Mit Sturmgewehren des Typs M-16 steht eine Gruppe Soldaten an der Straßenecke im Zentrum Concepcións und überwacht die Szenerie. Seit am Sonntag wegen massiver Plünderungen eine Ausgangssperre und der Ausnahmezustand für das gesamte Katastrophengebiet verhängt wurde, erreicht tagtäglich mehr Militär die Regionen Biobío, Maule und La Araucanía.
Wie die Tageszeitung La Tercera berichtet, befinden sich zur Zeit 11.850 Soldaten im Einsatz um für "Recht und Ordnung" zu sorgen.
Bereits zwei mal wurde die Ausgangssperre verlängert, damit der chilenische Staat den Plünderungen Herr werden kann:
Ursprünglich
von 20 Uhr bis 6 Uhr gesetzt, wurde die Ausgangssperre von 20 Uhr bis
12 Uhr und einen Tag später auf 18 Uhr bis 12 Uhr erhöht. Gerademal
sechs Stunden bleiben der Bevölkerung um das Notwendigste zu erledigen.
Die ersten Plünderungen ereigneten sich noch am gleichen Tag des Bebens. Vergangenen Samstag verschafften sich Menschenmassen Zugang zum Líder, eine landesweite Supermarktkette. Tausende schleppten Lebensmittel aus dem Gebäude. Die Polizei sah dem Treiben hilflos zu. Als jedoch manche Plasmafernseher und Waschmaschinen aus dem Supermarkt schleiften, wurde es den Vollstreckungsbeamt_innen zu bunt. Schlagstöcke und Tränengas kamen zum Einsatz. Erste Festnahmen erfolgten.
Die Plünderungen haben sich schnell über die gesamte Stadt ausgebreitet. Anfangs noch der Selbstversorgung gedacht, bietet die allgemeine Verwüstung den Rahmen zur Aneignung von Gütern, die den Menschen sonst nur in den Werbebroschüren und hinter Vitrinen begegnen. In der Innenstadt sollen Bewohner_innen zufolge binnen zwei Tagen ausnahmslos alle Geschäfte geplündert worden sein. Auch aus anderen Städten und selbst aus dem weit entfernten Santiago werden Plünderungen gemeldet.
Militär und Polizei bewachen nun alle größeren Supermärkte und patrouillieren durch die Straßen. Angesichts der Nahrungsmittelknappheit und Panik im Süden ziehen die Menschen dennoch aus, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Gewaltsame Zusammenstöße mit Militär und Polizei sind die Folge. Die Plündernden greifen zu Pistole und Gewehr, um der Staatsgewalt zu begegnen. Bei den Auseinandersetzungen werden Tote und Verletzte gemeldet. Medienberichten zufolge sind bereits hunderte Menschen von Carabineros und Soldaten festgenommen worden.
Aufgrund der massiven Militärpräsenz verlagerten sich die Plünderungen jedoch in periphere Stadtteile, selbst Häuser in Wohngegenden wurden zum Ziel. Verängstigte Bewohner_innen wenden sich an die Medien und fordern den Staat zu einem harten Vorgehen gegen die Plündernden auf. Aus Angst vor Raub verlassen sie ihre Häuser nicht mehr und gründen Bürgerwehren, um die Nachbarschaft zu bewachen.
Die massive Militärpräsenz im Süden konnte die Plünderungen allerdings nur eindämmen und nicht beenden. Erst als vier Tage nach dem Erdbeben die ersten Hilfsleistungen ins Katastrophengebiet gelangten, endeten diese. Der Raub in den Wohngegenden wurde durch die steigende Anzahl der Militärs beträchtlich verringert.
Der unkontrollierbare Mob verbreitet in den Ämtern Santiagos Angst und Schrecken. Die Plünderungen werden prompt zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit erklärt. Der Staat antwortet mit massiven Repressionswellen, noch bevor den Opfern Hilfe zu Gute kommt. Zum ersten Mal in ihrer zwanzigjährigen Regierungszeit verhängt das Mitte-Links-Bündnis Concertación eine Ausgangssperre und den Ausnahmezustand. Viele Menschen fühlen sich eingeschüchtert durch die Maßnahmen der Regierung. Soldaten in den Straßen die mit Gewehren im Anschlag für "Recht und Ordnung" sorgen, erinnern an die Diktatur. An Willkürherrschaft und Terror. Der Unmut innerhalb der Bevölkerung gegen den Staat wächst. Unterdessen fordert Piñera, der künftige Präsident Chiles und Unterstützer der Militärdiktatur, die Ausdehnung des Ausnahmezustands. Politiker_innen sprechen sich laut für Militäreinsätze in Santiago aus.
Derweil werden Meldungen über organisierte Banden in den Tageszeitungen und Fernsehkanälen kolportiert. Gerade konservative und staatliche Medien greifen das Thema auf. Verständnis für die Plünderungen und ihre Umstände wird hingegen kaum gezeigt. Die Bedrohung des Privateigentums, der Verlust des staatlichen Gewaltmonopols rückt vielmehr in den Fokus der Medien. Der staatliche Fernsehsender TVN überträgt derweil Interviews einer empörten Seniorin, die lauthals zur Hinrichtung der Plünderer aufruft.
Wer aüßertete sich den mit
Wer aüßertete sich den mit "Man sollte sie alle erschießen"?
eine alte Frau aus stgo im TV
Eine alte Frau aus Santiago de Chile äußerte sich zu den Plünderungen in 24horas, den Nachrichten des staatlichen Fernsehsenders TVN, mit dieser Phrase.