Eine kleine Geschichte des politischen Zeltens

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„ Das Übernachten im Zelt ist an sich neutral und nicht Ausdruck einer Meinungskundgabe, denn schlafend kann man grundsätzlich keine Meinung kundtun. (...)Es ist nicht ersichtlich, dass einer Übernachtung im Zelt selbst Symbolkraft zukommt (….) In Anbetracht der -etwa im Urlaub- in weiten Teilen der Bevölkerung im Allgemeinen verbreiteten Art der Übernachtung im Zelt, erscheint es hier als offensichtlich, dass die Übernachtung im Zelt nicht selbst Meinungskundgabe sein (…) soll.“

So argumentiert das Verwaltungsgericht Hamburg, warum das Zelten auf politischen Camps verboten ist. Dass das absoluter Humburg ist, ist klar. Denn wenn die Autoritäten etwas verbieten, und sich die Untergebenen nicht daran halten, so ist es automatisch politisch. Es ist übrigens viel mehr als symbolisch. Denn sowohl die wohltuende Wirkung des Schlafes als auch die schmerzliche Wirkung des Knüppels sind konkrete, sinnliche Erfarhungen.

 

Im Folgenden soll es aber weniger um die sinnlichen Erfahrungen, sondern um den symbolischen Charakter, der sich aus der langen Geschichte des politischen Zeltens ergibt. Es gibt taktisch und politisch klügere Sachen, als sich auf eine Gerichtentscheidung zu fixieren. Der Artikel soll vielmehr die lange Tradition, in der der Kampf um das Camp in Entenwerder steht, aufzeigen.

 

Das Zelt gehört zu den ältesten Behausungen der Menschheit. Es ist transportabel und bietet Schutz. So half es mit, dass die Gattung Homo Spaiens sich über die ganze Erde ausbreiten konnte. Als die Menschen sesshaft wurden, wurde das Zelt jedoch unwichtiger.

 

Das jetztige Bild und die moderne Symbolik des Campens geht auf die Zwischenkriegszeit zurück. Durch die Wandervogelbewegung wurde auch das Campen wieder populär. Und es bekam eine politische Bedeutung: Es bedeuete einen Ausbruch aus dem starren Leben in der Zivilisation, es bedeutete eine unmittelbare Naturerfahrung, es bedeutete Lagerfeuerromantik, Abenteuer und Freiheit.

 

Diese Symbolik machte das Campen in den 60igern zum Massenphänomen. Dank des Wirtschaftswunders gab es plötzlich genug Zeit und Geld für Urlaubsfahrten. So konnte die Ferne genau so wie das Unbekannte vor der Haustür entdeckt werden. Gleichzeitig gab es auch eine starke Einhegung: Die Freiheit wurde in der Zeit des Urlaubs gelebt, das Abenteuer wurde am Campingplatz gesucht. So gestärkt ging es zurück an den Trott des Alltags. In den 60igern entstand eine eigene Industrie, die sich auf den Zelturlaub spezialisierten. Das bekannteste Produkt, das damals entstand, war der Wohnwagen. Dieser bot gemeinsam mit dem Zelt reichlich subversives Handlungsmöglichkeiten. Durch das gemeinschaftliche Leben im Wagen, durch Indienfahrten oder durch ekstatische Erfahrungen auf Musikfestivals konnten die bürgerlichen Werte zeitweise af den Kopf gestellt werden. F

 

olglich stand das Zelt für diese beiden, sich widersprechenden Ideen: Es stand für das Spießige des kleinfamiliären Camping-Urlaubs genauso wie für den Aufbruch in die Natur, für Freiheit und Abenteuer des hippiesken Wagenlebens. Dass die RichterInnen des Verwaltungsgerichts nur eine der beiden Bedeutungen kennen, sagt mehr über sie selbst aus als über die Praxis des Campierens.

 

Ab den 80igern, seit Beginn der Ökobewegung wurde das Zelt expilizit politisch. Im Fokus der Kritik standen Großbauwerke, in Deutschland vor allem AKWs. Das Zelt ermöglichte einen dauerhaften und ortsnahen Protest. Es entstanden Protestcamps, die bis heute wegweisend sind und Teil des kollektiven Gedächtnis wurden, so z.B. die „Freie Republik Wendland“,ein Hüttendorf im Rahmen der „Startbahn West“ Proteste in Frankfurt, die Aubesetzung von Hainburg in Österrreich. In England demonstrierte das Greenham Common Women's Peace Camp gegen Aufrüstung.

