(BO) Eine Welt der selbstorganisierten Neugierde schaffen – Aufruf zur Mitarbeit an radikalen Bildungskursen

Bildet Euch!

Wir als Schwarze Ruhr-Uni arbeiten jetzt seit 2014 daran, anarchistische Inhalte an der Uni präsent zu machen und anarchistische Analysen zur Universität zu formulieren. Dabei gab es immer wieder Kritik daran, dass wir kaum Alterantiven aufbauen. Dies ist teilweise berechtigt, deshalb wollen wir gemeinsam mit anderen interessierten Menschen im kommenden Semester selbstorganisierte Bildungskurse anbieten. Um ein solches Angebot zu schaffen, rufen wir möglichst viele Menschen zur Beteiligung auf. Bei Interesse meldet euch bitte bis zum 10. April per Mail bei uns: schwarze-ruhr-uni(at)riseup.net (PGP-Sclüssel auf Anfrage). Hier ein paar Hintergründe zu unserer Idee und Überlegungen wie das Ganze aussehen kann:

 

Mehr als nur Vorträge – Für mehr Bildung in der anarchistischen/antiautoritären Bewegung


Die meiste gemeinschaftliche Bildung innerhalb anarchistischer und antiautoritärer Bewegung geschieht durch Vorträge und kurze Workshops, die meist nur über einige Stunden hinweg stattfinden. Einzig Lesekreise bilden hiervon eine Ausnahme. Sie beschränken sich aber auf ein bestimmtes Medium und eine bestimmte Form. Der Mangel an langfristiger, gemeinschaftlicher Bildung führt zu zahlreichen Problemen. Oft fehlt es an theoretischem Wissen, um gemeinsame Strategien für eine erfolgreiche revolutionäre Praxis zu entwickeln oder es fehlt an praktischen Fähigkeiten, um Strategien gemeinschaftlich umzusetzen.

 

“Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft“- Staatliche Bildung und der Mangel an revolutionärem Bewusstsein und Fähigkeiten


Die Kontrolle der Bildung durch den Staat hat verheerende Auswirkungen. Betrachteten wir die Geschichtsschreibung. In Schulen wird staatliche Geschichte gelehrt, die Erfolge und Ereignisse der antiautoritären Bewegungen nicht. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Vorstellungen vom “Sozialstaat”. Renten-, Kranken- und Unfallversicherung wurden nicht eingeführt, weil der Staat an sich “sozial” ist, sondern um der Bedrohung durch radikale Arbeiter*innen entgegenzuwirken: „„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“ – Otto von Bismarck. Tatsächlich gab es vor deren Einführungen schon selbstorganisierte Hilfe unter Arbeiter*innen. Unser mangelndes historisches Bewusstsein führt hier zur Verklärung des Staates. Wir wissen nicht mehr, was einmal passiert ist und damit auch wieder möglich sein kann. Auch die Mittel vergangener Aufstände und Umbrüche kennen wir kaum und können uns nicht damit auseinandersetzen, welche davon in unserer Situation auch nützlich sein könnten. Insbesondere staatliche Schulen verbreiten Wissen, das den Widerstand gegen den Staat unsichtbar macht und uns nicht jene Fähigkeiten lehrt, die wir für ein selbstbestimmtes Leben brauchen (Mehr zu unserer Analyse staatlicher und kapitalistischer Bildungsinstutionen hier). Vor der Revolution in Spanien gab es dort kein flächendeckendes staatliches Schulsystem und Anarchist*innen organsierten zahlreiche eigene Schulen, die massiv zur Bildung der anarchistischen Bewegung und ihrem Erstarken beitrugen. George Orwell schrieb in seinem Buch 1984 (das sowohl auf den autoritären Kommunismus als auch auf die parlamentarische Demokratie anspielt) passend dazu: “Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft: wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.”

