Wer kennt das nicht: Leute, die früher besetzte Häuser mitorganisiert, in konspirativen Antifa-Gruppen gearbeitet und Aufrufe zur Abschaffung von Staat und Kapital geschrieben haben, „gehen über ins Berufsleben“ und üben mit einem Mal an der Uni, in NGOs oder in Kulturinstitutionen eine Tätigkeit aus, die sie früher aufs Schärfste denunziert hatten. Sie werden „erwachsen“: Es gehe doch darum, „real und konkret“ Änderungen zu erreichen.
„Real und konkret“: Man könnte auch sagen, unter den gegebenen Bedingungen. Mehrere Texte haben in den letzten Jahren die Herrschaftsfunktionen solcher Tätigkeiten kritisiert und dazu aufgerufen, dass Linke andere Berufe wählen sollen.[i] Demgegenüber meine ich zwar, dass es bedingt sinnvoll sein kann, auf solchen Stellen zu arbeiten, insbesondere wenn man damit genuin radikale Ziele umsetzen kann. Allerdings muss es tatsächlich darum gehen, die ausschließliche Fixierung der linken Studierenden auf die Intellektuellenkarriere zu lösen. Denn genau diese Fixierung führt zur Notwendigkeit der Selbstanpassung, wodurch man die Möglichkeit zur Radikalität, für die man nämlich die Karriere riskieren muss, aus der Hand gibt.
Wir brauchen eine Diskussion über die Karriereplanung der linken Studierenden. Dafür müssen wir aber über die Widersprüche in ihrer subjektiven Situation sprechen. Aus denen kommt man nämlich gar nicht so leicht raus. Wir müssen über Anpassungszwänge und ihre Unmerklichkeit, über Ängste, Selbstzweifel und die Frage „Was will ich im Leben?“, über die Politisierung des Privaten und über Alternativen zur Intellektuellenidentität sprechen.
So gut wie alle linken Studierenden arbeiten sich an solchen subjektiven Widersprüchen ab, und doch werden sie in der Linken als etwas nicht Politisches, sondern bloß Privates abgetan. Es ist höchste Zeit, dass wir sie kollektiv zur Sprache bringen und uns ein gemeinsames Bewusstsein darüber erarbeiten.
„Wie kann ich meine radikalen politischen Ansprüche und Interessen mit meinem beruflichen Leben verbinden?“
Vergegenwärtigen wir uns zunächst die subjektive Situation linker Studierender hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft. Mehr oder weniger alle knabbern an der typischen Frage: Wie können sie ihre politischen Ansprüche und Interessen mit ihrem beruflichen Leben verbinden?
Man will politisch im Sinne der eigenen Ziele arbeiten oder zumindest die bisherige kritische Auseinandersetzung fortführen. Möglich könnte das in einer KZ-Gedenkstätte, in einer Gewerkschaft, in einer NGO oder an der Uni sein. Also Jobs, in denen man sich wiederfinden und weiterentwickeln kann, sinnvolle Jobs, im Gegensatz zur stupiden Arbeit in Behörden oder in der Wirtschaft. Allerdings stellen alle diese Institutionen keine Revolutionäre ein. Das genau ist der Widerspruch, vor dem die linken Studierenden stehen. Man will einen sinnvollen und politisch interessanten Job, kann ihn aber als Linksradikale nicht haben.
Immer wieder die Panik, ob man gut genug ist, ob man es schafft, reinzukommen. Es gibt so viele, die sich alle um die wenigen Jobs kloppen. Aber man muss es schaffen, man will ja gerade ein Leben als Intellektueller führen – nur das hat doch Sinn – und eben genau dadurch auch sein Geld verdienen. Ohne so einen Job kann man sich die Zukunft nicht wirklich vorstellen. Also sucht man nach Lösungswegen, versucht, eine Brücke von linksradikalen Positionen zu den herrschenden Diskursen zu schlagen.
Man arbeitet sich an den herrschenden Diskursen ab und versucht, sich in den Seminaren mit originellen Bemerkungen in der Sprache der Professorin zu präsentieren. Und siehe da, nach einer Hausarbeit lädt einen die Professorin zum persönlichen Gespräch ein und bietet einem eine Stelle als TutorIn an. Mit einem Mal tut sich eine äußerst rosige Zukunft auf.
Nicht lange und man findet auch den politischen Ausweg aus dem Dilemma von Beruf und Politik. Denn es ist doch klar: Mit dem Prinzipienradikalismus kommt man nicht weit. Welche reale Basis hätte denn auch eine radikale Kritik an Gewerkschaften und Parteien? Ein revolutionäres Subjekt ist doch weit und breit nicht in Sicht. Heute kommt es darauf an, auf reale Veränderungen innerhalb der Institutionen hinzuarbeiten.
Auch wenn – nehmen wir jetzt als Beispiel mal die Musik- und Theaterlandschaft – es nicht möglich ist, den Klassen- und Ideologiecharakter der Kunstwerke herauszuarbeiten, so kann man die gegenwärtigen Diskurse doch immer wieder auf die Spitze treiben und den gesellschaftlichen Gehalt der Kunst hereinbringen. Steht man außerhalb der Institutionen, der Theaterhäuser, Verlage, Musikjournals, so hat man halt gar keine Stimme und kann nichts ändern.
In Bezug auf rechte Tendenzen lässt sich in den bestehenden Institutionen zwar nicht benennen, dass es sich dabei um Krisenreaktionen bürgerlicher Subjekte vor dem Hintergrund ihrer objektiven Eigentumslosigkeit handelt. Dennoch ist es nicht falsch, sie als subjektive Wahl gegen Toleranz einzustufen. So kann man sich in NGOs und Gedenkstätten gegen rechts engagieren und wird dafür bezahlt. Dass man dort die Totalitarismustheorie mitträgt, darüber will man lieber nicht sprechen.
