Seniorin vollendet Kreuzworträtsel-Kunstwerk
Eine 91-jährige Museumsbesucherin füllt in einem Museum kurzerhand ein Kreuzworträtsel aus - leider handelt es sich dabei um ein Werk des Fluxus-Künstlers Arthur Köpcke im Wert von 80.000 Euro. Jetzt hat sie nicht nur mit der Museumsleitung Ärger.
Das Aufsichtspersonal des Neuen Museums Nürnberg war entsetzt: Mit einer eigenwilligen Interpretation eines modernen Kreuzworträtsel-Kunstwerks hat sich eine Rentnerin eine Strafanzeige und Kripo-Ermittlungen eingehandelt. Die 91-Jährige nahm die Aufforderung des 1977 gestorbenen Fluxus-Künstlers Arthur Köpcke, "Insert words" ("Setze Wörter ein") am oberen Bildrand, wohl wörtlich und füllte die Kästchen aus. Das berichtete Museumssprecherin Eva Martin am Donnerstag.
Werke verschiedener Kunstrichtungen
Nach Martins Angaben hatte die 91-Jährige mit anderen Mitgliedern der "Literaturwerkstatt" eines Seniorenzentrums am Mittwoch die Ausstellung besucht. Dort werden Werke verschiedener Kunstrichtungen gezeigt, unter anderem das etwa 150 mal 80 Zentimeter große Bild Köpckes. Das aus dem Jahr 1965 stammende Werk mit dem Titel "Reading-work-piece" zeigt einen Ausschnitt eines Kreuzworträtsels.Einige Kästchen hat der Künstler bereits vorausgefüllt", sagte die Sprecherin. Andere noch unausgefüllte Rätselfragen habe die ältere Dame mit Kugelschreiber beantwortet. Nach einem Bericht der "Nürnberger Nachrichten" hat die 91-Jährige beispielsweise das in dem Rätsel abgefragte englische Wort für Mauer, "Wall", auf das Bild gekritzelt.
Sofort ins Depot
Wie viele Kästchen die Rentnerin ausgefüllt habe, konnte das Museum zunächst nicht sagen. Es seien aber mehrere Kreuzworträtsel-Lösungen eingetragen worden. Museums-Mitarbeiter hätten das beschädigte, mit 80.000 Euro versicherte Bild sofort in das Depot gebracht. Man gehe davon aus, dass man das Bild wieder restaurieren könne, sagte Martin.Mit Erstaunen nahm das Museum das Verhalten der anderen Senioren der Gruppe zur Kenntnis. Während jede Schülergruppe wisse, dass Kunstwerke nicht beschriftet werden dürften, hätten die Senioren sich sehr mit der 91-Jährigen solidarisiert und ihr Unverständnis geäußert. Sie hätten das Museum aufgefordert, doch gefälligst Schilder aufzustellen, dass die Kunstwerke nicht beschriftet werden dürften.
"Nicht böse gemeint"
Museums-Chefin Eva-Christina Kraus betont: "Uns ist schon klar, dass die ältere Dame das nicht böse gemeint hat. Trotzdem sind wir als staatliches Museum um eine Strafanzeige nicht herumgekommen. Schon aus versicherungsrechtlichen Gründen mussten wir den Vorfall der Polizei melden."Zwei Kripobeamte hätten die Seniorin noch am selben Tag vernommen. Gegen sie wird nun wegen des Verdachts der "gemeinschädlichen Sachbeschädigung" ermittelt, sagte ein Polizeisprecher. Die Kripo wartet nun das Gutachten des Museums ab und wird den Fall dann der Staatsanwaltschaft vorlegen.
Sammler nimmt es mit Humor
Der private Sammler, der dem Museum das Werk zur Verfügung stellte, hat den Zwischenfall laut Museum mit Humor genommen. Das Kunstwerk wurde aus der Ausstellung entfernt, eine Restauratorin kümmere sich nun darum. Der Schaden werde wohl nur im Bereich von mehreren hundert Euro liegen und vom Museum übernommen.
Köpcke war 1977 verstorben, nach seinem Tod würdigte ihn Joseph Beuys. Dieser machte seine eigenen Erfahrungen mit dem Umgang mit seiner Kunst. 1973 polierten zwei Frauen bei einer SPD-Feier seine "Badewanne", eine mit Mullbinden, Fett und Pflastern bearbeitete Säuglingswanne, auf der Suche nach einem Behälter zum Gläserspülen auf Hochglanz und zerstörten so das Werk. Später entsorgte eine Putzfrau seine "Fettecke", eine Skulptur aus fünf Kilogramm Markenbutter.