 

Lernen, selbstbestimmt zu lernen


Der Staat kontrolliert nicht nur, welches Wissen wir erlernen, sondern auch wie wir lernen. Er erzieht uns den eigenständigen Wunsch nach Bildung ab, indem er uns vorgibt, was wir lernen sollen und dürfen. Autoritäten entscheiden, was wir uns aneignen sollen, weigern wir uns, werden wir bestraft. So entfremden wir uns von unserer eigenen Neugier und verlernen, uns selbst Dinge beizubringen und uns mit Wissen zu bereichern.
Unsere Bildungskurse haben daher nicht nur das Ziel, konkretes Wissen zu verbreiten, sondern sie sollen helfen, dass wir wieder Spaß am Lernen entwickeln und in der Lage sind, uns eigenständig Wissen zu beschaffen. Selbstbestimmt und eigenständig lernen zu können, ist deshalb so wichtig, weil informelle Hierarchien sich oft aus einer Wissensungleichheit zwischen Menschen ergeben. Es wäre unsinnig, zu glauben, jede*r einzelne könnte sich das gesamte Wissen der Welt aneignen, aber jede*r einzelne sollte in der Lage sein, sich das nötige Wissen für das eigene Leben und für Entscheidungen, die ihn*sie betreffen, anzueignen. Wenn Wissensungleicheiten relativ schnell ausgleichbar sind, schaffen sie keine langfristigen Hierarchien mehr.

 

Kein Bildungsautoritäten – gegen die Trennung Lehrende und Lernende


Es gibt aber keine abschließend feststellbare Wahrheit, sondern nur vorübergehende Erkenntnisse.¹ Diese Erkenntnisse setzten dauerhaften, anhaltenden Austausch und Kritik zwischen Gleichwertigen voraus. Die Aufteilung in Lehrende und Lernende, Dozent*in und Studierende, Lehrer*in und Schüler*innen oder Ausbilder*in und Auszubildende setzt immer voraus, dass die eine Gruppe und ihr Wissen einen höheren und weniger hinterfragbaren Status hat. Diese drückt sich z.B. in ihrer Kontrolle der „Richtigkeit von Wissen“ – wie zum Beispiel Prüfungen aus. (Selbst-)Kritik wird so oft verhindert und lernen findet nur noch passiv statt. Bei unseren Kursen wollen wir daher nicht, dass es ein solche Trennung gibt. Wenn Menschen einen Input vorbereiten mit Ideen, wie der Kurs aussehen könnte, halten wir dies für nützlich, jedoch ist unsere Vorstellung, dass sich die Menschen am Anfang und auch immer wieder während eines Kurses zusammensetzen und ihn gemeinsam planen und gestalten.

 

Vielfalt der Methoden – Gegen die Trennung von Theorie und Praxis


Eine der Schwächen vieler radikaler Bildungsangebote ist die Trennung von Theorie und Praxis. Sie führt entweder zu einem unreflektierten und ungeplanten Handeln (Praxis ohne Theorie) oder zur Abschottung in Elfenbeintürmen und Realitätsverlust. Insbesondere reine Theoriearbeit ist auch leicht in das demokratische Konzept von Meinungsfreiheit (mensch darf alles sagen, solange es ohne Konsequenzen bleibt und nicht umgesetzt wird) integrierbar und schafft so ein vorgegaukeltes Selbstbestimmungsgefühl.
In einigen Fällen ist diese Trennung auch nicht zu verhindern, aber oft liegt es an fehlender Kreativität und Auseinandersetzung damit, wie diese zu verändern sind. Uns ist es wichtig, diese Trennung bei unseren Kursen, wenn möglich, zu überwinden, weil sie uns vom selbstbestimmten Lernen entfremdet, da wir die praktischen Veränderungen durch Anwendung unseres Wissens nicht erleben. Ein Beispiel wie diese Vereinigung von Theorie und Praxis aussehen könnte, wäre zum Beispiel ein Guerilla Gardening Kurs, der immer wieder die Stadt verschönern geht oder ein Kurs zu Revolutionen und Aufständen, der als Exkursion zu den Aktionen gegen G20 nach Hamburg fährt. Auch wollen wir versuchen, Menschen darin zu unterstützen, andere Methoden zum Lernen zu nutzen als die klassischen Formen wie frontale Vorträge, Texte lesen und zusammenfassen oder Texte schreiben.

 

Gegen den Elfenbeinturm – Bildung nicht nur in der Uni stattfinden lassen.


