Bengalos und Böller fliegen auf Zeche Westerholt in Gelsenkirchen

Erstveröffentlicht: 
09.03.2016

Gelsenkirchen. Polizeihundertschaften übten auf dem weitläufigen Gelände in Gelsenkirchen-Hassel neue Einsatztaktiken. 400 Kräfte aus Bochum, Recklinghausen, Wuppertal und Gelsenkirchen dabei.

 

Das Gebrüll der vermummten Demonstranten lässt schon aus der Ferne nichts Gutes erahnen. Und richtig. „Bullenschweine“ oder „All cops are bastards“ (wörtlich „Alle Polizisten sind Bastarde“) skandiert der wütende Mob, die Hände drohend zu Fäusten geballt. Die Stimmung kippt schlagartig. Böller und flackernde Bengalos fliegen aus den Reihen der Antifa in Richtung Polizei, es riecht nach Schwarzpulver – und jetzt nach jeder Menge Ärger.

 

Doch dazu kommt es nicht. Gelsenkirchener Polizisten mit Kameras haben die Randalierer längst im Blick, unterstützt von begleitenden Kollegen in Zivil und Uniform sind die Scharfmacher fix ausgemacht.

 

„Zugriff!“ Auf den Befehl hin stürmt ein Zehner-Trupp blitzartig in die Menge. Zwei greifen sich jeweils einen Täter, die anderen schirmen sie ab, sichern den gemeinsamen Rückzug. Geschafft, in Sekunden. 

 

Neue Software hilft bei Identifikation


Auf Zeche Westerholt in Hassel spielen sich diese Szenen ab, der Anlass aber ist kein realer, sondern eine groß angelegte Übung der Polizei mit 400 Kräften. „Unser Szenario ist eine Demonstration“, erklärt Tobias Szech, Zugführer bei der 16. Einsatzhundertschaft in Gelsenkirchen. „Wir üben hier neue Eingriffstaktiken, um Straftäter aus der friedlichen Masse herauszufischen und sie später beweissicher einer Strafverfolgung zuzuführen.“ Dabei ist auch eine neue Computersoftware im Einsatz. Sie macht es möglich, die Bearbeitungszeit stark zu verkürzen und mehrere Dutzend Verdächtige parallel zu identifizieren.

 

Der Tross aus 280 Demonstranten zieht an einer Absperrung vorbei, als plötzlich 20 Protestler aus der Masse preschen und die Polizisten angreifen. Sie versuchen, sich sprichwörtlich eine Bresche zu schlagen. Doch die Angriffswelle wird von Pfefferspray (hier: Wasser) zurückgedrängt. Und als ein paar Meter weiter nach Stinkefingern und weiteren Hass-Tiraden der Marke „Arschloch-Kameramann“ zusätzliche Gewaltexzesse drohen, ist erneut ein Polizeitrupp zur Stelle, jetzt in 20er-Stärke. Wie ein Pflug bricht er im Eiltempo von der Seite durch die Reihen, schnappt den Täter und zieht sich – stets sichernd – zurück. Zeit zu reagieren, bleibt der Menge da kaum. 

 

Beobachter nickten anerkennend


Auf den nahen Zuschauerplätzen nicken viele Beobachter anerkennend, die Führungskräfte diskutieren und bewerten das Gesehene rege. Denn an der Übung sind neben Gelsenkirchen außerdem noch die Hundertschaften Bochum, Wuppertal und Recklinghausen beteiligt, selbst Vertreter des Innenministeriums NRW sind dabei.

 

„So realitätsnah haben wir noch nie geübt“, sagt Christoph Odendahl (28) zufrieden. Er ist Gruppenführer einer Zugriffseinheit. Seine erste Einschätzung zu den neuen Taktiken: „Mit wenig Aufsehen lässt sich so sehr effektiv arbeiten, das erleichtert uns die Ergreifung von Tätern.“

 

Hohe Erwartungen hat die Polizei auch an die neue Software. Die Identifikationshilfe ist zugleich der Schlussakt der Übung, als sich aus der überzeugend gespielten „Kundgebung“ ein Protestgrüppchen löst und Polizisten attackiert. Eingekesselt im Polizeitrichter und getrennt von zu Hilfe eilenden Gleichgesinnten werden ihre Personalien erfasst, Beweise gesichert.

 

Die Polizei, sie wappnet sich.

