Die Forderung nach einem wirksameren Schutz für Polizei wird in letzter Zeit immer häufiger von Politikern, u. a. von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) [1] und von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) (gdp.de) vorangetrieben.
Kritik an der bürgerlichen Berichterstattung - Ausmaße „linker
Gewalt“ gegen Polizisten übertrieben
Insbesondere nach Großdemonstrationen wie der 1.-Mai-Demo in Berlin gäbe
es hohe Verletztenzahlen unter Polizeibeamten, behaupten die Vertreter
„wirksameren Polizeischutzes“. Als Beleg werden beispielsweise die ca.
440 verletzten Polizisten nach dem 1. Mai 2009 in Berlin angeführt.
Jedoch mussten von den verletzten Beamten der Berliner Polizei lediglich
„19 ambulant im Krankenhaus behandelt werden, 21 Beamte konnten ihren
Dienst nicht fortsetzen“.
Selbst die zum Axel-Springer-Konzern gehörende Berliner Zeitung (BZ) schreibt:
„Die Polizei hob hervor, dass es häufiger vorkomme, dass Beamte
erst Stunden oder gar Tage später Verletzungen feststellen.“ [Artikel
auf bz-berlin.de, 04. Mai 2009]
Hier wird klar, dass es sich überwiegend um kleine Prellungen oder
Ähnliches handelt und nicht um schwere Verletzungen. Zudem ist aus
diesen Zahlen in keiner Weise ersichtlich, dass es sich um von „Linken
Chaoten“ zugefügte Traumata handelt. Genauso gut könnten sie durch außer
Kontrolle geratene Polizeihunde oder Missgeschicke der Beamten
verursacht worden sein.
Auch die neue Kriminalitätsstudie des Kriminologischen
Forschungsinstitus Niedersachsen wird oft zur Untermauerung der These,
dass die Linke Gewalt stark zugenommen habe, herangezogen.
Die von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (Erinnert ihr euch?
Er hatte bis März dieses Jahres versucht, unserem Genossen
Aram die Einbürgerung zu verweigern, weil dieser nicht in sein
politisches Weltbild passte) in Auftrag gegebene Studie, die sich mit
dem Gewaltanstieg gegen Polizisten im Zeitraum von 2005 bis 2009
befasst, beschreibt in der ausführlichen Fassung ihre Vielzahl
Limitationen, die eine Wertung als repräsentative Studie ausschließen.
Als Beispiel sei hier genannt, dass die Teilnahme freiwillig über einen
online auszufüllenden Fragebogen ablief und daher Beamte, die selber
Opfer solcher Straftaten geworden sind und daher ein besonderes
Interesse an der Studie haben, höchstwahrscheinlich überrepräsentiert
sind.
Die bürgerlichen Medien verfuhren anscheinend nach dem Prinzip „Bad news
is good news“ und verbreiten die in der Kurzfassung der Studie
vermutete Zahl von 60,1% Gewaltanstieg gegen Polizeibeamte. Dabei ist im
Resumée der ausführlichen Fassung von „30 bis 50 Prozent“ Anstieg die
Rede.
Das Springer-Blatt Welt titelte wie
gewohnt sachlich und differenziert: „Beschimpft,
bedroht, geschlagen - Gewalt gegen Polizisten nimmt dramatisch zu.“
Der sprichwörtliche Vogel wird hier abgeschossen, als der Autor Martin
Lutz schreibt:
„Der Studie zufolge gehen fast drei Viertel der schwer verletzten
Polizisten auf das Konto linksextremer Demonstranten.“
Hier beweist er seine geballte journalistische Kompetenz, denn diese
Aussage ist schlichtweg falsch. Auf Seite 18 der Studie ist zu lesen,
dass 8,4 Prozent aller als schwer verletzt geltenden Polizisten (d. h.
alle Beamten, die wegen einer Verletzung mindestens sieben Tage
dienstunfähig waren), bei Demonstrationen verletzt wurden. Bereits hier
sollte den LeserInnen auffallen, dass es kaum möglich ist, dass ca. 75%
der Schwerverletzen von linksextremen Demonstraten verursacht sein
worden können, wenn nur 8,4% überhaupt im Rahmen einer Demonstration
verletzt wurden.