Ja, es stimmt, dass die heutige Kritische Theorie – also Honneth, Jaeggi, Forst – keinen Bezug auf eine kommunistische Praxis oder die Thematisierung der Grundwidersprüche der kapitalistischen Produktionsweise in der Philosophie erlaubt. Aber trotzdem! Man kann immerhin Sozialismus, Revolution und Subjektkritik diskutieren. Andererseits ist es ja schon so, dass es mit dem Marxismus und der Arbeiterbewegung ja auch ein wirkliches Problem gibt, das letztlich auch etwas mit Marx zu tun hat.
An die Stelle von Kapuzenpulli und schlichtem Top oder T-Shirt treten das Hemd und die elegante Bluse. Die Studentin hat ihren Weg gefunden. Sie weiß: Nicht um des Geldes wegen nimmt sie die Strapazen des Betriebs auf sich, es ist vielmehr politisch erforderlich, als Linke solche Jobs zu bekommen, weil der Kampf innerhalb der Institutionen geführt werden muss.
Der Authentizitätszwang der Intellektuellenberufe
Der beschriebene Widerspruch der linken Studierenden hat zwei Gründe. Der eine betrifft die besonderen subjektiven Anforderungen der Intellektuellenberufe, der andere die Identitätsnot der Studierenden. Ich beginne mit dem ersten Grund.
Das Studium ist zunächst nichts anderes als eine Ausbildung bzw. die Produktion von Arbeitskraft in Warenform, und zwar der spezifisch intellektuellen Arbeitskraft. Während dieser Ausbildung müssen die Studierenden sich der Zwecksetzung unterwerfen, später als diese Ware Arbeitskraft verwertbar zu sein oder als Intellektuelle Arbeit zu finden. Tun sie das nicht, so droht der Misserfolg auf dem Arbeitsmarkt und das Studium verliert den ökonomischen Sinn, den die meisten Studierenden mit ihm verbinden.
Die kapitalistische Entfremdung trifft natürlich jede Lohnarbeit und jede Ausbildung. Gegenüber nichtintellektuellen Berufen haben die Intellektuellenberufe aber das – für meine Argumentation hier – entscheidend Besondere, dass man die jeweilige Institution authentisch vertreten können muss. Egal ob als GewerkschaftlerIn, KuratorIn, JournalistIn oder NGO-ReferentIn, es gibt jedes Mal eine bestimmte diskursive Formation, innerhalb derer man kreativ sein, Ideen entwickeln und Texte schreiben muss. Es geht nicht simpel darum, die Unterstützung zu einzelnen Sätzen zu erklären, vielmehr muss man sich die diskursive Formation als Ganze aneignen, muss sie glaubhaft vertreten können und authentisch auf sie ansprechbar sein. Eine ProgrammiererIn, Foodora-LieferantIn oder SchreinerIn mag die größte KommunistIn sein; solange sie den Vertrag erfüllt und ihr Produkt liefert, kann es der Kapitalistin egal sein. Bei den Intellektuellen herrscht dagegen ein Authentizitätszwang vor, bei ihnen ist das Eintreten für die Werte der Institution gewissermaßen Teil des Verkaufs der Ware Arbeitskraft.
Dieser Zwang wirkt aber in die Psyche der Studierenden selbst. Er unterscheidet sich auch spezifisch vom Authentizitätszwang der ProgrammiererIn oder Amazon-MitarbeiterIn, die ihre Überzeugung immer noch vorspielen können, weil sie nicht den Kern ihrer Tätigkeit betrifft. Dem Authentizitätszwang der Intellektuellen zu genügen ist praktisch nur so möglich, dass die Intellektuellen wirklich einen Sinn darin finden, die diskursive Formation dieser Institution zu vertreten, sie also – wie vermittelt auch immer – nicht nur des Gelderwerbs wegen, sondern aus eigener Überzeugung unterstützen. Insofern die Studierenden auf einen Intellektuellenberuf hinarbeiten, sind sie also bereits im Studium diesem Zwang unterworfen, eine eigene Überzeugung zu entwickeln, die authentisch innerhalb der herrschenden Diskurse funktioniert.
Während jedoch die objektive Seite der Ausbildung verwertbarer geistiger Fähigkeiten klar auf der Hand liegt und von den Studierenden mit Bewusstsein verfolgt wird, wird der subtile Zwang, eine eigene, aber passende Überzeugung zu entwickeln, kaum erkannt. Die Erkenntnis dieses Authentizitätszwangs ist unter anderem deswegen so schwierig, weil das Eintreten für bestimmte Positionen praktisch nie eingefordert wird – es widerspräche ja gänzlich der wissenschaftlichen Liberalität. Die Anforderungen machen sich indirekt und implizit gelten: Etwa wird eine politische Benotung einer Abschlussarbeit nicht politisch begründet, sondern vielmehr wird auf die „unzeitgemäße Sprache“ (Ideologie, Widerspruch, Klasse), die fehlende Auseinandersetzung mit dem „Stand der Forschung“ und die unverständliche Argumentationsweise verwiesen. Der Ausschluss wird praktisch nie offen vollzogen, sondern läuft über eine Logik der Konkurrenz, der besseren und schlechteren Chancen, und das verstärkt die Subtilität des Anpassungsdrucks.
Es gibt eine spezifische Weise linker studentischer Wissensarbeit, die mir eine typische Konsequenz der Unterwerfung unter die eigene Verwertbarkeit zu sein scheint. Man verfolgt diverse Anliegen radikaler Gesellschaftskritik, was zunächst nicht viel mit dieser Verwertbarkeit zu tun haben scheint. Allerdings hat man stets „nebenbei“ im Blick, dass man bei dieser Wissensarbeit zumindest prinzipiell einen Nutzen ziehen kann. Man beschäftigt sich mit Geschlechtertheorie und Nationalsozialismus, Adorno und Butler, aber eher nicht mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Imperialismustheorie, Wilhelm Reich und Hans-Jürgen Krahl. Man rezipiert für diese Wissensarbeit die akademischen Debatten zu dem Gegenstand – man muss sein Urteil ja diskursfähig darstellen können.
