Abseits des Spülbeckens: Fragmentarisches über Geschlechter und Kapital

Im Folgenden handelt es sich um einen Artikel der Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft aus der kürzlich erschienenen vierten Ausgabe der Zeitschrift Kosmoprolet

 

Dass die Kritik der gesellschaftlichen Arbeitsteilung unvollständig bleibt, solange sie die vorwiegend Frauen zugewiesene Sphäre der Hausarbeit ausblendet, ist heute so wahr wie in den 1970er Jahren, als Feministinnen der alten Arbeiterbewegung einen blinden Fleck in puncto Geschlechterverhältnis attestierten. Dass es jedoch einen notwendigen Zusammenhang zwischen Kapital- und Geschlechterverhältnis gibt, die jetzige Produktionsweise also auf eine bestimmte geschlechtliche Arbeitsteilung sowie damit einhergehende festgeschriebene Geschlechtercharaktere angewiesen ist und diese zwangsläufig fördert, konnte bis jetzt nicht plausibel argumentiert werden. Trotz erheblicher Diskontinuitäten in der Entwicklung der Geschlechterunterschiede in den letzten dreihundert Jahren kapitalgetriebener Geschichte sehen wir weniger eine Verhärtung der Verhältnisse als vielmehr eine Tendenz zur Nivellierung. Ausgehend von dieser Beobachtung wollen wir uns im Folgenden einige prominente Etappen der Debatte um Kapitalverhältnis und Geschlechterdifferenzen anschauen. Empirische Folie ist dabei die Entwicklung in Deutschland im Besonderen sowie in den westlich-industrialisierten Ländern im Allgemeinen.

 

In Nordamerika und Europa erbte der Kapitalismus eine sehr rigide Geschlechterordnung von vorherigen gesellschaftlichen Formationen. Auch wenn durch die bourgeoise Produktionsweise einiges Ständische und Stehende verdampfte, erwies sich die Herrschaft des Kapitals als keinesfalls unvereinbar mit allerlei Formen von Unterdrückung, die ihr nicht inhärent sind, aber unter ihr fortleben können oder sogar neu hergestellt werden. Zugleich schaffte die im Kapitalverhältnis angelegte abstrakte Gleichheit und Freiheit die Voraussetzung, solche Unterdrückungsverhältnisse infrage zu stellen, und somit für eine progressive Veränderung in der Geschlechterordnung, sicherlich nicht als Automatismus, sondern nur durch Frauenbewegungen. In der Gattungsgeschichte seit Adam und Eva hat das biologische Geschlecht wohl noch nie eine so geringe Rolle für das Leben der Einzelnen gespielt wie in den kapitalistisch entwickelten Ländern des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Und gerade die Tatsache, dass heute mehr denn je darüber diskutiert wird, was Mann und was Frau ist, zeugt davon, dass das Geschlecht in den Bereich menschlicher Gestaltbarkeit gerückt ist. Trotzdem: Das allgemeine Hauen und Stechen, das das Überleben im Kapitalismus kennzeichnet, bietet hervorragenden Nährboden etwa dafür, dass die Angehörigen eines bestimmten Geschlechts oder einer bestimmten Hautfarbe ihre dominante Rolle in diesem Hauen und Stechen zu verteidigen versuchen.

 

Der vorliegende Text behauptet nicht, dass sich ein klassisches Geschlechterverhältnis, ablesbar vor allem an der geschlechtlichen Arbeitsteilung, vollständig erledigt hätte. Auch in den am weitesten entwickelten und in der Verflüssigung des Geschlechterverhältnisses fortgeschrittensten Gesellschaften ist das nicht der Fall. Er behauptet auch nicht, dass das Geschlechterverhältnis kein Thema für Sozialrevolutionäre mehr sei; allerdings hat ein Großteil der Literatur mit der Unterstellung eines logisch-notwendigen Zusammenhanges von kapitalistischer Gesellschaftsordnung und geschlechtlich codierter Unterdrückung nicht überzeugt.

 

Hat der Wert ein Geschlecht?

 

Die im deutschsprachigen Raum wohl prominenteste Vertreterin der These, dass Kapitalismus mit Frauenunterdrückung einhergehen muss, ist Roswitha Scholz. Sie versuchte erstmals 1992 in ihrem Aufsatz »Der Wert ist der Mann«, anhand der Begriffe »wertförmiges Patriarchat« und »Wert-Abspaltung« einen solchen logisch-notwendigen Zusammenhang herauszuarbeiten.1 Kapitalismus und Frauenunterdrückung seien »gleichursprünglich«, das eine sei ohne das andere nicht zu haben – und folglich beides auch nicht unabhängig voneinander abzubauen oder gar »aufzuheben«. Schon der Versuch, das Kapitalverhältnis begrifflich ohne Rekurs auf das Patriarchat zu fassen, sei von vorherein zum Scheitern verurteilt (und ohnehin bloß mehr oder weniger verdeckte Kumpanei mit letzterem).

 

Das »wertförmige Patriarchat« ist das untrennbare Doppel-Prinzip, das Gesellschaftlichkeit überhaupt hervorbringt, aber als gespaltene: Die Gesellschaft existiert nur in zwei parallelen, sich aber bedingenden geschlechtlich bestimmten Sphären oder Lebenszusammenhängen. Einerseits gibt es die männliche oder öffentliche Sphäre, in der Arbeit, Wirtschaft, Wertproduktion, Politik, Macht usw. zu Hause sind. Doch allein innerhalb dieser Sphäre kann sich die Gesellschaft nicht reproduzieren. Alles, wofür in der männlichen Sphäre kein Platz ist, was aber dennoch unentbehrlich ist für die Reproduktion der Menschheit – Haushalt, Kindererziehung, »Sinnlichkeit«, Emotionalität, Sexualität, Liebe und Zuneigung – wird in einen zweiten Lebenszusammenhang, die private oder weibliche Sphäre, »abgespalten«. »Abstrakte Arbeit und Wert« müssen, so fordert Scholz, »schon in ihrem Konstitutionszusammenhang und damit in ihrem Wesenskern als männliches Prinzip erkannt werden«. Schließlich setzten die »Initiatoren und Macher der Wertvergesellschaftung«, die nahezu ausschließlich Männer waren, »freilich ohne es zu wissen, fetischistische Mechanismen in Gang, die ein immer stärkeres Eigenleben hinter ihrem Rücken (und natürlich auch dem der Frauen) zu führen begannen. Weil die Frau in diesem Prozeß als das objektive Gegenwesen zum abstrakten ›Arbeiter‹ gesetzt war (…) ist die wertförmige Fetisch-Konstitution schon an ihrer Basis geschlechtlich asymmetrisch besetzt und wird dies bis zu ihrem Untergang bleiben.«2 Unklar ist indes, was genau es heißen soll, dass die Basis der kapitalistischen Gesellschaft »geschlechtlich asymmetrisch« sei. Sicherlich ist die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft auf Tätigkeiten angewiesen, die sich als Wertproduktion nur schlecht organisieren lassen. Wie Scholz selbst weiß und auch nachweist, ist die Rekonstruktion einer historisch entstandenen geschlechtsspezifisch bestimmten Sphärentrennung (inklusive der »ideellen« Auskleidung: abstrakt vs. konkret, intellektuell vs. sinnlich, geistig vs. materiell, öffentlich vs. privat, Kultur vs. Natur etc.pp.) nicht besonders originell; sie gehört zum common sense feministischer Theoriebildung.3 Was der etwas opake Begriff der »Abspaltung« dem hinzufügt, ist die Behauptung, dass die geschlechtsspezifische Zuweisung von Individuen zu den beiden Sphären, einmal historisch vollzogen, innerhalb des Kapitalverhältnisses nicht mehr rückgängig zu machen sei. Und gerade dies kann sie nicht plausibel begründen und es ist auch höchst zweifelhaft.

