutschland im Sinne der reaktionären Staatsideologie der Bürgerkrieg die Form eines landmannschaftlichen Konflikts annimmt. Wer Gewalt – und damit ist tatsächliche Gewalt gemeint, wie etwa eine Massengeiselnahme, nicht die klare politische Opposition gegen totalitäre Formen von Staatlichkeit – ernstlich bekämpfen möchte kann mit einem Polizeischlägertrupp schlichtweg nichts anfangen – um es auf dem Niveau eines Karnevalsvereins zu erklären, das ist so wie wenn man für eine Zahnbehandlung Ölmanager einsetzen würde weil die ja auch was von Löchern verstehen.