Die Angst vor dem Scheitern
Obwohl die vom Intellektuellenberuf ausgehenden Zwänge bis ins Innerste hineinreichen, scheinen sie bisher ganz pragmatischen Charakter zu haben, schlicht objektiv mit dem Intellektuellenberuf verbunden zu sein. Man könnte soweit wohl irgendeinen Umgang damit finden.
Sie erscheinen aber nur so pragmatisch, tatsächlich bergen sie wahre Abgründe in sich. Das führt uns zu dem zweiten Grund für den Widerspruch der linken Studierenden. Wie ich oben versucht habe darzustellen, erscheint die Option, keinen solchen Job zu erhalten, als etwas ganz und gar Inakzeptables. Sie würde die gesuchte Selbstverwirklichung und Anerkennung unmöglich machen und wäre mit dem Verlust der eigenen Identität als Intellektueller verbunden. Anzeichen für Misserfolg sind regelmäßig Anlass zu tiefgreifenden Selbstzweifeln und Depressionen.
Aber gerade diese „existentielle“ Logik entzieht sich der Wahrnehmung, wenn man unmittelbar persönlich in dieses Geschehen involviert ist. Genauer: Es entzieht sich der Wahrnehmung, dass diese „existentielle“ Logik nicht an eigene Schuld und eigenen Verdienst, sondern überhaupt an das eigene spezifische Identitätsstreben als Intellektueller geknüpft ist. Damit dies wahrnehmbar wäre, müsste man gerade diese seine eigene Intellektuellenidentität aufgeben. Dazu müsste diese überhaupt als etwas Disponibles erscheinen, aber sie ist ja gerade das, als was man sich selbst sieht. Man kann daher diesen inneren Konflikt nur pragmatisch wahrnehmen, d.h. nicht so, dass es ein Konflikt zwischen politisch-theoretischen Positionen ist, der an das eigene Identitätsstreben geknüpft ist, sondern nur so, dass es objektive Anforderungen der herrschenden Diskurse gibt, für die man mit bestimmten Fähigkeiten aufwarten muss.
Aber über diese Identitätslogik vollzieht sich ein innerer Anpassungszwang, den man daher ebenfalls als Zwang nicht wahrnehmen kann: Man muss sich auf den herrschenden Diskurs zubewegen, in seine Bahnen hineinfinden, um der Sinnlosigkeit der „Existenz“ zu entgehen. Man kann den Zwang nicht wahrnehmen, und spürt dennoch ständig den von ihm ausgehenden Druck, auf den man reagiert. Es gibt in dieser angst- und kickgetriebenen Suchbewegung daher eine typische Weise, wie man in den herrschenden Diskurs hineinfindet: In plötzlicher Weise überkommen einen Einsichten, in denen sich Thesen des herrschenden Diskurses als völlig sinnvoll darstellen. Es sind jedoch Einsichten, die nicht die Gestalt eines Arguments haben, sondern in denen man sich selbst mit der eigenen kritischen Haltung eingemeindet in die Gemeinschaft des herrschenden Diskurses fühlen kann.[ii]
Was tun gegen die Anpassungszwänge?
Um diesen Anpassungszwängen und Konflikten zu entgegnen, ist dreierlei nötig.
1. Wir müssen uns ein Bewusstsein über die bei uns konkret wirkenden Anpassungszwänge erarbeiten, müssen uns bewusstmachen, dass die Anforderungen des Intellektuellenberufs ebenso wie unser widersprüchliches Streben nach Intellektuellenidentität nicht individuelle Fehler und Probleme unsererseits, sondern gesellschaftliche Zwänge sind.
2. Es bedarf des praktischen Bruchs mit der Intellektuellenkarriere. Der Hauptpunkt ist ja, dass man auf möglichst hohe Chancen auf dem Intellektuellenarbeitsmarkt hinarbeitet und eben davon der perfide innere Druck ausgeht. Man muss sich also konkreten nichtintellektuellen Einkommensmöglichkeiten zuwenden, in denen keine solche innere Anpassung nötig ist. Wenn man die zeitlichen und finanziellen Ressourcen hat, gibt es auch die konkrete Möglichkeit, sich entsprechend auszubilden: Man kann dann etwa auf handwerkliche Berufe (SchreinerIn, GärtnerIn), technische (ProgrammiererIn, ChemikerIn) oder soziale (KindergärtnerIn, KörpertherapeutIn) hinarbeiten. Man kann dann auch durchaus einen Weg nehmen, der einem sehr viel Spaß macht. Das schließt gleichzeitig nicht aus, dass man auch Jobs als Intellektuelle anstrebt – mit einer zweiten Option des Lebensunterhalts hat man aber nun die Möglichkeit, diese Jobs auch tatsächlich politisch zu machen. Man kann in Kauf nehmen, im Betrieb nicht mehr weiterzukommen.
3. In linksstudentischen Vorträgen, WGs und Lesekreisen sucht man zwar ständig nach der radikalen Kritik, ist aber so schizophren, gerade die individuellen praktischen Konsequenzen dieser Kritik nicht zu thematisieren und als Privatsache zu belassen. Das wäre auch darum nötig, weil die Entscheidung gegen die Intellektuellenkarriere keineswegs leicht ist. Wir brauchen daher die offene und politische Diskussion über die Karriereplanung der linken Studierenden.
Aber Adorno war doch auch Professor!
Es gibt natürlich immer wieder besondere Situationen, in denen linksradikale Positionen innerhalb von Institutionen möglich sind. In den 1920er Jahren konnte mit einem ordentlichen Batzen Geld ein ganzes marxistisches Institut, das Institut für Sozialforschung, gegründet werden. Nach dem Krieg konnte die Gründung angesichts der politischen Lage nach Nazizeit und Holocaust wiederholt werden. In den 70ern gelang es aufgrund des politischen Drucks durch die 68er-Bewegung, eine ganze Reihe von marxistischen ProfessorInnen zu installieren.