 

Schließlich legt Scholz in ihrer Skizze der letzten Jahrzehnte dar, dass die Geschlechterbeziehung zunehmend »konflikthaft« wird. Sie beschreibt die neuen sozialen Bewegungen, die, wenn sie nicht den weiblichen Sozialcharakter anhimmeln und dadurch die Geschlechterpolarität mit umgekehrter Bewertung fortschreiben, danach strebten, die Mauern zwischen den beiden Sphären einzureißen. Doch dem hält Scholz, wie bereits erwähnt, entgegen, dass »die wertförmige Fetisch-Konstitution schon an ihrer Basis geschlechtlich asymmetrisch besetzt [ist] und (…) dies bis zu ihrem Untergang bleiben« wird. Bei näherem Hinsehen sollte jedoch klar werden, dass die zunehmende Durchlässigkeit der beiden Sphären die »wertförmige Fetisch-Konstitution« keineswegs bedroht. Konkret wurde in den letzten Jahren eine ganze Reihe feministischer Forderungen staatlicherseits aufgegriffen, doch entpuppt sich das als eine Modernisierung, die letztlich dem Kapital billige weibliche Lohnarbeit zur Verfügung stellt und damit der Aufrechterhaltung der Profitrate dient – doch mehr dazu in den nächsten Abschnitten.

 

Aufstieg und Niedergang der Kleinfamilie

 

Da allgemeine theoretische Bestimmungen des kapitalistischen Geschlechterregimes scheitern, kann man die Geschlechterpolarität nur historisch erklären. Der Kapitalismus trifft in den Gesellschaften, in denen er aufkommt, auf ein historisch gewachsenes kulturelles Umfeld, zu dem auch die Geschlechterordnung gehört. Diese wird dann unter kapitalistischen Bedingungen umgeformt. Die Trennung von Haus und Produktion und damit die Entstehung einer eigenen Reproduktionssphäre vollziehen sich von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Wo nachkommende Generationen früher in den Produktionsprozess hineingeboren wurden, wird die Kindererziehung nun eine Herausforderung, die es gesondert zu bewältigen gilt. Zumindest dort, wo es Neugeborene gibt, denn die sich formierende Arbeiterklasse zieht oft ledig und kinderlos dahin, wo es Arbeit gibt, oder anders: die Frage nach Reproduktionsarbeit spielt mit der Zerschlagung des klassischen Großfamilienmodells, dem sie immer inhärent gewesen war, gesellschaftlich zunächst eine weniger zentrale Rolle: »Von einer Reproduktion der ArbeiterInnenklasse kann zu Beginn der Kapitalisierung nicht die Rede sein – das Kapital bedient sich eines vorerst unerschöpflich scheinenden ArbeiterInnenreservoirs vom Lande.«4 Natürlich werden auch Frauen im Rahmen der voranschreitenden Verdrängung der Subsistenzwirtschaft durch Kapitalisierung, Industrialisierung und Urbanisierung zunehmend zur Lohnarbeit gezwungen; Mitte des 19. Jahrhunderts werden die Arbeiterinnen, die unter widrigen Bedingungen meist Tätigkeiten in der Textil-, Papier- oder Nahrungsmittelindustrie nachgehen oder als Fabrikarbeiterinnen, Wäscherinnen oder Dienstmädchen überwiegend in die Städte ziehen, deutlich schlechter entlohnt als ihre männlichen Kollegen. Anders verhält es sich im damaligen bürgerlichen Haushalt: hier obliegen der Frau lediglich die Organisation und Überwachung von Hausarbeit und Kindererziehung, die von Angestellten ausgeführt werden. Trotz ökonomisch schlechterer Ausgangslage entwickelt sich die nicht-arbeitende Frau allerdings auch zur Idealvorstellung in der Arbeiterklasse.

 

Obwohl die Arbeiterbewegung wie keine andere politische Bewegung – nach der Frauenbewegung selbst – gegen die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen kämpfte, war sie bei der Einforderung der vollen rechtlichen, ökonomischen und sozialen Gleichstellung von Frauen inkonsequent. Statt die schlechteren Arbeitsbedingungen von Frauen noch entschiedener zu bekämpfen als die ohnehin schlechten Bedingungen insgesamt, beschworen Frauenrechtlerinnen wie Zetkin und andere das Dilemma, dass gleicher Zugang von Frauen zu Bildung und Erwerbsarbeit auch eine verschärfte Konkurrenz für männliche Lohnarbeiter zur Folge haben würde. So setzt sich in der Sozialdemokratie die Forderung nach geschlechtsspezifischen Arbeitsschutzmaßnahmen durch, die letztlich Frauen aus vielen Berufen ausschließen und dazu beitragen, das bürgerliche Ideal von der Frau als Hausfrau auch im proletarischen Milieu zu verankern. Ende des 19. Jahrhunderts werden Frauen aus vielen Bereichen der Lohnarbeit in die neuentstandene private Sphäre verdrängt. Dies ist (wie auch die Schulpflicht, Arbeitsschutzgesetze etc.) das Ergebnis sowohl von Kämpfen der Arbeiterinnen und Arbeiter als auch staatlicher Interventionen, die vor allem der Sorge um den Nachschub an Arbeitskräften geschuldet waren: eine Situation, in der Mann und Frau, ebenso Kinder, unter miserablen Bedingungen in der Fabrik schuften, ist langfristig nicht durchzuhalten, da früher oder später die nächste Generation wehrtüchtiger Männer und ausbeutbarer Arbeitskräfte verloren geht. Aus dieser Konstellation heraus entsteht, nach dem Vorbild der bürgerlichen, die idealtypische proletarische Familie. Obwohl es praktisch nie vollständig durchgesetzt wurde, bildete das bürgerliche Modell der Kleinfamilie mit männlichem Familienernährer, Hausfrau und Nachwuchs auch in der Arbeiterklasse die Idealvorstellung.

