Bekanntmachung eines sexualisierten Übergriffs in der ukrainischen anarchistischen Bewegung – ein Erfahrungsbericht

Dieser Text wurde ins Deutsche übersetzt, da sich der Täter auch in deutschen Kontexten aufhält. Der Betroffenen ist es ein Anliegen, über die „Besonderheiten“ des Täters zu informieren.

Der Übersetzer*in ist es zusätzlich ein Anliegen zu verdeutlichen, dass Aktivist*innen, die sexualisierte Gewalt ausgeübt haben, sich nicht durch Migration der Verantwortung für ihre Taten entziehen dürfen. Das russischsprachige Original findet ihr hier.

 

Es geht um sexualisierte Gewalt, Derailing, Selbstbeschuldigungen u.a. überlegt euch vorher, ob ihr es lesen wollt. Aber es geht auch um feministische Solidarität ;-)

 

 

Hallo. Ich möchte mit euch meine Erfahrungen über die Bekanntmachung eines sexualisierten Übergriffs teilen.

 

Für mich war das ein sehr schwieriger Schritt. Ich war immer der Überzeugung, dass mein Privatleben etwas sehr intimes ist und kein Gegenstand öffentlicher Diskussionen sein soll. So bin ich immer ohne Beziehungsstatus bei Facebook und ähnliche Dinge ausgekommen.

 

Doch sah ich mich gezwungen, mich zu äußern, sogar fünf Jahre nach dem Vorfall. Die ganzen fünf Jahre habe ich versucht zu denken, dass es sich um einen Einzelfall handelte und so etwas mit einer anderen Person nicht vorgekommen sei, schließlich hatte der Mann sich wiederholt zu profeministischen Positionen bekannt.

 

Aber jetzt habe ich erfahren, dass mein Fall nicht der Einzige ist und es wurde für mich immer schwerer meinen Zorn zu zügeln. Schließlich fühlt sich der Mann in der Bewegung so aufgehoben wie eh und je, ohne Schuldgefühle den Betroffenen gegenüber, gleichgültig, ob sie sich in seiner Anwesenheit wohlfühlen oder nicht.

 

Damals, nach dem Vorfall, habe ich mir eingeredet selbst schuld zu sein, dass ich vorsichtiger sein müsste: nicht flirten, keine kurzen Röcke tragen, andere Leute nicht zu hause besuchen, wenn ich keinen Sex wollte.

 

Ach ja, Feminismus hat mich all die Jahre nicht sonderlich beschäftigt. Ich verstand nicht, wieso diese Feministinnen immer mit allen so unzufrieden waren und die Männer mit Anschuldigungen überhäuften.

 

AB HIER BEGINNT EINE DETAILLIERTE SCHILDERUNG (Absatz in Kursiv) DES VORFALLS. PASST AN DIESER STELLE BEIM LESEN BESONDERS AUF EUCH AUF!

 

Im Laufe der Zeit kam mir immer häufiger der Gedanke, dass es sich bei dem Vorfall um sexualisierte Gewalt handelte, da mein „ich bin mir nicht sicher, ob ich das will“ komplett ignoriert wurde und die Belästigung nicht aufhörte. Und ziemlich direkt nach der Penetration sagte ich „NEIN“, da ich für mich erkannte, dass zwischen uns eindeutig nichts möglich ist und ich körperliche Schmerzen bekam. Der Mann interpretierte das allerdings auf seine eigene Weise, brach die Penetration ab, aber entschied das Begonnene auf meinem Körper zu beenden.

 

Einige Jahre später, als ich meine Erfahrungen in einem privaten Gespräch mit einer Freundin teilte, berichtete diese mir, dass es weitere Frauen gäbe, die unter den sexualisierten Übergriffen dieses Mannes gelitten hätten, es allerdings vorzögen zu schweigen, da sie wüssten, welcher „Lärm“ und Hetze gegen sie folgen würden.

 

 

Und genau das war für mich Anlass, anderen Leuten von den Übergriffen in der Bewegung zu erzählen. Als ich meine Erklärung bei Facebook veröffentlichte, schrieb mir der Mann, ohne zu fragen, ob ich mich mit ihm unterhalten wolle, und fing an mich zuzutexten, dass es kein Übergriff gewesen sei (er verlinkte sogar die Gesetzgebung der USA) und wir uns nur falsch verstanden hätten.

