Silvester zum Knast Berlin

Knast

Unter dem Motto „Gegen Gefängnisse und eine Gesellschaft, die sie benötigt!“ sind auch dieses Jahr wieder mehrere hundert Menschen vor die Berliner Knäste gezogen. Sie setzten ein Zeichen der Solidarität mit den 4129 Menschen, die momentan in Berlin vom Staat gefangen gehalten werden.

 

Schon am Nachmittag des 31. Dezembers kamen ca. 130 Menschen zur Kundgebung vorm Knast in Moabit, dem mit 971 Haftplätzen größten Knast der Stadt.

Neben Grußbotschaften von Thomas Meyer-Falk, Gülaferit Ünsal und der zur Zeit in Aachen einsitzenden anarchistischen Gefährtin wurden auch Redebeiträge der Soligruppe für Aaron, Balu und Thunfisch, der Roten Hilfe, kiralina, dem Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen, sowie dem Free-Mumia Bündnis verlesen.

Die Stimmung war entspannt, trotz massiver Vorkontrollen der Bullen. Die entblödeten sich auch nicht, die Kundgebung allen ernstes zur einzigen feuerwerkfreien Zone in Berlin zu erklären. Spitze der Dreistigkeit, war dass zu Beginn der Kundgebung ein Bulle mit Maschinenpistole mitten zwischen den Kundgebungsteilnehmer*innen rummackerte. Nach einer Intervention mehrerer Leute zog dieser dann doch ab.

 

Es wurden viele Parolen gerufen und eine Blechbläsergruppe gab ein spontanes Konzert. All das wurde von den Gefangenen im Knast enthusiastisch begrüßt, die durch Winken und Klopfen ihre Freude zum Ausdruck brachten und auch in die ein oder andere Parole einstimmten.

Am Ende gab es dann noch eine spontane Demo, mit den verbliebenen 50 Leuten, die nochmal eine Runde um den Knast machte und dann zurück zum U-Bahnhof Turmstraße zog.

 

Abends ging es dann an der Frankfurter Allee weiter. Nach einer Auftaktkundgebung, während der Aufruf zur Demo und die Grußbotschaften der Gefangenen verlesen wurden, setzten sich der ca. 250 Personen starke Aufzug in Bewegung und wuchs dann schnell auf ca. 500 Leute an.

 

Auf dem Weg zur JVA Lichtenberg wurden laut Parolen gerufen und am Rande der Demonstration Flyer verteilt. Die JVA Lichtenberg ist nach der Schließung der JVA Pankow einer von drei Frauenknästen in Berlin und mit 136 Prozent überbelegt. Momentan sitzen dort unter anderem Gülaferit Ünsal und Thunfisch ein.

 

Vor dem Knast angekommen gab es dann eine Zwischenkundgebung auf der nochmal die Grußbotschaften verlesen wurden und Musikwünsche von Gefangenen abgespielt wurden. Überraschenderweise war dort dann Gülaferit Ünsal am Telefon, die allen Anwesenden ein frohes Neues Jahr wünschte.

 

Um Mitternacht wurde dann laut vor dem Knast Silvester gefeiert. Die Polizei war sich dabei nicht zu schade, damit zu drohen die Demo aufzulösen, weil Feuerwerk gezündet wurde, während um die Demo herum Anwohner*innen ein Feuerwerksinferno veranstalteten. Menschen die die Demo verlassen wollten, wurden von sichtlich schlecht gelaunten Bullen zurück geschubst.

 

Leider war wegen der Architektur des Knastes in Lichtenberg nicht zu erkennen, ob und wie die Gefangenen die Demonstration mitbekamen.

 

Nach der Kundgebung lief die Demonstration noch einmal Parolen rufend um den Knast und wurde dann am Rodeliusplatz beendet, worauf sich die Teilnehmer*innen schnell verstreuten. Die Polizei hatte zwar deutlich sichtbar vor noch einige Menschen festzunehmen, soweit wir wissen haben sie aber niemanden erwischt.

 

Falls ihr erwischt wurdet, Festnahmen beobachtet habt, oder im Nachgang Repression erfahrt, meldet euch beim Ermittlungsausschuss oder der Roten Hilfe Berlin.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Thunfisch hat sich in einem kurzen Text bereits zur Perspektive im Knast geäußert: https://linksunten.indymedia.org/node/200568

In Berlin sitzen momentan über 4000 Menschen aus verschiedensten Gründen im Knast. Der Großteil dieser Gefangenen sitzt ein, weil sie Schulden haben, die sie nicht bezahlen können, sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen. 1/3 davon sind wegen Fahrens ohne Ticket eingesperrt. Im letzten Jahr wurden allein in Berlin 31.000 Menschen wegen Fahren ohne Ticket strafrechtlich verfolgt.

Wer beim Fahren ohne Ticket erwischt wurde und nicht willens oder in der Lage ist zu bezahlen, bekommt Probleme. Es gab im letzten Jahr 670.000 Menschen die ohne Ticket den öffentlichen Nahverkehr Berlins nutzten. Die offizielle Quote liegt damit bei 6%. Die entstandenen Kosten steigen durch Anwälte und Inkassofirmen schnell auf hunderte Euro an. Wobei die Inkassounternehmen gut daran verdienen. Nach dem dritten Mal stellt die BVG eine Strafanzeige wegen Erschleichen von Dienstleistungen. Das endet dann vor Gericht mit einer Geldstrafe. Kosten über Kosten. Wer spätestens jetzt nicht zahlt wird eingeknastet. Das bedeutet erst einmal seiner relativen Freiheit beraubt zu werden, unfreiwillig eingesperrt zu sein. Weiter bedeutet es, aus seinem sozialen Leben und/oder seinem Arbeitsverhältnis gerissen zu werden. Für eine Weile nicht bei der Familie und den Freunden sein zu können. Und so stehen viele am Ende der Haft, mit noch weniger da.