 

Für die Frauen war diese Entwicklung keineswegs komfortabel. Zusammen mit dem Kapitalverhältnis verändern sich auch die Bedingungen, unter denen Hausarbeit zu absolvieren ist: Kindererziehung muss zufriedenstellend geleistet, hygienischen Anforderungen muss in der Stadt penibel nachgekommen werden etc. Die Durchsetzung dieser Familienstruktur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – unterbrochen von zwei Weltkriegen, die die Kontingenz der geschlechtlichen Arbeitsteilung in Europa für einige Jahre zumindest mit Blick auf die arbeitenden Frauen vorführten – hat ihren Höhepunkt im fordistischen, patriarchalen Kleinfamilienmodell der 1950er und 1960er Jahre.

 

Zur Zeit der zweiten Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre setzt die bis heute anhaltende Erosion des klassischen Kleinfamilienmodells ein, die – analog zur Flexibilisierung in anderen gesellschaftlichen Sphären – die Stellung der proletarischen Hausfrau völlig verändert. Begleitet wird diese Flexibilisierung von gemeinsamen Kämpfen, in denen die Frauen neben einer rechtlichen Gleichstellung auch das Ende der Isolation im Hausfrauen-Dasein fordern. In den letzten Jahrzehnten haben die trotz steigender Produktivität sinkenden Reallöhne dafür gesorgt, dass Familien immer häufiger auf ein zweites Einkommen angewiesen sind und Frauen sich weiter in den Arbeitsmarkt integrieren müssen. Die gleichzeitige Herausbildung eines Niedriglohnsektors, in dem nun vornehmlich Frauen arbeiten und der, so hört man von staatlicher Seite, in der internationalen Standortkonkurrenz ein großes Plus ist, erhöht den Druck auf Frauen, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukommen – trotz emanzipatorischer Kämpfe und Veränderungen.

 

Die Erosion des Patriarchats

 

In der heutigen Debatte um die Frage nach der Auflösung von Geschlechterdifferenzen kann – in den hier in den Blick genommenen westlichen Industriegesellschaften – auf die allmähliche Anerkennung der Frauen als bürgerliche Subjekte genauso hingewiesen werden wie auf das bis heute bestehende Lohngefälle. Entscheidend ist allerdings die langfristige Tendenz – betrachtet man diese, kann von einer nach wie vor rigiden Ordnung keine Rede mehr sein. Die Tendenz, die im Kapitalverhältnis angelegte abstrakte Gleichheit und Freiheit auch praktisch zur Geltung zu bringen, hat sich seit dem 19. Jahrhundert in sämtlichen Sphären gezeigt, nicht geradlinig und auch nicht unumkehrbar, aber doch sehr deutlich und in den entwickelten Industriegesellschaften Westeuropas und Nordamerikas erstaunlich parallel. Hier soll Deutschland für eine Skizze dieser Entwicklung dienen.

 

In der politisch-juristischen Sphäre ist es im letzten Jahrhundert, angefangen beim Wahlrecht für Frauen, zur Gleichstellung gekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg galten für Frauen noch die gesetzliche Verpflichtung zur Hausarbeit in der Ehe, die Bestimmung des Wohnortes durch den Ehemann, Einschränkungen beim Scheidungsrecht, die Abhängigkeit von der Einwilligung des Ehemanns zum Arbeitsvertrag sowie das Verbot der Abtreibung. Das alles wurde Schritt für Schritt abgeschafft, im Falle des Abtreibungsrechts wenigstens gelockert.5 Seit 1998 ist außerdem die Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand was nicht bedeutet, dass es dazu keine skandalösen Gerichtsurteile mehr gibt oder dass sie prinzipiell geahndet würde.6

 

In der wirtschaftlichen Sphäre hat es durch die Öffnung vormals klassisch männlicher Berufe für Frauen – bis hin zum Militär, in dem der Einsatz von Frauen vormals auf den Sanitäts- und Militärmusikdienst beschränkt war – massive Verschiebungen gegeben. Ärztinnen, Unternehmerinnen oder Professorinnen sind heutzutage keine Besonderheit mehr und öffentliche Verkehrsbetriebe werben für ihre Ausbildungsplätze Männer wie Frauen an.

 

Nicht zuletzt hat es eine Revolution in den kulturellen und sexuellen Beziehungen gegeben. Eine wichtige Rolle beim Übergang vom klassischen Kleinfamilienmodell zur Vielfalt von Lebensmodellen mit Abschnittspartnern oder in Patchworkfamilien hat sicherlich der Zugang zu Verhütungsmitteln gespielt. Auch der gesellschaftliche Status unverheirateter Mütter, die Lage von Schwulen und Lesben oder pro-feministische Pornos und Umschnalldildos deuten keineswegs auf eine gleichbleibende Geschlechterordnung hin.

 

Die Geschlechter in der Krise

 

In der ökonomischen Krise werden die eingangs genannten widersprüchlichen Tendenzen in der Entwicklung des Geschlechterverhältnisses sichtbar. Es scheint jedenfalls kein ehernes Gesetz zu geben, nach dem sich dieses Verhältnis abhängig von Krise und Aufschwung in eine bestimmte Richtung entwickelt. Einerseits waren die Boomjahre nach dem Zweiten Weltkrieg auch eine Zeit der Restauration in den Geschlechterbeziehungen. Anderseits bezeichnete der Spiegel 2009 die derzeitige Krise mit Grund als »Männer-Rezession«. In den USA waren 80 Prozent derjenigen, die in den ersten Monaten der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise ihren Job verloren, Männer – der Frauenanteil an der Gesamtbeschäftigung wuchs sogar auf 49,9 Prozent. In Deutschland stieg die Arbeitslosenquote unter Männern vom April 2008 bis April 2009 um 12,4 Prozent, während die von Frauen sogar etwas zurückging. All dies ist leicht damit zu erklären, dass die zunächst am stärksten betroffenen Branchen, neben den klassischen Exportindustrien der Transport und der Bau, Männerdomänen sind. In der nächsten Phase der Krise wurden infolge von öffentlichen Ausgabenkürzungen wiederum mehr Frauenjobs kassiert, wodurch die geschlechtsspezifischen Krisenauswirkungen auf den Arbeitsmarkt tendenziell wieder egalisiert wurden.

