Dieser Text wurde ursprünglich 1975 als Nachwort zum bei den Éditions Payot in der Buchreihe „Critique de la politique“ erschienenen Buch von F. Domela Nieuwenhuis, Le socialisme en danger, veröffentlicht. Damals erlaubte die Lektüre dieses Texts gewissen Genossen, die dabei waren, mit dem traditionellen Anarchismus und dem dogmatischen „Marxismus“ der verschiedenen damals angesagten Grüppchen zu brechen, sich der Problematik Kommunismus/Anarchismus mit schärferen Sinnen zu stellen und einen Klärungsprozess der „revolutionären Theorie“ im Verhältnis zu den „historischen Zyklen“ einzuleiten. Weil wir diese Überlegungen heute immer noch für dringend und treffend halten, haben wir diesen Text dem Vergessen entrissen, um ihn zur Diskussion zu stellen.
A. 1848-1871
I. „Nach den Revolten (Lyon, Manchester), die den zukünftigen
Auftritt des Proletariats auf der gesellschaftlichen und politischen
Bühne als historische Klasse voraussehen liessen, kam es zur Revolte dear Weber von Schlesien, die erste proletarische Handlung, die auf der Ebene des theoretischen Beitrages präziser war. Mit diesem Aufstand zeichnete sich die grundlegende Richtung der kommenden proletarischen Kämpfe ab.“ [1]
In seinem berühmten Text über den schlesischen Aufstand […] definiert
Marx auf klare Art und Weise das kommunistische Programm des
europäischen Proletariats zwischen 1844 und 1848:
1. Er zeigt, dass „die klassische Periode des politischen Verstandes“, jene der „französische[n] Revolution“, vorbei ist;
2. Er zeigt, dass das, wovon das Proletariat getrennt ist, und dies durch seine Arbeit selbst, nicht der politische Staat, d.h. die bürgerliche Ordnung, sondern „das Leben selbst, das physische und geistige Leben, die menschliche Sittlichkeit, die menschliche Tätigkeit, der menschliche Genuß, das menschliche Wesen“ ist;
3. Am Schluss zeigt er, wie die Revolution eine politische Revolution
mit einem gesellschaftlichen Geist sein wird, d.h. wie der politische
Akt der Zerstörung der bürgerlichen Macht und der damit verwachsenen
gesellschaftlichen Verhältnisse Teil eines Moments in einer breiteren gesellschaftlichen Bewegung ist, die gleichbedeutend mit der (Wieder-)Erschaffung der menschlichen Gemeinschaft und damit dem Ende der Politik ist.
Davon ausgehend kann das Proletariat nicht mehr nach der Beseitigung
seiner Isolation gegenüber dem Staat und der Macht, d.h. nach der
Reorganisation einer herrschenden Schicht streben, sondern muss auf eine
Zerstörung der Trennung der Gesellschaft in Klassen abzielen, da es „kein besondres Recht in Anspruch nimmt, weil kein besondres Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ih[m] verübt wird“. [2]
Die verschiedenen theoretischen und programmatischen Beiträge von Marx und Engels (Das Elend der Philosophie und Das kommunistische Manifest,
um nur die wichtigsten zu nennen) liefern der entstehenden
proletarischen Bewegung eine historisch situierte theoretische
Grundlage, obwohl sie nur von wenigen Arbeitern, und häufig von jenen,
welche bezüglich der Klasse in einer peripheren Situation sind
(Handwerker, proletarisierte Handwerker), gelesen und diskutiert werden,
gleichzeitig gehen sie definitiv über den utopischen
Sozialismus, den utopischen Kommunismus, den Proudhonschen Sozialismus
und den blanquistischen Radikalismus hinaus. Obwohl diese Sekten
weiterhin aktiv innerhalb des Proletariats existieren und häufig dessen
wirkliche Vertreter sind (siehe die Situation in Frankreich in den Mémoires d’un révolutionnaire von Gustave Lefrançais), existierte formell eine Sekte, die über die Sekten hinausging, und deren wirklicher
Inhalt die Überschreitung einer Vorhersage des Kommunismus war, sie war
der Ausdruck des revolutionären Wesens in seiner Bewegung: Diese Sekte
war der Bund der Kommunisten. Diese Grundlage drückte die
theoretische/praktische Verbindung mit der revolutionären Gegenwart der
Bewegung selbst in ihrer konkreten und unmittelbaren Perspektive aus.
Daher erschien die kommunistische Perspektive als direkt
verbunden mit der bürgerlichen demokratischen-nationalen Revolution von
1848, die vom Kleinbürgertum und der Arbeiterklasse angeführt wurde. Die
Theorie erlaubte somit ausgehend von der wirklichen Situation, die
Strategie und die Taktik des europäischen Proletariats zu
erstellen, die ihm durch sein Wesen selbst auferlegt worden waren. Wir
werden nicht weiter auf diese Taktik und diese Strategie zur Zeit der
progressiven bürgerlichen Revolutionen eingehen und können einfach
beiläufig zwei Dinge festhalten: a) Der Kommunismus wird gleichzeitig
als Produkt des Kapitals ab einem gewissen Stadium der Entwicklung der Produktivkräfte, doch auch, und zugleich, als Bestätigung und Austreten seiner globalen Natur verstanden, und dies von Anfang an,
d.h. dass die Notwendigkeit, sich zwischen 1844 und 1848 als politische
Partei zu konstituieren, eben genau mit der Verweigerung der rein
politischen Praxis verbunden ist, ein dialektischer Gegensatz, der sich
im Verlauf der revolutionären Krise von 1848 auflöst. b) Das Proletariat
wird aktiv als eine aus der Arbeiterklasse kommende, autonome Klasse im
Verhältnis zur Demokratie erfasst, eben genau und v.a., weil es auf lebendige Art und Weise grösstenteils unter Nicht-Arbeitern existiert. Das Proletariat ist also historisches Verhältnis und Sinn für dieses Verhältnis.
Die kommunistische Bewegung ist somit genau der Widerschein der
historischen Tätigkeit des Proletariats von 1848, das damals
Arbeiterklasse war. Der Bund der Kommunisten ist sowohl Träger der
zentralen Perspektive, als auch ihrer wirklichen Grenzen. Seine
Tätigkeit verlor sich unmittelbar im Wutausbruch, und dann in der
Niederlage, doch „die proletarische Bewegung taucht im Verlauf eines
Prozesses auf, dessen einheitlicher und eindeutiger Charakter die
Vereinigung der historischen und formellen Ausdrücke der Bewegung
andeuten, welche die zukünftige kommunistische Revolution aufzeigen
wird“. [3]
1848 ist also die erste einheitliche Erscheinung des Proletariats/der
Arbeiterklasse. Aufgrund des Entwicklungsstadiums der damaligen
Produktiv- und der historischen Kräfte können die Arbeiter nur der
Bourgeoisie helfen und sich danach verteidigen (Juni 1848); doch
in dieser „Verteidigung“ selbst – die es nur erlaubte, das
kommunistische Programm auf negative Art und Weise zu bekräftigen, die
Zerstörung eines Mechanismus wie des Tausches konnte nicht in die
Problemstellung eingehen, da materiell nicht lösbar – in dieser
„Verteidigung“ also ist das, was wichtig ist, die Tatsache, dass die
Bourgeoisie (und ihre verschiedenen provisorischen Verbündeten) gezwungen
war, die Arbeiter anzugreifen, die in den Strassen von Paris ein
Gespenst spazieren führten, das sofort in den Gehirnen der Herrschenden
zu spuken begann, und jene, dass sie unter dem Risiko der Rückkehr der
Ketten der feudalen Macht bevorzugte, sie anzugreifen. In Deutschland
warf sie sich in die liebenden Arme der Feudalisten; in Frankreich, wo
die Situation politisch weiter fortgeschritten war, tanzte sie
den Reigen der Bündnisse bis 1871. P { margin-bottom: 0.21cm; }A:link { }Die Verbindung Kommunisten/Proletarier als andere Lektion der
proletarischen Verteidigung von Juni 1848 erscheint allerdings nicht als
Verhältnis Führer/Geführte, sondern als praktische Organisation des theoretischen und
programmatischen Ausdrucks, als wirkliche Bewegung. Die durch die
praktischen Grenzen der Epoche (u.a. die Abwesenheit der bewussten
Koordination zwischen proletarischen Elementen verschiedener Nationen
aufgrund der Abwesenheit einer Perspektive, die über die Verteidigung
hinausgeht) eingeschränkte Verbindung zwischen dem Proletariat und der
kommunistischen Theorie liess schon etwas qualitativ höher stehendes
erkennen.
II. Gleichzeitig erlitt das Proletariat seine erste Niederlage als
autonome Klasse; der konterrevolutionäre Zyklus beginnt. Es kam somit
nicht mehr in Frage, eine formelle Organisation weiterzuführen, die
fähig war, das revolutionäre Programm zu hüten und zu verwirklichen.
Nach kurzen Illusionen (zwischen 1850 und 1852) verstehen Marx und
Engels, dass es ihre Aufgabe ist, Lehren aus dieser Revolution von 1848
zu ziehen, ihre Grenzen und ihre mögliche Überschreitung zu verstehen.