Selbstverständlich ist es wichtig, für kritische Wissenschaft an der Uni oder politisch wichtige Ausstellungen zu kämpfen. Genauso kann es völlig Sinn machen, zeitweise oder nebenbei Tätigkeiten „im Betrieb“ zu übernehmen, z.B. weil man auf dieser Stelle linke Politik machen kann oder bezahlte Reportagen über kapitalistisch produziertes Elend schreiben kann. Es geht hier also weder darum, dass man in solchen Berufen nicht arbeiten „darf“, noch um eine verbalradikale Gegnerschaft zu bürgerlichen Institutionen, noch um eine Entsolidarisierung mit Linken, die dort arbeiten. Das Problem beginnt da, wo man ausschließlich auf die Intellektuellenkarriere fixiert ist. Die politischen Möglichkeiten, die solche Stellen eröffnen können, hat man genau dann nicht mehr, wenn man keine andere Option für den Lebenserwerb hat und sich die radikale Stellungnahme verbieten muss. Dann landet man ziemlich schnell dabei, dass man sich selbst Ideologieproduktion und Sozialpartnerschaft als linke Praxis innerhalb der Institutionen verkauft.
Wir müssen unser Leben ändern
Dass man mit der Intellektuellenkarriere brechen soll, sagt sich leicht, ist aber eine ziemlich extreme Entscheidung. Man muss auch mit dem brechen, was man selbst ist, mit der eigenen Identität, und dazu noch einen sozialen Kampf mit Eltern, bürgerlicher Meinung usw. durchstehen.
Wenn die eingangs erwähnten Texte also einfordern, einen nichtintellektuellen Beruf zu wählen, reicht das nicht. Man muss auch über eine Kritik der bürgerlichen Persönlichkeit sowie eine alternative Lebensperspektive zur Intellektuellenidentität sprechen. Die kann allerdings nicht darin bestehen, dass man als HeldIn der Revolution die „eigene Karriere“ für die Sache aufopfert. Die Rede vom Berufsrevolutionär in den 70ern war die falsche Abzweigung und war sie auch schon bei Lenin, von dem sie ursprünglich kommt.
Wenn es um einen Bruch mit dem Intellektuellenberuf geht, dann kann das nicht heißen, auf die Uni zu scheißen. Im Gegenteil. Wir brauchen scharfsinnige und gebildete politische Intellektuelle. Das Studium wäre insofern als politisches zu führen, mit dem Ziel, sich zur kritischen Wissenschaft, zur politischen Analyse und Textproduktion auszubilden. Wichtig ist hierfür die universitätsunabhängige Organisierung für kritische Theoriearbeit während des Studiums und darüber hinaus.
Die Privatsache der Berufsperspektive muss politisiert werden. Dazu muss sie aber auch in der eigenen politischen Organisierung aufhören, Privatsache zu sein. Die politische Organisierung muss aufhören, das Politische gegen das Private zu halten, und Entscheidungen gegen bürgerliche Lebensläufe nicht mehr individuell, sondern gemeinsam fällen, dafür Rückhalt geben und ihre Härten auffangen.
Wenn es um die Identität geht, muss es last but not least darum gehen, sein Leben zu ändern. Und das findet zu einem ganz relevanten Teil als individuelle Reproduktion und zwischenmenschliche Beziehung statt. Der Drang, als Intellektueller, als Repräsentant von Geist & Kultur zu reüssieren, gründet in einer Identitätsnot, und die rührt aus unserer isolierten Lebensweise als Privatpersonen. Diesen Nöten und Ängsten praktisch zu entgegnen heißt, kollektive Lebens- und Reproduktionszusammenhänge aufzubauen.
Das Private ist politisch!
Bis Ende der 70er war es selbstverständlich, so berichten ältere GenossInnen, das eigene Leben und insbesondere die eigene Lohnarbeitssituation politisch zu thematisieren und gegebenenfalls zur Disposition zu stellen. Seit etwa 1980 wird dagegen das eigene Leben als etwas Privates angesehen, an das kein politischer Anspruch zu richten ist und das nur einen selbst etwas angeht.
Mittlerweile bewegt sich da wieder etwas. Etliche Stellungnahmen haben eine Neuausrichtung der linksradikalen Strategie auf Basis- und Selbstorganisierung gefordert[iii] und dies mit individuellen Konsequenzen verbunden: Linksradikale AktivistInnen müssen aufhören, sich als über den Kämpfen stehend zu begreifen, sie müssen sich selbst als Proletarisierte begreifen und im eigenen Arbeitsverhältnis politisch agiereniv. Die Diskussion über den eigenen Beruf, über die eigene Klassenlage und über ihre Widersprüche müssen zum Teil dieser Debatten werden.
*Von Emanuel Kapfinger
Der Artikel erschien zuerst im Lower Class Magazine unter: http://lowerclassmag.com/2017/03/wir-brauchen-eine-diskussion-ueber-die-karriereplanung-der-linken-studis/#more-4395
Fußnoten:
Wildcat (2014): „Beruf und Bewegung“, http://www.wildcat-www.de/wildcat/96/w96_berufubewegung.html. Wildcat (2014): „Bewegung und Beruf, Teil II. Kritik der gesellschaftlichen Arbeitsteilung“, in: Wildcat 97. Olly Hill (2014): „The miseries of political life“, https://rdln.wordpress.com/2014/10/28/symposium-on-the-way-forward-3-the-miseries-of-political-life.
Ich möchte mir an dieser Stelle einige subjekttheoretische Schlussfolgerungen erlauben:
1. Man kann die Anerkennungssuche, den Selbstverwirklichungsdrang und die Fixierung auf die Intellektuellenidentität sicherlich in einer inneren „libidinösen“ Logik analysieren. Dennoch sind sie untrennbar mit ökonomischen Verhältnissen und Zwängen verbunden. Die Intellektuellenidentität setzt zu ihrer Stabilisierung überhaupt einen entsprechenden Intellektuellenjob voraus. Die typischen Selbstzweifel der intellektuellen Arbeiterin entzünden sich gerade an der Diskrepanz zwischen dem herrschenden Diskurs und den eigenen wissenschaftlichen und politischen Interessen. Wäre die Konkurrenz zwischen intellektuellen ArbeiterInnen niedrig, wäre auch der Anpassungsdruck gelockert und damit viel weniger Anlass zu Selbstzweifel und Depression gegeben.