 

Ich habe dann versucht, ihm etwas eingehender zu erzählen, was und wie ich während des Vorfalls gefühlt habe. In der Hoffnung, er würde anfangen zu verstehen, dass er Grenzen nicht wahrnimmt und ein „Stopp!“ nicht zu hören in der Lage scheint. Ich bat darum, dass dieser Dialog vertraulich bleibe, weil ich mich nicht in der Situation fühlte solch intimen Details öffentlich zu machen.

 

Im Nachhinein erfuhr ich, dass er unser persönliches Gespräch seinen Genossen bei der AST (Autonomous Workers Union – Anarchosyndikalistische Gewerkschaft in der Ukraine) weiterleitete (und weitererzählte). Und von ihrer Seite kam dann der größte Müll: der Schriftverkehr wurde (ohne meine Erlaubnis) im Plenum diskutiert. Es wurde auf einem Vermittlungsverfahren bestanden, zu dem ich und die anderen Betroffenen erscheinen sollten; zahlreiche Kommentare von Mitgliedern der AST unter meinem Facebook-Post darüber, wie sie sich einen Ausweg aus der Situation vorstellen; darüber hinaus persönliche Nachrichten an mich und die Freundin, die mich unterstützte. Auf der Webseite der AST wurde ein Statement hochgeladen, dass man die Vorwürfe „ausräumen müsse“, obwohl bekannt war, dass die anderen Frauen und ich strikt dagegen waren. Außerdem wurde ich nie gefragt, welchen Ausweg aus der Situation ich sehen würde und ob ich solch einen überhaupt wollen würde. Hasskommentare bekamen meine Unterstützer*innen und ich dafür mehr als genug.

 

Zu diesem Zeitpunkt wollte ich nichts anderes als andere Mädchen schützen, weitere Vorfälle verhindern. Dass der Typ entweder lernt sich selber zu stoppen oder auf das hört, was ihm Frauen sagen. Ich nahm an und hoffte, dass sich der Mann nach all den Jahren verändert habe und sich solche Vorfälle nicht wiederholen würden.

 

Der Mann ließ mir, obgleich sehr spät, über meine Freundin eine Entschuldigung zukommen. Und ich wollte daran glauben, dass sie ernst gemeint war.

 

Doch dann kam das rücksichtslose Verhalten der AST, die Art und Weise wie sie meine und die Gefühle der anderen Betroffenen verletzte, da sie einen der ihren nicht „herausgeben“ wolle und sich weigerte seine Schuld anzuerkennen obwohl er diese selbst eingestanden hatte. Dazu kam, dass der Mann unseren vertraulichen Schriftverkehr dennoch in die Gruppe trug. All dies erdrückte mich regelrecht, ich war am Boden zerstört. Ich verstand, wie schwierig es ist ein, so schien es mir, derart wichtiges Thema in der ukrainischen Linken anzusprechen. Da selbst diese „linken“ Autonomen nicht in der Lage waren ehrlich aufzutreten, kam ich zu dem Schluss, dass es den ganzen Stress nicht wert sei. So ließ ich die Sache erst mal einschlafen.

 

Eines Nachts erhielt ich eine SMS von einer Bekannten: „Ich bewundere dich dafür, dass du die Belästigung durch Wolodarskij öffentlich angesprochen hast. Ich will dich unterstützen und erzählen, dass ich mich ziemlich genau vor einem Jahr in der gleichen Situation befunden habe. Doch mir fehlte der Kampfgeist und die Unterstützung. Du bist klasse! Höre auf niemanden, du hast alles richtig gemacht und anderen sehr geholfen.“

 

Nach diesen Sätzen folgte eine detaillierte Beschreibung ihres Vorfalls, und der war dem Meinen sehr ähnlich:

 

„genau vor einem Jahr drängte er mich zu sexueller Nähe und war schließlich erfolgreich, indem er eine Situation schuf, in der ich nicht mehr weggehen konnte und mir nichts anderes übrig blieb, als mit ihm allein zu bleiben. Ich habe ihm sofort „NEIN!“ gesagt, doch er entschied, dass wenn er erst mal anfinge, das „NEIN!“ automatisch zum „JA!“ werden würde. Er ist ein verdammtes Arschloch...“ (Ich sage gleich im voraus, dass die Frau ihren Namen nicht mitteilen will und dass es keinerlei Sinn hat sie privat anzuschreiben oder zu einem Gespräch zu bitten – verpisst euch einfach!)

 

Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich hatte nur einen Gedanken: „vor einem Jahr. Er hat sich überhaupt nicht verändert. Wie viele Betroffene hat es in dieser Zeit noch gegeben? Wie viele Frauen haben sich entschieden zu schweigen? Und wie viele haben sich geäußert, aber nichts erreicht? Ich habe eine ungefähre Liste zusammengestellt und sie ist keinesfalls kurz.

