Vergewaltigungsdebatten in der Szene

In der Zeitschrift Bahamas, Ausgabe 32 im Jahr 2000, erschien unter dem Titel „Infantile Inquisition“ ein Artikel über die „Vergewaltigungsdebatten in der Szene: Verdränger werden Verfolger“ von Justus Wertmüller und Uli Krug. 

Darauf möchte ich im Folgenden näher eingehen:

Es ist ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass unter Linken besonders zahlreich intelligente emanzipierte Männer und intelligente emanzipierte Frauen zu finden sind und auch, dass es dennoch zu gewissen unschönen wenig tragfähigen theoretischen Konstruktionen kommen kann. Eine davon ist die Definitionsmacht für das Opfer, vor allem im Bereich des Sexuellen. Ich vermute dahinter ein schlecht verarbeitetes Patriarchatstrauma, das vermutlich jeden befallen kann. 
Die Reaktion darauf bricht sich durch besondere Milde gegen Frauen Bahn, der leider auch ab und an die Rationalität geopfert wird. Da auch Linke nicht vor bürgerlichen Klischees gefeit sind, wundert mich nicht, dass die Herangehensweise der Männer - als nach bürgerlichem Verständnis Angehörige des Täterkollektivs – an das heikle Thema Vergewaltigung, oft eine andere ist, als die der potenziellen Opfer, der Frauen. Die soziale Benachteiligung der Frauen, derer sich Linke im Besonderen bewusst sind, führt in extremen Fällen zu einer positiven Diskriminierung der Frauen und unschönen moralischen Verrenkungen wie zBsp. der Definitionsmacht des Opfers. 

Diese Definitionsmacht ist per Definition zwar nicht an das weibliche Geschlecht der Opfer gebunden, aber praktisch wird auf Grund der oft klischeehaften Schuldzuweisungen, eine Bindung das weibliche Geschlecht praktiziert. Genau das führen uns auch die Herren Wertmüller und Krug vor (wie auch ihre eigene Hysterie), wenn sie nun einer „gänzlich bewusstlosen Jungmännerwelt“ bescheinigen müssen, dass sie als Antwort auf diese „Verlogenheit“ mit „wilder Stechermentalität“ antworten werden. 

Gemeinhin wird nach bürgerlichem Rollenverständnis unter einer Vergewaltigung Gewalt verstanden, die Männer Frauen mit Sex gegen deren Willen antun. Nun sind aber Frauen, nur weil sie Frauen sind, nicht zwanghaft Opfer und Männer, nur weil sie Männer sind, nicht auf jeden Fall Täter. Auch nicht, wenn das Schema der Verdächtigung sich nahtlos dem bürgerlichen Klischee anpasst. Nicht nur bei einer Vergewaltigung selbst, sondern auch beim Vorwurf einer solchen. Und geben wir es zu, würde ein Mann einer Frau eine Vergewaltigung vorwerfen, fiele es uns schwer, vorbehaltlos daran zu glauben. Das ist nicht schlimm, so geht es auch den Herren Wertmüller und Krug. Auch in ihrem Theoriegebäude, verläuft die Trennung zwischen Opfern und Täter nach Geschlechtern. Nun aber aus dem trivialen Umstand, dass nicht jeder Vorwurf auch korrekt formuliert ist oder der Wahrheit entspricht, zu schlussfolgern, Frauen hätten ein Problem mit dem „Furor der Überwältigung“ ist unsinnig, Frauen haben kein Problem mit „Überwältigung“, sondern mit Gewalt. Und Männer haben es eben so, begreifen sich aber leider selten als potenzielles Opfer, sondern sehen sich in der Position des potenziellen Täters und argumentieren leider oft aus dieser, wenn sie versuchen männliche Täterschaft zu relativieren. 

