Der Beitrag ist gestern im LWC (Lower Class Magazin) erschienen und dreht sich um eine immer wiederkehrende Debatte innerhalb der radikalen Linke. Wir fanden ihn sehr lesenswert und erhoffen uns eine weiterführende Diskussion darüber;
– Ein Beitrag zur Debatte über Anonymität und linksradikales Aussschlussgeklüngel
Hallo, darf ich mich vorstellen? Ich heiße Hendrik Keusch und ich bin linksradikal. Mein Name ist echt. Ich habe nicht darum gebeten, dass die Redaktion meinen Namen ändert oder mich Anna Arthur genannt, oder mir ein anderes sofort als solches zu erkennendes Pseudonym gegeben. Warum aber ist das eigentlich so ungewöhnlich im linksradikalen (post-)autonomen Milieu: Die meisten meiner linken Freunde haben bei Facebook, so sie denn überhaupt einen Account haben, nicht ihren richtigen Namen angegeben. Die linksradikale Frankfurter Gruppe Antifa Kritik und Klassenkampf warnt vor der „Ausforschung“ durch den Exzellenzcluster ,,Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität [1]. Fast jede linke Demo besteht unabhängig von Aktionskonsens und Thema zu einem nennenswerten Teil aus Menschen, die wohl ohne Blackblockoutfit nicht mehr aus dem Haus gehen. Und wer als szeneunkundige Person mal nach Strukturen, Personen oder danach wie das alles miteinander zusammenhängt fragt, wird wenn nicht der Spitzelei so doch zumindest einer gefährlichen Fahrlässigkeit beschuldigt.
Demo-Taktik oder Lifestyle? Der Black Bloc gehört inzwischen irgendwie unhinterfragt zu unserer Demokultur dazu.
Machen wir uns nichts vor: Nicht jede linke politische Betätigung bedarf der gleichen Diskretion, wie die sogenannte klassische Antifa-Arbeit oder Ähnliches. Wenn dem so wäre, hätten wir das Projekt einer offenen und solidarischen Gesellschaft besser schon gestern an den Nagel gehängt. Gerade autonome Räume und Zentren sowie Gruppen, die in gesamtgesellschaftliche Debatten intervenieren wollen, müssen sich selbst sichtbar machen und offen- bzw. anschlussfähig sein, wenn sie nicht vergreisen oder zum sektenhaften Häuflein verkommen wollen. Dennoch wird gerade in der postautonomen und studentischen Linken immer wieder getuschelt, Zugehörigkeit zu allen möglichen politischen Gruppen verschleiert und Fremden grundsätzlich erst einmal misstraut. Der Black Block-style ist für einige zum Lebensgefühl geworden: wir gegen die da draußen – Wir kennen uns, wir vertrauen uns, aber wer jenseits der Seitentranspis läuft, gehört zur Gegenseite. Das ist zwar irgendwie wahnsinnig romantisch, beruhigt das eigene Gewissen und beugt Identitätskrisen vor, ist aber sicherlich nicht der beste Weg um eine einflussreiche Bewegung zu etablieren.
Gleichwohl findet bei einigen abseits dessen, was gemeinhin als politische Praxis gilt, eine Rückverwandlung zur ordentlichen Bürger*in statt. Mit den Alltagskontakten außerhalb der Szenegrenzen wird dann weniger über Arbeitskampf und -bedingungen oder das kommende G20-Festival in Hamburg diskutiert, sondern über unverfängliche Themen: Germanys next Topmodell, die Bundesligaergebnisse vom Wochenende oder Donald Trump, über den sich ohnehin alle in Deutschland einig sind. Die berufliche Karriere und das soziale Umfeld sollen ja besser nicht durch problematische politische Äußerungen gefährdet werden. Das Politische scheint den meisten eben doch was anderes als das Private zu sein.
,,Das Private ist politisch“? Naaja. Viele radikale Linke ziehen ihr Privatleben, z.B. ihren Arbeitsplatz, ganz explizit aus der Schusslinie und geben sich außerhalb der Szene angepasst.
