Vorweg: Eigentlich wollen wir keinen theoretischen Beitrag zum Verhältnis „der Linken“ „zur Militanz“ leisten. Denn diese Debatte wird uns aufgezwungen, diesmal noch mehr als die – wieviele eigentlich? – Male zuvor. Wir arbeiten vorwiegend zu anderen Themen als G20, wir arbeiten unter Bedingungen, die über kurz oder lang zur Identifizierbarkeit nicht nur durch die Staatsmacht, sondern durch den ganzen Ort führen. Einen Ort, der keine Szene bietet, in die wir uns, und sei es nur vorübergehend, zurückziehen könnten. Wir richten unsere politische Praxis an diesen Bedingungen aus, und die Frage, ob „punktuell dem Staat die Kontrolle abgenommen werden kann“(1), stellt sich uns in dieser Praxis nicht. Wir sind damit in der Debatte auch voreingenommen, denn konkret hier und jetzt sind wir darauf angewiesen, das, was wir tun, vermitteln zu können.
Nun sind wir durch die mediale Präsenz der Ereignisse gezwungen, uns zu verhalten. Und wir haben zunächst festgestellt, dass dieses Verhalten nach außen zwischen einem mühsam verschleierten „Whataboutism“ („… aber die Polizei …“) und einem merkwürdigen Verfassungskonservatismus („… jetzt den Angriff auf die Grundrechte abwehren …“) schwankt. Zur gleichen Zeit beklagen sich Genoss_innen aus Zusammenhängen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen an der Samstagsdemo beteiligt haben – und die sind durchaus nicht alle legalistisch unterwegs – darüber, die von ihnen angestrebte Öffentlichkeit nicht mehr erreicht zu haben, ohne dass wir widersprechen könnten. Kurz gesagt: was an Erklärungen angeboten wird, überzeugt nicht mal uns selbst.
Bei der Bewertung zeigen sich nach unserer Wahrnehmung vor allem zwei Lager (wobei wir sowohl die kategorische Ablehnung von Militanz als auch die reine „ist schlechte PR-Fraktion“ bewusst außen vor lassen) :
1.
Militante Aktionen müssen einem konkreten, u.U.
auch nur symbolischen Zweck erfüllen
oder
2. Sie sind gerechtfertigt als radikaler Bruch mit den bestehenden Verhältnissen („Wir tun es für uns, nicht für andere“)
Die erste Variante kann angegriffen werden mit ihrem kaum übersehbaren Bezug auf die instrumentelle Vernunft, ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu kapitalistischen Effizienzkriterien, was die zweite Variante mit der radikalen Negation jeglicher unmittelbarer Zweckbindung, jeder Erklärbarkeit, auch tut. Beide übersehen aber einen entscheidenden Punkt: sie versuchen jeweils, ein abstraktes, von den konkreten Verhältnissen getrenntes Kriterium für die Form von Widerstand zu geben. Die Veränderung der Verhältnisse, die von gewonnenen und verlorenen Kämpfen bestimmt wird, gerät als Kriterium für das eigene Handeln aus dem Blick. Nach unserem Eindruck geht hier gerade ein Kampf verloren. Auch wenn noch nicht entschieden ist, wie weit Repression und weiterer Ausbau präventiver Aufstandsbekämpfung gehen werden, absehbar ist, dass sich (auch) in Konsequenz der Ereignisse um den G20 die Bedingungen für linksradikale Politik weiter verschlechtern werden. Dass uns das, wie oben beschrieben, in eine merkwürdig defensive Position bringt, ist das eine. Entscheidender ist, das nicht auch noch in der innerlinken Diskussion auf Gedeih und Verderb als Erfolg verkaufen zu müssen.
Wir brauchen keine abstrakte Debatte um Militanz, wir brauchen die Fähigkeit, Bedingungen und Möglichkeiten unserer Kämpfe konkret – auch in ihrer Unterschiedlichkeit - zu verstehen und unsere Praxis daran auszurichten.
