Überausbeutung und Widerstand im Unternehmen Universität: Der CATI-Labour-Struggle an der Uni Jena

CATI

Am 13. Juni 2016 sind der organisierte Teil der studentischen Telefoninterviewer_innen des CATI-Labors, betrieben vom Jenaer Institut für Soziologie, wie auch Mitarbeiter_innen vergangener Interview-Projekte zusammen mit der Basisgewerkschaft FAU Erfurt/Jena gegen das Unternehmen Universität in den Arbeitskampf getreten.

 
Die Zustände im CATI-Labor stellen ein anschauliches Beispiel für die kapitalistische Umstruktierung im akademischen Betrieb dar. Um die Arbeitskraft 'Mensch' möglichst effektiv, sprich kostengünstig, auszubeuten wurden und werden auch an den Hochschulen verschiedene Strategien gefunden. Alt – und leider bewährt – ist die Strategie, Tarifverträge und Arbeitnehmer*innenrechte mit Werkverträgen zu umgehen – eine Praxis, wie sie an der Universität Jena seit Jahren und – Zitat eines Uni-Verantwortlichen: bislang „problemlos“ – angewendet wird.
 
Die Problemlage

Das CATI-Labor, in dem diese Praxis zuletzt augenscheinlich wurde, wird vom Institut für Soziologie betrieben und dient zur Durchführung von telefonischen Befragungen. CATI steht für Computer Assisted Telephone Interviewing; es handelt sich um ein universitäres Callcenter. Die Interviewer_innen werden dabei von der Uni via Werkverträgen beschäftigt. Mit einem Werkvertrag vereinbaren Auftraggeber*in und Auftragnehmer*in die Erstellung eines Werks, welches nach Abnahme bezahlt wird. Das Werk wird bezahlt, nicht die Arbeitszeit. Der*die Auftragnehmer*in ist also selbstständig, was bedeutet, dass die Sozialabgaben selber getragen werden müssen, aber auch, dass sie*er nicht dem Weisungsrecht des*der Auftragsgebers*in unterliegt. Die Interviewer*innen im Cati-Labor sind faktisch aber weisungsgebunden, der Arbeitsablauf ist komplett vorgegeben, sie müssen sich in die digitalen Dienstpläne eintragen und werden auch nicht pro Werk (Interview), sondern pro Stunde bezahlt. De facto liegt hier also ein Arbeitsverhältnis vor, d.h. die Interviewer*innen sind scheinselbstständig! Die grundlegenden Arbeiter*innen-Rechte, die mit einem Lohnarbeitsverhältnis einhergehen, werden den Interviewer_innen so aber verwehrt: Für sie werden keine Sozialabgaben gezahlt, im Krankheitsfall gibt es keine Lohnfortzahlung, es gibt keinen bezahlten Urlaub und der Tariflohn wird unterlaufen. Um es deutlich zu machen: Die Uni / das Institut nutzt die Werkverträge bewusst aus, um die studentischen Arbeiter*innen in die Scheinselbstständigkeit zu zwingen und so alle gesetzlichen Verpflichtungen eines Arbeitgebers zu umgehen!
Das CATI-Labor der Universität steht dabei in Konkurrenz um Aufträge zu privatwirtschaftlichen Callcentern, in denen die Bedingungen selten besser sind, aber zumindest die arbeitsrechtlichen Mindeststandards einigermaßen eingehalten werden. Durch Umgehung dieser Standards trägt unter anderen das Jenaer CATI-Labor zum scharfen Konkurrenzkampf in der Branche bei und ist damit auch mitverantwortlich für die miserablen Löhne in diesem Bereich. Also selbst wenn der Konflikt zur letztendlichen Schließung des universitären Callcenters führt, wie vom Institut befürchtet, ist dieses aus einer Klassenperspektive zu begrüßen. Eine Lohmdumpinginsel würde damit der Vergangenheit angehören.
Der Arbeitskampf
 
„Aufmüpfige“ (ex-)Interviewer_innen haben sich an die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) Erfurt/Jena gewandt und gemeinsam folgenden Forderungskatalog entwickelt, der die gröbsten Rechtswidrigkeiten der momentanen Vertragspraxis sowie das Lohndumping beseitigt:
 
1. Reguläre Arbeitsverträge statt erzwungener Scheinselbstständigkeit. 
2. Die Einhaltung arbeitsrechtlicher Mindeststandards (Sozialabgaben, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlter Urlaub und Schonzeiten entsprechend der Bildschirmarbeitsverordnung).
3. Einen am Tarifvertrag TV-L orientierten Stundenlohn für alle Interviewer*innen, welcher auch rückwirkend einforderbar sein soll.        
4. Die zuverlässige Überweisung des Lohns bis zum 15. des Folgemonats.
 