Die unmittelbaren Folgen einer solchen Art von Identitätspflege sind offensichtlich und die Klagen von Menschen, die nicht dazugehören, darüber, dass Teile der Linken ein ausschließender Klüngel sind, der stur auf seinen Dogmen beharrt und nicht bereit ist weder für andere/neue Perspektiven noch sich für Leute, die nicht auf der Höhe der aktuellen Szenecodes sind, zu interessieren, ist nur allzu verständlich. Es findet jedoch nicht nur ein Ausschluss von allen möglichen Anderen und Anderem aus der Szene statt, was schon allein alle Alarmsirenen in den schrillsten Tönen läuten lassen müsste, auch die eigenen Themen bekommen ein fragwürdiges Geschmäckle: „Was sind das eigentlich genau für Positionen, wenn ihre eigenen Vertreter sich nur trauen diese hinter der Sicherheit einer Maske oder eines Pseudonyms zu vertreten?“ Diese Frage ist durchaus berechtigt. Sie wird sich wohl der ein oder anderen Person aufdrängen. Das selbe Gefühl beschleicht wohl übrigens auch alle (inklusive der sogenannten unpolitischen), die mit den maskierten Prügelkommandos der Riotcops konfrontiert sind.
Die Folgen dieses Versteckspiels sind jedoch gravierender: Indem Anonymisierung stattfindet, werden einige der in ihrem Schutz gemachten Aussagen erst zu solchen gemacht, die als außergesellschaftlich gelten und das sogar eigentlich erst indem sie in dieser Weise geäußert werden. Einige Linke tragen somit zur Marginalisierung bzw. Ausscheidung der eigenen Positionen aus einer breiteren gesellschaftlichen Debatte bei. Eine solche Abgrenzung ist zwar durchaus verständlich, schließlich laden die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht gerade zur Identifikation ein, es bleibt aber zu fragen, welcher politische Effekt erzielt wird – jenseits der Beruhigung des individuellen Gewissens und dem guten Gefühl auf der „richtigen“ Seite zu stehen.
Absolute Anonymität im Internet? Für die meisten wohl nur schwer umzusetzen.
Ein oft gehörter Einwand gegen das offene Auftreten, vor allem in der digitalen Welt, ist die Behauptung, dass eine Anonymisierung, eine Verschleierung des bürgerlichen Namens, die global aktiven Akteure der Social Media Industrie und der staatlichen Repressionsorgane um ihre Ernte, die persönlichen Daten, bringen würde. Was für ein Quatsch! Keiner der sogenannten Silicon Valley- Konzerne interessiert sich für Klarnamen. Und wenn doch könnte er sie wahrscheinlich durch eine Untersuchung des Surfverhaltens und getätigte Einkäufe im Onlineversandhandel, oder das Ausspähen der Eingaben bei Ticketbuchungen, oder anderes problemlos herausfinden. Wenn man eines gelernt hat aus dem sogenannten NSA-Skandal und daran anschließende Debatten, dann dass für Überwachungsinstanzen und die Datenkraken vor allem die Metadaten der Internetkommunikation von Relevanz sind und es ist sicherlich nicht verwegen zu behaupten, dass eine Verschleierung der eigenen Identität im Internet, wenn sicher auch weniger entbehrungsreich, so doch mindestens ähnlich kompliziert ist, wie ein Leben im Untergrund und die Fähigkeiten der meisten AktivistInnen übersteigt.
Dies alles ist sicherlich kein Grund die eigene Identität und die persönliche Daten aggressiv öffentlich zu machen, schließlich kann sich niemand ernsthaft personalisierte Werbung, ähnliche Auswüchse des Spätkapitalismus oder einen Besuch der örtlichen Identitären oder anderer Nazis wünschen. Ein verantwortlicher Umgang mit den eigenen Strukturen und persönlichen Daten darf nicht auf der Strecke bleiben. Es bleibt dennoch zu überlegen, wo und an welcher Stelle Verschleierung sinnhaft ist, und inwiefern linkes Identitäts- und Anonymisierungsgetue nicht einige Menschen ausschließt, die eigentlich empfänglich sind für progressive Inhalte, und die eigenen Inhalte diskreditiert, als dass es für linke Akteure als wirklich notwendiger und wirksamer Schutz gegen Repressionsorgane oder andere Bedrohungen funktioniert.
Hendrik Keusch
Interessant, aber...
Das Thema ist interessant. Leider ist der Text absolut oberflächlich und eignet sich wohl kaum als Basis für eine intensivere Auseinandersetzung.
