Ein Gruß aus der Zukunft | Mitteilung des ..ums Ganze!-Bündnis zum Verlauf der G20-Proteste in Hamburg

zukunft
Alles zum G20-Gipfel 2017 auf Indymedia linksunten

Es ist ja nicht so, dass sie es nicht versucht hätten. Wie kaum zuvor haben „Sicherheitsbehörden“ und etablierte Politik zum G20-Gipfel aufgeboten, was dem bürgerlich-demokratischen Staat so an repressiven und ideologischen Apparaten zur Verfügung steht, um Proteste klein und die Lage unter Kontrolle zu halten. Erst mediale Einschüchterung, Camp- , Einreise- und Übernachtungsverbote, Aufhebung der Versammlungsfreiheit und Polizeiputsch gegen die Justiz, Militarisierung der Polizei, Spaltung des Protestes durch die Grünen, die während des Gipfels eine Kundgebung organisierten, die sich ausdrücklich nicht gegen diesen richtete und zum „Haltung zeigen“ für „unsere Lebensart“ aufrief.

 

Dann während des Gipfels fast 20.000 Polizisten mit dem Berufssadisten Dudde als Einsatzleiter, dutzende Wasserwerfer, Räumpanzer, Pferde- und Hundestaffeln, Massenverhaftungen, Hubschrauberflatrate und Sondereinsatzkommandos mit scharfen Waffen, die in einer Brutalität gegen linke Camper*Innen, autonome Demonstrant*Innen, Viertelbewohner*Innen, Journalist*Innen und Sitzstreiks von Geflüchteten vorgingen, dass es schon dutzende Schwerverletzte gab, bevor der Gipfel überhaupt begonnen hatte – und ein Wunder ist, dass niemand ums Leben kam. Mit anderen Worten: Der Polizeieinsatz zum G20-Gipfel war tatsächlich ein „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ (Andy Grothe, SPD), das uns einen direkten Blick auf die autoritäre Wende des Neoliberalismus im Herz des europäischen Kapitalismus eröffnet hat. Allein: Es hat alles nichts genützt.

 

Wo der Innenminister angekündigt hatte, man werde jede Militanz „im Keim ersticken“ knallte es stundenlang – und dass mit einer Beteiligung und Freude, wie es sie lange nicht mehr gab. Wo er ankündigte, dass man keine „verbotenen Symbole“ dulden werde um seinem Geschäftspartner in der Flüchtlingsabwehr, dem lupenreinen Demokraten Erdogan, zu gefallen, wurde eine riesige PKK-Fahne auf der Großdemo stundenlang quer durch die Hamburger Innenstadt getragen. Wo die herrschenden Charaktermasken mit Nachdruck dazu aufrief, dass man sich bitte nicht mit den Linksradikalen gemein machen solle, kamen „trotz und wegen“ der Randale am Freitag über 80.000 Menschen auf die gemeinsame Abschlussdemo am Samstag. Während dessen waren auf der Regierungsdemo weniger als 5000 Menschen. Und während der Betrieb des wichtigsten deutschen Hafens zu „jeder Zeit gewährleistet“ sein sollte, braucht die Betreibergesellschaft nun fast drei Tage um den „blockadebedingten Rückstau“ aufzulösen. Diese Aufzählung könnte man fortsetzen, was bleibt ist: Die Strategie des rechten SPD-Senates, den Protest durch teilweise Integration zu spalten und den radikalen Rest mit Kriminalisierung klein zu halten, ist gescheitert. Die Eskalationsspirale, an der die Polizeiführung in einem selbst erklärten Ausnahmezustand so munter tagelang gedreht hat, ist ihr mit Karacho um die Ohren geflogen. Daran zeigt sich auch der Erfolg vergangener Bewegungen in Hamburg, der sich in einer Stimmung ausdrückte, die den beliebten Slogan „ganz Hamburg hasst die Polizei“ häufig erstaunlich wenig aufgesetzt wirken ließ. Durch die Vielfältigkeit von Aktionsformen und Spektren ist es zumindest kurzzeitig gelungen, gegen den inszenierten Showdown zwischen autoritärem Neoliberalismus und nationalistischem Rollback endlich wieder die dritte Option eines grenzübergreifenden Widerspruchs auf die Tagesordnung der Weltöffentlichkeit zu setzen. Das ist mehr als ein taktischer Sieg, denn damit wurde zugleich die heuchlerische Inszenierung des Exportweltmeisters Deutschland als „Hort von Vernunft und Demokratie“ durchkreuzt.

