“Die Gewerkschaften sind die Retter des Kapitalismus. Sie waren es in der Vergangenheit – und müssen es auch in Zukunft sein. Nur den Gewerkschaften ist zu verdanken, dass neue Produkte entstehen und die Wirtschaft nicht in einer Dauerkrise feststeckt, stellt taz-Korrespondentin Ulrike Herrmann fest. (…) Gerade Kapitalisten neigen dazu, den Kapitalismus nicht zu verstehen – und starke Gewerkschaften für eine Gefahr, statt einen Segen zu halten. (…) Es wäre zu einfach, diese Finanzkrisen allein darauf zurückzuführen, dass die Banken dereguliert wurden. Genauso fatal ist es, dass sich echte Investitionen kaum noch lohnen, weil die Reallöhne stagnieren und die Nachfrage fehlt. Also wird in die virtuellen Scheinwelten der Finanzmärkte „investiert“. Die Gewerkschaften selbst können an diesem Missstand kaum noch etwas ändern. Denn sie wurden in den vergangenen Jahrzehnten entmachtet, was in jedem Land ein wenig anders verlief – und in Deutschland ausgerechnet Rot-Grün anzulasten ist. Denn die Hartz-Reformen bedeuten, dass ein Jahr Arbeitslosigkeit reicht, um in die Armut abzurutschen. Dieses Wissen macht die Beschäftigten erpressbar und gefügig. Sie sind zu jedem Lohnverzicht bereit, wenn es gilt, ihre Jobs zu retten. Produktivitätsfortschritt? Diese gesamtwirtschaftliche Sicht kann keine Bedeutung mehr haben, wenn nur noch das Überleben des eigenen Betriebes zählt. (…) Die Gewerkschaften sollten sich nicht mehr allein als „Arbeitnehmervertreter“ verstehen, wenn sie höhere Löhne fordern – sondern als die Retter des Kapitalismus. Das waren sie in der Geschichte, und sie müssen es auch in Zukunft sein.” Artikel von Ulrike Herrmann vom 23.11.2016 beim DGB-Einblick und ein Kommentar von Dieter Wegner vom 1.12.2016, aktualisiert am 4.12.
Wie DGB und Kapitalismus partnerschaftlich gemeinsam in Barbarei versinken
Das ist schon originell: Unter der Rubrik „Zukunft der Gewerkschaften“ veröffentlicht Gegenblende/Einblick einen Artikel mit dem Fazit „Die Zukunft der Gewerkschaften wird von anderen bestimmt“.Eine Antwort auf Ulrike Herrmanns Kapitalismus- und Gewerkschaftsvorstellungen von Dieter Wegner
Da ist der Verfasserin, der taz-Redakteurin Ulrike Herrmann ein Meisterstück gelungen! Die Redakteure des DGB-Organs Einblick/Gegenblende haben es sofort übernommen, weil sie sich als „Retter des Kapitalismus“ erkannt und bewundert fühlten! Distanzierung oder Kritik? Fehlanzeige.
Frau Herrmann schildert 200 Jahre Kapitalismus, ohne Kommunismus, Sozialismus, Anarchismus zu erwähnen – eine beträchtliche ideologische Leistung. Ein „gefestigter Klassenstandpunkt“ drückt sich für sie dadurch aus, daß die ArbeiterInnen ihren „Dünkel“ ablegen und dem Retter des Kapitalismus, dem DGB beitreten! Aber leider kann sich jetzt der Retter des Kapitalismus nicht mehr selbst retten sondern braucht die Hilfe von Parteien. Die Logik von Frau Hermann: Sie sagt trotzdem „weiter so“ mit der Unterstützung des Kapitalismus durch die DGB-Gewerkschaften. Einer bedingungslosen Unterstützung von der Position des Besserwissers (Retters) aus. Die Kapitalisten seien beschränkt in ihrer Interessenwahrnehmung. Das durch Kapitalismus und Imperialismus verursachte Elend der letzten 200 Jahre, besonders im Trikont, blendet sie aus.
Marx erwähnt sie nebenbei mit der Benennung einer Statistik, kein Wort aber von Ausbeutung, es geht ihr nur um den erreichten Konsumstandard dank der klugen Politik der Gewerkschaftsführer. Eine originelle Geschichtsdeutung.