Abstraktion ist ein Stilmittel, das nicht jedem liegt. Und ja, die „wilde Stechermentalität“ eines „wilden Mannes“ wird wohl vor allem eine Frau zum Objekt der Begierden und Lustmachen auswählen, denn die heterosexuelle Norm gilt weiterhin, und dabei übernimmt die Frau den passiven Part und der Mann den aktiven. Insofern schützt die Heterosexualitätsnorm nachhaltig erwachsene Männer vor sexueller Gewalt von Männern. Aber nicht durch Gewalt von Frauen oder Homosexuellen. Davor kann sie nur deren Passivität schützen oder eine unterstellte besondere Moral. Dem Umstand, dass vor allem weibliche Wesen Opfer sexueller Gewalt von Männern werden, versucht man mit besonderer Beachtung Rechnung zu tragen, der Definitionsmacht, wird aber mit diesem Zugeständnis an das Opfer einer rationalen Betrachtugng selten gerecht. Frauen muß man nicht dafür entschädigen, dass sie Frauen sind und darum wahrscheinlicher Opfer sexueller Gewalt werden. Dieses begründet eine Pauschalverurteilung der Männer, weil sie es sind, die über Rollenbilder zum potenziellen Täter erklärt werden. Der Vorwurf sexueller Gewalt, ohne Aufklärung, wiegt umso schwerer, weil er auf eindringliche Art in der klischeeverhafteten Bewertung der Geschlechterverhältnisse verbleibt, die mit emanzipatorischen Ansprüchen überwunden werden sollen. Wenn aber nun allein das Opfer bestimmen kann, was mit dem Täter geschehen soll, ist Machtmissbrauch eine Möglichkeit, der präventiv begegnet werden muss. Was findet statt, wenn der Vorwurf sich als unwahr oder überzogen herausstellt? Wie kann garantiert werden, dass das Opfer den Täter nicht zum Opfer einer Verleumdung macht? Wie schützt sich ein Mensch vor einem falschen Verdacht? 

Das sind Fragen, die im Bahamasartikel von den Herren Krug und Wertmüller nicht gestellt werden. Sie kaprizieren sich stattdessen darauf, aus einem mehr als fragwürdigem Fallkonstrukt so bizarre Verrenkungen wie „Verführung“ (wider willen, denn die Lust muß der Frau erst gemacht werden) zu inszenieren, hantieren dabei fahrlässig mit Ich-Konstruktionen von Sigmund Freud und fabulieren vom unterbewussten Ich, dass eigentlich sowie so außer Stande sei, sich subjektiv an der Außenwelt zu beteiligen und darum „dem anderen, (..) zugeschoben (wird), was offenbar im „Ich“ entstanden ist: die Lust nämlich“. Dann frage ich mich, was in drei Teufels Namen damit entschuldigen werden soll: Als Antwort auf die Definitionsmacht des Opfer wird eine beklagte Vergewaltigung nun zur tragischen Verklemmung der Frau? Die dabei keinen Grund mehr zum Protest habe, weil ihr unterbewusstes Ich, ohnehin an der Lust des (unter-?)bewussten Mannes nicht partizipieren wird? Wirklich schlimm wird es aber, wenn es denn heißt dass der „ganze Jammer, des Geschlechter- und Liebeskrieges“ unter einer „Haltet-den-Dieb-Rhetorik“ verborgen bliebe, weil ein als Vergewaltigung rubriziertes „Lustmachen“ das Böse schlechthin sei und eine „Gemeinschaft der Unbefriedigten“ schmiede. Damit können dann aber nur die Frauen gemeint sein, weil die am Lust gemacht kriegen wohl in diesen Grenzsituationen nicht jene Freude der Männer empfinden, die gerade eine lustvolle Frau brauchen, damit es einfach besser flutscht und sich das Gewissen nicht meldet, wenn der „wilde Mann“ seine Frau nach Pornomanier überwältigt. Nun wundert es auch nicht mehr, wenn von einer „nunmehr gänzlich bewusstlosen Jungmännerwelt „-mit weiblichem Anhang-„ gegen diese „Verlogenheit“ angeblich das „gesamte Arsenal des Herrenwitzes in Anschlag gebracht wird“. Was dann wohl soviel heißt, dass wir auch zukünftig eine gepfefferte Prise Sexismus aus der Bahamas-Ecke zu ertragen haben werden, weil das kleinbürgerliche Verständnis der „Verführung“ von Frauen – auch linken - nicht unbedingt geteilt werden muss. 

Eine Einigung darüber, was dann wohl allen Beteiligten eine subjektive Lustempfindung ermöglichen kann, wie diese entsteht und wodurch und warum nach Bahamaslogik einer Frau eben erst Lust gemacht werden muss, halte ich im Bahamas-Kontext allerdings für ausgeschlossen. Genau genommen wird nämlich in der derart konzipierten Sexualethik nach Wertmüller und Krug genau das vorbereitet, was dann endlich auf Seite 3 unter dem Kapitelabschnitt „Lust“ erklärt wird: „Die Freuden der Passivität wie der Furor der Überwältigung.“, dem „Genommenwerden“ durch einen „wilden Mann“. Vom „Furor der Überwältigung“ und dem Genommenwerden durch eine wilde Frau, die ein Mann oder eine Frau empfinden darf, erwähnen die Herren Wertmüller und Krug nichts. 