 

Die Vielfalt der Aktionsform hat sich dabei praktisch ergänzt, auch wenn das einige lieber nicht so laut sagen wollen. Denn ohne militante Aktionen an anderer Stelle, die viel Polizei gebunden haben, wären wohl weder die Blockadefinger noch die Hafenblockade so relativ erfolgreich gewesen. Inhaltlich haben die verschiedenen Aktionen, wie die Blockaden der Gipfelteilnehmer, der Bildungsstreik und die Blockade im Hafen zudem tatsächlich das Bild eines #HamburgCityStrike ergeben, dem es um mehr als nur das Rütteln am Zaun der Mächtigen ging: Nämlich um die Kritik kapitalistischer Herrschaft als Ganzer. Für unseren Teil können wir sagen, dass die Logistik einer Gesellschaft in der Menschen ertrinken müssen, während Waren frei fließen dürfen, nicht nur blockiert gehört, sondern erfreulicherweise auch blockiert werden kann. Wie eine antikapitalistische Praxis aussehen kann, die an diese Erfahrung anknüpft und die Logistik des Kapitals mehr als nur symbolisch unterbricht, darüber wird nun in der nächsten Zeit zu reden sein. Nicht vergessen dürfen wir auch all jene Freund*Innen, die nun immer noch im Gefängnis sitzen bzw. im Krankenhaus liegen: Unsere Solidarität ist euch sicher.

 

Natürlich: Auch dieses Mal waren hier und da Spinner am Start, die an Stelle einer Kritik des Kapitalismus lieber reaktionäre Feindbilder und antisemitische Verschwörungstheorien verbreiten, aber sie haben – auch wegen der Präsenz der radikalen Linken – die Proteste nicht geprägt. Im Gegenteil: Wenn es darum geht den nationalistischen Kitt, der diese Gesellschaft wie kaum ein anderer immer noch zusammenhält, auf breiter Front antikapitalistisch zu zersetzen, dann war der kleine Hamburger Aufstand ein Schritt nach vorne. Das gilt, obwohl während der militanten Aktionen auch viel Macker-Scheisse passiert ist; welchen Sinn es etwa haben soll Kleinwagen anzuzünden und Unbeteiligte zu gefährden erschließt sich uns nicht. Hier ist Manöverkritik angesagt. Die bloße Eskalation des sozialen Konfliktes taugt zudem nicht als Ziel einer radikalen Linken, weil es am Ende auf die immer gleiche Zuspitzungsphantasie hinausläuft, die mit ein paar Gewaltbildchen schon ganz zufrieden ist. Wer sich außer dem finalen Zusammenbruch und der Brutalisierung des Konfliktes nichts mehr vorstellen kann, der hat sich im selbsterklärten Außen der Gesellschaft schon zu gut eingerichtet. Am Ende des Tages ist jeder Riot nur so gut, wie die gesellschaftliche Organisierung und deren Verankerung im Alltag, die dahinter aufscheint. Auch das hat Hamburg gezeigt. Aber: Dass der soziale Konflikt, wenn er die Straße erreicht, eben nicht nach dem Lehrbuch aus dem Politikunterricht abläuft, das gilt umso mehr, wenn – wie im Hamburger Schanzenviertel am Freitagabend geschehen – aus politischer Militanz ein soziales Ereignis wird. Das heißt: Wenn die Kids aus dem Viertel gemeinsam mit Aktivist*Innen aus ganz Europa eben jenen Bullen, die beide aufs übelste drangsalieren, mal zeigen, dass das Blatt sich auch – zumindest für ein paar Stunden – wenden kann, wenn der hochgerüstete Sicherheitsstaat mal ein wenig die Kontrolle verliert, dann ist das gut und nicht schlecht. Hoffnung ist tatsächlich immer aus Rebellion entstanden, aber für die gab es vorher nie eine Genehmigung von Oben. Die Frage, wie man „so etwas“ in Zukunft verhindern und den Protest möglichst keimfrei gestalten kann, überlassen wir daher gern den Bürokrat*innen des Bestehenden auf beiden Seiten der Barrikade. Denn verwunderlich ist weniger, dass es knallt, als dass es das gemessen am herrschenden Wahnsinn viel zu selten tut. Und trotz einiger idiotischer Manöver haben die Aktionen in Hamburg unter dem Strich gezeigt, dass es auch die richtigen treffen kann.