2. Umgekehrt kann die subjektive Situation der Studierenden nicht verstanden werden, wenn man sie bloß ökonomisch analysiert, als spezifischen Fall der Produktion von Arbeitskraft, der zu spezifischen Konflikten mit den Ausgangspunkten der Studierenden führt. Man muss die Identitätslogik für sich betrachten.
3. Was analytisch getrennt werden muss, ist in der Realität immer verschmolzen. Die Angst vor Misserfolg ist immer beides: sie ist Angst vor dem ökonomischen Abstieg und Angst vor Identitätsverlust. Der ökonomische Abgrund stellt sich immer zugleich als existentielle Sinnlosigkeit dar und umgekehrt. Anerkennungserfolge beruhigen zugleich über die ökonomischen Aussichten. Gerade diese Verschmelzung erschwert die Analyse der Mechanismen.
4. Ohne das bürgerliche Bedürfnis, „jemand zu sein“, ohne die Bedürfnisse auf Anerkennung, Selbstverwirklichung und Identität, also ohne die bürgerlichen Formen des Bewusstseins, gäbe es den ganzen Zirkus des unsichtbaren Anpassungszwangs und seiner Widersprüche nicht. Die Kritik der Studierenden erfordert daher nicht nur die Kritik der intellektuellen Arbeit im Kapitalismus und die Kritik der Universität, sondern ebenso die Kritik der Produktion des bürgerlichen Subjekts.
Antifa Kritik & Klassenkampf (2015): „Der kommende Aufprall“, http://akkffm.blogsport.de/images/DerkommendeAufprall_web.pdf. radikale linke berlin (2016): „Geschichte wird gemacht“, https://radikale-linke.net/blog-posts/geschichte-wird-gemacht. kollektiv bremen (2016), „Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik“, https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2016/05/1882461437.pdf. Basisgruppe Antifa Bremen (2016): „Thesen zur Strategie in sozialen Kämpfen“, http://basisgruppe-antifa.org/wp/thesen-zur-strategie-in-sozialen-kaempfen-2016/.
Vergleiche „Der kommende Aufprall“, a. a. O., Abschnitt 3.1: Selbstorganisierung und Klassenkampf. „Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik“, These 5: Das Leben mit einbeziehen.
Fragen über Fragen und spannende Hinweise
Hochinteressanter Artikel, scharfsinnig beobachtet auch im sozialen Umfeld, spätenstens ab so ca. 37 haben die meisten einen Job als Gymnaliallehrer mit ganz viel Kohle und machen sich vor, sie seien nach wie vor auf der richtigen Seite... Die Lösungsansätze sind ziemlich durchdacht. Doch was tun, wenn die soziale Basis wegbricht, weil alle rund um einen Kinder haben, sich in die bürgerliche Kleinfamilie zurückziehen oder Kohle scheffeln?
Gymnasiallehrer?
Ne du, das war früher mal. Wenn ich mir die heutigen Studis so anschauen klappt das wohl nur bei den wenigsten.
So lange lieber gefeiert bzw. danach ausgeschlafen wird anstatt Vorlesungen zu besuchen sehe ich da eher schwarz.
Wenn man mal ehrlich ist, bleibt den meisten nicht wirklich viel mehr als die o.g. NGOs, Gedenkstätten usw.
Für mehr reicht der Intelekt dann halt doch nicht.
Die Entsolidarisierung mit dem Arbeiter im Allgemeinen innerhalb der Linken bzw. treffender der Antifa halte ich nicht nur für bedenklich, ich finde sie zum kotzen.
Großes Kino
Intellekt korreliert nicht unbedingt mit Rechtschreibkenntnissen.
Naja
Ich weiss aus meinem jetzigen Studium, das die Meisten nur noch dann linke Politik machen, wenn für sie Karriere dabei abfällt.
Vergesst doch die StudentInnen, die werden doch so oder so ihr soziales und kulturelles Kapital gegen das Proletariat wenden.
Bitte kein Intellektuellenbashing mehr
Klar, alle linken sollten sich nicht in sozialen und intellektuellen Berufen abarbeiten und diese als revolutionär darstellen. Aber es ist immer revolutionär in antikapitalistischen basisdemokratischen Gewerkschaften zu sein und für diese bzw. mehr Selbstbestimmung und Lohnsteigerung einzutreten um diese so als vertrauenswürdig zu beweisen. Und proletarisch muss niemand sein, eine Revolution entsteht gerade dadurch das Klassenschranken durchbrochen werden wie Bakunin schon so schön feststellte. Auch um Menschen aufzufangen die sich gegen einen "bürgerlichen" Lebenslauf entscheiden kann nur bedeuten eigene Strukturen/Kommunen/Betriebe aufzubauen und diese zu vernetzten anstatt "nebenbei in Betriebe zu gehen". Bildung sollte einen zu einer hochqualifizierten Arbeitskraft machen und diese kann man dann auch nutzen um ein zusammenproduzieren zu erproben.
Aber linksradikale Politik kann genauso die Organisierung von Lesegruppen, Antifaarbeit, Massenaktionen/Randale, Konzert und Partyorganisation, Viertelumgestelung usw. sein. Man sollte niemanden zwingen sein ganzes Leben für die Revolution zu geben und nur bestimmt Jobs auszuüben wie in dem Artikel gefordert ist. Eine Revolution wird eh nur durch einen Kriegzustand oder einen Generalstreik entfacht und dass hier niemand Schießübungen machen will ist ja offensichtlich.
richtg!
Wo der Author Recht hat, da hat er Recht! Die intelektuelle Linke ist die Speerspitze der Gentrifizierung!
arbeiter klasse sind andere
Finde es wichtig dieses Thema anzusprechen und zu Diskutieren,da wirklich auf Studis kein verlass ist,auf dauer da viele sich nur wichtig machen in der Studi zeit,bis ihre berufliche karriere sie wieder in die Bürgerliche Mitte zieht.
