ver.di-Justizvollzug: Staatsräson vor gewerkschaftlicher Solidarität?

Gefangenengewerkschaft

PRESSE-MITTEILUNG der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) - ver.di-Justizvollzug: Staatsräson vor gewerkschaftlicher Solidarität? – Nachtrag zur „Hintergrund“-Radiosendung im „Deutschlandfunk“ (DLF) zu den GG/BO-Forderungen - Berlin, 6. Januar 2016

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

die Radiosendung „Hintergrund“ unter dem Titel „Resozialisierung oder Ausbeutung? Häftlinge streiten für Mindestlohn und Rente“ vom 4. Januar 2016 im „Deutschlandfunk“ (DLF) hat für einiges Aufsehen gesorgt. (vgl. http://www.ardmediathek.de/…/Resozialisierung-oder-Ausbeutu…) In dem DLF-Beitrag werden im Wesentlichen die Kernforderungen der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) nach der Einbeziehung der inhaftierten Beschäftigten in den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und in die komplette Sozialversicherung thematisiert. Des Weiteren wird auf die Forderung nach einer schikanefreien und repressionslosen Ausübung der grundgesetzlich verankerten Koalitionsfreiheit hinter Gittern Bezug genommen.


In dem Hörfunkbeitrag kommt u.a. ein Vertreter von ver.di-Justizvollzug zu Wort, der zum Verhältnis zur GG/BO befragt wird. Diese Ausführungen sind nicht nur irritierend, sondern vor allem gegen zentrale Gewerkschaftsprinzipien gerichtet. Wir wollen hierauf eingehen...

 

Der Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei der DGB-Einzelgewerkschaft ver.di, Andreas Schürholz, tritt in der besagten „Hintergrund“-Sendung hinsichtlich der Frage des Verhältnisses seiner bundesweiten ver.di-Fachkommission zur GG/BO mit folgender Aussage auf: "Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als Gewerkschaft ver.di nicht leisten können, einfach aus dem Grunde, wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen und als Gewerkschaft sind wir eine Organisation, wo Solidarität groß geschrieben wird, wie wollen wir da Gefangene vertreten?"


Frappierend ist, dass keinerlei gewerkschaftspolitisches Problembewusstsein vorzuliegen scheint, denn die an Gefangenen durchexerzierte sozial- und arbeitsrechtliche Diskriminierung in der „Sonderwirtschaftszone Knast“ ist nicht im Ansatz im Blick: kein Mindestlohn, keine Rentenversicherung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Kündigungsschutz. Ganz im Gegenteil: der ver.di-Vertreter sieht seine Rolle darin, den Staat in der Gestalt als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen.
Als ob diese Aussage noch nicht selbstentlarvend genug wäre, schiebt der ver.di-Vertreter nach, indem er eine Karikatur eines Solidaritätsbegriff einführt, der jeder Beschreibung spottet.


Fern jeder Gewerkschaftsrealität ist es zudem, dass nur Menschen, die über einen (konstruierten) „Arbeitnehmerstatus“ verfügen, Mitglieder in Gewerkschaften im Allgemeinen oder im DGB im Besonderen sein können. Uns sind z.B. mehrere Gefangene bekannt, die ein Mitgliedsbuch einer DGB-Einzelgewerkschaft vorlegen können.


In Basisgewerkschaften - wie der FAU oder den IWW - war es von Beginn an unstrittig, dass sich Beschäftigte und Beschäftigungslose völlig unabhängig ihres Hintergrundes und ihrer Herkunft gewerkschaftlich organisieren konnten. Eine solche Gewerkschaftskonzeption deckt sich übrigens mit Bestimmungen der ILO oder der UN-Sozialcharta.

(Als Randnotiz sei erwähnt, dass die so genannte Gefangenenmitverantwortung keine(!) abschließende Betätigungsmöglichkeit für Gefangene bildet, sondern nur eine; eine weitere stellt das Gefangenen-Engagement bspw. im Rahmen der GG/BO dar.)

 

Wir wollen es nicht dabei belassen, die Aussagen von ver.di-Justizvollzug als pure Bankrotterklärung eines gewerkschaftspolitischen Standpunktes zu bezeichnen. Das wäre zu einfach. Es ist aus unserer Sicht wichtig, dass Grundsätze von Gewerkschaftspolitik beachtet werden, damit Solidarität, Kollegialität, Autonomie und Sozialreform einen Ausdruck finden können. „Es gehört aufgrund der selbst erlebten staatlichen Verfolgung und behördlichen Unterdrückung zur Gewerkschaftsbewegungsgeschichte, eine Staatsferne ganz bewusst zu dokumentieren. Deshalb strukturieren sich Gewerkschaften in der Regel als so genannte nicht rechtsfähige Vereine, wie es bspw. bei ver.di oder der GG/BO der Fall ist“, erläutert der GG/BO-Sprecher, Oliver Rast. „Und insbesondere ist es aktiven Kolleg_innen von ver.di zu verdanken“, so Rast fortfahrend, „dass sich seit Jahren Erwerbslose und seit einigen Monaten Geflüchtete ohne Papiere bei ver.di organisieren können.“

 

Darüber hinaus unterlässt es der ver.di-Justiz-Vertreter, ein Gegenbild zum Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD), der im Beamtenbund seine Heimstätte hat, zu präsentieren. Der BSBD offenbart sich unter dem Tarnmantel „Fachgewerkschaft“ als eine konservative berufsständische Vereinigung, die ausschließlich Partikularinteressen verfolgt und Klientelismus betreibt. Hier hätte ver.di-Justizvollzug andere Akzente setzen können, ja, setzen müssen, um einem solidarischeren Gewerkschaftsverständnis unter den Bediensteten im Strafvollzug zum Durchbruch zu verhelfen. Aus Gewerkschaftssicht kann es selbstredend keine Rolle spielen, ob prekäre Beschäftigungsverhältnisse vor oder hinter den Gefängnismauern bestehen – sie gehören generell abgeschafft!

 

„Wir sind sicher, dass die Aussagen des Vertreters von ver.di-Justizvollzug zur Situation inhaftierter Beschäftigter und der Gefangenenarbeit nicht die Meinung von ver.di und seiner Mitglieder widerspiegeln. Darüber hinaus erhoffen wir uns von haupt- und ehrenamtlichen ver.di-Kolleg_innen weitere Signale, die vorhandenen Kontaktstränge zur GG/BO vertiefen zu wollen, um dem staatlich sanktionierten Sozial- und Lohndumping gegenüber Gefangenen ein Ende machen zu können“, betont Rast.

 

Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)

 

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zwangsarbeiter haben halt keine Gewerkschaft. Nichtmal heute.