Die seit Jahren extremer werdende Verfolgung von Menschen ohne Ticket reiht sich nahtlos in die gesamtgesellschaftlich immer mehr anwachsende Repression auf allen Ebenen ein. Ob nun polizeilich zwangsgeräumte Mieter, die über hundert „besonderen Gefahrenbereiche“ in Berlin, in denen die Grundrechte zum angeblichen Schutz vor Verbrechen praktisch ausgehebelt sind, immer höhere Haftstrafen für kleine Delikte oder die Bundeswehr, welche in Aufstandsbekämpfung ausgebildet wird, sind nur einige von unzähligen Beispielen.

Kopfgeldprämie und Fangquote sind längst keine Geheimnisse mehr. Auch das unfreundliche, aggressive und gewalttätige Vorgehen einiger Fahrausweisprüfer ist längst hin bekannt. Gemeinsam mit der Polizei werden ganze Bahnhöfe abgeriegelt, es wird eine Großrazzia veranstaltet, mit Jagd auf Menschen ohne gültigen Fahrausweis. Fahrgäste ohne Ausweis können dann sofort polizeilich überprüft und wenn möglich noch mit weiteren Anzeigen belegt werden.
Auf der anderen Seite wollen wir die Kolleginnen und Kollegen von S-Bahn und BVG nicht vergessen, wir stehen ihnen und ihren Arbeitskämpfen solidarisch gegenüber.

Doch es geht in diesem kapitalistischen System immer um Profite und das Eintreiben der Bußgelder rentiert sich für die Fahrbetriebe. Obwohl 133.000 Leute für ihr Ticket nicht blechen wollten, erhielten BVG und S-Bahn Einnahmen von 14 Millionen € durch Zahlung des Erhöhten Beförderungsentgeltes. Der öffentliche Nahverkehr in Berlin wird zu über 50% von öffentlichen Geldern finanziert, dazu kommen ordentliche Einnahmen durch die Vermietung von Reklameflächen.

Im Sommer 2015 wurde das erhöhte Beförderungsentgelt bundesweit von 40 auf 60 € angehoben. Der damalige Kommentar der BVG-Pressesprecherin Petra Reetz war: „Schwarzfahren muss richtig wehtun“. Doch dass die Erhöhung der Bußgelder kaum Einfluss auf die Bereitschaft hat ein Ticket zu kaufen, belegen jetzt die ersten Auswertungen. Es konnte bundesweit keine Rückgang der ohne Ticket-Fahrenden festgestellt werden. Wieso auch. Drei Viertel der Leute kaufen kein Ticket, weil sie eben kein Geld dafür haben. Ihren Beitrag leisten dabei nicht nur die ständig steigenden Fahrpreise, sondern ebenso die seit Jahren stagnierenden Löhne und die viel zu eng bemessenen Hartz IV Sätze. Folglich haben diese Menschen nichts mehr übrig um sich Fahrkarten zu kaufen oder entstehenden Bußgelder zu zahlen.

Und Übrigens: Ab morgen gibt‘s wieder neue Fahrpreise!

Die Funktion, die Busse, Straßen-, U-Bahnen usw. beim Transport der Bevölkerung zu Zwecken von Beruf, Ausbildung, Einkauf oder Freizeit einnehmen, ist von großer Bedeutung. Alle sind darauf angewiesen. Der öffentliche Nahverkehr sollte seinem Namen gerecht werden. Er sollte für alle Menschen kostenlos nutzbar sein. Zudem könnte auch die Umweltbelastung durch Autos reduziert werden.

Das Fahren ohne Ticket ist nicht kriminell! Es ist ein Ausdruck sozialer Ungleichheit oder vielmehr ein Ausdruck sozialer Ungerechtigkeit!

Solidarität mit den Gefangenen und mit den Widerständigen!
Wir wünschen allen viel Kraft für das neue Jahr und für hoffentlich viele weitere Kämpfe, für ein Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung!

Radio Aktiv Berlin - Ausgabe vom 4. Januar 2017

Solidarische und kämpferische Grüße aus Freiburg. Wieder ein kalter Abend im Knast, und ein genauso kalter Abend vor den Mauern. Und ihr seid trotzdem heute hierher gekommen. Denn ihr setzt draußen der Kälte etwas entgegen, so wie wir in den Knästen für Widerstand sorgen.

 

Gefangene ohne eine solidarische Bewegung wie von euch, werden klein gemacht und gehen kaputt. Erst durch das Band der Solidarität wird Widerstand erfolgreich. Die Demo heute soll also nicht nur Gefangenen Mut machen zu kämpfen, sondern auch ein Zeichen an all jene senden, die in Freiheit sind. Wenn sie einmal das Unglück erfahren sollten, hinter Gittern zu landen, dann wissen sie heute hier und jetzt: sie werden nicht alleine, sie werden nicht vergessen sein.

 

Ich selbst sitze hunderte Kilometer entfernt im Süden Baden-Württembergs im Knast. Hier soll es heute auch eine Demo geben, wie vor vielen Knästen in Deutschland und weltweit.

 

Von hier aus: herzliche, kämpferische Grüße an euch. Einen bunten Silvesterabend und ein lebendiges, kreatives Jahr 2017!

 

Thomas Meyer-Falk

-seit 1996 im Gefängnis -