"Liebe Kolleg*innen und Genoss*innen": Ein offener Brief an alle die im Hamburger Hafen arbeiten müssen.

hafen

Liebe Kolleg*innen & Genoss*innen, die ihr im Hamburger Hafen arbeitet oder in irgendeiner Weise in euren Leben mit ihm zu tun haben müsst. In diesem Brief möchten wir euch gerne darüber informieren, dass wir vorhaben, am 07. Juli mit einer politischen Aktion zum Thema „Logistik“ in den Hafen zu kommen. Wir möchten uns euch vorstellen und versuchen zu erklären, was und warum wir vorhaben. Wir machen das, weil wir wissen, dass wir „von außen“ in „euren“ Hafen kommen und allein deswegen glauben, dazu die Pflicht zu haben. Wir gehen davon aus, dass die Polizei, die Medien, eure Chefs und Vorarbeiter*innen euch erzählen werden, dass diese Aktion gegen euch gerichtet sei. Und wir wissen, unsere Aktion euren ohnehin schon stressigen (Arbeits)Tag vielleicht noch anstrengender werden lässt. Für letzteres bitten wir euch jetzt schon um Entschuldigung.

 

Wir sind das antiautoritäre kommunistische …ums Ganze! Bündnis. Wir nennen uns antiautoritär und kommunistisch, weil wir ein Zusammenschluss von Leuten sind, die es nicht mehr aushalten wollen, wie unser aller Leben, unsere Arbeit, unsere Wohnverhältnisse, der alltägliche Rassismus und Sexismus usw. unsere Leben unerträglich machen. Wir glauben, dass unsere Leben, diese ganze Welt, nicht deswegen so ist, weil sie schlecht regiert wird, sondern weil diese Gesellschaft bereits grundsätzlich falsch eingerichtet ist. Das wollen wir ändern, und zwar so, dass wir, ihr, wir alle und unsere Leben und Bedürfnisse der Zweck der Gesellschaft sind. Damit geht es uns wortwörtlich „ums Ganze“, um eine ganz andere, kommunistische Gesellschaft. Wir nennen uns antiautoritäre Kommunist*innen, da wir, wenn wir von „Kommunismus“ sprechen nicht die staatskapitalistischen Spießerelendsverwaltungen a la DDR oder Sowjetunion meinen.

Unsere Aktion findet nicht aus Zufall in den Tagen statt, in denen in Hamburg der G20-Gipfel tagt. Die G20 sind für uns ein Symbol dieser Gesellschaft. Da wir aber nicht glauben, dass andere Politiker*innen diese falsche Gesellschaft besser machen können, wollen wir an diesen Tagen nicht auf die Politiker*innen schimpfen, sondern dorthin gehen, wo sich vielleicht wirklich etwas verändern lässt. Wir haben uns für den Hafen als Ort entschieden, um den Fokus auf einen der wichtigsten Bereiche des Kapitalismus zu lenken – den Logistikbereich.

Wir würden uns natürlich freuen, wenn ihr, als dort Arbeitende, oder irgendwie mit dem Hafen verbundene, unseren Blickwinkel teilen und uns dabei unterstützen würdet.
Wir wären aber auch schon sehr zufrieden, wenn ihr, nachdem ihr diesen Brief gelesen habt, uns glaubt, dass diese Aktion nicht gegen euch gerichtet ist. Am tollsten aber fänden wir, wenn ihr, wenn unsere Aktion vorbei ist, uns vielleicht bei Gelegenheit einfach nachmacht, im Großen wie im Kleinen, mit euren Kolleg*innen, Nachbar*innen, Freund*innen. Doch eines nach dem Anderen…

 

Logistik…
Der Logistikbereich ist heutzutage ein Schlüsselbereich im Kapitalismus. Nicht mehr die Herstellung einer Ware, sondern ihre Lieferkette, ist mittlerweile das bestimmende Element, nach dem der Produktionsprozess und damit auch unsere Arbeitsumstände orientiert werden. Mit der Erfindung des Containers in den 50er Jahren, der sogenannten Just-in-Time-Produktion und der Digitalisierung, wurde der Logistikbereich und dessen Organisierung immer mehr rationalisiert.
Natürlich nicht zugunsten der Arbeitsbedingungen, sondern zugunsten eines effizienteren und gewinnbringenderen Ablaufs des Warenverkehrs. Diese wachsende Bedeutung der Logistik hatte fatale Konsequenzen für (fast alle) Arbeitenden weltweit. Denn anders als in der Nachkriegszeit werden Produktionsketten nicht mehr nur in bestimmte Staaten mit billigeren Produktionsbedingungen und geringen Löhnen ausgelagert. Die Entwicklung des Logistikbereichs hat es möglich gemacht, die Produktionsprozesse vollständig zu zerteilen und die Fertigstellung eines Produktes so an beliebig verschiedenen Orten zu vollführen.
Das ist deshalb ein Problem, weil die Organisation unseres Widerstands gegen miese Arbeitsbedingungen und geringe Löhne so immer schwieriger wird. Die Unternehmen können immer flexibler die Produktionsketten oder -Orte verändern, sobald die Arbeiter*innen anfangen, sich zu wehren. So umgehen die Unternehmen die sowieso meist minimalen Rechtsstandards und die Arbeitenden, die von ihnen verächtlich nur „Lohnstückkosten“ genannt werden, werden für sie immer günstiger und austauschbarer. Die Arbeitenden werden so zunehmenden vereinzelt und individualisiert. Die Stückelung der Produktion in eine Vielzahl von Zulieferbetrieben – oft auch noch Zeitarbeitsfirmen – und von den Unternehmen erzwungene Scheinselbständigkeiten, z.B. im Reinigungsbereich, tun das ihre, um das noch zu verstärken. Den sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften, in Deutschland vor allem der DGB, und den sozialdemokratischen Parteien, inklusive der Linkspartei, fällt dazu meist nur ein Mix aus schäbiger Anbiederei und der Einforderung von Nationalstaaterei ein. Der sowieso leider oft vorhandene Rassismus und Nationalismus vieler Kolleg*innen findet so günstige Bedingungen, sich weiter zu entfalten.
Besonders krass davon betroffen sind die Kolleg*innen mit einem unsicheren oder gar illegalisierten Aufenthaltsstatus. Sie finden sich nicht aus Zufall besonders oft im Logistikbereich, ihre Arbeitsbedingungen erinnern oft mehr an Sklaverei.

