Geborene Verbrecher_innen?

Knast

Kürzlich legte ein Student im Fach „Erziehungs- und Bildungswissenschaften“ der Universität Marburg sein Bachelor-Arbeit zum Thema „Der biologisierende Diskurs in der Kriminologie an Beispiel der Sicherungsverwahrung“ vor. Seine Arbeit soll hier kurz vorgestellt werden.

 

Auf 46 Seiten bietet J. B. einen komprimierten Einblick in die Kriminalbiologie aus der Zeit vor 1933, die schließlich zur Einführung der Sicherungsverwahrung unter der Herrschaft der Nationalsozialisten führte und analysiert dann die aktuelle der Debatte um die Aufgabe der Neurowissenschaften im Bereich der Kriminologie.

 

Was meint „Biologismus“?

 

In der Kriminalistik gibt es in den letzten Jahren den Trend, sich intensiv mit genetischen und neurologischen Phänomen zu beschäftigen, also die Wurzeln für abweichendes Verhalten in der Biologie zu suchen - ob in den Genen, oder aber im Gehirn. Dadurch werden auch gesellschaftliche Konfliktfelder individualisiert, denn wo das Individuum mit seinen Genen und Hirnstrukturen verantwortlich ist für abweichendes Verhalten, braucht man sich um politische und soziale Ursachen nicht weiter zu kümmern.

 

Gelegentlich wird in Forschungsprojekten, so auch in Baden-Württemberg, untersucht, ob nach der Absolvierung einer (Psycho-) Therapie sich bspw. neuronale Veränderungen im Gehirn nachweisen lassen. Wer bestimmte genetische Dispositionen aufweist, oder dessen Hirn bestimmte Auffälligkeiten zeigt, gilt dann als Risiko.

 

Am Beispiel des Bielefelder Professors für physiologische Psychologie, Dr. Markowitsch, der 2007, gemeinsam mit einem FOCUS-Redakteur Werner Siefer das Buch „Tatort Gehirn“ publizierte, stellt Becker das (hohe) Gefahrenpotential in menschlicher, insbesondere jedoch in politischer Hinsicht dar, welches von der Wiederbelebung des biologischen Diskurs ausgeht.

 

Markowitsch und weitere Vertreter seiner Denkschule vertreten die Ansicht, für Kriminalität sei fast stets ein „hirnbiologischer Hintergrund“ ausschlaggebend, dass also „Veränderungen in bestimmten Hirnregionen“ des Typus des/der Verbrecher/Verbrecherin ausmache. Deshalb so Markowitsch sei künftig auch nicht mehr auf Strafe, sondern auf Sicherung abzustellen, wobei dann zusätzlich zu neurologischen Ursachen, auch genetischen „Defekte“ bemüht werden.

 

B. vertritt die Auffassung, dass die bewusst neutral konstruierten politischen Aussagen und Forderungen vom Schlage Markowitschs nur „schwer angreifbar oder widerlegbar“ seien, da entsprechenden KritikerInnen Schuld an zukünftigen Gewalttaten zugewiesen werde, sobald diese sich gegen diese Form der biologisch orientierten Kriminologie positionierten.

 

Allerdings betont B., Kritik sei unverändert notwendig und auch aus politisch emanzipatorischer Sicht geradezu notwendig, da nur die Einordnung der Forschungsergebnisse in die „jeweiligen Diskurse und Machtdynamiken“ dazu führe, dass deren Subjektivität aufgezeigt und deren Macht dekonstruiert werden könne.

 

Am Beispiel des Sicherungsverwahrung legt er dar, dass diese als Ergebnis eines solchen machtpolitischen Diskurses angesehen werden könne, in dessen Folge Menschen langfristig weggesperrt und ganze Lebenswege zerstört würden. Die Kritik dürfe, so fährt B. in Fazit seiner Arbeit fort, jedoch an dieser Stelle nicht halt machen, sondern müsse biologisierende, rassistische und nationalistische Konstrukte angreifen.