Studis schreiben gute Texte aber für mehr sind sie längerfristig nett zu gebrauchen,da sie mit eligären gehabe ,nett das ware Politariat präsentieren.
und die nichtintelektuellen
fangen ein job im sozialbereich an. aus ähnlichen gründen,
is aber auch nicht besser. denn obwohl ganz konkret hilfe und unterstützung möglich ist, so gibt es auf der anderen seite die institutinelle ebene, die geldgeber*innen, die natürlich unterdsrückung forderen, vielleicht zwar auf eine sanftere art und weise, aber dennoch untderdrückung.
und selbst wird mensch zermürbt zwischen der immer grösser werdenden soziale schere, sprich mehr arbeit im job, der unmöglichkeit, irgendetwas grössereres zu bewegen, der miesen bezahlung. endet dann in rückzug, nur noch job nach plan, räumlichen trennung zwischern sozialhacklern und hilfsbedürftigen (sowie es vor kurzem in einem bericht vom oplatz beschrieben wurde),.....
das traurige ist ja, dass anarch@s, kummerl, sozialrevolutionäre in diesem bereich dezidiert willkommen, und es auch viele gibt, die in diesem bereich artbeiten. aber das politische muss halt draussen bleiben, und beschränkt sich fast nur auf pausengespräche.
achja, und kritik kann geäußert werden, ist sogar erwünscht, aber da gibt es halt leider die sachzwänge, und da kann mensch nix machen.....
alternative????
spannend
das stimmt.
Das was im Text mit Authentizitätszwang beschrieben ist betrifft nicht nur intellektuelle Berufe. Das ironische ist ja grade, dass man sich einredet, soziale oder intellektuell Berufe wären irgendwie widerspruchsfreier als z.B. die Arbeit in einer Werbeagentur oder einer Bank. Tatsächlich kann man zum Teil argumentieren, dass es genau anders rum ist.Wenn ich mit meiner Arbeit keinerlei politischen Anspruch verbinde sondern sie als reine sinnentleerte Tätigkeit zum Broterwerb betrachte, kann sie schwerlich meine politische Identität ankratzen.
Praktisch führen solche Karrieren aber leider auch oft genug in die Anpassung, weil man das auch nicht lange aushält nen so großen Teil seiner Zeit für etwas aufzuwenden, das man an sich für sinnloshält. Also redet man sich ein, dass es doch irgendwie Sinn hätte.
Ich denke ein erster Schritt wäre es, die Widersprüchlichkeit sich immer wieder bewusst zu machen, zu diskutieren und auszuhalten. Widerspruchsfreihei können wir im Kapitalismus eben nicht leben. Wir dürfen uns deshalb nciht einreden, das wir die Widersprüche für uns privat überwunden hätten. Das aushalten der Widersprüche darf dabei aber auf keinen Fall privatisiert werden. Sonst wird es scheitern. Es ist genau diese nicht-thamatisierbarkeit der scheinbar privaten Widersprüche der eigenen Biographie, die den größten Anpassungsdruck erzeugt.
sich organisieren!
linke sozialarbeiterInnen gibt es ja wirklich en masse. Der richtige Ansatz ist auch hier nicht zwingend, dass jetzt alle den Job wechseln, sondern, dass die Leute sich endlich zusammenschließen und sich organisieren. Gegen miese Arbeitsbedingungen, gegen die Entpolitisierung des Jobs etc. Da findet sich immer was ;) Nur, wenn das nicht mal Linke untereinander hin bekommen, frage ich mich manchmal schon, was heute revolutionäre Politik bedeutet. Da wo man ist, was machen und Widersprüche voran treiben. Das wäre zumindest mein Verständnis davon. Und eben nicht in abstrakten Sphären rum schweben, ja weit weg genug vom eigenen Alltag. StellvertreterInnenmist... ist doch langweilig... ;)
Gedanken, die mir dazu kommen:
Links kann man ja auf zweierlei Arten sein: antifaschitisch und revolutionär.
Als Antifaschist ist der Lebenswandel zum Intelektuellen kein Problem, denn GEGEN Faschisten sein, und diese bekämpfen, kann ich aus jeder Position herraus. Antifaschismus kann auch Systemkonform sein, denn mein Verhalten orientiert sich am Feind.
Nur Revolutionär sein, dass bedeutet mehr! Das bedeutet etwas Neues erreichen zu wollen. Hier liegt doch das Problem: Wenn ich als intelektueller zur bevorteilten Klasse gehöre, dann ist die Motovation etwas an den Klassen-Verhältnissen zu ändern doch eher gering.
Meine Rede!
Endlich mal jemand der auch in der Lage ist, diese Differenzierung anzuwenden, im Gegensatz zu vielen GenossInnen, die schon den "bürgerlichen Bündnissen" den Antifaschismus absprechen.
Solange sich jemand gegen Faschismus engagiert, ist mir der Rest egal - ich hab sogar schon Nazis prügelnde FDPler erlebt, also soviel zu dem Thema. Wer neben mir in der Demo steht und Nazis bekämpft, darf sich meiner Meinung nach als Antifaschist bezeichnen. Nur das "revolutionär" Label passt dann nicht.
Grundfehler all dieser Diskussionsansätze
In einer Welt in der die Lüge imanenter Bestandteil jeglicher Lebensbereiche ist wird von Linken und den als "Guten" dargestellten verlangt hundertprozentig "authentisch" d.h. berechenbar zu sein.
Wir sollen schön an unseren eigenen Idealen zugrunde gehen und uns möglichst alle die Augen aushacken weil der eine nicht so links ist wie die andere und umgekehrt.
Aus "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" würde ich ableiten das wir alle nur unseren Kompromis im Bestehenden leben und keiner für sich beanspruchen kann wirkliche revolutionäre Praxis zu leben - und selbst wenn, wieso muss das als Vorwurf allen Anderen angelastet werden? Eine Überhöhung der eigenen Position und elitärem Getue hilft keinem weiter, göttergleiche Helden brauchen wir um so weniger. Schön wenn Du in einem Hausprojekt wohnst, auch das kann ein Privileg darstellen, vor allem in der linken Szene.