 

Ganz abgesehen davon, dass die Krokodilstränen jener Medien, die sonst bei jeder Gelegenheit über eine angeblich „asoziale Unterschicht“ herziehen und die nun ganz betroffen darüber tun, dass auch das Fahrrad eines Hartz-Empfängers oder das Auto einer Rentnerin in Mitleidenschaft gezogen wurde, offensichtlich ein schlechter Witz sind. Anstatt Kopfnoten für den „richtigen Protest“ zu verteilen, sollte die radikale Linke sich daher lieber Fragen, wenn sie eigentlich erreichen will: Die braven Bürger*Innen bzw. Hilfspolizisten, die es gar nicht abwarten konnten im Blitzlichtgewitter am Sonntag die Mühltonnen wieder aufzustellen, die während der Randale umgeworfen wurden? Oder die Zehntausenden, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise deutlich gemacht haben, dass sie nicht vor dem Gewaltmonopolisten kuschen?

 

Auch dass einige Spießer in linken Parteien und NGOs sich nun mit Distanzierungen überschlagen sollte niemanden verunsichern. Nicht zu verstehen, dass gerade „Straftaten“ das Protestmittel der Machtlosen sein können, genau dafür werden sie ja bezahlt. Wer von denen, die dicke Gehälter kassieren um in Talkshows zu sitzen, während sich andere ganz unentgeltlich für die Sache verprügeln lassen, „Respekt“ erwartet, der kann lange warten. Auch wenn sie immer davon reden, dass der „soziale Friede“ längst aufgekündigt sei: Sie werden sich nur bewegen, wenn wir so stark sind, dass wir sie dazu zwingen können. Gleiches gilt für die geifernden Reaktionen der Bundespolitiker*Innen, die doch nur zeigen, wie sehr der Radau sie erschreckt hat, in dem sie nun ernsthaft mit Relativierungen des Nationalsozialismus und absurden Terrorismusvorwürfen um sich werfen. Harmlos ist das trotzdem nicht. Denn es zeigt den Rechtsruck einer Gesellschaft an, die beim Anblick eines brennenden Autos in kollektive Hysterie verfällt, es aber ganz locker wegsteckt, tausende Menschen direkt vor ihren Grenzen elendig verrecken zu lassen. Mit diesem Empörungsdiskurs wird außerdem eine innere Aufrüstung flankiert, die mit bewussten Falschmeldungen der Polizei, Denunziationsaufrufen in Boulevardmedien und der Hetze gegen linke Zentren beginnt, aber da nicht enden wird. Forderungen nach Gesetzesverschärfungen und Sonderkommissionen sind schon unterwegs und es wäre wirklich eine Überraschung, wenn die schlechten Verlierer bei Polizei und Geheimdienst nicht noch vor der Bundestagswahl versuchen würden, sich mit einer Welle von Verfahren und Hausdurchsuchungen gegen Linke für ihre Niederlage zu revanchieren. Aber der Weg in den Autoritarismus beginnt nicht mit Randale, sie macht nur deutlich, wie weit sich die bürgerliche Mitte schon von ihren eigenen Regeln und Grundrechten entfernt hat. Ganz sicher ist jedenfalls: Der Rechtsruck wird nicht durch Anpassung an ihn zurückgeschlagen werden.

 

Lange Rede, kurzer Sinn: Ob es richtig ist, die Friedhofsruhe im Herzen des europäischen Krisenregimes zu durchbrechen, war für uns schon vor dem Gipfel keine Frage. Dass es möglich ist, haben die G20-Proteste praktisch bewiesen. Klar ist nun zwar auch: Die Zeiten werden härter, die Polarisierung nimmt zu. Aber als Gesellschaftskritiker*Innen wissen wir ja: The only way out is – through.

 

https://umsganze.org/gruss-aus-der-zukunft/

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Gibt es eine Quelle für die 3 Tage Rückstau im Hafen durch die Blockaden? Bzw. allgemein zu Auswirkungen durch die kurzfristige Blockade der Straßenwege? Einfach um genauer einschätzen zu können, wie anfällig diese Just in Time-Produktion für solche Aktionsformen ist. Konnte dazu bisher (neben diesem Text) nur eine entsprechende Behauptung in einem Titel eines Leftvision-Videos finden.

Vielleicht sind unter den Links Zeitrafferbilder des Hamburger Hafens zu finden -> http://www.openseamap.org

 

Erfahrungsberichten nach wirkt sich das immer rechts schnell, recht krass aus. Ein Aktivist erzählte mal das sein Sohn der als Schiffsmechaniker arbeitet ihm von den tagelagen Staus nach den Hafenblockaden Ende 2011 in Oakland erzählte - das es Rückstaus bis nach Asien gab.