 

Und diese Praxis wird bis heute fortgeführt. Diese politischen Camps hörten seither nicht mehr auf. Im Rahmen der Occuppy-Bewegung wurde weltweit campiert, in Wien gab es ein Camp der Refugee-Bewegung, in Camp in Gdeim Izik in West sahara richtete sich gegen die Diskriminierung des Sahrawis. Beim Standing Rock Camp in North Dakota wird Tradition mit Widerstand verbunden, thematisch geht es um indigene Rechte und gergen eien Öl-Pipeline. In England gab es eine lebendige Climate Camp Bewegung, die nur Polizeiinfiltration gestoppt werde konnte. Bei den G8/G20/WEF/…-Gipfel gehören die Camps zu den Protestaktionen selbstverständlich dazu. Warum das jetzt in Hamburg anders sein sollte, bleibt ein Geheimnis der RichterInnen….

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Woher stammt das Zitat am Anfang des Textes?

So argumentiert das Verwaltungsgericht Hamburg, warum das Zelten auf politischen Camps verboten ist.

 

Ich verstehe das so, dass das ein Auszug aus der Begründung des Verwaltungsgerichtes HH ist, in der das Übernachten im Zelt im Camp verboten wurde.

Wie ist denn der aktuelle Stand der Dinge? Ich blick da so langsam nicht mehr durch...

http://www.taz.de/fileadmin/static/pdf/DOC030717-001.pdf

 

ist das gleiche schriftstück wie unten.

aktueller stand und kurze chronologie der legalität (ich hoff, dass ichs richtig verstanden hab...):

 

camp stadtpark wurde am stadtpark verboten, an einem anderen ort erlaubt.

polizei wollte einen ort am arsch der welt, 20 km von der city weg,

die klage dagegen war erfolgreich, laut gerichtsbeschluss camp in entenwerder, explizit mit schlaferlaubnis ab so 12:00.

polizei blockiert jedoch bis ca. 18:30 (klar illegal) zugang und -fahrt. danach gibt sie einen teil des parkes frei.

zuvor wollte sie im kooperationsgespräch per auflage schlafen verbieten. da anmelder und anwalt meinten, frage ist bereist vor gericht geklärt und brachen "koop." polizei erteilte denoch einseitige auflage inkl. schlafverbot (die rechtmäßigkeit ist zu diesem zeitpunkt umstritten, polizeiaufkage ist gültig, aber steht dem gerichtsentscheid diametral entgegen). vor ort haben nur wenige leute von dem bescheid was mitbekommen. es gab auch eine klage des anmelder gegen die auflage.

um ca. 23:00 die stürmung und der klau der zelte - wegen verhältnismäßigkeit klar illegal. aufbau der zelte ist schlimmstenfalls eine ordnungswidrigkeit. dafür leute gefangen zu nehmen, pfefferspray einzusetzen, menschen zu verletzten, zu kesseln, ist unverhältnismäßig. klar ist aber auch, dass das eine machtdemonstration der polizei war. insofern hat hier verhältnismäßigkeit eh nix verloren.

heute morgen gab das gericht der polizei recht, sprich die klage der camp anmelder wurde abgewiesen.  das heißt nicht, dass die aktionen gestern rechtmäßig waren, sondern nur, dass die auflagen laut gericht (und darauf bezieht sich mein artikel) rechtmäßig sind. dagegen wurde klage beim oberverfassungsgericht eingelegt. da dass als eher regierungs-/polizeifreundlichgilt, wird es wahrscheinlich zum bundesverfassungsgericht gehen. das wird noch dauern....

momentan kontrolliert die polizei am eingang des parks. schlafsäcke und zelte sind verboten.

momenatn gibt es 2 verschiedene meinungen innerhalb des protestes:

1., camp durchsetzen! versammlungsfreiheit erkämpfen! dafür gibt es ein ultimatum bis morgen um 10:00. ansonsten wird wild gecampt.

2. unter den jetztigen umständen bieten camps keinen schutz. polizei macht, was sie will. camp ist schlechtes thema, da von der polizei gewählt, und wir in der deffensive. besser in die offensive zu gehen, und eigene akzente setzen.

Also Kohten und Jurten finde ich schon politisch. Und Wandervogel sowieso.  Wie wäre es mit Klampfen gegen die Staatsgewalt: Jenseits des Tales standen ihre Zelte...

„ Das Gehen auf der Straße ist an sich neutral und nicht Ausdruck einer Meinungskundgabe, denn gehend kann man grundsätzlich keine Meinung kundtun. (...)Es ist nicht ersichtlich, dass eines Ganges auf der Straße selbst Symbolkraft zukommt (….) In Anbetracht der -etwa im Auto- in weiten Teilen der Bevölkerung im Allgemeinen verbreiteten Art der Bewegung von A nach B, erscheint es hier als offensichtlich, dass das Gehen auf der Straße nicht selbst Meinungskundgabe sein (…) soll.“

 

und noch ein link für justizinteresierte:

http://blog.wawzyniak.de/versammlungsfreiheit-muss-auch-infrastruktur-de...

Den Juristen sollte man mal als kleines Lehrstück, wie politisch "Gehen auf der Straße" sein kann, z.B. der Busboykott von Montgomery in Erinnerung gebracht werden.