Sie entscheiden sich, den Bund der Kommunisten aufzulösen, um besser auf
der kommunistischen Linie zu bleiben.
„Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktivkräfte der
bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln, wie dies innerhalb
der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer
wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in
den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsformen, miteinander in Widerspruch
geraten. Die verschiedenen Zänkereien, in denen sich jetzt die
Repräsentanten der einzelnen Fraktionen der kontinentalen Ordnungspartei
ergehn und gegenseitig kompromittieren, weit entfernt zu neuen
Revolutionen Anlaß zu geben, sind im Gegenteil nur möglich, weil die
Grundlage der Verhältnisse momentan so sicher und, was die Reaktion
nicht weiß, so bürgerlich ist.“ [4]
Sie weigern sich, auf die Verschwörung (siehe Enthüllungen über den Kommunistenprozess zu Köln
von Marx), die militärische gewalttätige Aktion einer Minderheit, die
Propaganda und die Agitation zurückzugreifen. Es geht nämlich darum,
sich nicht von den Formen der Revolution und/oder ihrer Niederlage
beeinflussen und/oder sich nicht vom Realismus der konterrevolutionären
Wirklichkeit anstecken zu lassen.
„Ich habe ferner das Mißverständnis zu beseitigen gesucht, als ob ich
unter ’Partei’ einen seit 8 Jahren verstorbnen ’Bund’ oder eine seit 12
Jahren aufgelöste Zeitungsredaktion verstehe. Unter Partei verstand ich
die Partei im großen historischen Sinn.“ [5]
Die einzige Arbeit ist also die theoretische Arbeit, v.a. die Kritik
der politischen Ökonomie und die Präzisierung des Wesens der
kommunistischen Produktion. In dieser Zeit der Konterrevolution
(1850-1864) verweigert Marx jegliche andere Organisation als jene seiner
theoretischen und praktischen Arbeit (sofern es praktische Tätigkeit
gibt). Dieser Anti-Formalismus erlaubt ihm gleichzeitig, die hier und
dort handelnden „Sozialisten“ radikal zu kritisieren.
III. Die 1864 gegründete Erste Internationale (IAA: Internationale
Arbeiter-Assoziation) ist mit dem Wiederaufkommen proletarischer Kämpfe,
dem revolutionären Aufschwung und der Wirtschaftskrise verbunden. Die
Erste Internationale vereinigt alle Fraktionen des Proletariats, die das
theoretische Bewusstseins des Kampfes erlangt haben, wenn auch und v.a.
nur partiell. Die Erste Internationale ist tatsächlich ein
verbindendes Element zwischen den verschiedenen Schichten des
Proletariats und seinen verschiedenen gesellschaftlichen Situationen in
Europa. Sie ist ein Moment des Vereinigungsprozesses und beschleunigt
ihn gleichzeitig.
Gegenüber dem Proudhonismus des reaktionären Kleinbürgertums und dem
Lasallismus, der zugleich der Vorgänger der Sozialdemokratie als auch
schon Insolvenzverwalter ist, sind die Revolutionäre in zwei Lager
geteilt: die Kollektivisten mit Bakunin und die um Marx gruppierten
Kommunisten. Diese Teilung überschnitt sich damals fast perfekt mit der
Teilung zwischen entwickelten und wenig entwickelten kapitalistischen
Zonen; diese These ist durchaus bekannt, doch sie hilft nur, einen
Aspekt des Problems zu verstehen: Ausser der Tatsache, dass England
näher bei einem Proudhonschen Sozialismus als bei einem marxistischen
Kommunismus ist, überschneidet (und kaschiert) diese Teilung eine andere
Trennung innerhalb des Proletariats selbst. Einerseits geht es
auf der Marxschen Seite darum, „den Bedürfnissen des Klassenkampfes und
der Organisation der Arbeiter zur Klasse unmittelbar Nahrung und Anstoß
[zu] geben“ [6]
und damit alle Arbeiter auf der Grundlage eines für das europäische
Proletariat in seiner Gesamtheit unmittelbar realisierbaren Programms zu
vereinigen. Diese Konzeption der Internationale entsprang einer
realistischen Konzeption des historischen Zyklus des Proletariats:
Entwicklung der Produktivkräfte, jeweilige Bedeutungen der kämpfenden
gesellschaftlichen Klassen, wirkliche Reformmöglichkeiten, die das
politische Feld der Emanzipation des Proletariats öffnen, doch dabei
„das Endziel klar hindurchsehn“ usw. Andererseits ging die
anti-autoritäre Konzeption vom Auftauchen der proletarischen
Autonomie selbst aus, ihrer historischen Emergenz, ihrer Forderung von Beginn
an nach der unmittelbaren kommunistischen Revolution und somit von der
Verweigerung, den wirklichen Zustand der Kräfte, die Notwendigkeit der
Vermittlungen usw. in Betracht zu ziehen. Auf der einen Seite, im Namen
einer klaren Definition des Kommunismus, der Durchmarsch durch das
politische Feld unter dem Risiko, sich darin zu verlieren (siehe Marx,
der ursprünglich die Kommune im Namen einer schon sozialdemokratischen
Taktik- und Strategieanalyse missbilligt [7])
und auf der anderen Seite die naive Dürftigkeit, die freie Gesellschaft
unmittelbar durch einfachen Willen (siehe Bakunin in Lyon [8])
im Namen einer noch sehr schmalen Definition dieser Gesellschaft zu
verwirklichen: der Kollektivismus. Diese beiden Konzeptionen, wovon eine
zum Kult der „politischen“ Aktion, die andere zum Kult der
wirtschaftlichen Aktion führen konnte und die in zwei verschiedenen
Zonen der historischen Entwicklung entstanden sind, drücken eigentlich
ein tieferes Phänomen aus: die tragische Dualität der Praxis des
damaligen Proletariats selbst. Einerseits konnten die wirklichen Möglichkeiten
der Kämpfe nicht die kommunistische Revolution bringen und zwangen das
Proletariat, mit anderen Schichten Kompromisse zu schliessen;
andererseits taucht die unmittelbare Bekräftigung der Revolution auf,
obschon unmöglich. Diese beiden Konzeptionen waren eine Spaltung des
Wesens des Proletariats selbst; losgelöst von ihrem Kontext des
revolutionären Aufschwungs führte die eine zur Aufopferung des
revolutionären Ziels zu Gunsten eines immediatistischen Kampfes im Namen selbst der notwendigen historischen Verkettung der unmittelbaren Kämpfe, die zum revolutionären Endkampf führen sollten,
die andere zur Aufopferung des wirklichen Verständnisses der
Entwicklung der Kämpfe zu Gunsten einer Bekräftigung des revolutionären
Ziels im Namen selbst des revolutionären Endkampfes, von dem
behauptet wurde, er sei in jedem unmittelbaren Moment des Kampfes
gegenwärtig.
Offensichtlich repräsentiert das Marxsche Lager die Theorie des
fortgeschrittenen Industrieproletariats und ist somit auf theoretischer
Ebene Träger davon, d.h. Träger der Theorie des Proletariats als
gesellschaftliches Verhältnis und als historisches Werden. Es ist eine Zeugungslinie,
denn verschiedene Strömungen, vom Proudhonismus bis zum Blanquismus,
existieren und sind sogar quantitativ bedeutender als jene um Marx und
Bakunin. Doch wichtig ist die Tatsache, dass das Lager von Marx
(die „Partei“ Marx) das Korpus des kommunistischen Programms
(Beseitigung der Lohnarbeit und des Handels) selbst entwirren konnte, während
jenes von Bakunin beim Kollektivismus stecken geblieben ist, einer Art
hybriden Mischung, auf halbem Weg zwischen dem korporatistischen
Proudhonschen Mutualismus und dem Kommunismus, ein Abbild der Situation
selbst dieser neuen Proletarier, welche gerade erst das Handwerk oder
das Landleben verlassen haben, von einer Produktionsweise in die nächste
wechseln und in Richtung Kommunismus gehen. Zu diesem Zeitpunkt ist das
Wesentliche der kommunistischen Theorie (1867, Buch 1 des Kapital,
übrigens von Bakunin ins Russische übersetzt) mit der Entwicklung der
IAA verbunden. Die IAA vereinigt alle Fraktionen des Proletariats und
ihre Teilungen „Marxisten/Bakuninisten“ werden erst nach der Niederlage
der Revolution, nach der Kommune wirklich wirksam. Die Erste
Internationale ist somit eine der Fraktionen der Partei, die sich ab
1868, v.a. in Paris, innerhalb des Proletariats manifestiert; sie ist
die Fraktion des Bewusstseins davon genau wie die Blanquisten die
militärische Fraktion davon sind (diese Teilung in organische
„Fraktionen“ ist Zeichen der Grenzen). Für Marx war es damals unnötig, die anderen Strömungen aus der formellen
Organisation Erste Internationale ausschliessen zu wollen, da er diese nicht mit der historischen Partei
identifizierte und bemerkenswert klar verstand, dass die Zwänge des
revolutionären Kampfes die Fraktionen innerhalb der Organisation und ausserhalb
davon vereinigen werden. Und wenn sich auch die Spannungen zwischen der
„Partei Marx“ und der „Partei Bakunin“ ab 1868 klar abzeichnen, war
doch die Kommune und ihre Niederlage der Ort und der Zeitpunkt der
progressiven Spaltung. Eigentlich ist die Erste Internationale sowohl formelle Partei, als auch wirtschaftliches und programmatisches Organ. Die Einheit des Proletariats und seiner revolutionären Fraktionen werden darin trotz den grundlegenden Gegensätzen (die hier nicht diskutiert werden, jedoch stets ohne Verhältnis zum Zyklus analysiert wurden) aufrechterhalten.
