Anfang Juni, Projektwoche am Anglistischen Seminar Heidelberg, Teilnahme freiwillig, nach endlosen Regenwochen endlich mal schönes Wetter – und trotzdem waren über 40 StudentInnen gekommen, teilweise aus völlig anderen Studiengängen, um zu hören, was Michael Schiffmann über seinen Besuch bei Mumia Abu-Jamal zu berichten hatte.
Gemeinsam mit einem Vertreter der Solidaritätsbewegung aus Berlin und dem langjährigen Freund und ehemaligen Journalistenkollegen Mumias, Linn Washington, war er Ende April im Todestrakt von SCI Greene zu einem nahezu sechsstündigen Besuch empfangen worden.
„Mumia ist 1982 nach einem Schnellprozess von nur 15 Tagen nicht deshalb zum Tod verurteilt worden, weil er den Polizisten Daniel Faulkner getötet hat – was er nach allem, was wir wissen, nicht getan hat – sondern deshalb, weil er ein Black Panther war“, begann der Referent seinen Vortrag und spielte für das Publikum die Black-Panther-Hmyne von Elaine Brown, die gleichzeitig in deutscher Übersetzung auf der Leinwand zu lesen war.( www.elainebrown.org/, www.youtube.com/watch?v=OO04X9qqgT4 ) „Seize the Time“ – Zeit zu handeln. Tut was. Erhebt euch. Lasst euch nichts mehr gefallen. Ihr seid es wert. Das war die Zeit, die Mumias Werte geprägt hat, das war der Hintergrund für das Urteil.
„Nach über zehn Jahren den Mann endlich sehen zu können, dessen Schicksal uns so sehr beschäftigt, war eine außerordentliche Erfahrung“ - das teilte sich den Zuhörenden eindrücklich mit. Gebannt, bewegt und teilweise vollkommen erschüttert lauschten die Anwesenden der Schilderung des Referenten. Die war sehr persönlich und gleichzeitig in einen großen politischen Zusammenhang eingebettet.
Der erste Teil war den vielen perfiden Details des Gefängnisalltags gewidmet – Fragen über Fragen an den Mann im Todestrakt:
Über die Zelle – weiß, weiß und weiß und keine Farben, nur das Gras draußen, immerhin. Stahl, nichts an den Wänden, nur ein kleiner Stapel Bücher zur selben Zeit erlaubt, kein Tisch, das Schreiben aller Texte mit Kugelschreibermine im Schneidersitz auf dem Bett. Seit einiger Zeit eine Schreibmaschine, endlich, aber die ist seit vier Monaten „in Reparatur“ und kein Ende in Sicht.
Das Internet oder einen Computer noch nie gesehen. Nur im Fernsehen. Das gibt es immerhin, und zwar in jeder Zelle im Todestrakt. Aber ohne Geld gibt’s nur das schaurige Knastprogramm mit wenigen Kanälen – wenn man mehr Auswahl will, kostet das 16 Dollar im Monat. Mumia ist in der glücklichen Lage, das bezahlen zu können – die meisten aber haben von ihren 17 Dollar staatlichem Monatsgeld nur die „Wahl“ zwischen anderen Lebensnotwendigkeiten wie Tabak, Obst, Tee, Kaffee und vielleicht mal Süßigkeiten oder fernsehen. Oder, wie Mumia einen running gag des Knastalltags wiedergab: sie „machen 2mal im Monat vor dem Fernseher Party mit einem Erdnussriegel“. Der kostet 50 Cent.
Kleidung, Gesundheit, Körperpflege – der immer gleiche orangefarbene Overall (wie in Guantanamo) mit abgewetztem, ausgefasertem Gefangenennummernaufnäher am Ärmel, dazu blässlichweiße Unterwäsche. Mumia ist fit – unbegreiflicherweise immer noch. Sieht gut aus, und, am überraschendsten für die Besucher aus Europa, die ihn nie gesehen hatten: so jung wie auf den Fotos von vor 15 Jahren. Nur seine Dreads sind länger als jemand hier sie je gesehen hat - bis unter die Waden.
