Dieser Text wurde von einer anonymen Soligruppe verfasst, und handelt von der Verhaftung einer Gruppe von Personen, in Paris und den ungewöhnlichen Umständen, die dazu führten. Dies beinhaltet auch die neue Entwicklung der Einsatztaktik französischer Cops auf Demonstrationen und das momentane politische Klima in Frankreich nach fast zwei Jahren „Ausnahmezustand“.
Dieser Text hat nicht den Anspruch vollständig zu sein, alles wurde aus den Erinnerungen der Betroffenen rekonstruiert und ein weiterer Text wird folgen, der sich im speziellen mit der Taktik der Cops auseinandersetzen wird. Einige Punkte werden ganz bewusst in diesem Text nicht erwähnt, da diese noch diskutiert werden müssen und natürlich können wir nicht im Namen der Betroffenen sprechen.
Am 19. März 2017 fand in Paris eine lange im voraus mobilisierte Demonstration gegen Staats- und Polizeigewalt statt, welche auf Grund der Vergewaltigung von Théo und dem Mord an Adama aktuell viel Beachtung gefunden hat. Sie ist eingebettet in einer langen Geschichte von Auseinandersetzungen gegen strukturelle Polizeigewalt und einen auf Kolonialismus basierenden Staat. In diesem Kontext müssen wir einen Blick auf die Bewegung und ihre Kämpfe im letzten Jahr in Frankreich werfen. Zur Zeit entsteht eine Verbindung zwischen zwei Bewegungen, einer sozialen Bewegung, die sich vor Allem im letzten Jahr dem Widerstand gegen das neue Arbeitsgesetz gewidmet hat und einer Bewegung gegen den rassistischen Normalzustand in der französischen Gesellschaft. Daraus resultiert eine vielschichtige, repressive Antwort des französischen Staates auf die Bewegung selber und jeglicher Solidarität, die dieser Bewegung entgegengebracht wird.
Am 19.03.17 hielt sich eine Gruppe von sieben Personen, die größtenteils aus Deutschland angereist war, auf dem Place de la Republique auf. Nachdem sie einige Zeit von Zivilbullen beschattet wurden, wurde die Personengruppe festgenommen.
Die Strategie der Cops war es, die einzelnen Betroffenen durch die BAC festzunehmen, nachdem sich die Gruppe von Menschen aufgeteilt hatte.
Die Festgenommenen wurde zur selben Polizeiwache gebracht und dort in Arrestzellen gesperrt.
Ihnen wurden folgende Tatvorwürfe gemacht:
- Bewaffnete und vermummte Teilnahme an einem Mob (was im französischen Strafrecht als politische Straftat angesehen wird)
- Zerstörung fremden Eigentums
- Gewalttätiges Handeln gegen Polizisten ohne diesen Schaden zuzufügen
Bei einer sogenannten „Gegenüberstellung“, bei der die Beschuldigten mit Bullen im selben Zimmer saßen, während die Cops ihre Aussagen machten, offenbarten die Cops ihre Einsatztaktik. Folgendes sagten die Bullen aus:
Zwei Zivilbullen besuchten die Demonstration außerdienstlich. Auf der Demo bemerkten sie einige Menschen, die sich im Black-Block aufhielten. Diese Personen stachen für sie heraus, da sie alle komplett vermummt waren und augenscheinlich sehr gut organisiert und strukturiert vorgingen, wie beispielsweise das Benutzen von Handzeichen zur potentiellen Kommunikation. Die Cops machten während der Demo Fotos und Videos den Personen mit ihren Smartphones und mit GoPros. Sie folgten einigen Menschen bis zum Place de la Republique, wo die Bullen einen Kreis aus Menschen beobachten konnten, von dem sie annahmen, dass Menschen in diesem ihre Klamotten wechselten. Die Bullen informierten ihre Kollegen, und die BAC und andere Cops beschatteten die Personen bis zu ihrer Festnahme.
Unsere Freunde wurden von der Polizei verhört und von Staatsanwält*innen dazu gedrängt eine Aussage zu machen. Diese Verhöre fanden mehrmals am Tag und während der Nacht statt.
Übersetzer*innen waren die meiste Zeit anwesend, sahen sich jedoch oft selber in der Rolle eines Bullen, anstelle eine*r neutralen Übersetzer*in.
DNA, Fingerabdrücke und Fotos wurden von allen Beschuldigten genommen. Einige wurden mit Jacken und Mützen fotografiert, die bei ihnen gefunden wurden.
Nach mehr als 48 Stunden im Polizeigewahrsam, die vom ständigen Kampf um Wasser, Bettdecken, Medizin, Zugang zur Toilette, Essen (insbesondere veganes) und Kontakt zu ihren Anwält*innen geprägt waren, wurden die Personen in das Justizgefängnis des zentralen Justizgebäudes von Paris gebracht, um einen sogenannten Schnellprozess durchzuführen.