 

Welche Erkenntnisse habe ich aus der ganzen Sache gewonnen?

 

  • Ich erachte es für notwendig Frauen in der Bewegung und nicht nur dort vor seinen „Besonderheiten“ zu warnen

  • dass im Falle der Teilnahme Wolodarskijs an feministischen und anderen aktivistischen Veranstaltungen, deren Organisator*innen sich ernsthaft mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzen wollen, vor der Anwesenheit eines wiederholten Vergewaltigers gewarnt wird

  • dass die AST als libertäre Organisation Vergewaltiger in den eigenen Reihen schützt und betroffene Frauen unter Druck setzt

    Und euch empfehle ich, darüber nachzudenken, wie ihr in der ukrainischen (und der deutschen; Anmerkung der Übersetzer*in) anarchistischen Bewegung solche Vorfälle in Zukunft vermeiden könnt.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

... nicht nur auf anarchistische Gruppen, da laeuft jetzt in der Ukraine ein Flaschmob "Ich habe keine Angst, es zu sagen" und hunderte, oder vielleicht schon tausende Frauen haben von ihren Erfahrungen mit sexueller Gewalt, Belaestigungen usw. erzaehlt.

"Es schlug wie eine Bombe ein" ist vielleicht treffende Bezeichnung fuer das Effekt des Flaschmobs. Zumindest - wie man es schon jetzt vorsichtig einschaetzen kann - hat es wirklich Resonanz und Wirkung.

nur das ich das jetzt richtig verstehe: du warst bei ihm zuhause, hast vor dem sex gesagt :"ich weiß nicht ob ich das will", dann hattet ihr sex und hinterher hast du "nein" gesagt?

 

also entweder ist der vorfall einfach seltsam beschrieben oder wahnsinnig undurchsichtig.

.

nicht hinterner. Lies nochmal genauer und stell keine Arschloch-Fragen.

Wohl eher eine Arschloch-Antwort, dein Kommentar.

Und ziemlich direkt nach der Penetration sagte ich „NEIN“

steht allerdings im Widerspruch zu


Der Mann interpretierte das allerdings auf seine eigene Weise, brach die Penetration ab

Von daher sehe ich obige Frage durchaus Legitim. Ich würde das erstmal auf einen Übersetzungsfehler schieben. Dennoch macht jener Fehler den Text undurchsichtig und eine Nachbesserung wäre wünschenswert. Im sinne der tatsächlichen Ereignisse, nicht der erwünschten Lesart.

 

Warum geht es eigentlich nicht mehr ohne Beleidigungen?

 ich bleibe dabei, das ganze ist undurchsichtig bis zum geht nicht mehr.

 

zum einen frage ich mich was für eine relevanz diese bekanntmachung für deutsche linke haben soll? das es vergewaltiger und sexuelle übergriffe auf der welt gibt die auch mal von linken begangen werden, ist glaube ich jedem bewusst. hält sich diese person in deutschland auf oder besteht eine direkte verbindung zu deutschen linken die sich in der ukraine aufhalten, oder was ist der zweck dieser deutschen übersetzung aus dem russischen? für wen soll diese warnung also sein? soll man nun also nicht mehr mit dieser gruppe zusammenarbeiten, falls das überhaupt irgendjemand macht, weil eine für mich anonyme person diese dinge behauptet? ich werde bei so etwas misstrauisch, alleine auch schon deshalb weil eine bekanntmachung dieser art normalerweise wenn es denn ernstgemeint ist, immerhin damit einhergehen würde denn vollständigen namen des täters zu nennen. ich lese im ganzen text nur einen namen wo ich nichtmal weiß ob das ein vor- oder nachname ist, ob dieser name in der ukraine geläufig ist und oft vorkommt und wieviele menschen in kiew in der linken szene so heißen.

 

die zweite sache ist der geschilderte fall selbst: also für mich ist ein "ja" ein ja, ein "nein" ein nein und ein "ich weiß nicht ob ich das will" ist..ja was?...ein ja oder nein, oder vielleicht einfach ein "ich weiß nicht was ich will"? was soll man dazu als aussenstehender denn jetzt großartig sagen? dann gab es eine penetration, sprich sex und danach(?)... wurde ein "nein" geäussert woraufhin der angebliche täter auch reagiert hat und seinen penis rausgezogen hat...äh,nun gut.....

aber vielleicht ist ja die übersetzung einfach nur falsch....