 

Zugleich bietet die Stärkung der traditionellen Familie eine Möglichkeit zur Abfederung und Verteilung von Krisenfolgen. Während der Großen Depression geriet in den USA der Feminismus der 1920er Jahr ins Stocken und auf ideologisch-kultureller Ebene gab es ein eindeutiges Rollback. 1939 bemerkte ein amerikanischer Journalist, dass die Zahl der Arbeitslosen in den USA relativ genau der der beschäftigten Frauen entsprach, und schlug vor: »Simply fire the women, who shouldn’t be working anyway, and hire the men. Presto! No unemployment. No relief rolls. No depression.«7 Frauen, die Lohnarbeit verrichten mussten, insbesondere verheirateten Frauen, wurde Egoismus unterstellt und es gab breite Versuche, sie aus dem Berufsleben zu verdrängen. Auch gesetzlich wurde vorgesehen, dass im Falle von Personalabbau verheiratete Frauen als erste zu entlassen sind. Angesichts dessen mag es erstaunlich erscheinen, dass sich die Frauenerwerbsarbeit zwischen 1929 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ausweitete. Auch hier lautet die Erklärung, dass Schwerindustrie und Transport von der Krise weit schwerer getroffen wurden als Branchen, in denen traditionell Frauen arbeiteten. Die im Zuge des New Deal eingeführten Mindestlöhne sahen mitunter explizit niedrigere Löhne für Frauen vor. Dennoch waren Frauen häufiger Nutznießer dieser Mindestlöhne, da sie in den am schlechtesten bezahlten Jobs arbeiteten. Auch in Deutschland versuchten erst die Brüning-Regierung, dann die Nazis, durch das Herausdrängen verheirateter Frauen aus dem Arbeitsmarkt die Arbeitslosenzahlen zu senken. Bekanntlich war das Programm der NSDAP rabiat antifeministisch. Zu einem traditionellen Geschlechterbild gesellte sich der rassenpolitische Wahn, nach dem die Frau vor allem für das Gebären deutscher Kinder zuständig sein sollte. Wie schon in der Brüning-Regierung gab es Bemühungen, verheiratete Frauen aus der Lohnarbeit zu drängen. Die Zahl der Akademikerinnen sank tatsächlich, aber insgesamt stieg die Anzahl der beschäftigten Frauen von 1932 bis 1934 und noch mehr bis 1939.

 

In Südkorea lancierten Medien und Regierung 1997 nach Krisenausbruch eine Kampagne für das konfuzianisch-patriarchale Familienmodell. 80 Prozent der krisenbedingten Entlassungen waren Frauen, vor allem verheiratete Frauen,8 die in den Jahrzehnten zuvor noch als billige Arbeitskräfte in arbeitsintensiven Industrien den wirtschaftlichen Aufschwung angetrieben hatten.9

 

Jenseits des Herausdrängens aus der Fabrik bedeutet Krise für Frauen, dass Familien weniger Einkommen zur Verfügung steht und staatliche Sozial- und Wohlfahrtsdienstleistungen gekürzt werden, was häufig durch weibliche Reproduktionsarbeit aufgefangen wird. Im heutigen Griechenland etwa treffen Kürzungen im Sozialsystem, Schließung von Kindergärten, die Angleichung des Rentenalters für Männer und Frauen, disproportional Frauen. Genauer gesagt verlässt sich der Staat, wenn er nicht mehr für das Überleben der Lohnabhängigen einsteht, auf die Familie – und das heißt vor allem: auf Frauen – als Sicherheitsnetz.

 

Von der Kritik der Hausarbeit zur Verklärung der Commons


Im Angesicht der derzeitigen ökonomischen Krise scheint sich die feministische Diskussion zu verschieben. Standen in den letzten Jahrzehnten die Kritik der »heterosexistischen Matrix«, Regeln für eine geschlechtsneutrale Sprache und dergleichen im Mittelpunkt, so rücken in letzter Zeit vermehrt Fragen zu Reproduktionsarbeit ins Zentrum, wie zum Beispiel in der Debatte über Care-Arbeit ersichtlich. Ein weiteres Beispiel ist das Buch Aufstand aus der Küche (2012). Es enthält drei Aufsätze von Silvia Federici, die seit langem als feministische Autorin und Aktivistin aktiv ist. Sie entstammt dem feministischen Operaismus, der in Italien zu einer Zeit zahlreicher Kämpfe in den Fabriken, aber auch in Arbeitervierteln, Universitäten oder Schulen aufkam. Dabei standen die Fabrikkämpfe im Mittelpunkt operaistischer Betrachtungen: Die Arbeiter sollten ihre Lohnforderungen derart eskalieren lassen, dass das Kapital sie nicht mehr erfüllen kann und die Kämpfe dadurch revolutionär werden. Die Lage von Hausfrauen blieb außen vor. Femi-nistinnen versuchten, diese Perspektive auf die Geschlechterfrage auszudehnen. Zentral war dafür der Text »Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft« von Mariarosa Dalla Costa.

 

Der Text untersucht zunächst die Stellung der Mitglieder einer kapitalistischen Gesellschaft, die in den Ausbeutungsprozess nicht unmittelbar qua Lohnarbeit integriert sind – vornehmlich Hausfrauen und Kinder. Dass sie keine Lohnarbeit leisten, heißt nicht, dass sie nicht Arbeit leisten, die den Interessen des Kapitals untergeordnet ist. Kinder werden ebenso wie männliche Lohnarbeiter aus dem Heim gezerrt und lernen in der Schule – eine Tätigkeit, die sich das Kapital unterordnet, weil es auch in Zukunft hinreichend ausgebildete und fügsame Lohnarbeiter braucht. Die Produkte der Arbeit der Hausfrauen wiederum gelangen sehr wohl auf den Markt, nämlich auf den Arbeitsmarkt. Hausfrauen reproduzieren die Arbeitskraft ihrer Ehemänner, die Lohnarbeit tätigen, und sorgen für den generationellen Nachschub an Arbeitskraft. Dass diese Arbeit aber nicht entlohnt wird, hat laut Dalla Costa allerlei Konsequenzen. Zum einen ist die Abhängigkeit der Hausfrau vom Ehemann persönlicher und unvermittelter als die des Arbeiters vom Kapitalisten, zum anderen steht sie darüber hinaus ebenso in Abhängigkeit vom Kapitalisten, der ihren Ehemann ausbeutet. Wenn der Ehemann die Fabriktore durchquert, ist die Arbeit der Hausfrau darin schon inbegriffen, bedarf deswegen keiner Entlohnung, erfährt dadurch aber auch nicht die gleiche gesellschaftliche Anerkennung. Trotz all der elektrischen Geräte, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Weg in den Haushalt fanden (Waschmaschine, Staubsauger usw.), findet die Hausarbeit ohne die für die kapitalistische Produktion typische Maschinerie und Kooperation statt, und ihr Takt wird nicht durch die Stechuhr vorgegeben. Schwelten rund um die Lohnarbeit seit ihrer Entstehung stets Kämpfe um Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, so tasteten diese die Hausarbeit fast nie an. Auch Hausfrauen haben eine wesentliche Rolle in Arbeitskämpfen bis hin zu Aufständen gespielt, doch blieb ihre Stellung im Alltag davon unberührt.