Dabei hat sie mit einigen historischen Beschreibungen und auch aktuellen Beobachtungen durchaus Recht. So ist ihrer Forderung heftigst zuzustimmen, daß die Mindestlöhne und Hartz IV Leistungen zu erhöhen sind. (Hartz IV ist natürlich am bestern ganz abzuschaffen!) Sie schreibt, daß die Reallöhne stagnieren und die Gewerkschaften seit Jahrzehnten entmachtet wurden und sie ihre ganze Verhandlungsmacht verloren haben. Aber mit dem Stagnieren der Reallöhne, im Gegensatz zu den europäischen Nachbarn, haben die DGB-Gewerkschaften nichts zu tun?! Waren sie da nicht ihrem Sozialpartner Kapital gefällig? Die Schuld gibt sie zu Recht der SPD-Grünen-Regierung unter Schröder mit ihren Hartz-Gesetzen. Und eine Folge von Hartz-IV ist, „dass ein Jahr Arbeitslosigkeit reicht, um in die Armut abzurutschen“. Die SPD wurde seitdem mit einem Verlust an Wählerstimmen um 30 bis 50 Prozent bestraft und einem ebenso hohen Rückgang an Mitgliederzahlen. Aber warum haben die Gewerkschaften keinen Zulauf bekommen von durch die Hartz-Gesetze Betroffenen? Weil die Bevölkerung die Schuld nicht nur der SPD-Grünen-Regierung gab sondern auch die Rolle der DGB-Gewerkschaften in Erinnerung behielt, die „ihre“ Partei, die SPD ideologisch an der Basis absicherte und nichts gegen die Hartz-Gesetze unternahm sondern damals laut Beifall klatschte. Sie verlor von 2004 bis heute eine Million Mitglieder, wobei die Zahl der abhängig Beschäftigten in der gleichen Zeit (laut Statistischem Bundesamt) um 1.6 Millionen stieg. Warum sind Millionen Lohnabhängige angesichts stärkerer Bedrängung durch kapitalistische Zumutungen nicht in die Gewerkschaften geströmt? Frau Herrmann jedoch entlastet den DGB: die Menschen seien eben dumm und haetten „Dünkel“. Die Frage ist: Warum sind die DGB-Gewerkschaften kein Zufluchtsort für die bedrängten und ausgebeuteten Massen und haben als Machtorgan keine Fazination?
Im kapitalistischem System erfolgt die Produktion nicht, um die Bedarfe der Menschen zu decken sondern hat den Hauptzweck der Profitmaximierung. Daß wir diese Logik umkehren müssen um in weiten Teilen der Welt zum Produktionsabbau zu kommen und dadurch den Kapitalismus in seiner hemmungslosen Wachstumsideologie zu beseitigen um die Welt zu retten, das liegt außerhalb ihres Denkhorizontes. Dieser Einblick in das Denken einer ideologischen Zuarbeiterin für den DGB macht deutlich wie antikapitalistischer Kampf nur vor sich gehen kann: Nicht nur gegen das kapitalistische System selbst sondern auch gegen ihre Retter, die Teil desselben geworden sind und gegen Teile des DGB-Apparats.
Das Denken in diesem Artikel als verschrobenes Denken eines einzelnen DGB-Apologeten abzutun wäre verfehlt. Es drückt den ideologischen Unterbau bei den meisten der Hauptamtlichen aus. Es wäre sicher verfehlt, von einer Schreiberin in einem DGB-Organ zu erwarten, eine Alternative zum Kapitalismus aufgezeigt zu bekommen. Einem System, das hier in den westlichen Industriestaaten einem Teil der Bevölkerung einen hohen Konsumstandard verschafft hat, ansonsten die Menschheit aber in den sozialen, ökologischen oder kriegerischen Abgrund führt. Und ihr fällt, ganz DGB-typisch, nur die Politik (Parteien oder Staat) als Retter ein. Dabei wußten es unsere Vorfahren schon mal besser als sie das Lied anstimmten:
Es rettet uns kein höh’res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!