Ein Nein und/oder Gegenwehr ist immer als Aufforderung zum Rückzug zu akzeptieren und das betrifft nicht nur den Bereich des Sexuellen, aber auch dort ohne jeden Zweifel. Selbstbestimmung sollte als Minimalforderung gerade in linken Diskursen oberste Priorität haben. Vermeintliche Missverständnisse entlasten nicht eigener Verantwortung und können auch nichts entschuldigen, wenn das „Missverständnis“ keines ist. Wer ein Nein ignoriert, ist für alles Folgende verantwortlich. 

Es bedarf also keiner im DinA4-Format ausgefertigten 7-seitigen Aufklärungsschrift, um darin nach Bahamaslogik festzustellen, dass „das Gerede von der Autonomie“ und der unbedingten „Selbstbestimmung“ bedenklich sei, weil eben in der ausgelebten Sexualität der Mensch (eigentlich die Frau) „sich ausliefere“ und kein „höheres Ziel“ kennt. 

Auf den Rest dieses Machwerkes gehe ich mangels konstruktiv verwertbaren Inhalts nicht ein: Es ist wenig effektiv, sich mit jemandem über die Legitimation einer Definitionsmacht streiten zu wollen, der sie jemandem abspricht, der diese nur in seinen Zusammenhängen hält. 

Ein Erklärungsversuch

Eine Diskussion darüber, was dann wohl jedem Teilnehmer an einem Sexualakt eine subjektive Lustempfindung (unstrittig wird wohl sein, dass alle ein Interesse daran haben sollten) ermöglicht, und warum nun einer Frau im genannten Fall erst Lust gemacht werden musste, halte ich unter Wertmüllers Vorgabe für wenig erfolgreich. Es ist grundsätzlich nicht besonders klug, an Hand eines bestimmten Falls allgemeine Bewertungsmaßstäbe festlegen zu wollen. Aber genau diese allgemeinen Maßstäbe sind von besonderem Interesse. 

Um überhaupt eine akzeptable Methode zu entwickeln, die allen möglichen Interessen gerecht wird (dem potenziellen Täter, dem wahrscheinlichen Opfer, wie auch beteiligten Dritten) müsste man sich dem Thema abstrahierend und formalistisch nähern: Dem möglichen Missbrauch durch eine Falschbeschuldigung wird bei einer exklusiven Definitionsmacht durch das Opfer keine hinreichende Bedeutung beigemessen. Von daher sollte die Macht der Definition sich auf die Anzeige beschränken, d. h. die Form, den Ansprechpartner und die Darstellung des Geschehens. Ein Opfer darf sich formlos äußern und seine interne Anzeige ist an keinen besonderen Ausdruck, Terminlage oder Kriterien gebunden. 

Geht es jedoch darum, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen, wird auch dieser befragt werden müssen, um - wenn möglich- aus beiden Darstellungen, eine übereinstimmende Erklärung zum Vorfall abzuleiten. Ab hier geht es denn um Formalien. 
Verweigert ein Betroffener die Klärung, wird eine Entscheidung ohne sein Dazutun getroffen und er vergibt seine Chance auf Einflussnahme im Entscheidungsprozess. Bis zur Klärung des Vorfalls ist darauf zu achten, dass die Definitionsmacht beim Anzeigenden verbleibt, also weder Informationen zum Geschehen an Dritte weitergegeben werden, die dazu geeignet sind, den Angezeigten in Verruf zu bringen oder sein Ansehen zu schädigen. 
Die Folgen einer Verdächtigung zeitigen Folgen unabsehbaren Ausmaßes, erst recht wenn sie falsch sind und es ist gerade in Ausnahmesituationen auch vom Opfer nicht zu erwarten, dass es rational entscheidet oder die Ruhe bewahrt. Hier gilt die Definitionsmacht, als situative Freiheit zur Irrationalität. 

Bis zur Klärung des Geschehens sind das vermeintliche Opfer sowie der potentielle Täter vor weiteren Auseinandersetzungen besonders und individuell zu schützen. Dabei sollte allen Beteiligten klar sein, dass ein Aussitzen keine tragfähigen Lösungen bieten kann. Vor allem gegen das Opfer ist Untätigkeit, eine weitere Demütigung und wird einen Täter nicht zur reuigen Erkenntnis über seine Tat antreiben. 