 

Entgegen den in der alten Arbeiterbewegung üblichen Losungen folgt aus dieser Analyse für Dalla Costa allerdings nicht eine Forderung nach der Integration von Hausfrauen in die Lohnarbeit: »Die Sklaverei des Fließbands ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens. Wer dies leugnet, leugnet auch die Sklaverei des Fließbands und beweist damit noch einmal, dass man, wenn man die Ausbeutung der Frauen nicht begreift, auch die Ausbeutung des Mannes nicht wirklich begreifen kann.« Dagegen fordert sie Lohn für Hausarbeit. Diese Forderung hat seitdem eine lange Geschichte durchgemacht. Mitunter war sie als realistischer Reformvorschlag gedacht, der für mehr »soziale Gerechtigkeit« sorgen soll. Dalla Costa meinte sie aber primär propagandistisch. Sie stellt fest, dass mit der Entstehung des Kapitalismus »diejenigen, die in den neuen Produktionszentren, eben in der Fabrik, arbeiteten, einen (…) Lohn [erhielten]; die ausgeschlossen waren, (...) keinen. Frauen, Kinder und Alte verloren ihre beschränkte Macht, die sie aufgrund der Abhängigkeit der Familie von ihrer Arbeit, die als gesellschaftlich und notwendig betrachtet wurde, besaßen.« Daher hält sie fest, dass »die Organisation des Kampfes seitens der Frauenbewegung (...) nur das Ziel haben kann, diese Trennung zu überwinden, die auf der ›Freiheit‹ der Lohnarbeit beruht.«10 Die Hausarbeit unterscheidet sich in einigen Aspekten sehr grundlegend von der Lohnarbeit, aufgrund des besonderen Charakters der durch sie produzierten Ware, der Arbeitskraft, und aufgrund der Isolation, in der sie stattfindet. Zum einen ist der Tag der Hausfrau nicht in Arbeits- und Freizeit unterteilt: Ihre Arbeitszeit ist prinzipiell unbegrenzt und, soweit sie Kinderbetreuung umfasst, kann sie in ihrer Isoliertheit – anders als die Fabrikarbeit – nicht durch technische Innovationen verkürzt werden. Zweitens ist Hausarbeit nicht entlohnt. Lohn und Arbeitszeit waren der Ausgangspunkt für Kämpfe von Lohnarbeitern. So bleibt der Widerstand von Hausfrauen unsichtbar und erst durch die Forderung nach Lohn können sie demnach zu Akteuren kollektiver öffentlicher Kämpfe werden. In ihrer Isolation im privaten Heim können sie sich gar nicht als Arbeiterinnen begreifen.

 

Dalla Costa geht aber noch einen Schritt weiter. Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit begründet sie auch damit, dass diese gesellschaftlich produktiv sei – und zwar im Marx’schen Sinne, das heißt, sie produziert demnach Mehrwert. Dies wird damit begründet, dass die Hausarbeit Arbeitskraft produziert und diese selbstverständlich für die kapitalistische Reichtumsproduktion unabdingbar ist. Der Kapitalismus ist aber auf sehr viele Arbeiten angewiesen, die selbst keinen Mehrwert produzieren – die Arbeit des Polizisten etwa, der den Privatbesitz an Produktionsmitteln verteidigt, oder die des Lehrers, der für den Nachschub an ausgebildeter Arbeitskraft zuständig ist, sind ebenfalls unverzichtbar. Der Mehrwert, den ein Lohnarbeiter produziert, sofern er in einem kapitalistischen Betrieb beschäftigt ist, ist die Differenz zwischen dem Wert der Waren, die zur Reproduktion des Lohnarbeiters auf dem jeweiligen historisch-moralischen Niveau erforderlich sind und den er in Form seines Lohnes erhält, und dem Wert, den er den Waren, die in den Produktionsprozess eingehen, zusetzt. Diese Differenz entsteht, da der Lohn, den der Kapitalist dem Lohnarbeiter auszahlt, dem Wert der Arbeitskraft des Arbeiters entspricht, also der Menge an Arbeit, die erforderlich ist, um diese zu reproduzieren. Im Gegenzug erhält der Kapitalist den Gebrauchswert dieser Arbeitskraft, also ihre Fähigkeit, Waren zu produzieren, deren Wert den der Arbeitskraft übersteigt. Der Mehrwert wird sichtbar in der Kapitalakkumulation, also in der Expansion des Kapitals. Die Hausfrau leistet Arbeit, die der Reproduktion der Arbeitskraft ihres Ehemannes sowie der generationellen Reproduktion dient. Dafür ist ihre materielle Reproduktion wiederum gesichert. Der Ehemann akkumuliert nicht und insofern presst er ihr auch gewiss keinen Mehrwert ab. Das heißt nicht, dass der Ehemann die subalterne Stellung der Hausfrau nicht ausnutzt. Gerade in Gesellschaften, die einen niedrigen Beschäftigungsgrad von Frauen aufweisen, ist die Arbeit in der Ehe sehr ungleich verteilt. Das ist aber noch lange nicht gleichbedeutend mit Mehrwertproduktion. Auch die Deutung, dass der Kapitalist, der den Ehemann beschäftigt, der Hausfrau Mehrwert abpresst, weil sie die Reproduktionskosten senkt, ist fragwürdig. Der Kapitalist kauft die Arbeitskraft des Ehemanns zu ihrem Wert ein. Wie dieser Wert genau zustande kommt, ist für diese Transaktion zunächst unerheblich. Seinen Lohn kann der Arbeiter prinzipiell ausgeben, wofür er möchte: Er kann die Dienste einer Hausfrau erwerben oder ein Junggesellendasein führen.

 

Es spricht vor allem viel dafür, dass der Einsatz unentlohnter Hausfrauen die Reproduktionskosten nicht senkt. Wie bereits erwähnt sind Hausfrauen zwar unentlohnt, aber nicht unbezahlt, und ihre Arbeit fließt indirekt in den gesellschaftlichen Produktionsprozess ein. Aber aufgrund der Isoliertheit, unter der die Hausarbeit stattfindet, liegt ihre Effizienz, soweit überhaupt messbar, weit unter den kapitalistischen Standards; wie Dalla Costa selbst bemerkt, produziert die Hausfrau unter geradezu vorkapitalistischen Bedingungen. Nicht wenige der Tätigkeiten können durch Kollektivierung und Einsatz von Maschinen rationalisiert werden: »Das Kapital kann technologisch die Bedingungen dieser Arbeit verbessern. Aber das Kapital ist gegenwärtig – zumindest in Italien – nicht bereit, die Stellung der Hausfrau als Dreh- und Angelpunkt der Kleinfamilie aufzugeben. Deshalb sollten wir nicht auf die Automatisierung der Hausarbeit warten, weil sie nie eintreten wird; weil die Erhaltung der Kleinfamilie mit der Automatisierung dieser Dienstleistungen unvereinbar ist. Um sie wirklich zu automatisieren, muss das Kapital die Familie in ihrer heutigen Form zerstören, d.h. es muss vergesellschaften, um automatisieren zu können. Aber wir wissen nur zu gut, was kapitalistische Vergesellschaftung ist – jedenfalls immer das Gegenteil der Pariser Kommune.«11 Ein Stück weit ist es in den letzten Jahrzehnten genau so gekommen. Gerade um die Reproduktionskosten der Lohnabhängigen zu senken, sind Frauen vermehrt in den Produktionsprozess eingesaugt worden, während auf der anderen Seite etliche reproduktive Tätigkeiten kommerzialisiert wurden – von der Tiefkühlpizza bis zum boomenden Therapiewesen und Wellness-Klimbim ist heute vieles, was früher in die Zuständigkeit von Hausfrauen fiel, als Ware oder Dienstleistung erhältlich.