IV. Die Vermittlungen zwischen der Klasse und ihrem Programm, wenn
sie auch sehr wichtig sein mögen, sind mit ihrer wirklichen Entwicklung
verbunden. Sie sind sogar ein Ausdruck davon.
Die parlamentarische Politik bis 1871 kann z.B. durch den Grad der
Entwicklung des Kapitalismus als spezifische Produktionsweise erklärt
werden. Die schwache Entwicklung des Proletariats, die mit der schwachen
Entwicklung des Kapitals zusammenhängt, zwingt es dazu, zu versuchen, seine entstehende Kraft und seine Momente der Revolte in der parlamentarischen Sphäre zu konkretisieren. Umgekehrt wird seine Intervention auf diesem Terrain durch die Tatsache möglich gemacht, dass keine Klasse fähig ist, ihre Forderungen diskussionslos zu diktieren. Das Parlament ist alternativ und effizient
der Ort der Absprache und der Konfrontation zwischen der
Handelsbourgeoisie, der Finanzaristokratie und unter gewissen
Bedingungen dem Proletariat [9]. Es ist die Blütezeit der demokratischen
Epoche der Bewegung; obwohl die Marxisten die Demokratie ablehnen,
akzeptieren sie diese, um daran als politische Partei teilzunehmen, und
die Anti-Autoritären hingegen nehmen nicht daran teil, doch beanspruchen
sie wahr und rein, nicht bürgerlich, nicht parlamentarisch usw. Diese
Eigenschaft zeigt gut den ambivalenten Charakter der damaligen
Diskussion Marxisten/Bakuninisten innerhalb der IAA.
V. Die Kommune ist der Höhepunkt der wirklichen Bewegung, deren
Ausdruck die Erste Internationale ist. Das dialektische Verhältnis
zwischen der historischen Partei und der revolutionären Machtergreifung
in Verbindung mit den formellen Organen ist klar. Marx erklärt in einem
Brief an Kugelmann (vom 12. April 1871), dass die Kommune „die
glorreichste Tat unserer Partei seit der Pariser Juni-Insurrektion“ [10] ist; was klar die absolute Einheit und Kontinuität in seiner Konzeption der Handlung der Klasse und der Klassenorganisation (d.h. ihrer praktischen Aufgaben) zeigt, ausserhalb jeglichem Formalismus.
Ausserdem ist die Kommune die Verwirklichung der ihr vorhergehenden Bewegung. Innerhalb der Kommune sind
die ideologischen Gegensätze überwunden: Die Spaltung
Mehrheit/Minderheit geht durch jede Fraktion und die direkte Demokratie
ist in ihr verwirklicht.
Mit ihrer glorreichen Niederlage schliesst sich ein Zyklus
proletarischer Kämpfe (eigentlich dauert er bis 1873-1874: Auswirkungen
in Belgien, Skandinavien, Spanien usw.). Die formelle Organisation des
Proletariats ist an einen neuen Wendepunkt gelangt: 1848 ging es darum,
sich an der bürgerlichen Revolution zu beteiligen und auf virtuelle und geheime Art und Weise als politische Partei organisiert zu sein; 1871 ging es darum, die politische Demokratie zu organisieren, um die Grundlagen des Terrains der gesellschaftlichen Emanzipation des Proletariats zu legen, und somit als wirkliche politische Partei
organisiert zu sein. Nach 1871 kommt all das nicht mehr in Frage:
Mehrere programmatische Errungenschaften erweisen sich als prinzipielle
Lehren der Kommune:
- Die
Ära der progressiven bürgerlichen, nationalen Revolutionen ist vorbei,
das Proletariat braucht keine Kompromisse mehr mit anderen
gesellschaftlichen Schichten zu schliessen, es muss entweder Teil von
ihnen werden, sie zerstören oder von ihnen zerstört werden. Es muss
seine Diktatur bekräftigen.
- Das
Proletariat kann sich nicht mehr in der politischen (und erst recht
parlamentarischen) Sphäre entwickeln; die einzige übrig bleibende politische Frage ist der Inhalt seiner Diktatur und diese Frage bleibt politisch, denn es ist noch nicht gesellschaftlich vorherrschend (die Frage des Staates ist die Folge dieser Lehre).
- Das Proletariat trägt von nun an, in seiner eigenen Existenz, den unmittelbaren Inhalt seiner Aufgaben und braucht keine formelle Partei mehr. Es kann nur als seine eigene historische Partei „sein“.
- Das kommunistische Programm erscheint klar als autonomes Programm des Proletariats, als Zerstörung des Tausches, wenn auch negativ (in Anbetracht des Entwicklungsniveaus der Produktivkräfte).
VI. „1871 war das Proletariat zu isoliert, um auf einen Sieg hoffen zu können. Hätte es Versailles militärisch
besiegt, wäre es, einerseits, unmittelbar mit der europäischen
Konterrevolution, wovon die preussische Armee ein blosser Vorposten war,
konfrontiert gewesen, andererseits, und v.a., mit den Problemen der
kommunistischen Transformation des Produktions- und Verteilungsapparats,
während der Kapitalismus erst mit der Vergesellschaftung der Produktion
begonnen hatte.“ [11]
Die revolutionäre Organisation drückte die besiegte Kommune aus und die
IAA musste sich auflösen. Es war die Zeit der heftigen Spaltungen zwischen
Fraktionen, die Partei Marx und die Partei Bakunin wollten die Führung
übernehmen: So drückte die Apparatspolitik die Konterrevolution aus. Die
verschiedenen und partiellen Zonen und Aspekte der Totalität der
Klasse, die im revolutionären Angriff vereinigt waren, stehen dieses Mal
im Gegensatz zueinander. Die Konterrevolution löste die Einheit der
Klasse auf, spaltete sie, sowie auch ihren theoretischen und
programmatischen Ausdruck. Mit dem Schwung der Kommune und ihren
Auswirkungen konnten Marx und Engels, obwohl sie sich der Politik
hingaben (Kampf um den Generalrat), die grundlegende Errungenschaft der
Kommune bis ungefähr 1875 theoretisieren (Bürgerkrieg in Frankreich, Kritik des Gothaer Programms). Nach 1875 waren sie alleine.
Die historische Partei lebte bei ihnen dank der Wiederaufnahme der
theoretischen Arbeit weiter, die durch den revolutionären Sturm
unterbrochen worden war (Das Kapital, Anti-Dühring usw.), doch diese Arbeit war nicht direkt mit der Praxis
des Proletariats verbunden, das auf den Zustand des variablen Kapitals
beschränkt worden war. Das zeigt, bis zu welchem Punkt die politischen
Positionen von Marx, und dann v.a. von Engels, nicht revolutionär
waren; und bezüglich Engels konterrevolutionär. Die Dichotomie zwischen
der Aussage der kommunistischen Theorie, die sie verfeinerten (es ging
nur darum, auf eine zuvor formulierte und ausgearbeitete Theorie
zurückzukommen), und ihrer Praxis im Zeitalter war absolut
geworden, das Zeitalter war konterrevolutionär und das Zeitalter und
ihre Praxis korrumpierten sogar die Aussage der kommunistischen Theorie,
bei Engels in mehreren Texten wie Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, welche klar den sozialdemokratischen und undialektischen
Inhalt zeigen. Nach 1875 bleiben also zwei Männer übrig, die eine
grundlegende theoretische Arbeit weiter führen (v.a. Kritik der Ökonomie
und der Wissenschaften), sich der Situation aber gleichzeitig nur
halbwegs bewusst sind (Marx etwas mehr, siehe den Brief an Nieuwenhuis, Kritik des Gothaer Programms). Nach 1883, dem Todesjahr von Marx, bleibt ein Mann übrig, der das Werk der „Partei Marx“ „treu“, d.h. ideologisch weiterführt, doch ein für alle Mal in der Konterrevolution versinkt und Anführer des Marxismus wird, der Theorie der Sozialdemokratie.
VII. Zwar ist die Niederlage der Kommune historisch gehaltvoll, doch sie besiegelt die Teilung der proletarischen Bewegung in:
- politische Fraktionen:
die beiden rivalisierenden IAA, jene von Marx/Engels bis 1874 und jene der
Bakuninisten, die in Genf, Spanien und Italien weiter besteht; dann die
Gruppen, Gruppierungen, Sekten, Parteien usw.;
- wirtschaftliche Fraktionen: die berufsständischen und gewerkschaftlichen Organisationen;
- programmatische Fraktionen:
Marx/Engels alleine gegen ihre Schüler bis ungefähr 1880 („Was Du über
die Deutschen schreibst, verwundert mich in keiner Weise. Hier ganz
ebenso. Engels und ich haben uns daher ganz von dem Pack zurückgezogen
[…].“ [12]); dann der kleine informelle und internationale Zusammenschluss von Anarchisten rund um Malatesta, usw.