Eine ganze linke Generation ist gefangen in veralteten Denkmustern und unfähig selbst die einfachsten radikalen (anarchistischen) Prinzipien im eigenen Szenesumpf umzusetzen und sorgt unteranderem damit für die eigene Bedeutungslosigkeit.
Wir sollten uns frei machen von diesen falschen Vorstellungen von Schuld, denn diese ist genau so immanent wie die Lüge im Kapitalismus. Jeden Scheiß den wir kaufen/konsumieren ist unter scheiß Bedingungen entstanden (hört mir auf mit "Fairtrade" - es gibt keinen "fairen" Handel im Kapitalismus) aber wir sind die einzigen die sich dafür rechtfertigen sollen, weil es ja nicht unseren Idealen entspricht - als ob der Konsumzwang so einfach an einem abperlen würde und entschuldige bitte noch mal das ich nicht deinem bürgerlichen Vorstellungen eines radikalen Linken oder was auch immer entspreche.
Wieso nicht mal als Linker in so einem Dax-Konzern eine Karriere anfangen, die ganze Kohle in die eigenen Strukturen stecken die fürs eigene Auskommen überflüssig ist und langfristig so viel Schaden wie möglich anrichten? (nur ein übertriebenes Beispiel)
Wieso sich nicht mal nach außen hin verleugnen um sich innerlich treu zu bleiben?
Wenn wir immer genau da sind, d.h. in der passiven Rolle des Kritikers, dann sind wir genau da wo man uns haben möchte!
Ihr fragt euch warum so viele jenseits der 30 die Kurve machen?
Linke Lebenswelten sind in unserer Zeit nichts weiter als der Ort wo sich jeder in weitestgehend gesellschaftlich akzeptierter Form die Hörner abstoßen kann, die wilden Jahre halt. "Wer bis 30 nicht links war hat kein herz, wer es danach noch immer ist hat keinen Verstand" ist ein viel beschworenes Zitat mit einem wahren Kern.
Wir sind bedeutungslos und bieten keine Perspektive für die meisten Menschen, schon gar nicht wenn sich die eigenen Lebensperspektiven durch Familie und Co ändern.
Ein bisschen Richtig ist besser als das Falsche.
Auch wenn du Adorno (ein Kind aus Grossbürgerlichem Haus) zitierst, sagt das noch garnicht das der Typ auch recht hatte. Für mich liest sich das eher immer wie ein abschweifendes deprimierendes "Können ja eh nix machen. Hab Angst meine Privilegien zu verlieren, meine Klassenzugehörigkeitsvorteile auf Spiel zu setzen. mimimi"
Bei allem anderen stimme ich dir zu. Es fehlen Perspektiven, gerade mit Kindern in der kapitalistischen Scheiße ein unseren Vorstellungen entsprechend radikales Leben zu führen. Das Problem ist nur, dass uns das Organisieren desselben niemand abnehmen wird, weder Papa Aldi, Noch Tante Biocoop, noch Mama Staat oder welchen anderen kapitalistischen Scheißplayer auch immer. Wenn du schreibst dass es nachvollziehbar wäre wenn Leute mit 30 die Kurve kratzen dann entlarft das doch gerade dieselben, nicht als unauthentisch oder sowas, nein, einfach als nicht konsequent.
Wo sind denn die sogenannten "Alternativen" wo ich mich als 16-20 jähriger Mensch einhängen kann und ne Perspektive hab abseits von der kapitalistschen Lehrstelle oder der kapitalistischen Uni? Warum haben denn die, die mit 30 die Kurve kratzen nichts aufgebaut für die Generationen danach. Ist es vielleicht nur ein Lifestyle? Oder ist Kindererziehung in der Kleinfamilie, dann doch ein Revolutionskiller? Keine Zeit mehr? Schlechtes Gewissen? Wird das Leben dann doch ernster und heißt revolutionär zu sein dann doch viel Familienglück auf Spiel zu setzen, weil Repression gegen dich dann auch wirtschaftlich und emotional deine/n Partner_in und Kinder trifft? Weil der größte Teil der Linken und radikalen Linken eben auf individuelle Lebensführung besteht: individuell studieren, sich individuell ausbilden, aus individuellen Beweggründen sich hier und dort engagieren, einen Job finden (im Kapitalismus mit Lohn!) der deinen individuellen Vorzügen entspricht, und so weiter und so fort?
Alles sind Optionen und Möglichkeiten und gerade wer die Wahl hat, hat eben das Privileg. Wer bis 30 nichts organisiert hat worin es sich leben lässt, sollte dann irgendeinmal damit anfangen, denn ansonsten schreiben in irgendeinem anderen Forum in 20 Jahren wieder Leute die schön mit der Familie sind und nen einigermaßen gutbezahlten Job haben "Es gibt kein richtiges Leben im falschen, mimimi".
Das gilt für Alle. Reißt euch mal zusammen, trefft Entscheidungen und baut was auf und lasst euch nicht entmutigen wenn der Wind mal härter weht und euch halt nicht Polizei und Justiz, sondern eben ökonomische Repression trifft. Die wird euch früher oder später so oder so treffen, aber dann eben ganz individuell.
nachgelesen
bzgl. Adorno: hier findest du die Minima Moralia mitsamt dem Abschnitt zum besagten Satz. http://www.copyriot.com/sinistra/reading/agnado/minima.html
Etwas konkreter geht es um folgende Stelle:
"Die Kunst bestünde darin, in Evidenz zu halten und auszudrücken, daß das Privateigentum einem nicht mehr gehört, in dem Sinn, daß die Fülle der Konsumgüter potentiell so groß geworden ist, daß kein Individuum mehr das Recht hat, an das Prinzip ihrer Beschränkung sich zu klammern; daß man aber dennoch Eigentum haben muß, wenn man nicht in jene Abhängigkeit und Not geraten will, die dem blinden Fortbestand des Besitzverhältnisses zugute kommt. Aber die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion, einer lieblosen Nichtachtung für die Dinge, die notwendig auch gegen die Menschen sich kehrt, und die Antithesis ist schon in dem Augenblick, in dem man sie ausspricht, eine Ideologie für die, welche mit schlechtem Gewissen das Ihre behalten wollen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. "
Es geht also um das Verhältnis des Individuums zum Besitz und die Erkenntnis, dass man eigentlich seinen gesamten Besitz aufgeben müsste, weil es sinnlos ist, sich daran zu klammern während es überall alles im Überfluss gibt. Die Konsequenz wäre ein lieb- und achtloser, verschwenderischer und zerstörerischer Umgang mit den Dingen (und wie Adorno behauptet in der Konsequenz auch mit den Menschen). Das ist ungefähr das, was man heutzutage mit Begriffen von "Wegwerfgesellschaft" und dergleichen meint.