BILD am Sonntag berichtet weiter
Die Kreuzworträtsel-Oma sieht die Sache jedoch immer noch anders. „Jetzt ist das Bild doch erst was wert, weil es so bekannt geworden ist durch mich. Jetzt ist es eben 100 000 Euro wert!“, sagte sie zur „BamS“. Dass sie juristisch Ärger bekommt, glaubt sie nicht. „Ich habe einen guten Anwalt, der boxt mich raus.“
Seniorin beansprucht Urheberrecht an zerstörtem Kunstwerk
Nürnberg. Hannelore K. hat im Neuen Museum in Nürnberg ein Kreuzworträtsel-Kunstwerk ausgefüllt. "Wall" hat Hannelore K. ergänzt. Das passt - dem Museum aber nicht. Sie findet: Sie ist die Einzige, die den Künstler wirklich verstanden hat. Ihr Anwalt spricht davon, dass K. mehr Ahnung von der betreffenden Kunstart hatte als die Museumsmitarbeiter. Der Anwalt findet auch: Durch die Bearbeitung habe Hannelore K. ein eigenes Urheberrecht an dem Bild erworben.
Man kann Arthur Köpcke nicht mehr fragen, leider, weil der Künstler schon 1977 verschieden ist. Es kann aber gut sein, dass der Mann Hannelore K. ganz dankbar wäre dafür, dass sein bislang nur mäßig bekannter Name nun auch einigen Menschen geläufig ist, die nie etwas von der Fluxus-Bewegung gehört hatten. Hannelore K. schon, die 90-jährige frühere Zahnärztin ist gebildet und deswegen ging sie an jenem Tag im Juli davon aus, es sei im Sinne des Künstlers, dass sie sein Werk, eine Collage mit einem Kreuzworträtsel in diesem Fall, vervollständige.
Sie habe sich in einem "nicht vermeidbaren Verbotsirrtum" befunden, argumentiert ihr Anwalt Heinz-Harro Salloch, schließlich geht es bei Fluxus nicht um das Werk, sondern um die schöpferische Idee. Hätte also das Neue Museum in Nürnberg, in dem das Bild zurzeit ausgestellt ist, nicht gewollt, dass jemand den werkimmanenten Anweisungen des Künstlers Folge leistet - immerhin steht "Insert words" auf dem Bild -, hätte man eine Absperrung anbringen müssen. Offenbar herrsche im Museum "keine ausreichende Sachkunde über diese Kunstart", schreibt Salloch.
Die siebenseitige Einlassung hat er an die Kripo in Nürnberg geschickt, denn gegen seine Mandantin wird wegen "gemeinschädlicher Sachbeschädigung" ermittelt. Zwar ist der Kuli-Eintrag der alten Dame mit Lösungsmittel wieder abgegangen und das habe lediglich eine dreistellige Summe gekostet, ließ das Museum kürzlich wissen.
Dennoch laufen die Ermittlungen noch, die müssen von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Dass dies passiert, davon geht der Anwalt aus, schon deswegen, weil Hannelore K. offenbar als einzige begriffen habe, was zu tun sei. Das Argument der Museumsdirektorin, man dürfe schließlich auch der Mona Lisa keinen Schnurrbart malen, greife nicht und belege nur, dass auch sie die Kunstrichtung Fluxus nicht verstanden habe.
Anwalt Salloch dreht die Argumentation nun um. Es sei nicht nur kein Schaden entstanden, im Gegenteil, das Objekt habe wohl eher eine Wertsteigerung nach der ganzen Geschichte erfahren, weil es zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sei. Und noch wertvoller sei das Werk vermutlich durch die "belebende Weiterverarbeitung" von Hannelore K. geworden, und im Übrigen habe sie dadurch ein eigenes Urheberrecht an dem Bild erworben. "Sie hat dem Willen des ursprünglichen Schöpfers folgend auf dem gleichen künstlerischen Niveau des Herr Köpcke weiter geschöpft", schreibt Salloch.
So gesehen, sei das Urheberrecht von Hannelore K. durch die Restaurierung des Werkes zerstört worden. Weiter gedacht könnte der Eigentümer des Objekts, der es an das Neue Museum ausgeliehen hat, sogar Ansprüche gegen das Museum geltend machen, sollte die Lösung von Hannelore K. ohne dessen Zustimmung wieder entfernt worden sein. Arthur Köpcke jedenfalls, da ist sich Salloch sicher, hätte bestimmt keine Strafanzeige gestellt.