Der soziale Frieden ist gesichert und die intensive freie Entwicklung
des Kapitals hat auch freien Lauf. Die bürgerliche nationale Revolution
vollendet sich (Deutschland, Italien) und vereinigt ihre
Ausbeutungsbedingungen. Der Übergang zur reellen Herrschaft des Werts
steht auf der Tagesordnung und die Zerstörung der sich ihm
entgegenstellenden Hindernisse ist im Gang. Die Arbeit wird allmählich
von der Mehrarbeit aufgezehrt. Der Maschinenbetrieb entwickelt sich. Die
Sozialdemokratie als kohärenter Ausdruck dieser Entwicklung wird zur
gesellschaftlichen Hülle des Kapitals.
VIII. Als Paraphrase und Berichtigung der Einschätzung von Karl Korsch in Krise des Marxismus (1931) können wir bekräftigen, dass sich mit den Jahren 1871 bis 1875 der erste grosse historische Zyklus der kapitalistischen Entwicklung vollendet. Im Verlauf desselben hat der Kapitalismus auf der damaligen begrenzten Grundlage schon alle Phasen seiner Entwicklung bis zu jenem Punkt durchlaufen, wo der bewusste Teil des Proletariats die soziale Revolution der Arbeiterklasse selbst auf die Tagesordnung setzen kann, jener Arbeiterklasse, die damals das Proletariat war. Folglich hat die Klassenbewegung des Proletariats – auf dieser begrenzten Grundlage – schon ein ziemlich hohes Entwicklungsstadium erreicht: Die revolutionären Kämpfe, welche zu dieser Zeit von isolierten Fraktionen der Arbeiterklasse geführt wurden, sind der praktische Ausdruck davon und die Mitglieder der Internationale die historische Verbindung gewesen; jene, welche die „Partei Marx“ formten, indem sie damals den definitiven (momentanen und zukünftigen) Inhalt der bewussten Praxis der proletarischen Klasse formulierten, haben den theoretischen Ausdruck dafür geliefert.
B. Sozialdemokratie und Bewegung des Kapitals
I. Die Entstehung der Zweiten Internationale ist mehr oder weniger
erzwungen und der Epoche zuwiderlaufend. Ihre prinzipielle Basis ist die
deutsche Sozialdemokratie; man kann sogar sagen, dass die Zweite
Internationale ironischerweise die Ausdehnung des „deutschen
Sozialismus“ ist, wovon Marx sprach und sich 1871 den Sieg zusammen mit
jenem von Bismarck wünschte! Die deutsche Sozialdemokratie, deren
Konstitution kurz nach der proletarischen Niederlage (Gothaer Kongress,
1875) nur eine Vereinigung des Lassallianismus mit einigen
marxistischen Prinzipien war, die man zur wissenschaftlichen Dekoration
behielt, stellte die Basis der gesamten europäischen sozialistischen
Bewegung dar. Der instruktivste Text über die Entstehung der Zweiten
Internationale ist diese Passage von Engels in seinem Brief an Sorge vom
8. Juni 1889: „Sonst hat der Kongreß wenig zu bedeuten. Ich gehe
natürlich nicht hin, ich kann mich dauernd nicht wieder in die Agitation
stürzen. Aber die Leute wollen nun einmal wieder Kongresse spielen, und da ist es besser, diese werden nicht von Brousse [13] und Hyndman dirigiert. Es war grade noch Zeit, ihnen das Handwerk zu legen.“ [14]
Es ist klar, dass die Position von Engels, ein Befürworter des
Beitritts der aus Gotha entstandenen deutschen Partei zu dieser
Internationale des Opportunismus, und zwar nur, um zu verhindern, dass
die Possibilisten und die Engländer die Führung davon übernehmen, nicht
im Geringsten ambivalent ist: Sie ist zutiefst manipulativ und
konterrevolutionär. Als ob die Revolutionäre sich an einer
konterrevolutionären Institution beteiligen müssten, um zu verhindern,
dass sie von Konterrevolutionären angeführt wird! Indem er das tat, gab
er sich mit gefesselten Händen dem internationalen Reformismus hin, und
von diesem Moment an bleiben alle Kritiken „privat“ (beispielsweise in Briefen)
oder werden von der Bebel-Gruppe zensiert. Doch es kommt noch besser:
Neben der Tatsache, dass er seinem bemerkenswerten Satz zur Bewegung des
Proletariats 1884 [AdÜ: 1885] widersprach („Die internationale Bewegung
des europäischen und amerikanischen Proletariats ist jetzt so erstarkt,
daß nicht nur ihre erste enge Form - der geheime Bund -, sondern selbst
ihre zweite, unendlich umfassendere Form - die öffentliche
Internationale Arbeiterassoziation - eine Fessel für sie geworden und
daß das einfache, auf der Einsicht in die Dieselbigkeit der Klassenlage
beruhende Gefühl der Solidarität hinreicht, unter den Arbeitern aller
Länder und Zungen eine und dieselbe große Partei des Proletariats zu
schaffen und zusammenzuhalten.“ [15]),
einem Satz, in dem ein richtiges Verständnis der historischen Partei
gegenüber der formellen Partei unter Beweis gestellt wird, hiess er auch
die internationale Sozialdemokratie gut, indem er ihr ideologische
Waffen lieferte; der „Marxismus“ wurde somit zu einer Ideologie mit
einer unmittelbaren praktischen Funktion in der kapitalistischen Gesellschaft.
Die Entstehung des Marxismus (siehe Marx: „Ich bin kein Marxist“) ist
ein Kind der Niederlage des Proletariats und des bürgerlichen Sieges.
Auf diese Art und Weise gab Engels während der in der Sozialdemokratie
ausbrechenden Krise den „Stimmton“ für den Ausschluss der linken
Fraktionen an. Er wurde nicht nur von den Deutschen benutzt, indem sie ihn zensierten, sondern er half auch den gleichen Leuten, innere
Konflikte der Partei im Interesse der fundamental opportunistischen
Führung zu regeln. Seine Haltung erlaubte es der Zweiten Internationale,
alle revolutionären Elemente auszuschliessen und sie umso
monolithischer zu machen. Tatsächlich manifestierte sich von Anfang an
eine mächtige internationale Bewegung der Kritik der
Sozialdemokratie und sie wurde jedes Mal mit dem Segen von Engels
ausgeschlossen; ihre Geschichte wurde aus offensichtlichen Gründen von
allen Historikern der Arbeiterbewegung vernachlässigt: in Deutschland die Opposition der „Jungen“, welche zwischen 1889 und 1892 in Berlin konzentriert waren, obwohl unfähig, ihrer Position eine tiefe theoretische Perspektive zu geben, stellte besonders ihr Anti-Parlamentarismus eine gesunde und revolutionäre Reaktion dar; in Dänemark die antifrontistische dänische Linke von Trier,
welche ein Bündnis mit den Parteien der bürgerlichen, liberalen und
bäuerlichen Opposition ablehnte und 1889 aus der dänischen Partei
ausgeschlossen wurde [16];
in Schweden die um Bergregen versammelte Gruppe, die sich dem
Reformismus und dem Parlamentarismus heftig widersetzte, in Verbindung
mit den deutschen „Jungen“ stand und 1891 aus der Partei ausgeschlossen
wurde [17];
die revolutionären Sozialisten in England rund um William Morris und
auch die in den revolutionären Gewerkschaften organisierten Sozialisten
wie Tom Mann; die Holländer mit F. D. Nieuwenhuis usw., und es gab,
obwohl weniger zahlreich, Gruppen und Individuen mit ähnlichen
Positionen in Frankreich, Italien, Spanien, den USA und Japan.
Die Zweite Internationale wurde zum aktiven Zentrum der
gesellschaftlichen bürgerlichen Entwicklung nach einem internationalen
Kampf gegen 1) die revolutionären Elemente, wie jene linken Fraktionen,
welche sie kritisierten, 2) und die anarcho-kommunistische Bewegung, die mit Gewalt von den Kongressen 1891, 1893 und 1894 ausgeschlossen wurde. Die Zweite Internationale ist nie degeneriert; sie wurde zu einem
Zeitpunkt erschaffen, wo es überhaupt keine revolutionäre Perspektive
gab, und deshalb beteiligte sie sich von Anfang an und total
am politischen System der Bourgeoisie. Einer der grossen Schwächen der
wieder erstehenden kommunistischen Bewegung gegen 1905 (Trotzki, Rosa
Luxemburg, Pannekoek usw.) war das Unverständnis des Wesens der
Sozialdemokratie. Doch die Gründe, weswegen die Zweite Internationale am
bürgerlichen politischen Spiel teilnehmen und es konsolidieren konnte, sind sehr tief.