 

Trotz des wenig überzeugenden Versuchs, Hausarbeit als mehrwertproduktiv zu fassen – der sicher der dubiosen operaistischen Gleichsetzung von produktiv, machtvoll und potenziell revolutionär geschuldet war –, legte Dalla Costa für ihre Zeit eine radikale Kritik vor, die noch das vermeintlich Privateste als etwas von der herrschenden Produktionsweise Geformtes entziffern konnte. Der Durchbruch bestand vor allem im Abschied vom alten sozialistischen Gedanken, durch Ausweitung der Lohnarbeit auf beide Geschlechter die »Frauenfrage« zu lösen. Anders als im damaligen Italien sind die Frauen in den entwickelten Ländern heute mehrheitlich keine Vollzeithausfrauen und die Rebellion gegen das Fabrikregime ist der Angst um den Arbeitsplatz gewichen, doch an der Notwendigkeit, Lohn- und Reproduktionsarbeit simultan anzugreifen, hat sich grundsätzlich nichts geändert.

 

Die vermeintliche Fortführung dieser Linie durch Silvia Federici, deren breit diskutiertes Buch damit angepriesen wurde, feministische Kritik in den Kontext der Kritik der politischen Ökonomie zu rücken, ist im Ergebnis enttäuschend. Federici widmet sich den ökonomischen Verschiebungen der letzten Jahrzehnte, aber ihre Analyse weist erhebliche Mängel auf, die sich dann auch in ihrem Blick auf Frauenkämpfe widerspiegeln. Der Kern der jüngsten Entwicklungen besteht für Federici in einem Versuch »des Kapitals die Kosten der Produktion von Arbeiter_innen durch eine groß angelegte Ausweitung des Weltmarkts zu senken. Es handelt sich um die Strategie, die das Kapital historisch immer wieder gewählt hat, um seine Krisen und Widersprüche zu überwinden. [Ausschlaggebend war] die Steigerung der Zahl für die Ausbeutung zur Verfügung stehender Arbeiter_innen, die Disziplinierung dieser Arbeiter_innen und die Senkung der Arbeitskosten.« »Wir müssen jedoch die Schlussfolgerung zurückweisen, die Gleichgültigkeit, die die internationale kapitalistische Klasse gegenüber dem von der Globalisierung verursachten Verlust an Menschenleben an den Tag legt, beweise, dass das Kapital keine lebendige Arbeit mehr benötige, so dass wir zunehmend von ›überflüssigen‹ Bevölkerungen umgeben seien. [D]ie großmaßstäbliche Zerstörung menschlichen Lebens (…) ist das notwendige Gegenstück, bei der es sich unweigerlich um einen gewaltsamen Vorgang handelt.«12 Auch die aktuelle Krise ist nur »ein guter Vorwand, den Menschen noch mehr wegzunehmen«.13 Insgesamt kann Federici ökonomische Entwicklungen nur als bewusste Strategien des Kapitals erklären – die Armut in der Dritten Welt zum Beispiel hat ihre Ursache darin, »dass die Pläne des internationalen Kapitals für einige Weltregionen ein dicht am reproduktiven Nullpunkt angesiedeltes Existenzniveau vorsehen«.14 Diese Strategien erfolgen als Antwort auf Kämpfe von unten: Die als Globalisierung oder Neoliberalismus bezeichneten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte etwa sind demnach eine Reaktion auf die breitgefächerten Kämpfe der 1970er Jahre. Für ökonomische Prozesse, die sich hinter den Rücken der Beteiligten abspielen, ist in Federicis Analyse kein Platz. Sie begreift das Verhältnis von Arbeit und Kapital nur als reinen Klassenkampf, bei dem ein Akteur nur gewinnen kann, soweit der andere verliert, und den das Kapital mit einem expliziten Plan führt. Unberücksichtigt bleiben dabei die wechselseitige Abhängigkeit von Arbeit und Kapital, der Grund, warum das Kapital überhaupt danach trachtet, die Arbeiterklasse zu beherrschen.

 

Dalla Costa stellte noch fest, dass »mit dem Kapitalismus (...) die noch intensivere Ausbeutung der Frauen als Frauen [begann] – und die Möglichkeit ihrer endlichen Befreiung«.15 Diese Dialektik verneint Federici dagegen völlig und stellt dem entgegen, dass »fünf Jahrhunderte kapitalistischer Entwicklung die Ressourcen des Planeten aufgezehrt [haben], anstatt (wie von Marx angenommen) durch Ausweitung der ›Produktivkräfte‹ in Form großmaßstäblicher Industrialisierung die ›materiellen Bedingungen‹ für den Übergang zum ›Kommunismus‹ zu schaffen. Sie haben den ›Mangel‹ – Marx zufolge eines der Haupthindernisse menschlicher Befreiung – nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil: Mangel im Weltmaßstab ist heute ein unmittelbares Ergebnis kapitalistischer Produktion.« Das lässt sich angesichts globaler Armut und Hungersnöten schwerlich bestreiten, aber die hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. Was sie heutzutage so skandalös macht, ist, dass sich die Möglichkeit ihrer Abschaffung ebenso schwer bestreiten lässt. Federicis Kritik geht in geradezu grotesker Weise an Marx‘ Positionen vorbei. Würde er davon ausgehen, dass der Kapitalismus selbst den Mangel aus der Welt schafft, wäre er kein Kritiker dieser Produktionsweise. Just in dem von Federici an anderer Stelle als »Idealisierung von Wissenschaft und Technik«16 denunzierten Maschinenfragment in den Grundrissen hält Marx daran fest, dass »Arbeitszeit als Maß des Reichtums den Reichtum selbst als auf der Armut begründet« setzt und im Kapitalismus die »entwickeltste Maschinerie (...) den Arbeiter daher [zwingt], jetzt länger zu arbeiten, als der Wilde tut oder als er selbst mit den einfachsten, rohsten Werkzeugen tat«.17 Bei Marx ist der Begriff Produktivkraft nicht identisch mit den Produktionsmitteln oder der Produktionsweise, sondern bezeichnet vielmehr gesellschaftliche Möglichkeiten, die sich als Produktionsmittel zwar realisieren, aber auch ein Potenzial darstellen, das unter einer gegebenen Produktionsweise nicht verwirklicht werden kann.18 Der Gegensatz zwischen dem Potenzial, das in dem heutigen Stand der Produktivkräfte liegt (und das Federici nicht anerkennen möchte), und dem weltweiten Mangel ist heute so deutlich wie nie zuvor.