Zum Tagesablauf: morgens um sechs aufstehen, von sieben bis neun Möglichkeit zum Hofgang, der in Wirklichkeit ein Käfiggang ist – der Hof nach einem kollektiven Protest von Gefangenen, die sich weigerten, zurück in ihre Zellen zu gehen, seit kurzem zerteilt in Käfigzellen für je zwei Leute – seitlich und oben vergittert wie im Zoo bei den Vögeln. Da schafft er es tatsächlich, Handball zu spielen mit dem Mitgefangenen – witzig und beklemmend zugleich, wie er lachend erklärt, dass das ein gutes Work-Out sei. Wir hören zu, und uns bleibt das Lachen im Hals stecken...
Dann zurück in die Zelle, und dort bleibt er dann die nächsten 22 Stunden. Sitzt auf dem Bett und schreibt und liest und denkt und plant.
„Ich bin der Typ, dem 24 Stunden am Tag nicht ausreichen“, sagt Mumia zu der Frage, wie er das alles aushält, „ich habe immer mehr Pläne als ich verwirklichen kann.“ Dazu gehört das Formulieren von Schriftsätzen für Mitgefangene, das Konzipieren seiner Kolumnen, das Lesen vieler Zeitungen und Bücher, das aufmerksame Verarbeiten unzähliger Fernsehsendungen. Unfassbar.
Die Mitgefangenen. Die Wärter. Die politischen Verhältnisse rund um den Globus. Südafrika. Der Wandel in Deutschland. Die Nazis im Osten und warum das so ist. Die Solidaritätsbewegung. Chomsky und Obama und Katrina und Afghanistan.
Und sein eigener Prozess und der Stand der Dinge. „Das wichtigste für euch ist, dass ihr einfach selber denken müsst,“ sagt er und lächelt freundlich. „Kein Anwalt kann eine Bewegung anführen, und das ist auch nicht seine Aufgabe“. „Arbeitet zusammen, und vor allem – vergesst nicht, es geht nicht um mich, es geht um alle, die hier sitzen.“
Das ist dem Referenten das größte Anliegen, und er formuliert es mehrmals eindringlich: „Mumia ist einer der politischen Gefangenen, auf den die Welt schaut – aber es gibt so viele andere, die teilweise schon seit über 40 Jahren im Gefängnis sitzen, unter unmenschlichsten Bedingunen – und praktisch niemand kennt sie. Schaut hin.“ ( www.prisonactivist.org/archive/pps+pows/pplist-alpha.shtml )
( www.myspace.com/freechipfitzgerald )
Der Vortrag schließt mit der wunderbaren Stimme Alice Walkers „If I was President - - the first thing I would do is call Mumia Abu-Jamal.. and Leonard Peltier.. and John Trudell .. and..“ Und Ruchell Cinque Macgee, der zusammen mit Angela Davis verhaftet wurde und seit über 45 Jahren im Gefängnis sitzt! ( www.alicewalkerblog.com/2010/01/if-i-was-president-were-may-be.html )
Die Veranstaltung dauert über zweieinhalb Stunden, so viele Fragen kommen aus dem erschütterten und interessierten Publikum. Fast alle haben eine Postkarte mitgenommen, um sie an Mumia zu schicken. Schon wegen der Farben, die seinen Augen Freude machen. „Wann trefft ihr euch das nächste Mal“, fragen vier oder fünf Leute am Schluss. „Ich möchte mitmachen, etwas zu ändern.“
Radio Interview mit Michael Schiffmann
Vor wenigen Tagen wurde Michael Schiffmann über seinen Besuch bei Mumia auch von den "FREE MUMIA News" bei Radio Aktiv interviewt. Die Sendung läuft noch bis kommenden Freitag im Internet als Wiederholung http://85.214.123.163:8000/metropolis.m3u
Radio Aktiv: jeden Montag 20 - 21 Uhr auf den Frequenzen von OKB/Alex (Berlin) oder im Internet auf Radio-Metropolis http://85.214.123.163:8000/metropolis.m3u