... kleine Lektür für dich Landratte
https://de.wikipedia.org/wiki/Seemannsgarn

"Die Betriebe im Hamburger Hafen, wo es am Freitagmorgen ebenfalls zu einer Protestaktion kam, werden mehrere Tage benötigen, um die Verzögerungen durch die Verkehrsbehinderungen am Freitag aufzuholen. Das sagte ein Sprecher des Hafenkonzerns HHLA."

 

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/gewalt-gegen-g20-gipfel-hamb...

ähhh vorsicht UG,. bevor hier in il-manier zu frph gefeiert wird.

 

am freitag war nicht durch euch, sondern durch die bullen für stunden die gesamte innenstadt inklusive autobahn zugestaut oder direkt unpassierbar.

 

das dürfte einen eigenen anteil haben.

Dies ist der erste mir bekannte Text zu den Ereignissen in Hamburg der erfolgreich und mit dem nötigen verstand analysiert.

Danke

Zudem reimt sich das Ende auch noch so wunderbar: "Die Zeiten werden härter, die Polarisierung nimmt zu. Aber als Gesellschaftskritiker*Innen wissen wir ja: The only way out is – through."

Hi UmsGanze, guter Beitrag, mal kaum Distanzierung vom ineinander greifenden gemeinsamen Widerstand - Blockaden und BlackBlock Action.

Die Passage die mit "Natürlich: Auch dieses Mal waren hier und da Spinner am Start, die..." sollte aber wie folgt umformuliert werden. Geht das noch, oder ist euer Auswertungspaper schon die Endfassung?

 

Natürlich: Auch dieses Mal waren hier und da Spinner am Start, die an Stelle einer Kritik des Kapitalismus und des Metropolenchauvinismus  lieber rassistische Feindbilder und Theorien zur Rettung des Abendlandes verbreiten sowie lieber Spaltung des übergreifenden Widerstands anstelle eines gemeinsamen Kampfes versuchen zu provovzieren.
Aber diese proimperialistischen selbsternannten "Antideutschen" haben  – wegen der Präsenz der radikalen Linken auch aus verschiedenen Ländern Europas und weltweit – die Proteste nicht geprägt. Im Gegenteil: Wenn es darum geht den chauvinistischen Kitt, der diese Gesellschaft wie kaum ein anderer immer noch zusammenhält, auf breiter Front antikapitalistisch und internationalistisch zu zersetzen, dann war der kleine Hamburger Aufstand ein Schritt nach vorne.

Kaum ist der Gipfel durch, geht es wieder los. Haben wir ja auch währenddessen gesehen, dass gegeneinander zu arbeiten am Besten ist.

Spaltung ist genau das, was wir bei dem zu erwartenden Repressionsdruck grade brauchen.

Top.

https://linksunten.indymedia.org/de/node/217788
"Auch Ums Ganze hat sich letzten Endes an diesem Camp beteiligt. Eine öffentliche Kritik, Distanzierung oder Ausladung der Israelhasser_innen gab es von den sonstigen Campgruppen nicht. Immerhin gab es einen Offenen Brief gegen Antisemitismus und ein entsprechendes Transpi auf dem Dach der Roten Flora. Dennoch konnten sich die Antisemit_innen
wie die Fische im Wasser in den linken Protesten tummeln und die großen Bündnisse (IL, UG) schweigen wie seit Jahren gewohnt zum linken Judenhass. Ein fortwährender Skandal, dem weiter mit vehementer Kritik begegnet werden muss."

Ich hätte von Ums Ganze auch nichts anderes erwartet als das übliche nicht verhalten dazu

gekrampft wirkende Versuche eine neue Einheitsfront zu schaffen lassen nun mal keinen Dissens im Bezug auf Israel zu, welcher über ein paar böse Blicke hinaus geht

 

zudem finde ich den Text eher lächerlich als alles andere ich hoffe die Menschen von uG reflektieren selbstkritisch ihren eigenen Aktionskonsens und stellen sich dann die Frage ob es ihnen wirklich zusteht sich urteilend über die militanten Aktionen beim Gipfel zu stellen

bin total beeindruckt, dass nach dem vielfach zu lesenden dummen Gewäsch auch ein Text entstehen kann, der sich der von außen herangetragenen Verblödung verweigert und mit einer guten ersten Analyse zu den siegreichen Tage von Hamburg aufschlägt.