II. Nach der Niederlage der Pariser Kommune und ihren verschiedenen Auswirkungen „war die Arbeiterklasse geschlagen, die Konterrevolution triumphierte. Die Zweite Internationale entsprach den konterrevolutionären Bedingungen, der kapitalistischen Entwicklung“ [18]. Deshalb muss von einer Charakterisierung der Periode ausgegangen werden: die Periode der formellen Herrschaft des Werts. Während dieser Periode gibt es eine Dichotomie zwischen der Besonderheit der kapitalistischen Produktionsweise: die Lohnarbeit und die Ähnlichkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses mit den vorhergehenden: a) der unmittelbare Arbeitsprozess ist, wenn auch nicht vorherrschend, zumindest sehr wichtig und hat den Mann als Grundlage („der Arbeiter“ [„l’ouvrier“, wortwörtlich „der Werker“]), die Bezeichnung ist vielsagend, vollbringt die Totalität des Produktionsprozesses, oder zumindest annähernd, und die notwendige Arbeitszeit entspricht ungefähr der Mehrarbeitszeit; b) weite Gebiete haben nur eine präkapitalistische Produktion, sowohl ausserhalb als auch innerhalb der kapitalistischen Länder.
„In Folge hat der Proletarier im Produktionsprozess einen doppelten
Charakter – sagen wir halb halb – als Produzent von Gebrauchswert
(Arbeiter) und Produzent von Tauschwert (Proletarier). Daraus entsteht eine „Dichotomie“ innerhalb des Proletariers selbst:
als potentielle Ware (Ware Arbeitskraft) – enteignet – ist er vollständig Proletarier;
als besondere, im Produktionsprozess operierende Ware (Arbeits- und
Verwertungsprozess) ist er „sowohl Proletarier als auch Arbeiter, aber
allen voran Arbeiter.“ [19]
Das Proletariat erscheint also zu dieser Zeit als Klasse der Arbeit,
was eben der Entwicklung des Produktionsprozesses entspricht. Die
Arbeiterklasse erschafft sich also die Verteidigungsorgane ihrer
unmittelbaren Interessen, die Verteidigung des Preises ihrer
Arbeitskraft: die Gewerkschaften. Sie treten als die Repräsentanten des
menschlichen Arbeitsprozesses gegen den wissenschaftlichen und
mechanisierten Arbeitsprozess, gegen den Verwertungsprozess zutage. Es
ist jedoch hier, wo sich das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital als
invariable Grösse zeigt, diese Verteidigung der Interessen der
Arbeitskraft innerhalb jenes kapitalistischen Verhältnisses der
Lohnarbeit, welches zum Triumph des Verwertungsprozesses tendiert.
„Beträchtliche Lohnerhöhungen zwingen das Kapital tatsächlich immer
dazu, sich zu mechanisieren, lang- oder kurzfristig, und immer mehr; das
gleiche gilt für die Verkürzung des Arbeitstages; es ist somit der
Übergang von einer extensiven zu einer intensiven Ausbeutungsweise, vom
absoluten zum relativen Mehrwert.“ [20]
In Tat und Wahrheit ist die „Arbeiterbewegung“ der adäquate Ausdruck der Wertbewegung selbst,
denn sie tendiert dazu, den Verwertungsprozess im Sinne der reellen
Herrschaft des Werts voranzutreiben. Die Arbeiterbewegung ist die
wirkliche Lenkerin der Proletarisierungsbewegung. Im Paar Kapital-Arbeit
ist es die Arbeit, die aktiv ist und, durch ihre eigenen Forderungen,
ihrem mit ihr verbundenen Feind – dem Kapital – die Reproduktion
ermöglicht. Die Arbeiterbewegung ist der Ausdruck der Bewegung des
variablen Kapitals, des Proletariats als ökonomische Kategorie des
Kapitalismus.
Unter diesen Bedingungen fiel die Entwicklung der gewaltigen deutschen
(und anderen) sozialdemokratischen Gewerkschaften mit den Interessen der
progressiven, industriellen Bourgeoisie zusammen; es war eben eine
Notwendigkeit für die Entwicklung des Kapitals, zum offensichtlichen
Nachteil der reaktionären Landbourgeoisie. Die wesentlichen Probleme der
Geschichte waren die nationale Einigung und die Planungsorganisation
des Kapitals. Die sich intensiv entwickelnden Gewerkschaften wurden
schnell von der radikalen Bourgeoisie unterstützt: Die Organisation des
variablen Kapitals war eine Voraussetzung für die Entwicklung der
nationalen kapitalistischen Akkumulation. Die Sozialdemokratie war der
politische Ausdruck dieses Phänomens. Die nationale Planung der
Arbeitskraft machte aus den Sozialdemokraten die Makler und die
Organisatoren dieser Arbeitskraft und die Verteidiger der
Nationalökonomie, der Verstaatlichung der Produktion. Der Mythos der
Verstaatlichung der Produktion als Sozialismus war von Engels im Anti-Dühring
gut analysiert worden: „Aber weder die Verwandlung in
Aktiengesellschaften noch die in Staatseigentum, hebt die
Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf. Bei den Aktiengesellschaften
liegt dies auf der Hand. Und der moderne Staat ist wieder nur die
Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die
allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise
aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe, sowohl der Arbeiter wie der
einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine
wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der
ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum
übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr
Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter,
Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird
vielmehr auf die Spitze getrieben.“ „Das Konzept der Arbeiterklasse war
eine Antwort auf die Wirklichkeit der kapitalistischen Ökonomie; es war
eine pazifistische, gradualistische, demokratische und reformistische
ökonomische Konzeption.“ [21]
Die Arbeiter mussten sich als Konsumenten (deswegen die
Genossenschaften) und als Produzenten (deswegen die Gewerkschaften), als
Wähler (deswegen die parlamentarischen Gruppen), als Quartierbewohner
(deswegen die Gemeindegruppen) und als Teilnehmer am ideologischen und
kulturellen Leben (deswegen die Chöre, die Schulen, die kulturellen
Gruppen usw.) organisieren. Die Partei war der all diese Teile verbindende Organismus, die organisatorische und ideologische Kohäsion der Arbeiterbewegung. Das Proletariat, die revolutionäre Klasse war verschwunden, um den kapitalistischen Kategorien Platz zu machen.
III. Das Proletariat/variable Kapital fand also seinen Ausdruck in
der sozialdemokratischen Partei. Die gewöhnlichen Erklärungen bezüglich
des Wesens der Sozialdemokratie, entweder anhand der Existenz der
Arbeiteraristokratie, oder dem Wirken einer reformistischen Führung, sind
besonders unzutreffend. Doch noch weniger real ist die Erklärung der
Sozialdemokratie als Repräsentantin der Mittelschichten der Bourgeoisie:
Professoren usw. Sie war die Repräsentantin des Proletariats als variables Kapital, nicht weniger und nicht mehr.
Sie war die Repräsentantin der modernen Entwicklung des Kapitals:
nationale Einigung, Übergang zur reellen Herrschaft, Konzentration der
Produktivkräfte, „Vergesellschaftung“, Laizisierung der Schule,
Organisation der Arbeitskraft, Entwicklung der wissenschaftlichen
Forschung, progressive Fusion der Wirtschaft und der Politik,
Staatsverehrung usw.
Was Lassalle und Bismarck, dann Bebel, Liebknecht, Kautsky, Volmar und
Bernstein zu tun versuchten, wird 1919 von Ebert, Noske und Scheidemann
verwirklicht. Das Wirtschaftsprogramm der Sozialdemokratie wird vom
Nationalsozialismus verwirklicht: Die unmittelbaren Forderungen des
Proletariats werden gegen dasselbe verwirklicht. Die Sozialdemokratie
war die politische Bewegung der Tendenz des Proletariats,
gesellschaftlich vorherrschende Klasse zu werden (innerhalb des
Kapitalismus, da Klasse und Proletariat/Arbeiterbewegung).
Die Analyse der sozialdemokratischen Praxis ist nicht das Ziel dieses
Textes, diese wäre sehr langwierig und würde eine vertiefte Studie
erfordern, die übrigens nie unternommen worden ist; doch wir können auf
der Ebene der alltäglichen Existenz der deutschen Gesellschaft gewisse
Züge skizzieren.
Die Sozialdemokratie stellte die unglaublichste Einbettungs- und
Disziplinierungskraft der Arbeiterklasse dar, im Austausch gegen ein
Feilschen um den Preis der Arbeitskraft; ihre Kontrolle über die
Gewerkschaften war absolut. „Die personelle Vereinigung, wovon wir
weiter oben sprachen, ist umso mehr garantiert, als dass es vereinbart
ist, dass die Gewerkschaften nur permanente Sekretäre, und
gewissermassen Funktionäre wählen, welche Mitglieder der Partei sind.“ [22]
Sie war eine wahrhaftige Gesellschaft in der Gesellschaft, ein Staat im
Staate mit ihren Gewerkschaften, Funktionären, Abgeordneten,
Frauenbünden, Jugendorganisationen, Journalisten und ihrer Presse (zu
der bis zu 89 Tageszeitungen gezählt werden können!),
Parteischule, einer wahrhaftigen Universität, ihren
Gemeindeabgeordneten, Kultur-, Turn- oder Musikgesellschaften,
Sanatorien, ihrem Geld, ihren Aktien usw. Ihre Organisation diente daher
als Grundlage für den deutschen Wiederaufbau nach dem Ersten Weltkrieg.