Diese durchs bürgerliche Arbeitsrecht eigentlich verbindlichen Forderungen hat die FAU Erfurt/Jena am Montag, den 13.06.16, schriftlich an die Verantwortlichen des Instituts für Soziologie sowie mit dem Labor verbandelte Institutsangehörige geschickt und ein Gespräch inklusive Termin vorgeschlagen. In einer kurzen Antwort-Email schrieb ein Mitarbeiter der Soziologie, die Universitätsleitung werde sich mit der FAU Erfurt/Jena in Verbindung setzen. Dies ist bis heute nicht geschehen.
Obwohl das soziologische Institut das CATI-Labor betreibt und die Werkverträge zumindest mit-unterzeichnet, sieht dieses die Verantwortung für die Vertragspraxis ausschließlich bei der Universität. Das Institut versuchte in der Woche, in der die Forderungen eingingen, ganz klar, sich aus der Verantwortung zu ziehen und Zeit zu schinden, um das aktuelle Projekt konfliktfrei zu beenden. Zeit, in der die befristetangestellten Interviewer_innen gefälligst Dienst nach Vorschrift machen und die Füße still halten sollen.
 
Nach dem Ausbleiben einer inhaltlichen Positionierung seitens des Instituts wie auch seitens der Uni wurde der Arbeitskampf am 20.6. öffentlich gemacht. Dies geschah mittes Pressemitteilungen, Plakat- und Flyeraktionen sowie mit einer spontanen Kundgebung vor dem Sommerfest der Universität. Dieser öffentliche Druck brachte Bewegung in die Sache, forcierte die Laborbetreibenden, ihre Strategie zu ändern und hat den Arbeitskampf auf der Instituts-Agenda nach oben getrieben. Inzwischen haben Verantwortliche des Instituts die illegitime Werksvertragspraxis als das erkannt, was sie ist, nämlich schlichtweg illegal gemäß dem geltenden Arbeitsrecht. Von daher ist ein Teilsieg errungen: In Zukunft werden die Verträge der Interviewer_innen „anders“ gestaltet sein müssen. Wie genau, ist allerdings noch offen. Eine Stellungnahme des Instituts und die Kommentierung dieser finden sich auf dem Blog des CATI-Labour-Struggles (https://catilabourstruggle.blackblogs.org ).
Bevor es jedoch zu dieser Stellungsnahme - mit der Aussage, von den Werkverträgen abrücken zu wollen und der generellen Befürwortung von einem Tarifvertrag von SHKs - kam, bildeten sich verschiedene Verwaltungsstrategien des Konflikts heraus. Dabei handelte es sich um folgende Ebenen:

1. Repression und Union Busting gegen die Gewerkschaft FAU Erfurt/Jena werden in Betracht gezogen und vorbereitet. Mehrfach wurde behauptet, die FAU sei keine richtige Gewerkschaft, habe keine Mitglieder im CATI-Labor und instrumentalisiere die Telefon-Interviewer*innen. Das ist eine typische gewerkschaftsfeindliche Argumentation, und zwar die von der bösen Gewerksschaft, die die unschuldigen Arbeiter*innen für ihr eigenes Machtkalkül verführt und aufhetzt. Eine Argumentation, die immer wieder von Bossen gegen streikende Arbeiter*innen einesetzt wurde. Tatsächlich ist die FAU Erfurt/Jena für die organisierten Beschäftigten des CATI-Labors von Anfang an als organisatorische Plattform, Sprachrohr und als Schutz vor personenbezogenen Repressalien äußerst wichtig gewesen. Darüber hinaus schlugen einzelne Personen auf der Institutskonferenz vor, künftig vom Hausrecht Gebrauch zu machen und die Polizei gegen die FAU bei Aktionen in der Uni vorgehen zu lassen. Zumindest dagegen gab es aber instituts-intern ein klares Kontra.

2. Es wird sich um eine Einbindung und Beschwichtigung der Studierenden und studentischen Arbeiter*innen bemüht. In den letzten Wochen haben Vertreter*innen des Instituts interne Gespräche mit den (ehemaligen) Telefon-Interviewer*innen - unter Ausschluss derer beratenden Gewerkschaft - angestoßen. In diesen Treffen sollen die studentischen Arbeiter*innen beruhigt und der Konflikt befriedet werden. Es wurde die Gründung einer Sonderkomission beschlossen, die sich mit der Lage am und vom CATI-Labor vertraut machen soll. Dazu sollen auch Student*innen eingebunden werden.
3. Einzelne Dozent*innen und Professor*innen des Instituts haben am Konflikt beteiligte studentische Arbeiter*innen im instituts-öffentlichen Raum bloßgestellt und verbal angegriffen. So entpolitisieren sie den Arbeitskampf zu einer persönliche Fehde zwischen Einzelpersonen und üben Druck auf engagierte Student*innen aus.

4. Weiterhin schiebt das Institut die (zunächst generelle, dann nur die juristische) Verantwortung von ihrer auf die Uni-Ebene ab, obwohl ein Teil der (Mit-)Schuld für das Schlamassel beim Institut selbst liegt. In diesem Rahmen wird statuiert, dass mensch doch so überrascht, quasi ahnungslos überfallen worden sei von den geschilderten Zuständen im CATI-Labor. Tatsächlich wurden aber seit Monaten individuelle Beschwerden und kritische Nachfragen vorgebracht und die FAU Erfurt/Jena hat in ihrem Forderungsschreiben vom 13. Juni explizit zu einem Treffen eingeladen. Dieses Angebot ist damals schlicht ignoriert worden. Letzten Endes muss, wer Werkverträge über wenige Wochen abschließt, sich nicht wundern, wenn Arbeitskämpfe entsprechend kurzfristig ausbrechen.