 

Das betrifft indirekt natürlich auch die Reproduktionsarbeit. Federici beschreibt, dass im Frühkapitalismus Mütter, weil sie den ganzen Tag in der Fabrik zubringen mussten, keine andere Wahl hatten, als ihre Kinder mit Opiaten zu vergiften, um sie ruhig zu stellen. Ähnliches kommt auch heute noch vor, aber heute müsste es für fast jeden offensichtlich sein, dass es möglich wäre, das globale Wirtschaften so umzugestalten, dass jeder und jede ausreichend Zeit hat, um sich liebevoll um Kinder, Kranke und Alte zu kümmern. Gerade die Tatsache, dass mittlerweile ein enormer und wachsender Teil der Menschheit entweder für das Kapital überflüssig ist oder seine Reproduktion mit Arbeit im Militär, im Finanzwesen, bei der Polizei und so weiter sichert, die der Reproduktion der Menschheit eher ab- als zuträglich ist, zeigt, dass sich die rein materielle Reproduktion der Menschheit dank des derzeitigen Stands der Produktivkräfte relativ mühelos sichern ließe. Das wäre dann auch die Voraussetzung dafür, die Reproduktionsarbeit im engeren Sinne menschlich umzugestalten.

 

Federici analysiert die verheerenden Auswirkungen der ökonomischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auf Frauen: Sie werden in die am schlechtesten bezahlten und prekärsten Berufe gezwungen; der Wegfall staatlicher Wohlfahrtsleistungen bürdet Aufgaben in der Gesundheitsversorgung, der Altenpflege, der Erziehung usw. wieder Frauen auf; die allgemeine Verunsicherung führt zu vermehrter Gewalt gegen Frauen. In einem recht zentralen Punkt kann sie sich aber offenbar nicht so recht entscheiden: So heißt es zuerst, dass »der insbesondere im globalen Norden steigende Anteil der Frauen an der Lohnarbeit (...) fraglos dazu geführt [hat], dass beträchtliche Teile der Hausarbeit aus dem Haushalt ausgelagert und auf kommerzieller Grundlage neu organisiert worden sind«, dann kommt sie aber doch zum Schluss, dass »Frauenarbeit zunehmend wieder in den Haushalt verlegt wird«.19

 

Dieser letzte Aspekt ist nicht ganz unwichtig für Federicis Argumentation. Sie eröffnet nämlich folgende politische Perspektive: »Frauen haben bei der Entwicklung von Tätigkeiten, die auf Vergemeinschaftung oder Commoning abzielen, auf der ganzen Welt eine zentrale Rolle gespielt. Tatsächlich wären die Folgen der Globalisierung der Weltökonomie und der beständigen Angriffe auf unsere wichtigsten Subsistenzmittel weitaus schlimmer ausgefallen, wenn sich nicht Millionen von Frauen um die Unterstützung ihrer Familien und Communities bemüht hätten, unabhängig davon, wie diese auf dem kapitalistischen Markt bewertet werden. [Mit ihrer Reproduktionsarbeit] haben sie sich der völligen Kommodifizierung des Lebens entgegengestellt und einen Prozess der Wiederaneignung und neuerlichen Vergemeinschaftung der Produktion eingeleitet, der unverzichtbar ist, wenn wir die Kontrolle über unser Leben wiedererlangen wollen«.20 Hier wird deutlich, wie sehr Federici die Gedanken, die bei Dalla Costa noch hinter der Forderung nach Lohn für Hausarbeit standen, in ihr Gegenteil verkehrt: Die operaistischen Feministinnen der 1970er Jahre forderten einen solchen Lohn, gerade um die Hausarbeit auf der gleichen Ebene wie die Fabrikarbeit bekämpfen zu können – für Federici dagegen steckt in der Reproduktionsarbeit bereits der Keim einer besseren Welt. Zu der Sichtweise, dass Arbeit, die proletarisches Leben sichert oder aufwertet, an sich Widerstand gegen das Kapital darstellt, kann Federici nur kommen, weil sie keinerlei gemeinsamen Interessen von Arbeit und Kapital zu erkennen vermag: Überleben die Proletarier dank weiblicher Reproduktionsarbeit, deutet sie dies als Niederlage für das Kapital. Es müsste aber eigentlich klar sein, dass die Reproduktion zumindest bestimmter Teile des Proletariats Voraussetzung für ihre weitere Ausbeutung und damit für die fortdauernde Kapitalakkumulation ist.

 

Angesichts ihrer Kampfansage an den angeblichen Technikfetischismus von Marx und ihre Verklärung der Commons hat es eine gewisse Folgerichtigkeit, dass sich Federici recht positiv auf den Ökofeminismus einer Maria Mies bezieht, der den patriarchalen Mythos der naturverbundenen Frau – mit einem positiven Vorzeichen versehen – fortschreibt. Dass Federici unter Linken in die Nähe von Geschlechterdekonstruktion und »Queerfeminismus« gerückt wird, ist insofern erstaunlich.

 

Aussichten

 

Auch wenn der Kapitalismus auf eine rigide Geschlechterordnung prinzipiell verzichten kann, soll deren Erosion hier weder überzeichnet noch gar als unausweichliche historische Tendenz behauptet werden. Die tausend Gestalten des Elends, die sich auch heute mit ihr verbinden, sind nicht, weil aus keiner »Wert-Abspaltung« oder ähnlichem herzuleiten, in irgendeiner Weise zweitrangig. Besonders sticht hervor, dass dem Vordringen von Frauen in ehemalige Männerdomänen bislang kein umgekehrter Drang von Männern in Richtung Herd und Wickeltisch entspricht. Die meisten Kinderwagen werden auch heute von Frauen durch die Welt geschoben. Wenngleich der Trend hier ebenfalls zur Erosion geht, Männer heute also öfter an Herd und Wickeltisch stehen als früher, kann man ihn nicht als besonders ausgeprägt bezeichnen. Als besonders hartnäckig erweisen sich Geschlechterrollen, wenn Kinder im Spiel sind. Einer der möglichen Gründe dafür scheint eine Art Teufelskreis zu sein. Die Gebärfähigkeit ist, vollkommen unabhängig davon, ob Frauen Kinder bekommen wollen oder nicht, prinzipiell ein Nachteil auf dem Arbeitsmarkt; kommt dann tatsächlich ein Kind ins Spiel, sind es mit einer gewissen Folgerichtigkeit dann meistens die weniger verdienenden Frauen, die sich um es kümmern. Allerdings ist dieser Teufelskreis kein unentrinnbarer. Je geringer der Abstand zwischen den Löhnen von Frauen und Männern (und geringer geworden ist er durchaus), umso weniger zwingend die klassische Rollenverteilung. In Schweden wird bereits darüber diskutiert, Eltern gesetzlich zu zwingen, sich den ihnen zustehenden Erziehungsurlaub 50:50 zu teilen, was bislang wenig Anklang findet, aber zeigt, dass die Wandlungsfähigkeit der bürgerlichen Ordnung nicht zu unterschätzen ist. Wie sie sich in dieser Hinsicht darstellt, darüber entscheidet kein Wert und kein Kapital, sondern der alltägliche Geschlechtertrubel, der Streit um Bedürfnisse und Arbeitsteilung.

