Morgen werden sie wiederkommen. Mit Bulldozern, Sozialarbeitern und den Bullen von den Compagnies Républicaines de Sécurité. Mit allem, was halt nötig ist, um ein paar Zelte und Hütten abzureissen. Werden Menschen den Ort verlieren, den sie notgedrungen ihr Zuhause nennen. Ein Zuhause, das sie oftmals hassen und verfluchen und das doch alles ist, was ihnen noch geblieben ist.
Die Anzahl der Medienvertreter wird (immer noch) beträchtlich sein. Obwohl es weniger sein werden als noch vor einer Woche. Es wird wohl keine neuen spektakulären Bilder von fliegenden Steine und Tränengaskartuschen geben. Vielleicht wird die eine oder andere Hütte brennen. Angezündet als letzter Akt der Verzweifelung und des ohnmächtigen Protestes, bevor sie von den Agenten des Staates abgerissen wird.
In den Redaktionsbesprechungen werden die übermittelten Bilder und Reportagen also verworfen werden, zu wenig thrill. Zugenähte Münder und hungerstreikende Flüchtlinge taugen allenfalls noch für eine Randnotiz. Oder das Feuilleton. Also werden es noch weniger Medienvertreter werden, noch weniger Berichterstattung. Die Leute im Jungle werden sich selbst überlassen sein. Einige werden an ihrer Seite sein, unermüdlich, wie schon seit Jahren. Aber der Kontinent wird ihnen weiterhin die nackte Schulter zeigen.
Und die Linke des Kontinents? Autoritär, antiautoritär, undogmatisch, sektererisch, ...? In Nantes hatten sich nach dem Beginn der Räumungen in Calais am Abend des 1. März um die 200 Leute versammelten, die von einer Übermacht von Bullen gekesselt und dann auseinander gejagt wurden. In Paris demonstrierten erst um die einhundert, dann um die vierhundert Menschen, in der Mehrzahl Migranten. Ein Empfang des französischen Botschafters in Großbritannien wurden gestört, gestern dann bei einer nicht bewilligten Aktion die Westminster Bridge im Herzen von London für einige Minuten blockiert. Und die Leute von der ZAD Notre Dame des Landes haben eine Solidaritätserklärung verfasst.
Morgen werden sie wiederkommen. Gegen 8:30 Uhr werden die Kolonnen der Bereitschaftsbullen den Jungle erreichen. Die netten Menschen mit den roten Warnwesten werden von Hütte zu Hütte gehen, freundlich aber bestimmt eine Stunde Zeit einräumen, die Habseligkeiten einzupacken und zu verschwinden. Aus dem Jungle, aus Calais, am besten gleich ganz vom Kontinent zu verschwinden. Wer sich weigert oder gar auf das Dach seiner letzten Zuflucht klettert, wird freundlich aber bestimmt herunter befördert werden. Es wird also noch enger in District 9 werden, oder besser in jenem Teil von District 9, der (vorerst) noch weiterbesteht.
Aber der Jungle wird weiter leben. Wird sich unverwüstlich zeigen. Wird immer und immer wieder auferstehen. An welchem Ort auch immer. Heute, an diesem grauen Sonntag, sind sie gekommen, aus der Bretagne, aus Touraine, von der ZAD Notres Dame des Landes, auch aus Großbritannien. Es sind nicht unzählige, aber sie sind hier. Teilen das Mahl, sitzen zusammen mit den Bewohnern des Jungle, reden, tauschen sich aus. Misstrauisch beäugt von den Vertretern der Staatsmacht.
Morgen ist ein neuer Tag.
Morgen werden sie wiederkommen.