 

Es geht um uns alle und damit ums Ganze
All das ist für euch natürlich nichts Neues, ihr kennt es aus eurem Alltag, aus den vielen kleinen, täglichen Auseinandersetzungen mit den Vorarbeitenden, oder wenn mal wieder die Reaktion auf eure Forderung nach Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eure sofortige Kündigung ist.
Solltet ihr das „Glück“ haben einen deutschen oder EU-Pass zu haben, führt euch der Weg dann weiter in die Sanktionshölle des Jobcenters. Oder in den Supermarkt mit den Produkten, die ihr zwar verpacken durftet, aber euch nicht leisten könnt. Oder, oder, oder… Die Logistik des Kapitals ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt dieser Gesellschaft, in der auch die Produktion nur die eine Hälfte der Alltagshölle ist, die im „Feierabend“, in allen Lebensbereichen, weitergeht. Und es ist auch diese Gesellschaft, in der Menschen im Meer auf der Flucht ertrinken, während sie einen Weg in die Beschissenheit der Lebens- und Arbeitsverhältnisse so vieler suchen, die immerhin nicht der Tod durch Krieg, Hunger und Elend ist.
Wenn wir zu unserer politischen Aktion in eurem Hafen deswegen unter der Überschrift „Shut down the logistics of capital“ aufrufen, meinen wir natürlich: Lasst uns nicht nur die Logistik des Kapitals stilllegen, sondern den ganzen Laden, den ganzen Kapitalismus, diese ganze Gesellschaft! Wir glauben, der Logistikbereich könnte ein günstiger Ort dafür sein, loszulegen. Denn nicht nur wir, ihr, sind hier vereinzelt und angreifbar. Die Waren, die Profite und damit unsere Chef*innen sind es auch!

 

Ums Ganze geht es nur zusammen
Diese Vereinzelung, Zerstückelung und Globalisierung der Produktion können wir auch zu unserem Vorteil wenden. Wenn die Kolleg*innen in China in ihrem Arbeitskampf das Band stilllegen, hat das auch Auswirkungen auf euch hier – und umgekehrt. Wenn die Kolleg*innen von der anderen Zeitarbeitsfirma mal wieder nicht den vollen Lohn ausgezahlt bekommen und ihr dafür besonders langsam arbeitet, dann kann es ihnen nützen. Gerade weil die globalen Logistikketten inzwischen so engmaschig und dich getimt sind, haben auch kleinste Störungen schon große Folgen.

Wenn wir am 07. Juli zu euch in den Hafen kommen, möchten wir gerne diese Schwachstellen auf der Seite des Kapitals sichtbar machen. Lasst euch nicht erzählen, wir wären „Chaoten“, die nur „stören“, wir seien gegen euch. Dabei sind es die Polizei, Medien und Unternehmen, die für den Stress auf der Arbeit, Arbeitshetze und Niedriglohn verantwortlich sind. Sie werden es erzählen, weil sie Angst haben, vor euch Angst haben. Davor, dass auch ihr anfangt zu stören, euch zusammen zu tun, eure Interessen gegen sie durchzusetzen. Vielleicht sogar mit uns zusammen.