Wenn es also zu einem schweren Vorwurf in linken Zusammenhängen kommt (und eine Vergewaltigung ist ein solcher), sollten sich zuerst alle zur Verschwiegenheit verpflichtet fühlen und ihr Mitteilungsbedürfnis auf ein vertrautes Umfeld beschränken, aus dem auch konkrete Hilfe zu erwarten ist. Dies alles nur, wenn die Klärung des Vorfalls innerhalb der Szene erfolgen kann und auch soll. Hilfe zur Selbsthilfe ist zwar ein großartiger Ansatz emanzipatorischer Praxis schützt aber auch moralisch legitime Vergeltungen nicht vor Strafverfolgung durch Repressionsorgane. Sind Täter wie Opfer in linken Zusammenhängen zu verorten und scheint eine Klärung in angemessenem Rahmen möglich, sollte sie auch konstruktiv und in der Szene stattfinden. 

Hysterischer Aktionismus richtet aber ebenfalls einigen Schaden an, und erst recht, wenn er denn auf einer Falschaussage beruhen sollte. Wenn eine Klärung innerhalb der Szene erfolgen soll, muss sie auf emanzipatorischen und gerechten Prinzipien basieren. Ein Ausschluss sollte von daher das absolut letzte Mittel sein und für eine festgestellte Falschbeschuldigung ebenfalls in Betracht gezogen werden. Auch wenn es auf den ersten Blick unverhältnismäßig aussieht, ein falsches Opfer so zu behandeln, wie es der Täter erfahren hätte, wären die Vorwürfe richtig gewesen, so scheint mir genau diese Idee ein gerechtes Verfahren ohne Repression zu sein. 

Die Definitionsmacht des Opfers kann so auch den Schutz des potenziellen Täters bis zur Aufklärung der Umstände abstrakt beinhalten und schützt zumindest theoretisch vor überzogener Hysterie und irrationaler Hektik. Allerdings ist auch hier dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Täter-Opferverhältnis nur die Beziehung der beide Subjekte wiedergeben kann und für das Verhalten Dritter nicht Ausschlag gebend sein darf. Immer sind die individuellen Beziehungen und Verhältnisse zu beachten und der speziellen Verfassung des Betroffenen Rechnung zu tragen. 
Ebenfalls sind alle Beteiligten offen über die möglichen Folgen der weiteren Verfahrensschritte zu informieren, um einer repressiven Maßnahme durch eigenes Handeln zuvor kommen zu können. 

Die Autonomie aller Menschen zu achten, ist ein moralisches Prinzip emanzipatorischer Politik. Linke haben sich darum nicht als Moralapostel aufzuspielen oder sich über Recht und Konventionen zu erheben, aber sie sollten in der Lage sein, ein akutes Problem in ihren Zusammenhängen selbstständig und aktiv zu lösen. Konkretere Vorgaben sind hier nicht zu leisten, da jeder Fall ein Einzelfall bleiben sollte und es keine normierenden Vorlagen braucht, sondern lediglich eine Aufforderung zur skeptischen Prüfung des rational Erfassbaren. Die psychosozialen, mentalen, materiellen und praktischen Hilfestellungen für das Opfer nehmen dabei einen besonderen Raum ein und sind so weit wie möglich in der Gruppe zu erledigen. Dabei kann natürlich eine klärungswillige und hilfsbereite Bezugsgruppe keine Therapie ersetzen oder langfristigen Folgeschäden (Trauma, Angstzustände etc) vorbeugen, sie kann aber für einen gerechten Ausgleich sorgen und das sollte sie auch. Vorderstes Ziel bei einer Anschuldigung zu einem behaupteten Angriff auf die (sexuelle) Selbstbestimmung einer Person ist also eine vollständige und detaillierte Klärung des Vorfalls, eine Reaktion der Gruppe wie auch die vollständige Akzeptanz des Opfers und eine als solche erkennbare moralische Verurteilung des Täters innerhalb der Gruppe - sobald der Vorfall geklärt ist - und eine gemeinsame Festlegung zur Außendarstellung, mit dem das Opfer wie der Täter einverstanden sein müssen. 

Machen wir die Selbstbestimmung zu unserem obersten Prinzip!