 

Es ist erfreulich zu sehen, wie eine neue Generation von Studierenden sich zumindest partiell mit den dunklen Randbereichen der deutschen Justiz und Justizpolitik kritisch auseinandersetzt und dabei dann durchaus auch kritische Wortmeldungen aus den Gefängnissen (vorliegend werden neben Claus Goldenbaum , “Du kommst nicht mehr als Mensch zurück“ auch ich selbst in der Arbeit zitiert und als Bezugspunkt gewählt) aufgreifen.

 

Gerade weil die Biologie scheinbar neutrale Ergebnisse zu liefern scheint, wird sie auch begeistert in der Kriminologie aufgegriffen - und die Folgen werden verheerend sein!

 

Thomas Meyer-Falk, JVA c/o Sicherungsverwahrung, Hermann Herder Str. 8, 79104 Freiburg

freedomforthomas.wordpress.com

Link zur Bachelor-arbeit: http://ow.ly/WNc9N

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Irgendwie erinnert mich das an die sinnlose rassehygienische Forschung der NS-Zeit. Auf dem Wissensstand der damaligen Zeit ging die NS-Wissenschaft davon aus, dass sich Krankheiten vererben wie die Phänotypen von Erbsenpflanzen nach den Mendelschen Gesetzen und war auch der Meinung, genau zu wissen, welche Krankheiten erblich sind. Das komplexe Zusammenspiele von Genen und Genen und Umwelt: vollkommen unbekannt. Aber auf Grundlage dieses Wissenstandes wurden tausende Menschen zur Tötung bestimmt, die sogenannte Aktion T-4.

 

Biologistische Ansätze sind problematisch, da sie immer auf einem unvollständigen Wissenstand aufbauen, es sei denn man meint über  objektives, erschöpfendes Wissen zu verfügen, was stets als anmaßend zu betrachten ist.

Was ist denn nun die Kernaussage des Textes ?

 

Abweichendes Sozialverhalten korreliert erwiesenermaßen mit neuronalen Abweichungen, bsp. Autismus wird u.a. durch eine ungewöhnliche Aktivität im Pars opercularis hervorgerufen, welcher Teil des "Mirror Neuron System" sein soll. Auch bei Triebtätern ist bisweilen eine abweichende neuronale Aktivität zu beobachten, hier besonders im limbischen System, welches sich für Emotionen verantwortlich zeichnet.

Soll nun die biologische Komponente der Täterschaft bejaht werden, oder diese ignoriert werden ? Das ergibt sich aus dem Text nicht völlig.

 

Weiterhin stellt sich die Frage: Haben auch die Opfer eine biologische Abweichung? Opfer von Gewalt leiden häufig unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Doch ist es möglich bereits als Opfer geboren zu werden ? Die Antwort darauf scheinen zumindest einige Forscher gefunden zu haben.

Man will nachgewiesen haben, das es bei Opfern zu Veränderungen im Genom kommt, quasi die Erfahrungen genetisch codiert und an die Nachkommen weitergegeben werden. So sollen z.B. die Kinder von Holocaustüberlebenden genetisch Gezeichnet sein. 

 

Die rhetorische Erbschuld bekommt hier einen realen Fuß. Sind auch die Kinder, welchen keine Gewalt angetan wurde dennoch durch die Gewalt an ihnen gezeichnet ? Die Fragen, welche sich hieraus ergeben, insbesondere die der Erbschuld verdienen ebenso untersucht zu werden. Was bedeutet das für die Täter und deren nachkommen ? Haben auch die Kinder der Täter "Tätergene", die Kinder der Opfer "Opfergene" ? Mit Voranschreiten der Forschung ergeben sich auch völlig neue Aspekte der Betrachtung, mit welchen es sich auseinaderzusetzen lohnt.

Diese ganze Neurowissenschaft ist oft leider ziemlich heftige Ideologie-Produktion und sollte mit äußerster(!) Vorsicht genossen werden.

 

Zur Einordnung kann man z.B. mal das hier lesen: http://www.sueddeutsche.de/wissen/neuronenforschung-ein-fisch-schaut-in-...

Als verbrecher wird man gemacht