Diese Einsicht, daß Gewerkschaften als Retter des Kapitalismus zu fungieren hätten, hatte ein einflußreicher Funktionär schon vor fast 100 Jahren, Fritz Tarnow (Vorsitzender der Holzarbeitergewerkschaft und SPD-Reichstagsabgeordneter), als er feststellte, „Retter am Krankenbett des Kapitalismus“ zu sein. “Nun stehen wir ja allerdings am Krankenlager des Kapitalismus nicht nur als Diagnostiker, sondern auch – ja, was soll ich da sagen? – als Arzt, der heilen will?, oder als fröhlicher Erbe, der das Ende nicht erwarten kann und am liebsten mit Gift noch etwas nachhelfen möchte? In diesem Bilde drückt sich unsere ganze Situation aus. Wir sind nämlich, wie mir scheint, dazu verdammt, sowohl Arzt zu sein, der ernsthaft heilen will, und dennoch das Gefühl aufrechtzuerhalten, daß wir Erben sind, die lieber heute als morgen die ganze Hinterlassenschaft des kapitalistischen Systems in Empfang nehmen wollen. Diese Doppelrolle, Arzt und Erbe, ist eine verflucht schwierige Aufgabe.” (http://www.linksnet.de/de/artikel/25978)
Aber während Tarnow noch von einer Doppelrolle des ADGB sprach und das Ziel Sozialismus im Auge hatte (als Schüler Rosa Luxemburgs!), ist Frau Herrmann mit ihrem Latein am Ende, will den Kapitalismus nicht mehr stürzen sondern heilen. Und sieht keinen anderen Ausweg, als daß mächtige und einsichtige Parteien dem DGB dabei helfen, weil die Mitglieder weglaufen, auch weil er zu wenig Faszination für Beschäftigte hat. Da ist sie genau auf dem gleichen Trip wie Thatcher, Blair, Schröder und Merkel mit der Devise „Tina“ (there is no alternative). Für Vertreter der herrschenden Elite gibt es natürlich keine Alternative zum Kapitalismus und für die Arbeiterklasse auch nicht – wenn es nach den Vorstellungen von Frau Herrmann geht.
In den Betrieben und an den Arbeitsplätzen nehmen Druck und Bedrängungen auf die KollegInnen unumkehrbar zu. In ihrem Widerstand müssen sie sich solidarisieren und organisieren. Wir als antikapitalistische Linke haben diesen Prozeß zu unterstützen! Aber es gibt bei dieser Formierung nicht nur diesen einen Weg „von unten“ her, auch die Beobachtung von Ideologie und Praxis der Sozialpartnerschaft bei DGB-Spitzen und die Zurkenntnisnahme dieses Artikels „Die Retter des Kapitalismus“ kann Mitglieder dazu bringen Widerstand in Betrieben und Gewerkschaften zu organisieren, zur Beseitigung des Kapitalismus und Rettung des urgewerkschaftlichen Prinzips von Solidarität und Klassenkampf. Insofern müssen wir Frau Hermann und den Redakteuren von Einblick zu Dank verpflichtet sein für die Offenheit.
Üblich in Gewerkschaftsblättern ist es immer noch, möglichst nicht von Kapitalismus zu sprechen sondern von „sozialer Marktwirtschaft“, ganz wie Kapitalsverbände und staatliche Organe. Und wenn sie das System retten wollen, dann sprechen sie von der Demokratie, die sie vor linken Extremisten retten wollen. Nur in der Praxis, da retten sie ständig einzelne Kapitalisten aufgrund ihrer Sozialpartnerschaftsideologie vor angeblichen Überforderungen durch die Belegschaften – und schließen faule Kompromisse ab und schöpfen deren Kampfkraft nicht aus. Die Sozialpartnerschaft ist ihnen mehr wert als die konsequente Interessenvertretung ihrer Mitglieder. Ist das vielleicht der Hauptgrund für den Mitgliederrückgang?
In ihrer Logik ist Frau Herrmann konsequent, wenn sie die DGB-Gewerkschaften (und ihre Vorläufer) nicht als Klassenkampforganisationen darstellt sondern immer schon als auf Konsum orientierte Retter des Kapitalismus. Und heute müßte man sich quasi zwecks Mitgliederwerbung auch nicht mehr nur als Arbeiternehmervertreter sehen sondern ganz offiziell als Kapitalismus-Retter.
Die im Artikel dargelegte Position gibt Anlaß zu der bitterbösen Schlußfolgerung: Diese DGB-Gewerkschaftsfunktionäre, die sich mit dieser Position identifizieren, müssen nur aufpassen, das ihnen nicht folgendes passiert: Der Patient verstirbt und sie beatmen den Leichnam weiter, bis Ihnen selbst die Puste ausgeht.
Kommentar von Dieter Wegner vom 1.12.2016, aktualisiert am 4.12.
würde gerne den text lesen auf den du dich beziehst...
...bekomm aber immer nur so ne fancy 403 errorpage...kann den vielleicht wer ins pressearchiv kopieren?
lg
der link zum artikel
Wie DGB und Kapitalismus partnerschaftlich gemeinsam in Barbarei versinken
Das ist schon originell: Unter der Rubrik „Zukunft der Gewerkschaften“ veröffentlicht das DGB-Organ Gegenblende/Einblick einen Artikel von Ulrike Herrmann mit dem Fazit „Die Zukunft der Gewerkschaften wird von anderen bestimmt“.
Eine Antwort auf Ulrike Herrmanns Gewerkschaftsvorstellung, daß der DGB den Kapitalismus zu retten habe. Von Dieter Wegner:
http://www.dgb.de/einblick/++co++8d44a1b0-b156-11e6-940f-525400e5a74a