Nur ein Punkt, der in dem Text nicht einmal erwähnt wird: Das Auftreten von Sprecher*innen unter einem gemeinsamen Pseudonym beispielsweise kann nicht nur Repression vorbeugen, sondern spielt auch eine wichtige Rolle bei der Frage, wie weit hierarchische Strukturen innerhalb politischer Gruppen entstehen bzw, toleriert werden. Wer von uns kennt das nicht: Person XY (hier den Klarnamen einfügen) fängt an Pressearbeit zu machen, wird irgendwann von der Presse auch selbst angerufen, ihr Name wird in einem politischen Kontext bekannt, und damit hat diese Person eine enorme Macht was die Außendarstellung der Gruppe, was Aktionen etc. anbelangt. Und Macht ist verführerisch - die meisten Aktivist*innen (meistens Aktivisten) können der Versuchung nicht widerstehen.
Das nur als ein Punkt in einer Debatte, der im obigen Text nicht einmal erwähnt wird. Davon abgesehen sind etwa die Anmerkungen zu Repression absolut oberflächlich und unzureichend.
Interessant beispielsweise im diesem Kontext wäre auch die Auseinandersetzung mit den Zapatistas in Mexiko. Hier dienen Anonymität, Pseudonyme und Vermummung, und das sagen sie in ihren Texten auch direkt, nicht nur dem Schutz vor Repression, sondern sind eben auch Teil des Versuches, das Problem klassischer Sprecher*innen-Rollen zu umgehen.
Viel wichtiger als der Verzicht auf Anonymität in bestimmten Kontexten, um aus unserem Szene-Sumpf herauszukommen, wäre häufig eine andere Sprache, eine andere Themensetzung, eine andere Form von Organisierung.
Pressearbeit? Öffentlichkeitsarbeit?
Mal ganz im Ernst: Pressearbeit hat die deutsche Linke überhaupt nicht drauf, und wer mit JournalistInnen redet wird gerne mal als "Spitzel" betitelt und schief angeguckt bis rausgeworfen, weil man redet ja nicht mit Nichtlinken. Ausnahme: die bekannten DemofotografInnen, und das war's.
Dass die deutsche Linke mal analog der österreichischen Linken (antifa [w], Antifa Koroska) Pressearbeit betreibt, gar Pressemitteilungen rausschickt und SprecherInnen angibt, davon wage ich nicht mal zu träumen.
Kleiner "Nebeneffekt" dieser puren Kommunikationsverweigerung vieler Gruppen ist übrigens, dass die Presse:
Folge des Ganzen: "Bürgerliche" erfahren durch ausbleibende Berichterstattung gar nicht mehr von Demos/Aktionen/Positionen und kommen auch nicht hin. Gut zu beobachten ist das bei Pegida Nürnberg, München und Bärgida - nach Einstellung der Vorberichterstattung und der Liveticker diverser Medien erscheinen mittlerweile nur noch mittlere zweistellige Zahlen an AktivistInnen sowohl des bürgerlichen als auch autonomen Spektrums.
Auch schlimm ist es, dass viele Gruppen - wenn sie überhaupt Websites/Blogs pflegen, ihre Texte in einer Form verfassen, die für eine Presseverwertung vollkommen untauglich ist. Klare, kurze, prägnante Aussagen vermisst man völlig; an deren Stelle treten oft seitenlange Traktate in akademischer Hochsprache, für deren Verständnis tiefes Fachwissen auch über die Gruppe selbst vonnöten ist. Und "geschlechtergerechter Sprache" ist auch so ein Punkt - wunderbar inklusiv und alles, aber mehr als ein Binnen-I kann ein/e JournalistIn in keiner "Mainstream"-Zeitung drucken, und das Geschwurbel drumrum lässt dem/der unter massivem Zeitdruck stehenden JournalistIn spätestens nach dem zweiten *_sxs das Tab schließen.
Und der Punkt oben gilt auch für "normale" Außenstehende - alle Naselang wird hier geheult und gejammert dass weniger Menschen an Aktionen teilnehmen, sich engagieren etc. - und das ist doch völlig klar, warum! An die ganzen Jammerer: versucht mal, wie "normale" Menschen außerhalb unserer Sphäre zu denken und einfach einen beliebigen linksunten-Text oder n Kommunique zu lesen! O-Ton eines Menschen der Arbeiterklasse, den ich mal zu einem Gruppentreffen mitnehmen wollte: "Was soll ich denn da, ich versteh doch eh nicht worüber ihr schwafelt" - und er hat Recht.
Die (radikale) Linke hat vollkommen den Basisbezug verloren.