 

Diese Konflikte finden heute in einer recht unübersichtlichen Lage statt. Auf der einen Seite steht, wie erwähnt, eine unübersehbare Aufweichung der ehemals scharf polarisierten Geschlechtscharaktere. Frauen dürfen sich fürs Vaterland totschießen lassen, Fußballspieler, deren Maskulinität außer Frage steht, werben halbnackt für Hautcreme und Unterwäsche. In Argentinien kann sich seit ein paar Jahren sogar jeder nach Belieben für eines von (bislang) zwei Geschlechtern in den staatlichen Ausweispapieren entscheiden, was immerhin bedeutet, dass die ganze vermeintlich unverrückbare, weil naturgegebene Basis des Geschlechterverhältnisses vom Staat höchst selbst für null und nichtig erklärt wird. Auf der anderen Seite wird eben diese Verflüssigung als bedrohlich erlebt und fördert ein Festhalten an traditionellen Bildern. Das Beispiel par excellence dafür bietet natürlich die islamistische Reaktion, die durch Zauselbart und Schleier eine aus den Fugen geratene Ordnung zu retten versucht. Auch im liberal-republikanischen Frankreich gingen letztes Jahr Hundertausende auf die Straße und legten sich zum Teil mit der Polizei an, um die »traditionelle Familie« zu verteidigen. Aber auch darüber hinaus treibt gerade die fortschreitende Liberalisierung viele zum Rückgriff auf die Tradition, weshalb sich Gegenbeispiele zur Aufweichung der Geschlechtscharaktere zuhauf finden. Wo die zweite Natur, die Gesellschaft, Unsicherheit produziert, soll die erste Sicherheit stiften, was konkret zum Beispiel heißt, dass der Traum vom Kleinfamilienglück unter jungen Leuten wieder mehr Auftrieb bekommt.

 

Den Kampf gegen antiquierte Geschlechternormen führt die westliche Linke heute, ob sie es will oder nicht, faktisch im Bunde mit den modernen Fraktionen des Establishments, das eben nicht mehr durch die Bank aus chauvinistischen Säcken besteht, sondern auch aus allerhand Beauftragten für Gendermainstreaming, Diversity Management und ähnliches. Diese Fraktionen stehen für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Staatsbürger, durch die sich die bürgerliche Gesellschaft ihrem Anspruch nach auszeichnet. Was über diesen ohne Frage weiterhin notwendigen Kampf auch heute hinausweist, ist der Vorschlag von Dalla Costa und ihren Genossinnen, Haus- und Lohnarbeit als zwei Seiten derselben Medaille ins Visier zu nehmen. Denn was sich auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft eben nie ändern wird, ist, dass die Reproduktion der Menschen immer nur mitgeschleift wird als notwendige Voraussetzung der Mehrwertproduktion, konkret und einfacher gesagt: dass kein Kita-Platz je zu dem Zweck geschaffen wurde, Eltern und vor allem Mütter in den Genuss von mehr freier Lebenszeit zu bringen, sondern nur der Mobilisierung ihrer Arbeitskraft dient (und der Optimierung der nächsten Generation von Arbeitskräften). Daran werden auch alle vernünftigen Forderungen, die heute unter der Chiffre Care erhoben werden, ihre Grenze finden. Eine schöne Definition der Commune wäre es, dass sie diese Unterordnung beendet und als eines ihrer zentralen Ziele die Aufhebung der bereits porösen Geschlechterordnung formuliert. Die heutigen Auflösungstendenzen der Familie könnten in ihr zu einem glücklichen Ende getrieben werden, anstatt nur überforderte Alleinerziehende hervorzubringen; der bereits unter der Fuchtel des Kapitals vorangeschrittene Bedeutungsverlust des biologischen Geschlechts würde dann der Freiheit aller Einzelnen zugutekommen.

 

Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft

  • 1. Roswitha Scholz, Der Wert ist der Mann, krisis 12 (1992).
  • 2. Ebenda, 45.
  • 3. Vgl. Karin Hausen, Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1967.
  • 4. Autonome Gruppe 1. Mai, Kapitalismus und Hausarbeit, online abrufbar unter: entdinglichung.files.wordpress.com.
  • 5. Vertrackt ist allerdings die Frage des Unterhaltsrechts. Dass seit 2008 jeder nach einer Scheidung wieder selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen muss, könnte man an sich als Abschied vom Modell Hausfrau/männlicher Ernährer begrüßen, faktisch sind Frauen aber die großen Verliererinnen dieser Reform, weil sie sich wegen der Kindererziehung nicht voll auf den Arbeitsmarkt begeben konnten. Erhellend dazu: Lily Lent/Andrea Truman, Kritik des Staatsfeminismus, Berlin 2015.
  • 6.Vgl. Wenn ein »Nein!« nicht reicht, die tageszeitung, 10.6.2014.
  • 7. Zitiert nach: Alice Kessler-Harris: Out to Work: A history of Wage-earning Women in the United States. New York 1982, 256.
  • 8. Dies ging so weit, dass viele Frauen ihre Ehe aufschoben. Sie wurden als »IWF-Jungfrauen« bekannt.
  • 9. Katharina Mader, Feministische Ökonomie – die »Krisengewinnerin«?, Kurswechsel 4 (2013).
  • 10. Mariarosa Dalla Costa, Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin 1973, online unter klassenlos.tk/data/PDF/dalla_costa.pdf, dort: 13, 3, 4.
  • 11. Dalla Costa, Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, 15.
  • 12. Silvia Federici, Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution, Münster 2012, 53, 66f.
  • 13. Dies., »Ihre Krise und unsere«, Interview in Jungle World, 28.6.2012.
  • 14. Dies., Aufstand aus der Küche, 64.
  • 15. Dalla Costa, Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, 3.
  • 16. Federici, Aufstand aus der Küche, 23, 33.
  • 17. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, 604.
  • 18. Vgl. hierzu Raasan Samuel Loewe, Proletarische Bewegung und Produktivkraftkritik, Kosmoprolet 3 (2011).
  • 19. Federici, Aufstand aus der Küche, 73, 78.
  • 20. Ebenda, 84f.
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