Fakt ist, dass es in Wirklichkeit um drei Viertel von diesen 8,4% geht,
also gerade mal 6,2%.
Doch genug der Statistik. Wer sich eingehender mit der unsachlichen
Berichterstattung über diese Studie befassen möchte, sei der kritische Beitrag auf
bildblog.de ans Herz gelegt.
Was bringt die Strafverschärfung?
Selbst in Fällen, in denen die Polizei Angriffen ausgesetzt ist, so ist
sie keineswegs so schutzlos, wie es häufig dargestellt wird.
Der Jurist Udo Vetter, Fachanwalt für Strafrecht und Lehrbeauftragter an
der Fachhochschule Düsseldorf, schreibt,
dass schon für den einfachen Widerstand bis zu zwei Jahre Gefängnis
drohen. „Dafür muss, das sei betont, der Beschuldigte keinem
Polizisten auch nur ein Haar gekrümmt haben.“
Er schreibt weiter:
“Schon für die einfache Körperverletzung, das kann eine Ohrfeige
sein, können bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe verhängt werden. Handeln
mehrere Täter gemeinsam oder ist ein gefährliches Werkzeug (bei Tritten
reicht ein Turnschuh) im Spiel, gilt bereits heute eine Mindeststrafe
von sechs Monaten. Die Maximalstrafe beträgt zehn Jahre Gefängnis. Bei
schweren Taten, zum Beispiel wenn es zu bleibenden Schäden kommt, gelten
Mindeststrafen von drei Jahren.“
Bundesjustizministerin
Sabine Leutheuser-Schnarrenberger [2] meint hierzu: „Gerade im
Bereich der Körperverletzungsdelikte haben wir einen ausgewogenen und
abgestuften Schutz, der für alle Menschen gleichermaßen gilt.“ Es
werde „kein Zweiklassenstrafrecht geben, das die Unversehrtheit
von Polizisten höher bewertet als die von Bauarbeitern oder
Bankangestellten.“
Die GdP
fordert aber seit Januar diesen Jahres genau dieses
Zweiklassenstrafrecht [3]. Sie verlangt die Einführung des § 115 StGB [4], der tätliche
Angriffe auf Polizeibeamte auch besonders unter Strafe stellen soll,
wenn diese nicht während einer Vollstreckungshandlung begangen werden.
Eine Bestrafung wegen Körperverletzung (§224 StGB), die in
schweren Fällen (§226
StGB) bis zu 10 Jahre Freiheitsstrafe nach sich ziehen kann, reicht
der Polizeigewerkschaft offenbar nicht. Zudem soll die Regelung auch für
Soldaten der Bundeswehr, für Richter und andere Amtsträger gelten.
Auch muss sich doch ernsthaft gefragt werden, ob der „autonome
Steineschmeißer“ auf der Demo den Stein liegen lässt, nur weil das
Strafmaß angehoben oder ein neuer Paragraf im Strafgesetzbuch eingeführt
wurde.
Prof.
Dr. iur. Thomas Feltes vom Lehrstuhl für Kriminologie,
Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der juristischen Fakultät der
Ruhr-Universität Bochum kommentiert:
„Generell helfen härtere Strafen nie. Das ist ein Irrglaube, dass
man meint, wenn man den Strafrahmen verschärft, weniger Straftaten
begangen werden. Mehr Polizei hilft hier auch nicht. Es hilft nur eine
besser ausgebildete Polizei, eine besser in die Nachbarschaft, in das
Gemeinwesen integrierte Polizei, und eine Polizei, die mit Konflikten
de-eskalierend umgehen kann.“ [„Tagesthemen“
vom 2. Februar 2010]
Was steckt dahinter?