Diese enorme Maschine sonderte selbstverständlich eine Masse an
Berufstätigen, Gewerkschaftsbonzen und politischen Funktionären,
Journalisten und Ökonomen ab, die sehr schnell zu einer wirklichen
gesellschaftlichen Schicht mit ihren materiellen Interessen, ihrer
Mentalität, ihrem Gewicht in der politischen Waage wurden. Diese
Fraktion des Kleinbürgertums, welche wortwörtlich durch die Entwicklung
der Sozialdemokratie erschaffen wurde, wurde durch den Einschluss
eines beträchtlichen Teils des deutschen Klein- und Mittelbürgertums
gestärkt; alle „treibenden Kräfte“ der deutschen Gesellschaft schlossen
sich der Organisation an: Professoren, Intellektuelle, Akademiker,
Doktoren, Schriftsteller, Juristen, Ökonomen usw. Und selbstverständlich
wurde das Bündnis dieser verschiedenen Elemente sehr schnell zur
Grundlage der Führung der Partei selbst. Das Bündnis zwischen der
Arbeiterklasse (durch die Vermittlung der „Arbeiteraristokratie“ und
ihren verschiedenen gewerkschaftlichen und politischen Repräsentanten)
und der sozialdemokratischen Intelligenzija kam im Sinne einer
absoluten Unterordnung des deutschen Proletariats unter das
Mittelbürgertum der Partei, unter ihre Anführer zu Stande. Der
Burgfrieden von 1914 war darin schon vorgezeichnet. Und die Wurzeln der
marxistischen (d.h. kautskystischen, dann leninistischen) Ideologie
waren darin getränkt.
IV. Die „marxistische“ Theorie, die allen voran von Engels, und dann
Bernstein und Kautsky ausgearbeitet und formuliert wurde, geht von
dieser historischen Grundlage aus. Wir wiederholen hier die allseits
bekannte Analyse dieser ideologischen Wende nicht, die von Karl Korsch
ausführlich analysiert wurde und wozu sich auch Jean Barrot [Gilles
Dauvé] und Pierre Guillaume in ihren Nachworten zu Trois sources du marxisme [Die historische Leistung von Karl Marx] in den Cahiers Spartacus äusserten, sondern wir wollen nur die Basis dieser ideologischen Wende verstehen.
Das Bündnis/Herrschaftsverhältnis zwischen den Arbeitern und den
Intellektuellen innerhalb der Partei musste zwangsläufig zur daraufhin
in Was tun? von Lenin entwickelten Theorie führen. Kautsky
schrieb: „Das moderne sozialistische Bewußtsein kann nur erstehen auf
Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht. […] Der Träger der
Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz
[…] Das sozialistische Bewußtsein ist also etwas in den Klassenkampf
des Proletariats von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm
urwüchsig Entstandenes.“ [23]
Diese These ist freilich die Negation der Marxschen Hauptthese: „Es ist
nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr
gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ Von da an war und
wurde alles möglich. Die Trennung zwischen Sein und Bewusstsein auf der
Ebene der Theorie reflektierte die Trennung zwischen
konterrevolutionärer Praxis und revolutionärer Theorie. Die von Marx
formulierte Theorie des Proletariats wurde zur „marxistischen“ Theorie.
Die Kritik der politischen Ökonomie, der Bedingungen, die das
Proletariat unweigerlich dazu bringen, sie zu zerstören, wurde zur
Wissenschaft der Ökonomie und ihrer Gesetze. Die Dialektik wurde zu
einer Technik der formellen Logik. Die Kategorien des Denkens wurden
autonom. Der historische Materialismus wurde zu einer Methode für die
Wissenschaften (zu einem Moment des bürgerlichen Denkens). Die Theorie
verwandelte sich in Soziologie, Ökonomie, Rechtswissenschaft, Rezeptbuch
für die politische Aktion usw. Sie wurden zu einer Wissenschaft unter
anderen, zur höchsten Wissenschaft, zur Wissenschaft der Synthese. Denn
eine Sache ging in all dem vergessen: Die von Marx ausgearbeitete
Theorie war eine Theorie des Proletariats, eine Theorie der Bewegung der
praktischen Subversion der Gesellschaft, und nicht eine
Wissenschaft, der Begriff „wissenschaftlicher“ Sozialismus war nur eine
Antwort auf den „utopischen“ Sozialismus. Diese „Ideologisierung“ der
Theorie musste zwangsläufig mit der Trennung des Proletariats von seiner
Theorie einhergehen; sie wurde zur Theorie der Trennung, zur
theoretischen Grundlage der gesellschaftlichen Trennung. Sie tendierte
dazu, die gesellschaftliche Trennung als ewig zu theoretisieren, und
somit, sich in eine Theorie der gesellschaftlichen Bewegung als
ewige Bewegung zu verwandeln, zur Theorie der kapitalistischen Dynamik
des Werts, und v.a. dazu, das Endziel in der Versenkung verschwinden zu lassen: den Kommunismus
(siehe Bernstein: „Die Bewegung ist alles“). Die Trennung zwischen der
Ökonomie und dem Sozialismus wurde als historische Wahrheit beansprucht,
während der Ökonomismus wütete. Dieses Verschwinden des „Endziels“ in
der Versenkung ging mit einer Unkenntnis grundlegender Marxscher
Schriften (die Grundrisse) oder ihrer Bewertung als relativ
nebensächlich (Jugendschriften) einher, was die Strömung der Ablehnung
der unmittelbaren Bewegung selbst während punktuellen Momenten des
Bruchs nur stärkte.
Die Sozialdemokratie war das konterrevolutionärste Organ dieser Zeit: Da
sie intern die kapitalistische Gesellschaft neu erschuf, konnte sie
diese nur verewigen. Der Marxismus war die Musik dieser Symphonie und
wurde deshalb von allen „Revolutionären“ der Zeit kritisiert.
C. Anarchismus und kommunistische Bewegung
I. Um die qualitative Bedeutung der anarchistischen Bewegung zwischen
1875 und 1905 zu verstehen, müssen wir von zwei durch die Niederlage
des revolutionären Angriffs ausgelösten ideologischen Wenden ausgehen.
Allen voran verwandelte sich die „Partei Marx“ nach dem
Tod von Marx bekannterweise in die marxistische Partei, doch der Prozess begann schon
als er noch lebte; die letzte revolutionäre Intervention, die Kritik des Gothaer Programms, blieb privat, Marx und Engels begannen, gegenüber den Sozialdemokraten öffentlich
nachzugeben, obwohl Marx in etlichen Briefen die Marxisten hart
kritisiert, bleibt das sorgfältig kaschiert. In Tat und Wahrheit
bevorzugt er es, sich mehr oder weniger abseits all dieser Agitation zu
halten und unermüdlich seine 1871 unterbrochene Kritik der politischen
Ökonomie weiterzuführen, worin er so weit geht – ein Zeichen, dass er
sich auf der Höhe der Zeit und der kommenden Revolutionen platzierte –
sich dem Studium der russischen Wirtschaft und Gesellschaft zu widmen.
In dieser Tätigkeit repräsentierte er die revolutionäre Bewegung
inmitten eines konterrevolutionären Zyklus, und nicht in seiner
öffentlichen Tätigkeit, so mager sie auch gewesen sein mag (was sie
willentlich war), innerhalb der Sozialdemokratie, eine Tätigkeit, welche
ihn hin zu ambivalenten Positionen abgleiten liess, statt mit all diesen
Leuten zu brechen. Nach seinem Tod diente Engels, wie wir gesehen
haben, dem internationalen, d.h. sozialdemokratischen Marxismus als
Feigenblatt und all seine politische Tätigkeit war in ihrer Gesamtheit konterrevolutionär,
obwohl er weiterhin die Arbeit der ehemaligen Partei Marx
theoretisierte und der zukünftigen Bewegung einen wichtigen Beitrag
lieferte (Anti-Dühring, Dialektik der Natur, Ursprung der Familie
usw.), wobei er der Radikalität der revolutionären Kritik in einigen
Punkten in seinen Werken eine gewisse Würze nahm. Die Wende ist
vollbracht: Die von der „Partei Marx“ formulierte Theorie, welche der
Ausdruck der revolutionären Tätigkeit des Proletariats bis 1874 und der
kommunistischen Bewegung von ihrer Entstehung bis zu ihrer
Verwirklichung war, ist zu einem ideologischen System mit
wissenschaftlichen Ansprüchen geworden, das mehrere Sektionen enthält:
Ökonomie, Soziologie, Geschichte, Politik usw. Die Kategorie der
Totalität wird zu ihrem Gegenteil: anstatt Subversion der Gesellschaft
wird sie zur Gesellschaft selbst. Die Annahme dieses ideologischen
Systems durch die konterrevolutionäre Arbeiterbewegung verläuft übrigens
nicht ohne die Beseitigung oder Entstellung gewisser Aspekte. Die
Transformation der von Marx formulierten Theorie und der Organisationen,
welche sie beanspruchen, in organisatorische und ideologische Verlängerungen
des Systems geht mit dem Vergessen des Wesens des Kommunismus und der
kommunistischen Revolution einher. Die Franzosen (Jules Guesde und seine
Freunde) gehen sogar so weit, zum Kollektivismus zurückzukehren: Der Kreis ist geschlossen.