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von der Anti-Antifa Übung

 

https://www.youtube.com/watch?v=qBsW405z_dc

Einige Verteidigungsministerien entsenden ihre Gendarmerie. Die ebenfalls teilnehmende Bundespolizei könnte dadurch militärische Kenntnisse erlangen


Matthias Monroy

 

Unter dem Namen "European Union Police Services Training" (EUPST) plant die Europäische Union eine weitere Staffel internationaler Übungen von Polizei- und Gendarmerietruppen. Die Federführung liegt bei der niederländischen Gendarmerie (Königliche Marechaussee). Frühere Trainings sollten das Zusammenwirken europäischer Einsatzhundertschaften verbessern und einheitliche Standards für Polizeimissionen entwickeln. Im Fokus steht die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten.

2008 starteten die Veranstaltungen zunächst als "European Police Force Trainings" (EUPFT). Fast alle größeren EU-Mitgliedstaaten beteiligten sich mit Einheiten von Polizei und Gendarmerie. Zu den rund 1.800 Teilnehmern gehörten auch Gendarmen aus der Ukraine (EU plant weitere Polizeiausbildung zur Aufstandsbekämpfung).

Drei Jahre später folgte die erste Staffel der EUPST unter Beteiligung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). Dem EAD obliegt mit dem Lissabon-Vertrag die "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" der Europäischen Union. Im Zuge der Neuorganisation der zivil-militärischen EU-Institutionen werden auch die Polizeitrainings stärker in die Politik des EAD eingebettet. Für die neue Staffel der EUPST wertete der zum EAD gehörende Dienst für außenpolitische Instrumente deshalb zunächst frühere Trainings aus.
Europäische Gendarmerietruppe als Partner

An der ersten Staffel des EUPST nahmen Spezialeinheiten aus Kenia, Kamerun, Ruanda, Uganda und dem Sudan teil. Die neuen Übungen sind bereits fertig geplant, mit ihrer Umsetzung soll im ersten Halbjahr 2016 begonnen werden. Während die EUPFT mit 2,4 Millionen Euro finanziert wurden, kosteten die EUPST mit 5,6 Millionen bereits mehr als das Doppelte.

Laut der Webseite des EUPST II gehören 14 "Partner" zum Konsortium: Bulgarien, Zypern, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, Spanien, die Niederlande, Großbritannien sowie die EU-Polizeiakademie. Auch die Europäische Gendarmerietruppe (EUROGENDFOR) ist als "Assoziierter Partner" beteiligt. Am Sitz der EUROGENDFOR im italienischen Vicenza betreibt die Truppe eine Polizeiakademie.

Vor vier Jahren hatte der Europäische Auswärtige Dienst abgefragt, welche zivilen Kapazitäten die EU-Mitgliedsstaaten für militärische Mission beisteuern können. Von Interesse waren die "Integrated Police Units" (IPU) und "Formed Police Units" (FPU). FPU sind Einheiten der Bereitschaftspolizei, die einem zivilen Kommando unterstehen müssen und erst nach einer Befriedung kriegerischer Auseinandersetzungen in Krisengebieten eingesetzt werden. Als IPU gelten Gendarmerien, die für Einsätze in Bürgerkriegsszenarien besonders geeignet sind. Sie unterstehen in der Regel den Verteidigungsministerien (Mehr Einbindung der Europäischen Gendarmerietruppe in EU-Sicherheitspolitik).
Vorbereitung in Lübeck

Deutschland unterhält mit seiner Auslandshundertschaft der Bundespolizei ebenfalls eine FPU. Die Bundespolizei ist auch Mitglied im Konsortium des EUPST II, die Polizeien der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg nehmen ebenfalls an Trainings teil. Für die Vorbereitung der Trainings in Weeze führte die Bundespolizei im Januar ein 5-tägiges Seminar in der Polizeiakademie Lübeck durch. Ein weiteres Modul ist im Mai geplant.

Vom 4. bis 15. April 2016 soll in Weeze/ Nordrhein-Westfalen eine Übung auf einer privaten Ortskampfanlage durchgeführt werden. Die "Training Base Weeze" entstand aus einer ehemaligen Royal Air Force Base und wird von einer GmbH betrieben. Beworben als "multidisziplinärer Trainingscampus" für Behörden mit Sicherheitsaufgaben handelt es sich laut der GmbH um das "größte Übungszentrum seiner Art in Europa".

Unter anderem für Übungen zur Bekämpfung von Unruhen können Einsatzhundertschaften in einer Schule und einem Freibad, einem 200m langen Autobahnabschnitt, drei Gleisabschnitten, einer Tankstelle mit Tankwagen, einem Kraftwerk und einem "Flugzeugdummy" trainieren. Die Anlage wird von einer Trabanten-Wohnsiedlung mit mehr als 100 Häusern umsäumt.

 

Quelle: Telepolis