Isi

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

super

Der Beitrag wurde kopiert von "Isis Blog": http://isis-welt.blog.de/2009/01/14/isi-sex-3-teil-5374813/

Der besprochene Text aus dem Jahr 2000 ist hier zu finden: http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web32-4.htm

Auf dem Blog finden sich folgende Kommentare:

"Wie kommt denn bloß jemand auf den merkwürdigen Gedanken, einen beinahe 10 Jahre alten Artikel zu besprechen? (...)"

"Herr Wertmüller hat sich diese Auseinandersetzung bei seiner Lesung in MD ausdrücklich gewünscht und ich hoffe so auch ein bisschen, dem "das können wir dann später bei einem Bier klären" zu entgehen. (...)"

Soviel zum Thema "Später beim Bier klären" bzw. wie die Kiez-Linke sich eine Diskussion vorstellt (aus dem aktuell-archiv der Bahamas):

 

Im Visier des Volkszorns,

neue Folge:

„BAHAMAS-Fotzen“

 

Bekanntlich ist es einer Gruppe von 15 bis 20 Frauen und Männern gelungen, am 17.10.2000 eine Veranstaltung der BAHAMAS zur sogenannten Sexismusdebatte zu unterbinden. Die BAHAMAS-Redaktion und 120 Leute, die zuhören und diskutieren wollten, sind also nicht zum Zug gekommen. Der Charakter dieser Störung, die von ihren Urhebern wohl als gewaltfrei und phantasievoll bezeichnet werden wird – es wurde u.a. auf Trillerpfeifen gepfiffen, mit den Füßen gestampft, mit Gegenständen geklopft und schließlich die Sicherungen ausgeknipst –, bedarf eines Nachtrags.

Nicht nur, daß es zu tumultartigen Situationen kam, in der drei Frauen und zwei Männer, die der BAHAMAS angehören bzw. ihr freundschaftlich verbunden sind, verletzt wurden; nicht nur, daß ausgerechnet eine Migrantin – als solche gehört sie eigentlich doch zu den Lieblingswesen der Szene – bei dem Versuch, das Licht wieder einzuschalten, getreten und gewürgt wurde und den rasenden Mob noch nicht einmal über Mikrofon zu wenigstens leicht betroffenem Innehalten bewegen konnte; ein weiterer, kaum beachteter Umstand macht für uns eine öffentliche Erklärung notwendig: Anders, als es sich der antisexistische Mainstream wohl zurechtgelegt hat, besteht die BAHAMAS-Redaktion nicht nur aus Männern. Irritierenderweise gibt es in der Redaktion auch einige Frauen. Zwei Redakteurinnen, die sich im Verlauf der Rangeleien als solche klar zu erkennen gaben, wurden nicht nur besonders heftig attackiert, es fiel von einer Frau aus dem Kreis der Störer mehrfach laut, deutlich und unwidersprochen das Wort „Bahamas-Fotze“.

Wir halten das für keinen Zufall, keine im Eifer des Gefechts gefallene, entschuldbare Entgleisung, sondern sind überzeugt, daß das, was aus dieser Frau heraussprach, das gesamte „antisexistische“ Unternehmen dieser Leute charakterisiert. Die BAHAMAS gilt ihnen als klassisches Produkt weißer deutscher Männer. Sie steht für hochmütige Mißachtung der Kämpfe um Befreiung weltweit, arrogante Besserwisserei, typisch eurozentris­tisches Metropolendenken. Ihre Vertreter präsentieren in Wort und Schrift das, was man als männliches Diskussionsverhalten zu verabscheuen gelernt hat. Wenn einer so gearteten Gruppe Frauen angehören, so der fast schon automatische Schluß, muß es sich bei diesen um mißratene Vertreterinnen ihres Geschlechts handeln, ihr Verhältnis zum Projekt und den männlichen Genossen wird umstandslos sexualisiert. „Bahamas-Fotzen“ kann ja nur heißen, daß der Weg dieser Frauen in die Redaktion durch die Betten der sog. Leithengste geführt habe, daß in den Phantasien der „Antisexisten“ ihre Rolle in der von Sexsklavinen und verlogenen Aushängeschildern bestehen und daß sie damit schimpflichen Verrat an sich selbst und ihrem Geschlecht verüben würden. Die BAHAMAS-Redakteurinnen wurden, völlig konsequent, aufgefordert, sich „mit ihren Schwestern zu solidarisieren“. Es dann immer noch nicht getan zu haben, stempelte sie ab: zu „Fotzen“ eben.