Die anti-autoritäre Partei hat sich übrigens auch verändert. Zuvor Sekte
innerhalb der Ersten Internationale und bis etwa 1875 – was einerseits
einer gewissen Unvollständigkeit des Verständnisses der wirklichen
Bewegung und des Wesens der proletarischen Revolution, andererseits der unmittelbaren
Kritik der Politik durch die Arbeiterklasse entsprach – wurde sie mit
dem Ankommen der vielen ihr beitretenden Kommunarden nach der Niederlage
zum Refugium von Arbeitergruppen, die sich hier und dort gegen die
Repression zur Wehr setzen, von einigen Revolutionären, die sich der
Niederlage verweigern. Alles in allem ist die anti-autoritäre Partei die
Fahne, rund um welche sich die Überlebenden verbünden. Doch es kommt zu
einem viel tieferen Phänomen; in unterschiedlichem Ausmass, je nach Ort
mehr oder weniger schnell, verjüngt neues Blut die Bewegung: Viele
Revolutionäre, man könnte gar sagen fast alle Revolutionäre,
wurden Teil davon, entweder um Anarchisten zu werden oder mit ihnen
zu arbeiten. Ein grosses zentrales Thema vereinigt sie alle: die Verweigerung der Sozialdemokratie, der offiziellen sozialistischen, etatistischen, parlamentarischen Bewegung usw., und somit des „Marxismus“. Seien es Pindy [24] oder Lefrançais [25],
welche die radikalste Fraktion der Kommune repräsentieren, William
Morris 1884 oder Nieuwenhuis 1893, es handelt sich um eine zeitlich und
räumlich vielfältige Bewegung. In Deutschland und in Schweden entsteht
die anarchistische Bewegung auf der Grundlage einer Spaltung innerhalb
der Sozialdemokratie. Ob die einen, wie Pindy oder Nieuwenhuis,
Anarchisten werden; die anderen, wie Morris oder Lefrançais, nicht,
ändert nichts am Problem. Es handelt sich hier um eine unumkehrbare
Bewegung. Und während die Marxisten aus „Realismus“ zu Kollektivisten werden, werden die Anti-Autoritären zu Kommunisten;
ein Phänomen, das ungefähr mit dem Tod Bakunins einsetzt, was nicht
ohne Bedeutung ist – die bakuninistische (kollektivistische)
anarchistische Bewegung war mit der Ersten Internationale, der Kommune
und ihren Folgen verbunden; es geht hier also nicht um den Versuch,
diese Epoche der anti-autoritären Bewegung zu erfassen, eine übrigens
sehr interessante Epoche, die jedoch nicht das Thema dieser Arbeit ist.
Folgendes sollte hingegen gesagt sein, es ist sehr wichtig, um diese globale Epoche
der Arbeiterbewegung (in ihrer Gesamtheit) zu verstehen und es bleibt
häufig im Dunkeln: Genau wie sich die Sozialdemokratie in der ideologischen
Kontinuität der von Marx und Engels formulierten Theorie des
Proletariats organisiert hat, gründete der kommunistische Anarchismus
auf der von Bakunin zwischen 1866 und 1873 formulierten Kritik des
Staates. Auf beiden Seiten handelt es sich um einen Wechsel der
Perspektive, doch in unterschiedliche Richtungen: Rückschritt auf einer
Seite, Überwindung auf der anderen (die Theorie von Bakunin wird als
Grundlage für eine zur Radikalität tendierenden Kritik benutzt).
II. In Tat und Wahrheit findet man alle grundlegenden Diskussionen der kommunistischen Bewegung und Theorie, geschminkt mit einem anarchistischen Vokabular und Apparat, in der anti-autoritären Bewegung zwischen 1875 und 1905 wieder. Der Anarchismus ist während dieser konterrevolutionären Periode das Refugium der „kommunistischen“ Leute und Ideen. Dieses Phänomen einer proletarischen und revolutionären Sekte, die das Wesentlichste des verknoteten Erbes des kommunistischen Projekts bewahrt, um es den künftigen Generationen, wenn auch auf eine partielle und mystifizierte Art und Weise, zu übermitteln, steht übrigens in einem direkten Zusammenhang mit der Verweigerung einer formellen Organisation. Es ist eben genau die Verweigerung einer Organisation als politische Partei, die es den Anarchisten erlaubte, dem Laufe der Zeit zwischen zwei revolutionären Angriffen zu widerstehen, da jeglicher Aufbau einer formellen Organisation oder Gruppierung während einer konterrevolutionären Periode nur diese Periode organisch bestätigen und entwickeln kann. Während dem Ersten Weltkrieg bilden sich die kommunistischen Gruppen oder Kerne auf der Grundlage der Kritik der Zweiten Internationale, nicht nur als theoretisches Korpus, sondern auch als Institution des Kapitals, und des Bruches damit, und die Anarchisten konnten in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem Grad der Organisation die revolutionäre Theorie während der Periode, die uns interessiert, mehr oder weniger bekräftigen. Der Platz fehlt hier für eine geschichtliche Abhandlung oder eine vertieftes Studium dieses Phänomens, doch wir können dessen Manifestation aufgrund eines unserer Meinung nach grundlegenden Beispiels veranschaulichen.
III. Die erste Diskussion betrifft den Gegensatz „kollektivistische
Anarchisten“ und „kommunistische Anarchisten“ und den Übergang von einer
Konzeption zur anderen. Es ist überaus klar, dass sich diese Diskussion
und alles, was sie begleitet (Problem des Überflusses, des Nehmens von
einem Haufen, der Berechnung der Arbeitszeit usw.), mit der wesentlichen, von Marx formulierten Problematik deckt (v.a. die Grundrisse und die Kritik des Gothaer Programms), die von allen Marxisten aufgegeben worden war (erst mit Pannekoek und den holländischen Tribunisten und Bordiga wird die Frage des Wesens
der kommunistischen Produktion wieder gestellt). Diese Problematik
wurde offenkundig auf diese absolute Art und Weise beiseite gelegt, weil
die historische Wirklichkeit nicht die kommunistische Revolution,
sondern die Entwicklung des Kapitals trug; die Arbeiterbewegung, eben
bestehend aus Arbeiter der Kapitalbewegung, konnte sich nicht
theoretisch mit einem Problem auseinandersetzen, das sie nicht einmal
versuchen konnte, zu lösen; nur einige Individuen und Gruppen, welche
trotz der Zeit die Perspektive des Kommunismus behielten, konnten sich
mit dem Problem auf kaum bewusste Art und Weise auseinandersetzen.
Wir werden die Entwicklung dieser Diskussion schlicht und einfach durch
eine Montage von Texten zeigen, welche wir mit einem „Marxschen“ Text
vergleichen (jedoch ohne diese Diskussion historisch aufzuarbeiten, eine
Studie, die mehr als einige Seiten verdienen würde und der wir uns als
nächstes widmen).
Der erste Text, welcher den anarchistischen Kommunismus erwähnt, erscheint im Februar 1876 in Genf in der Broschüre Travailleurs manuels partisans de l’action politique [Handarbeiter als Anhänger der politischen Aktion] und stammt von Dumartheray, Teil einer Gruppe von Flüchtlingen aus Lyon und den Savoyen, „L’Avenir“ [„Die Zukunft“].
Tatsächlich ist bis dahin der von Bakunin und v.a. James Guillaume verteidigte Kollektivismus das unangefochtene Prinzip.
„Die Internationale, wie sie aus ihrem Basler Kongreß 1869 hervorging, war kollektivistisch, aber sie war – auch in ihren fortschrittlichsten Sektionen – nur wenig anarchistisch. Sie war kollektivistisch im damaligen Sinne des Wortes, was bedeutete, daß der Boden, die Arbeitswerkzeuge, kurz, alle Produktionsmittel Kollektiveigentum sein würden und daß jeder Arbeiter, ob allein oder assoziiert, ein Recht auf das vollständige Produkt seiner Arbeit haben würde. Doch hatte sie keine klaren und bestimmten Vorstellungen über die Art und Weise, wie jedem Individuum oder jeder Assoziation der jeweilige Bodenanteil, die Rohstoffe und die Werkzeuge zugewiesen werden sollten, wie die Arbeit eines jeden gemessen und wie ein Wertmaßstab für den Tausch festgesetzt werden sollte. All dies sollte von der „Kollektivität" besorgt werden, und man achtete nicht allzusehr auf die Gefahr, daß diese „Kollektivität" in Wirklichkeit dann nichts anderes als eine Regierung sein könnte, das heißt einige Personen, die die Macht ergriffen und den anderen ihren Willen aufgezwungen hätten.“ [26]
„DAS EIGENTUM: Wir haben bereits gesagt, daß das individuelle Eigentum aufgehoben wird, besser noch, daß seine Aufhebung und die Beseitigung sämtlicher sich vorgeblich aus ihm ergebender Rechte (Erbschaft usw.) notwendige Voraussetzung für den Sieg der Solidarität in den menschlichen Beziehungen darstellt. Wir möchten jetzt einige Worte zu dem organisatorischen System sagen, das an die Stelle des Systems des Privateigentums treten wird.