Eine andere Art von Elfenbeinturm ist die Universität. Viele Menschen werden durch die gesellschaftliche Mystifizierung als Ort des „wirklichen Wissens“ abgeschreckt an Veranstaltungen dort teilzunehmen. Außerdem möchten wir Bildung nicht an einen abgesonderten zentralen Ort festhalten, sondern viele denzentrale Orte des sich Bildens und Lernens schaffen, die gleichwertig nebeneinander stehen, auch um zu verhindern, dass Akademiker*innen auf Grund ihres vermeintlich höherwertigen Wissens weiterhin als Autoritäten gelten. Wir wollen die Kurse deshalb sowohl an der Uni stattfinden lassen als auch außerhalb (Infrastruktur dafür steht zur Verfügung). Die einzige räumliche Beschränkung ist, dass sie im Ruhrgebiet staattfinden sollten, damit wir sie sinnvoll bewerben können. Es gibt auch die Idee, neben wöchentlichen Kursen, Kurse über ein Wochenende zu organisieren, insbesondere, um Menschen die lohnarbeiten die Teilnahme zu ermöglichen. Auch Kinderbetreuung ist für solche Kurse denkbar.

 

Die Befreiung des Wissen ist eure Entscheidung – wir brauchen euch


Wie groß dieses Projekt wird, hängt maßgeblich davon ab, wie viele Menschen Kurse organisieren möchten. Wir werden selber bei der Organiserung von 1-2 Kursen mithelfen, ob es darüber hinaus ein Angebot geben wird, hängt von euch ab. Wenn ihr ein Thema habt, zu dem ihr euch zusammen mit anderen Menschen auseinandersetzen möchtet, schreibt uns bitte bis zum 10.04.2017 an folgende E-Mailadresse: schwarze-ruhr-uni(at)riseup.net
Wichtig ist dabei, dass es um längfristiges Lernen gehen soll und die Verknüpfung von theoretischem Wissen mit praktischen Überlegngen zur bzw. der konkreten Umsetzung. Dabei spielt es kein Rolle, wie viel ihr schon über dieses Thema wisst, sondern dass ihr mehr darüber lernen möchtet. Auch thematische Beschränkungen gibt es nicht. Die Organisation von Gemeinschaftsgärten, anarchistischer Stadteilarbeit, Direkter Aktionen gegen Klausuren, Geschichte der Hausbesetzer*innenbewegungen, Unterdrückung von A-Sexuellen oder Emma Goldmanns Werke sind als Themen genauso möglich wie die Herstellung von veganem Eis, Blockadetrainings, selbstorgansierter Gesundheitsversorung und vielem mehr…
Allerdings werden wir keine Bildung unterstützen, die sich positiv auf Herrschaft bezieht und z.B. Staaten, Patriarchat oder Kapitalismus als notwendig darstellt. Und Kurse mit stark illegalisierten Wissen z.B. im Bereich Militanz oder Umgehung staatlicher Kontrolldokumente werden wir aus Sicherheitsgründen nicht anbieten können.
Lasst uns gemeinsam mit der Rebellion gegen die staatliche und kapitalistische Kontrolle des Wissens beginnen und eine Welt der selbstorgansierten Neugierde schaffen!

 

Fußnote


¹ Dennoch gib es für den Alltag erst mal nützliche und relativ feste Erkenntnisse z.B., dass Pockimpfungen sinnvoll sind und dass es keine Echsenmenschen gibt.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

In Schulen wird staatliche Geschichte gelehrt, die Erfolge und Ereignisse der antiautoritären Bewegungen nicht. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Vorstellungen vom “Sozialstaat”. Renten-, Kranken- und Unfallversicherung wurden nicht eingeführt, weil der Staat an sich “sozial” ist, sondern um der Bedrohung durch radikale Arbeiter*innen entgegenzuwirken: „„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“ – Otto von Bismarck.

Also, ich habe Bismarcks Sozialgesetzgebung und die Gründe dafür, vor allem die Besänftigung der aufmüpfigen Arbeiter*Innenschaft, aber auch den Erhalt der "Volksgesundheit" für Wirtschaft und Militär, in der Schule in Geschichte gelernt. Was mensch politisch heute daraus macht ist eine andere Sache...

Guter, nachvollziehbarer und leicht verständlicher Text.

Danke, und Solidarität zu euch in den Pott.