Gleichzeitig ist Besitz notwendig, um nicht in völliger Abhängigkeit vom Kapitalismus zu sein. Eine Einsicht, die z.B. auf zynische Weise bei Hartz IV dazu geführt hat, dass man erst seinen gesamten Besitz aufzehren muss - sich also in völlige Ahängigkeit vom Markt begeben muss - bevor man auf staatliche Unterstützung Anspruch hat. Die Notwendigkeit von Besitz zum Schutz vor Abhängigkeit herauszustellen bezeichnet Adorno aber als "Ideologie für die, welche mit schlechtem Gewissen das Ihre behalten wollen".
Beides wären also erstmal "richtige" Reaktionen auf den Zustand der (falschen) Gesellschaft. Man steht aber vor dem doppelten Problem, dass sie sich zum einen gegenseitig ausschließen und sie zum anderen jeweils innerhalb dieser falschen Gesellschaft selbst wieder falsch würden. In der falschen Gesellschaft werden also selbst die eigentlich richtigen Reaktionen zu falschen. => Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.
Auf dieser Grundlage kann man sehen, dass die Verwendung des Satzes tatsächlich in den allermeisten Fällen mit dem, was Adorno konkret angesprochen hat (an Anfang des Aphorismus gibg es um die "unmöglichkeite heutzutage überhaupt noch zu wohnen") nichts zu tun hat.
Versucht man es abstrakter zu fassen kann man immerhin noch sagen: Die Gesellschaft stellt mich aufgrund ihrer eigenen Widersprüchlichkeit vor Widersprüchliche Anforderungen. Ich kann diesen Anforderungen garnicht gerecht werden, egal was ich mache. Selbst die versuche es anders zu machen führen im Kapitalismus nur dazu, dass es noch schlechter wird. Das ließe sich dann tatsächlich auf sehr vielen anwenden.
Was man allerdings nicht daraus ableiten kann ist eine Entschuldigung, die Hände in den Schoß zu legen. Das es einfach völlig egal ist, was man macht steht dort eben genau nicht. Bloß, dass man sich nicht allzu viele Hoffnungen machen sollte.
Beobachtungen
Ich habe nach einem Ausbildungsberuf dummerweise was mit Medien studiert. Aus Interesse und aufgrund der naiven Vorstellung, mit dieser Tätigkeit gesellschaftlich etwas verändern zu können. Schon während des Studiums war klar: Wer sich anpasst, wenig hinterfragt und im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik fleißig ist, der hat deutlich bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz - gerade in Medienberufen. Da ich mich mit all diesem Schwachsinn nie anfreunden konnte und wollte, landete ich nach dem Studium irgendwann in der HartzIV-Mühle. Schließlich Anschlussverwendung in einer öffentlichen Organisation. Befristet und zum Azubi-Tarif, aber damit konnte ich leben. Habe dort aus meiner linken Haltung nie ein Geheimnis gemacht. Kleine Randnotiz: Selbst mit ziemlich konservativen Menschen dort konnte man über Kapital und Arbeit diskutieren und der Chef war zwar nicht unbedingt als Antikapitalist zu erkennen, aber eben auch nicht als jemand, der nun voll und ganz hinter dem politisch-gesellschaftlichen Mainstram stehen würde.
Heute sind viele Studierende und junge Erwachsene ja ziemlich unpolitisch und desinteressiert, so mein Eindruck. Mit einer bequemen Nicht-Haltung hat man natürlich weniger Probleme sich in der PR-Agentur, beim Immoinvestor, bei einer Unternehmensberatung oder sonst wo zu verdingen. Ich sitze mit Ü30 dagegen wieder in der Provinz - weitere Befristungen endeten, der Bewerbungsalbtraum hat erneut begonnen. Die Auswahl an Stellen, die ich mit meinen Haltungen vereinbaren kann, ist winzig und aus der Sicht von Personalfuzzis bin ich sowieso schon zu alt. Tja, und den Daddy, der mir die Wohnung in Kreuzberg und ein „alternatives“ Leben finanziert, den gibt es auch nicht.
Mittlerweile beneide ich etwa SozialarbeiterInnen oder ProgrammiererInnen: Nicht nur, dass man sich in einem solchen Beruf die Stellen momentan aussuchen kann. Ich kann dort eine interessante, mitunter sinnige Arbeit leisten und verdiene damit meinen Lebensunterhalt. Ich muss mich aber nicht ständig fragen, ob ich nun die politisch-gesellschaftliche Haltung der Führungsspitze wirklich teile. Denn meine Aufgabe ist eben nicht inhaltlich-programmatisch geprägt bzw. eine „nichtintellektuelle“ Arbeit, wie es im Beitrag heißt. Wer eine solche Aufgabe hat, der sitzt mit einer dezidiert linken Haltung in dieser Arbeitswelt ganz fix in der Falle. Dazu kommt: Selbst in unverdächtigen Einrichtungen werden Personalentscheidungen heute oft von neoliberal verqueren Menschen getroffen. Und in den sog. Intellektuellenberufen kommen auf eine freie Stelle hunderte BewerberInnen. Eingestellt werden dann meistens die brav-angepassten Grinsemanns mit den schnurgeraden Lebensläufen - und diese Leute sind im Normalfall auch wenig bis gar nicht links.