Bei intensiver Beschäftigung mit der Thematik, kommt man zu dem Schluss,
dass es keine guten Argumente für eine Verschärfung des Strafrechts im
Bezug auf Gewalt gegen Polizeibeamte gibt. Man könnte vermute, dass es
den Befürwortern der Strafanhebung in Wirklichkeit nur darum geht,
friedlichen Demonstranten einen Maulkorb zu verpassen. Es ist nicht
ungewöhnlich, dass bei Rechtsverstößen durch die Polizei eine Anzeige
gegen die Opfer wegen §113 StGB („Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte“) gestellt wird, um diese einzuschüchtern. Der
GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg sagte 2008:
„Es ist uns natürlich nicht gelungen, eine Polizei in der
Größenordnung von 80000 Leuten auszubilden, die rechtsstaatlich
einwandfrei handeln.“ [Quelle: Junge Welt, 21.10.2008, S. 4)]
Das Problem ist jedoch nicht nur das Verhalten vor Ort, sondern auch,
wie im Nachhinein damit umgegangen wird:
„Zu den Kritikpunkten von amnesty international zählt die oftmals
übermäßig lange Dauer der strafrechtlichen Ermittlungen, die sich über
Monate oder sogar Jahre hinziehen können. Ebenso das offenkundige
Widerstreben bei manchen Staatsanwaltschaften, in Fällen mutmaßlicher
polizeilicher Misshandlungen Anklage zu erheben und die Wahrheitsfindung
den Gerichten zu überlassen. Für bedenklich hält amnesty international
des Weiteren die hohe Zahl von Gegenanzeigen der Polizei, wodurch
Misshandlungsopfer möglicherweise abgeschreckt werden, ihr Recht auf
Wiedergutmachung und Entschädigung einzuklagen. Finden Gerichtsverfahren
gegen der Misshandlung beschuldigte Polizisten statt, so werden
bisweilen eher Strafen verhängt, die der Schwere der Tat nicht gerecht
zu werden scheinen. amnesty international befürchtet, dass die genannten
Defizite Polizeibeamten, die sich mutmaßlich Menschenrechtsverletzungen
schuldig gemacht haben, zur Straffreiheit verhelfen könnten.“ [amnesty international -
Koordinationsgruppe Polizei, Deutschlandbericht
2004, S. 4]
Fazit
Die fehlenden Argumente für die Ausweitung der Strafgesetze bezüglich
Gewalt gegen Polizisten sind nicht zielführend, sondern lediglich
billiger Populismus. Es wird kaum weniger Gewalt gegen Polizei geben,
aber dem Missbrauch, der Repression und Einschüchterung, wird Tür und
Tor geöffnet.
Es liegt an uns, das rechtswidrige Verhalten von Polizeibeamten
aufzudecken und agitatorisch zu nutzen. Allerdings sollten wir es nicht
durch Gewalt unsererseits provozieren - um es mit dem Göttinger
Mescalero zu sagen: „Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und
Gewalt , […] dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur
manches. Unser Weg zum Sozialismus kann nicht mit Leichen gepflastert
werden.“
Quelle: http://www.sdaj-bochum.de/stories/muss-die-polizei-staerker-geschuetzt-werden/
[1] www PUNKT bmi.bund.de/cln_183/DE/Ministerium/Minister/minister_node.html
[2] www PUNKT bmj.bund.de/enid/Ministerin/Bundesjustizministerin_Sabine_Leutheusser-Schnarrenberger_tw.html
[3] gdp.de/id/DE_GdP_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_Polizisten
[4] gdp.de/id/115StGB
Schöner Gesinnungsaufsatz
Statt substantielle und strukturelle Kritik zu üben, wird hier über Symptome referiert.
Und das von der Jugendorganisation der DKP, die den Überwachungs- und Spitzelstaat der DDR hochhält.
Was soll diese Anbiederung an die undogmatische Linke über die Erwähnung des Mescalero-Appells, der von Spontis
und anderen gemacht wurde? Das war und ist doch nicht die Liga von autoritären Kommunisten.