Jene also, die allenthalben das anklagende Wort von der sexualisierten Gewalt im Munde führen und die Reduzierung von Frauen in Wort und Tat auf ihre Genitalien anprangern, sind diesem Denken nicht weniger verhaftet als die von ihnen dafür kritisierten Männer. In der Zurückweisung dieser Sexualisierung liegt bereits der Keim zu seiner Bekräftigung ex negativo.

Am Rande der nicht stattgefundenen Veranstaltung suchte eine Frau, die nicht den Störern zuzurechen ist, das Gespräch mit einem der beiden vorgesehenen Referenten. Nachdem sie mehrfach bekräftigt hatte, sie fände den dem Skandal zugrunde liegenden Artikel „zum Kotzen“, kam es mitten im Chaos zu einer Diskussion über Sexualität, die in folgender Aussage der Frau kulminierte: Der Mensch sei doch kein Tier, er sei doch ein selbstbestimmtes, weil vernunftbegabtes Wesen. Nicht nur, daß der Auftritt der Störergruppe erhebliche Zweifel an so schöner Hoffnung aufkommen ließ. In diesem fast schon verzweifelt vorgetragenen Pochen auf eine „Vernunft“, die geeignet sein müsse, das von ihr als tierisch verstandene Sexuelle im Menschen niederzuhalten, offenbarte sich ein ideologisiertes Bild von Sexualität, wie es verdrängungsbelasteter auch vor 100 Jahren nicht formuliert worden wäre. Nur wenig trennte diese Einlassung der Frau – die wir für repräsentativ für große Teile der Szene halten – von den Überzeugungen der Störer. Gemeinsam ist ihnen die Verteufelung der Sexualität als des triebhaften und durchaus aggressiven Geschehens in uns und der Versuch einer repressiven Domestizierung des Triebs durch Rationalisierungen, die den Menschen den Unterleib rauben und der Vernunft, derer sie sich bedienen sollen, die Leidenschaft.

Während diese Ansicht vor den Zumutungen des Triebs zwar zurückschreckt, ihn aber nichtsdestotrotz bei Mann und Frau für wirksam hält, also verruchten Männern auch verruchte Frauen an die Seite stellen würde, gehen die „Antisexisten“ den entscheidenden Schritt weiter. Sie behaupten das Vorhandensein von vorgegebenen Geschlechts­­identitäten, die immer dem Zwang einer patriarchalen Gewalt gehorchen und auf ewig und unhinterfragbar die menschliche Gesellschaft beherrschen. Den Leuten ist qua Geschlecht ihre Rolle zugewiesen. Frau als Opfer hat anzuklagen und sich zu wehren, Mann als Täter hat sein Schicksal von der Biologie zu einer apriori agressiven Geschlechtsidentität verurteilt zu sein, beständig anzuklagen und zu kontrollieren oder wird für immer in den Orkus der Täter geworfen. Wer sich diesem Muster als Frau nicht fügt, kollaboriert mit dem Feind durch Unterwerfung, letztlich also durch die freiwillige Hinnahme potentieller Vergewaltigung.

Ausgelebte Sexualität ist da genausowenig möglich wie das Gespräch darüber. Die von tiefer Angst vor der eigenen Sexualität geprägte Sexismusdiskussion, die ihr entstammende Naturalisierung der Geschlechter in männlich und weiblich muß im schlimm gemeinten Wort „Fotze“ kulminieren, wenn eine den vorgezeigten Weg verläßt und nicht das ewige Opfer sein will, zu dem die „Antisexisten“ sie machen wollen.

Die BAHAMAS wird die öffentliche Aussprache zum Thema Sexualität nicht zu erzwingen versuchen. Sie wollte keinen billigen Skandal und wird keinen Anlaß zur Wiederholung des beliebten Stücks geben. Interesse am „Showdown“ (Ankündigung der BAHAMAS-Veranstaltung in der Jungle World) haben immer die Interesselosen, die in ihrer wohltemperierten Welt den abwechslungsreichen Kick suchen, weil ihnen die Leidenschaft zur Kritik fehlt. Wie und in welcher Form wir die Veranstaltung wiederholen, werden wir unter Ausschluß der Öffentlichkeit mit denen beraten, die sich nicht davon abschrecken lassen auf der Abschußliste der Antisexisten zu stehen.