 

und zum dritten punkt: die frau die am schluss des textes ins spiel kommt und diesesmal eine eindeutige vergewaltigung geschildert wird, die aber anonym bleiben möchte.

gut, ich verstehe den wunsch nach anonymität, aber in dem fall ist das auch keine basis so etwas bekannt zu machen.

das ist dann nämlich so als ob ich sage: "julius aus berlin aus der gruppe xy hat eine freundin von mir vergewaltigt die aber anonym bleiben möchte fickt euch!" tja, julius ist dann wirklich schonmal dran,zumindest ist der ruf ruiniert wegen einer ominösen behauptung im anonymen internet von anonymen menschen.

 

also was soll das ganze? entweder macht man so eine bekanntmachung richtig, deutlich und vorallem nachvollziehbar für linke in deutschland warum vor dieser person im weit entfernten kiew hier in deutschland gewarnt wird, oder man lässt es sein weil das ganze sonst eher nach einer rufmordkampagne schmeckt.

 

ich frage mich ehrlich gesagt sowiso bei all diesen negativartikeln über die anarchisten in der ukraine, die ich hier immer wieder zu lesen bekomme, wer da dahintersteckt?

und ich frage mich zudem ehrlich gesagt, warum man sowas auf indymedia linksunten stehen lässt?

es muss doch auch jedem klar sein das so ein vorwurf eine harte nummer ist, hier jede/r artikel posten kann und ein öffentliches an den pranger stellen einer person kein versehen zulassen sollte, oder?

Will nichts relativieren, und vielleicht liegts ja auch nur am Text und das Geschehende war tatsächlich eindeutiger, aber ich versteh ganz ehrlich absolut nicht wie der erste geschilderte Fall dem anderen "sehr ähnlich" sein soll, im Gegenteil, ich halt das für kaum vergleichbar. Ändert natürlich nichts daran dass es für die Betroffene offenbar schlimm war, das gilts natürlich völlig anzuerkennen, ganz unabhängig davon wie man das Verhalten des Mannes bewertet.

 

Der letztere Fall ist wohl offensichtlich eine Vergewaltigung: Die Frau kann nicht weggehen und sagt nein, der Mann macht weiter.

 

Der erste Fall ist doch da aber völlig anders: Als die Frau während der Penetration nein sagt bricht er diese ab. Sowas auch nur annähernd mit einer Vergewaltigung zu vergleichen grenzt meiner Meinung nach an eine krasse Verharmlosung von Vergewaltigungen.

 

Und was soll auch am Rest schlimm sein? Wenn der Geschlechtsverkehr abrupt beendet wird weil ein Partner nichtmehr will ist es doch völlig nachvollziehbar und legitim dass sich der andere Partner dann selbst befriedigt, auch der Partner der noch kommen will hat ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Solange er die Frau nicht dazu gezwungen hat Teil davon zu sein (und davon lese ich im Text nichts) sehr ich da nichts problematisches. Er ist auf ihr gekommen. Aber hat sie das zu diesem Zeitpunkt erkennbar abgelehnt oder wird einfach erwartet dass ein "Nein" während der Penetration auch hierfür gilt? Hätte sie nicht einfach aufstehen, sich zur Seite drehen, sich die Decke drüberzeihen können wenn sie eine klare verbale Ablehnung zu diesem Zeitpunkt nicht artikulieren kann oder will?

 

Wenn das tatsächlich so war wie es mit dem Text rüberkommt fänd ichs ziemlich krass jemandem deswegen einen sexuellen Übergriff vorzuwerfen und seine Entschuldigung (die doch allein deshalb schon angebracht ist da die Betroffene im nachhinein klargestellt hat dass sie das nicht wollte) auch noch als Schuldeingeständniss zu werten. Dass bei einem so krassen und öffentlich gemachtem Vorwurf auch der Schriftverkehr diskutiert wird halt ich nicht nur für absolut legitim sondern für notwendig damit sich alle ein Meinung darüber bilden können. Es kann doch nicht ernsthaft erwartet werden dass man so einen Vorwurf öffentlich macht und der Beschuldigte dann seinerseits aber etwas nicht veröffentlichen darf wenn es seiner Meinung nach hilft für andere ersichtlicher zu machen was konkret passiert ist.

Der betroffenen Person sei Taferkeit, die Fähigkeit, darüber hinwegzuwachsen, gewünscht. Und nur das Beste. Und danke für die Warnung - möge sie diejenigen erreichen, die es brauchen.