Der Zusammenhang
 
Die meisten Universitäten leben von einem prekarisierten "Mittelbau", der Ausbeutung der stark abgewerteten studentischen Arbeitskraft und dem Outsourcing infrastruktureller Aufgaben wie Mensa, Reinigung etc. an externe Unternehmen. Der Mittelbau ist besonders in Thüringen von befristeten Verträgen, halben Stellen, Viertel-Stellen oder rechtlich ungeregelten Tätigkeiten betroffen. Die studentischen Hilfskräfte (SHKs) bekommen nur Verträge, die eine Laufzeit von einigen Monaten haben, und werden mit dem Mindestlohn abgespeist. Zudem wird der Tarifvertrag durch eine Klausel umgangen, indem die SHKs für eine "wissenschaftliche Tätigkeit" eingestellt werden, obwohl dies häufig nicht der Fall ist. Wenn eine Universität, so wie die in Jena, einen Personalrat hat, ist dieser für die SHKs nicht zuständig, da sie rechtlich nur als "Sachmittel" gelten. An der Uni gilt also: SHKs sind Sachen; Sachen wie Tische und Büromaterial.

Eine kollektive Organisierung um die eigenen Interessen gestaltet sich trotz der leider oft breitflächigen Benachteiligung als schwierig. Die studentischen Arbeiter*innen, die an den Instituten als wissenschaftliche Hilfskräfte angestellt sind, finden sich oft mit ihrer prekären Lage ab, weil sie mit "guten Kontakten" zu den Professor*innen und dadurch mit Seilschaften für ihre angestrebte akademische Karriere versorgt werden. Sie hoffen, ihre Stelle bedeute den Einstieg in den Wissenschaftsbetrieb. Da sie sich oft mit ihrer Arbeit überidentifizieren, halten viele den schlechten Lohn und Überausbeutung sogar noch für vollkommen legitim. Andere sind wiederrum mit ihrer Arbeit  zufrieden und erachten ihren Sachmittelstatus daher als unproblematisch. 

All diese identitären Dilemmata haben die Telefoninterviewer*innen im CATI-Labor allerdings nicht: Aus dem CATI-Labor gibt es keinen Weg nach oben. Dennoch wird den Interviewer*innen bei ihrer „Schulung“ vermittelt, dass es ein Privileg sei, im CATI-Labor arbeiten zu dürfen. Es wurde auch argumentiert, die bestehende Praxis der Werkverträge sei zu ihrem Vorteil.

Wenn es nicht am Karriere-Opportunismus liegt, dann halten die meisten studentischen Arbeiter*innen aus Angst vor Repression von Seiten ihres Dozenten oder ihrer Professorin die Klappe. Und wenn es trotz alledem den Willen zur Organisierung gibt, haben die SHKs mit ihrer Vereinzelung und ihren kurzen Beschäftigungsperioden zu kämpfen. Dass es jedoch nicht unmöglich ist, sich kollektiv konkret gegen die eigenen Arbeitsverhältnisse, allgemein gegen den kapitalistischen Umstrukturierungsprozess an der Uni aufzulehnen, zeigen verschiedene Beispiele: unser Arbeitskampf am CATI-Labor oder der Organisierungsprozess der Frankfurter unter_bau-Initiative für eine Hochschulgewerkschaft.

Universitäten treten als Unternehmen auf und müssen damit als ein Feld von Ausbeutung und Arbeitskampf begriffen werden. So ist der Traum einer "linken" Universität im Kapitalismus nicht erfüllt worden und kann es strukturell auch nicht. Der Klassenkampf muss an der Universität deshalb offen ausgetragen werden. In der Universität muss gezeigt werden, dass diese ein Teil des kapitalistischen Systems ist. Die Uni ist damit ein Feld von Ausbeutung. Sie ist ein ökonomisches Kampffeld!
Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

dass das mal thematisiert wird. Universitäten sind im Kapitalismus nichts weiter als ein Support für Konzerne mit all ihren ökonomischen Bedürfnissen und Abartigkeiten. Und so gibt es auch kein wirkliches freies Forschen mehr, sofern es dies überhaupt gab. Der freie Geist ist ein Feind der Kapitalisten und des ganzen Gesocks, welches die Welt mehr und mehr in den Abgrund treibt.

Das Ergebnis ist nicht nur die Zerstörung der Umwelt,  Hunger, Krieg und Elend, sondern auch die schrittweise Verblödung/Verrohung der "ersten Welt" bis zu ihrer endgültigen Degenerierung. Irgendwann werden wir uns auf den Bäumen wiederfinden, und unartikulierte Schreie von uns geben.

Falls es da noch Bäume gibt.

Sonst graben wir uns dann eben Erdhöhlen.

Und dann kommen die Saurier irgendwann zurück, und wir werden langsam immer kleiner und pelziger.