 

Make the capital afraid again!
Ob wir nun Arbeit haben oder nicht, oder die ganze Putz- und Sorgearbeit im Haushalt oder nach Feierabend machen – wir haben alle eines in all unseren Unterschieden gemeinsam: Nie geht es in dieser Gesellschaft um unsere Bedürfnisse, immer nur um Profitmaximierung und Kapitalvermehrung, und hier: um Deutschland. Die Folgen sind Armut, Ausbeutung und Abschottung. In vielen Teilen der Welt auch Hunger, Elend und Krieg.
Auf all das wollen wir am 07. Juli aufmerksam machen und zeigen: All das ist sehr wohl auch angreifbar! Wir müssen all das nicht nur jeden Tag passiv ertragen oder viele kleine, vereinzelte Kämpfe im Klein-Klein führen. Der Blick auf die Kolleg*innen bei Amazon in Deutschland, die gerade streikenden LKW-Fahrenden in Russland oder letztes Jahr in Frankreich, die Massenstreiks in Indien oder die militanten Kämpfe in China, sie alle zeigen was möglich wäre, wenn wir uns zusammen tun würden. International, gegen Staat, Nation und Kapital und für unsere Interessen. Auch und gerade im Logistikbereich.

 

Und zum Schluss
Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr mit klammheimlicher oder offener Freude auf unsere Aktion guckt und euren Kolleg*innen und Freund*innen davon erzählt. Oder gar euch uns spontan anschließt. Der 07. Juli 2017 kann ein bedeutender Tag werden, um aufzubegehren und uns alle gemeinsam, unsere Lagen, Kämpfe und Bedürfnisse, wieder in den Blick zu bekommen.
Wir freuen uns auf euch.

 

Weitere Infos: www.shutdown-hamburg.org

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Am tollsten aber fänden wir, wenn ihr, wenn unsere Aktion vorbei ist, uns vielleicht bei Gelegenheit einfach nachmacht....

 

Wie stellt ihr euch das vor, soll ein_e ausgebeutete_r Arbeiter_in die eigene prekäre Situation noch verschlimmern, in dem sich staatlichen und betrieblichen Repressionen ausgesetzt wird? Ihr sprecht Leute an, die nicht mehr studieren oder bei den Eltern wohnen, und für die ein Verfahren wegen Landfriedensbruch härtere Folgen haben kann. Und nein, die momentane Situation kann nicht mit Ländern verglichen werden, in denen groß angelegte (General)streiks gemacht werden und zu einer Verbesserung oder wenigstens zu neuen Verhandlungsrunden führen. Dafür ist es minimum noch 10-20 Jahre zu früh. 

Außerdem frage ich mich, wie oft und wie ausführlich in aller Öffentlichkeit über eine Blockade im Hafengebiet kommuniziert werden soll. Das führte bereits jetzt dazu, dass die Cops spezielle Übungen im Hafen gemacht haben. Würde mich nicht wundern, wenn wegen Aufrufen wie diesem die Sicherheitszone um die HafenCity noch mal nachträglich vergrößert wird bzw südlich davon eine zweite eingerichtet wird.

"Wie stellt ihr euch das vor, soll ein_e ausgebeutete_r Arbeiter_in die eigene prekäre Situation noch verschlimmern, in dem sich staatlichen und betrieblichen Repressionen ausgesetzt wird?"

Genau, Gewerkschaften, voll verrückt, wer macht denn sowas? Nicht-Studierende mit eigener Wohnung anscheinend wohl deiner Meinung nach nicht. Dann lieber noch 10 bis 20 Jahre warten. Als ob sich was ändern würde, wenn alle den Kopf unten halten...^^

für diesen Kommentar. Sehe das genauso. Es gab mal Zeiten, wo sich uG nicht in überheblicher Sozialromantik ergangen hat. Lieber 30 Jahre mehr Basis,- Theorie,- und Organizing-Arbeit, als "weil nicht sein kann, was nicht sein darf"-mäßig in schlechte und von vorhinein zu scheitern verurteilte Agitation verfallen.

....das der Autor überhaupt keine Ahnung von Arbeit, davon aber viel zu viel Ahnung von der Theorie hat!

 

Im Hafen verdienen die meisten Arbeiter recht gut!

"Im Hafen verdienen die meisten Arbeiter recht gut!" ist wohl das gleiche wie ne teuer bezahlte Wohnung auch eine "vergleichsweise billige" sein kann weil sie "nur 8/9€ den QM kostet, aber um die Ecke ja schon 14-20€ "normal" sind...

Das Bündnis heisst "ums Ganze", da gehts wohl um die generelle Ungerechtigkeit in der Verteilung und nich ob die n paar mehr cent verdienen als wenn sie die gleiche Arbeit weniger zugig in trockener Landluft machen.

Denke allerdings, dass wenige Hafenarbeitende hier mitlesen und hoffe, dass die Ansprache auch auf geeigneteren Kanälen läuft.

Das Bündnis heißt "Ums Ganze" weil man damit zum Ausdruck bringen möchte, dass es bei den anderen linken Gruppen eben nicht ums Ganze sondern um weniger, also verkürzte Kritik geht. Früher hieß das bei allen Gruppen ganz einfach "Antikapitalismus", heute muß man schon im Namen die eigene Abgrenzung deutlich machen. Und vor allem: Man möchte mit dem implizierten Vergleich im Gruppennamen den eigenen Avantgarde-Anspruch unterstreichen. Es müsste auch eher autoritäres Bündnis heißen, wenn man den Charakter der Gruppe präziser beschreiben wollte...