Einige Genoss_innen vom Land
(1) STAAT, POLIZEI, RIOT UND DIE LINKE - THESEN ZU HAMBURG, achtermai, https://linksunten.indymedia.org/de/node/217788
...
merkwürdigen Verfassungskonservatismus („… jetzt den Angriff auf die Grundrechte abwehren …“)
Alter, bist du priviligiert??? Von welchen Grundrechten redest du?
Denen,...
die auch du Ignorant hast, ohne es zu bemerken.
Mal son paar Gedanken
Du sprichst von verlorenen Kämpfen. Und weiter "wir brauchen die Fähigkeit, Bedingungen und Möglichkeiten unserer Kämpfe konkret ... zu verstehen und unsere Praxis daran auszurichten".
Jetzt mal bildlich gesprochen: Also erst schießen, dann fragen?!
In der Vergangenheit gab es durchaus ausgeartete Konflikte der militanten linken Szene (man denke nur mal an Rostock). Medial erwirkte die damalige Aktion zwar viel punktuelle Aufmerksamkeit, verschwand aber wieder schnell aus den Köpfen der Leute. Warum?
Diese Frage ist einerseits recht leicht und linear zu beantworten, nämlich dass es eine Tendenz hin zur orwellschen Gesellschaft. Es wird immer mehr darauf hinauslaufen, dass die Gesellschaft nach innen immer friedlicher wird. Es geht aber auf Kosten Derer, die da NCHT mitgehen wollen und für ein anderes Gesellschaftsmodell eintreten. Diese Abweichler bekämpft das System mit aller zur Verfügung stehender Macht. Dass dabei, über die bereits in diesem Staat niedergeschiebenen, Bürgerrechte ausgehöhlt werden war anfangs der Gesellschaft nur schwer vermittelbar, jedoch (der Mensch ist ein Gewohnheitstier) erzeugt das ständige Wiederholen der orwellschen Thesen irgendwann einen Rahmen an Toleranz gegenüben dem Unrecht. Andererseits ist die Frage aber auch schwer zu beantworten, dahingehend, warum der Mensch als Individuum mehrheitlich so tendiert. Hier sollte die linke sich mal der Wissenschaft konkret der Sozialwissenschaft und der Psychologie zuwenden und Antworten auf soclhe Fragen zu ergründen.
Schaut doch z.B. mal in die USA. Regt sich ernsthaft mal jemand auf, dass 1% der Bevölkerung da im Knast sitzt, geschweige denn tritt er politisch dafür ein die Zustände zu verbessern? Dem Nicht im Knast sitzenden Wähler ist es furz-egal, wer da unter welchen Umständen im Knast sitzt. Der wird schon selbst Schuld dran haben - sagen sich die meisten. Auch hierzulande ist ein Trend hin zur mir-doch-egal-Haltung gegenüber Menschen die sich in einer schwächeren gesellschaftlichen Position befinden erkennbar.
Oder schaut mal nach Lateinamerika - Kein Monat ohne irgendwo ein Gefängnisaufstand. Dass den Leuten da die Köpfe bestialisch abgeschnitten werden, dringt nicht mehr bis zu uns durch. Aufstand ist Aufstand - die haben ja selber Schuld. Die Gesellschaft verroht und wird tolerant gegenüber dem Unrecht.
Etwas persifliert dargestellt, kann man sich in dem Hollywood-Streifen "Demolition Man" ja ganz gut ausmalen, wohin die Gesellschaft sich wohl entwickeln wird. Abscheu gegenüber physischer Gewalt auf Seiten der gemeinen Bevölkerung, ja es geht sogar so weit dass mangels praktischer Erfahrung nichtmal die Ordnungskräfte mehr in der Lage sind "Gewalt" anzuwenden, eine durch Gesetze verordnete Askese und ein allumfassendes elektronisches sofort wirksames Bespitzelungsnetzwerk. Das geht alles auf Kosten Derer, die sich diesem gesellschaftlichem Diktat nicht unterwerfen wollen. Diese sind gezwungen ein Leben in der Schattenwelt zu führen und genießen bei den Leuten der feinen Gesellschaft nur Verachtung, Abscheu und Unverständnis. Und ratz fatz sind sie als Terroristen gebrandmarkt. Es gibt viele solcher Visionen - manche sicherlich aberwitzig - manche aber eben auch genau zutreffend.