BAHAMAS-Redakteure haben die Störergruppe als autoritären deutschen Mob bezeichnet. Diese Kennzeichnung hält die Redaktion unbedingt aufrecht. Wer sich das Mittel der Saalschlacht anmaßt und dabei sicher sein darf, daß er mit dem Ressentiment des linken Mainstreams im Einklang steht, also sich nicht wird verantworten müssen, ist Vollstrecker der autoritären Mehrheitsmeinung gegen eine ungeliebte Minderheit: eine sehr deutsche Spielart der direkten Demokratie. Die Sexismusdebatte haben wir als infantile Inquisition bezeichnet. Infantil ist es, jedes Argumentieren zu verweigern, infantil ist es, wie der Suppenkasper rhythmisch mit dem Löffel auf Holztische zu hauen, und Inqusition ist die Anmaßung der Gewissenserforschung entlang einer rigiden Richtschnur aus Verbot und Strafbedürfnis. Eine solche Zusammenrottung ist deutscher autoritärer Mob. Und der hatte immer schon einen Jargon, in dem das Wort „Fotze“ nicht fehlen darf.

Trotzdem: Zu der Sache mit den „Bahamas-Fotzen“ erwarten wir doch die eine oder andere öffentliche Stellungnahme.

BAHAMAS-Redaktion, Ende Oktober 2000

Für Indymedia linksunten erhoffe ich mir, schnell und komprimiert Themen mit (wenigstens irgendeinem) regionalen Bezug zu finden. Was soll dieser Artikel hier? Einen knapp zehn Jahre alten Vorfall aus Berlin hier besprechen? Wenn das so weitergeht, kann man das Indy Projekt gleich aufgeben ... bitte den Artikel ganz schnell löschen. Danke

die sexismusdebatte dient doch nur wieder einer identitäts-süchtigen linken doitschen szene, sich vom rest der welt abzuspalten und,

nach freidoitscher manier, zu zeigen: wir stehen auf der moralisch richtigen seite.

so wie die doitschen schon immer auf der moralisch richtigen seite gestanden haben,

haben sie doch mit kant, hegel, marx versucht, das abstraktum der utopie in worte zu fassen,

nur die revolution, also die in die tat umsetzung der erkentnisse, die blieb aus.

das selbe spiel spielt die hamas und die bekloppten antidoitschen weiter:

wir haben adorno gelesen, also sind wir weiter als der rest der welt.

 

wie schrieb heine noch:

unsere revolution wird ungleich größer werden, so groß, dass die franzosen neidisch werden. denn wir haben uns zuerst

die theorie richtig überlegt.

 

die seinen worten folgende doitsche revolution war ein witz, wurde nicht einmal direkt militärisch besiegt sondern ist am eigenen konservatismus

erstickt, weil sich die herren gelehrten nicht einigen konnten, ob demokratie oder konstitutionelle monarchie besser sei

sie entschieden sich letzendlich für letzteres, was die reaktion dankend annahm.

 

so wirds auch mit den antideutschen passieren...

geschichte wiederholt sich, leider.

 

Nachdem ich obigen Artikel und den entsprechenden Bahamas-Artikel gelesen habe, muss ich feststellen, dass Isi den Bahamas-Artikel nicht verstanden hat und sich an einzelne, aus dem Zusammenhang gerissenen Wortfetzen entlanghangelt. Das ist nie sinnvoll, erst Recht aber nicht bei einer Polemik, wie der, auf die Isi Bezug nimmt und die sie anscheinend wortwörtlich nimmt und noch dazu für eine Analyse hält.

 

Wer eine seriöse Debatte lostreten will, sollte zuerst den Text lesen und verstehen, dann im Zusammenhang argumentieren und ganze Sätze des Kritisierten zitieren, damit klar wird, worauf sich die Kritik bezieht. Das bleibt bei diesem Pamphlet vollkommen im Unklaren, denn dass nicht nur Frauen Opfer sexueller gewalt und nicht nur Männer Täter sein können, wird in dem Artikel nicht bestritten. Dieser bezieht sich auf einen speziellen Vorfall, einen akuten Fall und polemisiert gegen die reflexhaften Reaktionen, stellt aber keine allgemeingültige Theorie auf.

 

Unter diesen Umständen haben wir es mit einem ermüdenden und langweiligen Text zu tun, der die polemische Schärfe des kritisierten Beitrags nicht erfasst und darum an den wirklich kritischen Punkten meilenweit vorbeigeht.