Das Gericht beschloss die Verhandlung zu verschieben, mit der Begründung, dass es nicht genug Informationen zu diesem Fall gäbe. Es ist auch möglich, dass der Prozess verschoben wurde, weil einer der Vorwürfe als politische Straftat gilt, welcher nicht in einem Schnellverfahren verhandelt werden kann. Die Staatsanwältin und die Richter*innen wollten die Gefangenen in Untersuchungshaft sperren bis zum eigentlichen Prozesstermin.
Die Verhafteten wurden einzeln zu einer anderen Richterin gebracht, welche über ihren Verbleib in der Untersuchungshaft entscheiden sollte. Vor dieser Richterin gab die Gefangenengruppe Teile der Vorwürfe zu.
Die Richterin sagte, sie sei zu genervt und müde von dem Verfahren, um ein Urteil zu treffen, also gab sie die Verantwortung an eine weitere Richterin ab. Die dritte Richterin entschloss dann auch, dass sie zu genervt und müde wäre, um ein Urteil zu fällen und wollte die Gruppe von Personen in Untersuchungshaft schicken. Die Anwält*innen setzten durch, dass der Prozess um ein paar Tage verschoben wurde. Daraufhin wurden die Verhafteten aufgeteilt und in verschiedene Haftanstalten in und um Paris gebracht.
Zwei Tage später wurden fünf der Verhafteten erneut vor Gericht gestellt. Es fanden dann für jeden unserer Freunde einzelne Gerichtsverfahren mit verschiedenen Richter*innen statt, in denen alle frei gelassen wurden, jedoch mit unterschiedlichen Auflagen.
Drei Tage später wurden auch die anderen zwei Personen entlassen.
Alle haben verschiedene Auflagen auferlegt bekommen, die für Frankreich und Deutschland gelten, zum Beispiel das Verbot Demonstrationen zu besuchen.
Dieser Fall ist noch nicht vorbei. Die Gruppe von Verhafteten wartet aktuell auf Gerichtstermine und daraus resultierende Haft- beziehungsweise hohe Geldstrafen.
Bis zu diesem Zeitpunkt sind bereits hohe Kosten entstanden und es werden sicher noch mehr Kosten im Laufe der Zeit entstehen.
Alle Formen der Solidarität sind willkommen.
Es wurden schon jetzt viele Gerüchte und Falschinformationen verbreitet. Dieser Text soll ein erster Schritt sein, um diesen Fall so transparent wie möglich zu halten, um genau so etwas zu vermeiden. Klatsch und Tratsch hilft niemandem außer den Cops.
Während dieser Tage der Gefangenschaft kämpften die Gefangenen weiterhin gegen Polizei- und Staatsgewalt an, mit der sie konfrontiert waren. Obwohl die Behandlung durch die Bullen erwartungsgemäß gewalttätig war, muss sie dennoch im Kontext gesehen werden, dass es sich bei den Gefangenen um weiße, privilegierte Menschen gehandelt hat und dass die Behandlung nicht schlimmer gewesen sein kann als das, was nicht-weiße Menschen jede Minute in den Gefängnissen ertragen müssen.
Die Solidarität von außerhalb der Gefängnisse war zu jederzeit sehr stark und hielt von den Betroffenen die Kälte der Gefängnismauern fern. Ohne diese gelebte Solidarität wären die Betroffenen immer noch in Haft und ihr Kampf wäre um einiges schwerer.
Die Repression und die anhaltende Gewalt gegen jene, die jeden Tag ums Überleben kämpfen, ist strukturell und muss jeden Tag und überall durch unsere Solidarität herausgefordert werden!
Falls ihr uns kontaktieren wollt, könnt ihr das unter der Mail-Adresse: paris7@riseup.net
Aussagen?
erstmal schön zu sehen dass scheinbar alle dem Knast (vorläufig) entkommen konnten. Aber:
“Vor dieser Richterin gab die Gefangenengruppe Teile der Vorwürfe zu“, was heisst das? ist es möglich das durch die Aussagen andere belastet wurden? wieso ware s evtl in diesem Fall sinnvoll Aussagen abzugeben? Wussten alle Inhaftierten davon dass Teilgeständisse gemacht wurden? Die Fragen dienen nur dem näheren Verständnis und sollen nicht als Angriff aufgefasst werden. Der leitfaden "Anna und Arthur haltens maul" hat einen wichtigen Teil meiner Politisierung ausgemacht und daher bin ich gespannt zu hören was für Vorteile sich durch das (Teil-)Geständnis ergeben haben. Oder gabe s evtl Nachteile?