Da passt es doch nur zu gut ins Bild was der CDU-Tauber letzte Woche in einem Twitter-Disput einem Fragesteller mit einer Arroganz und Überheblichkeit antwortete. Medial wurde das schön unter den Teppich gekehrt (gut, es war wohl ein AFD-Sympatisant, was bei Beantwortung der Frage aber noch nicht zur Debatte stand, geschwege denn die inhaltliche Aussage der Frage an den Herrn Tauber. Es ist genau dieses menschanverachtende Weltbild dass der politischen Führung und auch den meisten Menschen denen es hierzulande recht gut geht innewohnt. Ne bessere Steilvorlage um in eine politische Diskussion zu treten kann es doch kaum geben. Die Antwort auf dieses menschenverachtende Weltbild darf aber seinerseits nicht ein menschenverachtendes Handeln der Demonstranten zur Folge haben, auch wenn innerlich dem Ein oder Anderen sich zwanghaft die Faust in der Hosentasche ballt. Wenn dann hätte diese Faust Herrn Tauber persönlich treffen müssen und nicht den Bewohnern im Kiez.
Wenn die linke (nicht die Partei) etwas an den jetztigen Zuständen ändern will, geht das nicht mit der Methode Kopf-durch-die-Wand. Es kann keine Revolution gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchgeführt und auch nicht begründet werden. Dafür gibt es historisch genügend Beispiele. Die Gesellschaft kann nur mitgenommen werden, wenn sie mehrheitlich anerkennt, dass da was gesellschaftlich im Argen liegt. Das kann sie aber nur, wenn sie über die Missstände informiert ist. Die Mehrheitsgesellschaft interessiert sich nicht für die Probleme einzelner anderer Personen. Es ist genau das was die Schwierigkeit dieses Unterfangens ist und damit den Erfolg linken Denkens und Handelns ausmacht und begründet, der Gesellschaft die Augen für den größeren Zusammenhang der weltweiten Geschehnisse zu öffnen. Aufklärung ist doch auch historisch betrachtet ein zu tiefst linkes Anliegen.
Was bringt es da den eigenen Kiez zu zerlegen? Was bringt es da sich über "Kämpfe" den Kopf zu zerbrechen?
Demonstriert doch mal in den Reichenviertel - da wohnen Die, die Entscheidung treffen und Die, die für Euch nur Kopfschütteln übrig haben.
Aber viel wichtiger - findet eine argumentative Linie, die eine gesellschaftliche staatspolitische Umstrukturierung wirklich begründen und artikuliert diese.
Setzt euch doch mal mit dem einen Prof der FU Berlin, der regelmäßig keine Möglichkeit auslässt, linkes Denken auf eine Stufe mit Terroristen zu stellen, auseinander und fragt ihn dochmal was seine Motivation ist, und vielleicht auch seine Sichtweise innergesellschaftlicher Spannungen in diesem Lande zu lösen. Ja - die linke befindet sich mehr denn je in der argumentativen und gesellschaftlichen Defnesive. Genau darin liegt aber auch eine Chance, da die Aufmerksamkeit ja nun gesellschaftlich da ist (wenn vielleicht auch nicht unbedingt aus linker Perspektive). Die Benennung der Probleme ist das eine, eine Lösung zu finden, die mehrheitlich akzeptiert wird das Andere.
Gelingt das nicht, wird linkes Denken und Handeln in naher, mittlerer oder ferner Zukunft wohl mit dem Mittel des Freiheitsentzugs geahndet werden. Wie gesagt - nach den im Knast sitzenden kräht kein Hahn - wie unschuldig auch immer. Und ja - das GG beinhaltet durchaus eine Möglichkeit zur "Abwicklung"
jenes Gleichen. Tut also nicht so, als wäre kein demokratischer Weg möglich!