Die Internationale war lange Zeit kollektivistisch, das heißt sie wollte, daß der Boden, Rohstoffe, Arbeitswerkzeuge, kurz, alles, was der Mensch für seine – produktive – Tätigkeit braucht, Kollektiveigentum würde, dessen ein jeder sich für seine Arbeit bedienen dürfe; sie wollte, daß das Produkt der Arbeit voll und ganz dem Arbeiter gehöre, sei dieser nun allein oder assoziiert, mit Ausnahme des proportionellen Anteils für die allgemeinen Ausgaben.
Daraus folgten die Formeln: einem jeden nach seiner Arbeit, oder, was das gleiche ist: dem Arbeiter das vollständige Produkt seiner Arbeit – wer arbeitet, ißt, wer nicht arbeitet, ißt nicht - es sei denn, es bestünde Arbeitsunfähigkeit: in diesem Fall hätte der Arbeitsunfähige das Recht, von der Gesellschaft die zur Befriedigung seiner Bedürfnisse erforderlichen Mittel zu erhalten.
Doch ist der Kollektivismus Gegenstand zahlreicher, schwerwiegender Einwände.
In ökonomischer Hinsicht beruht er voll und ganz auf dem Prinzip, daß sich der Wert des Produkts nach der zu seiner Herstellung erforderlichen Arbeitszeit bemißt. Nun ist es aber unmöglich, den so definierten Wert festzusetzen, wenn man nicht nur die Dauer oder andere der Arbeit äußerliche Elemente berücksichtigen will, sondern auch die gesamte mechanische und intellektuelle Anstrengung, die diese erfordert. Da außerdem die verschiedenen Bodenanteile mehr oder weniger produktiv und die Arbeitswerkzeuge nicht alle von der gleichen Qualität sind, würde jeder versuchen, den besten Boden oder die besten Werkzeuge zu erhalten, ebenso wie er versuchen würde, den eigenen Produkten den größten Wert und den Produkten der anderen den kleinstmöglichen Wert zuzumessen, so daß die Verteilung der Werkzeuge und der Austausch der Produkte schließlich nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage erfolgen würden, was einen Rückfall in die Konkurrenz, in die bürgerliche Welt bedeuten würde.
Vor allem jedoch ist der Kollektivismus mangelhaft in Bezug auf seine sittliche Grundlage. Er gründet sich, genau wie die bürgerliche Ideologie, auf das Prinzip des Kampfes, nur versucht er, zwischen den Kämpfern von Beginn an Gleichheit herzustellen. Läßt man das Prinzip des Kampfes gelten, dann gibt es zwangsläufig Sieger und Besiegte, und wer den ersten Sieg davonträgt, erwirbt sich Vorteile, die ihm fast immer noch größere Siege sichern. Der Kollektivismus ist unfähig, jene Revolution, jene tiefgreifende sittliche Veränderung des Menschen herbeizuführen, in deren Folge niemand mehr etwas tun wird und tun wollen wird, das anderen schaden könnte: deshalb ist er unfähig, sich zu halten. Er ist unvereinbar mit der Anarchie; er bedürfte einer regulierenden und mäßigenden Macht, die jedoch unterdrückerisch und ausbeuterisch werden und den Weg zuerst zum korporativen und dann zum individuellen Eigentum bereiten würde.“ [27]
„In Italien waren wir nur einige wenige (Cafiero, Covelli, Costa, ich selbst und ein oder zwei andere, an die ich mich nicht mehr erinnern kann), welche zum Entschluss kamen, den Kollektivismus aufzugeben, der bis anhin in der Internationale propagiert wurde, und die Delegierten am Kongress von Florenz (1876) dazu zu bringen, den Kommunismus zu akzeptieren, was somit für die gesamte italienische Föderation der Internationale galt...“ [28]
„Eine wichtige Thatsache ist der Beitritt des italienischen Sozialismus zur Gemeinschaftlichkeit des Arbeitsertrages...“ [29]
„Die italienische Föderation betrachtet das kollektive Eigentum der
Produkte der Arbeit als notwendige Ergänzung zum kollektiven
Fortschritt; der Einsatz aller zur Befriedigung eines jeden ist die
einzige Regel der Produktion und des Konsums, welche dem Prinzip der
Solidarität entspricht.
Der föderale Kongress von Florenz hat auf redegewandte Art und Weise die
Meinung der Italienischen Internationale zu diesem und dem
vorhergehenden Punkt aufgezeigt.
Gruss und Solidarität,
Die föderalen italienischen Abgeordneten am Kongress von Florenz
Errico Malatesta, Carlo Cafiero.“ [30]
„In Italien haben wir uns viel mit diesen Fragen beschäftigt. Einig mit den Internationalisten aller Länder hinsichtlich des Prinzips, daß alle Arbeiter sein müßten, daß niemand die Möglichkeit haben dürfte, durch die Unterdrückung und Ausbeutung der anderen zu leben und daß Brüderlichkeit und Solidarität unter allen Menschen an die Stelle von Kampf und Konkurrenz für einen Wohlstand auf Kosten anderer treten müssen, waren wir allerdings der Auffassung, daß im Kollektivismus weiterhin ein Grund zum Kampf um die Zuteilung der vorteilhaftesten Produktionsmittel und um den Wert, den ein jeder seinen eigenen Produkten im Vergleich zu den anderen würde geben wollen, vorhanden war.“ [31]
Im April oder Mai 1877 erscheint in Bern in der Schweiz eine Broschüre, Statuten der anarchistisch-kommunistischen Partei der Leute deutscher Sprache, welche unter den Einfluss von Brousse, Costa und Kropotkin von deutschen Arbeitern geschrieben wurde, welche der Gruppe mit Emil Werner, Rinke und Reinsdorf angehörten, jene Leute, welche später die Gruppe rund um Freiheit von Johann Most bildeten. Im September 1877 am Kongress von Verviers der Internationale entsteht eine grosse Debatte zwischen Costa und Brousse einerseits, die den Kommunismus unterstützten, gegen die Spanier Morago und Vinas andererseits, die den Kollektivismus verteidigten. Doch ab 1879 wird der Kommunismus – ausser von den Spaniern der Föderation der Arbeiter, die Vorgängerorganisation der zukünftigen CNT und einigen Ausnahmen wie die Anarchosyndikalisten avant la lettre James Guillaume und Adhémar Schwitzguébel, die den Bakuninschen Kollektivismus der alten Jurassischen Föderation repräsentieren – von der gesamten revolutionären anarchistischen Bewegung ins Programm aufgenommen (wir sprechen natürlich nicht von den Individualisten, den Proudhonianern, Mutualisten).
„Die Anarchisten wollen für die Zukunft:
1) den anarchistischen Kommunismus als Ziel, mit dem Kollektivismus als Übergangsform des Eigentums...“ [32]
„An den ersten Kongressen der Internationale des französischen Proletariats gab es nur einige Arbeiter, welche die Idee des kollektiven Eigentums akzeptierten. Es brauchte die Beleuchtung der ganzen Welt durch die Brände der Kommune, um die revolutionäre Idee zu prüfen und zu verbreiten, was uns zum Kongress von Le Havre führt, der durch die Stimme von 48 französischen Arbeitern den libertären Kommunismus als Ziel anerkennt.“ [33]
„JEDEM NACH SEINEN BEDÜRFNISSEN, JEDEM NACH SEINEN FÄHIGKEITEN:
...Wir fügen an, dass das Eingeständnis, dass jeder nur das Recht auf
den Konsum seiner Produktion hat, die Erschaffung der deutlichsten
Ungleichheit darstellt, es bedeutet, gegen die natürlichen Gesetze in
den Aufstand zu treten, die einzigen, welche unveränderlich sind. Kurz,
es bedeutet die Rekonstitution dieses individuellen Eigentums in
kürzester Zeit, jenes individuellen Eigentums, gegen welches wir uns
heute erheben und welches die Ursache all unserer Übel und all unseres
Elends ist.
Wenn wir jedem Arbeiter das Recht anerkennen, die Frucht seiner
Produktion sein eigen zu nennen, wird wohl tatsächlich eingeräumt werden
müssen, dass er frei sein wird, sie zu konsumieren oder nicht, oder
zumindest davon nur so viel zu konsumieren, wie er möchte, um den
Mehrertrag zu sparen und eines Tages von den Aufwänden der Produktion
befreit zu sein.
Wenn die Mitglieder der Gesellschaft frei sind, das Produkt zu
konsumieren oder nicht, wie werdet ihr dieses jeder gut organisierten
Gesellschaft notwendige Gleichgewicht erstellen, d.h. das Gleichgewicht
zwischen der Produktion und dem Konsum...
Gehen wir von zwei zusammenlebenden Wesen aus, jedoch unter
gegenteiligen natürlichen Bedingungen; der eine ist zur Produktion
unfähig mit einem Temperament, das einen ausgiebigen Konsum braucht; der
andere hingegen ist voller Intelligenz, doch hat ein Wesen, das sich
mit guten Lebensmitteln zur Garantie seiner Existenz begnügen kann;
diese zwei Wesen sind gleich, die Gesellschaft folgt ihnen, gibt ihnen
alles, was sie brauchen bis ins Mannesalter, doch ab diesem Alter sind
sie auf sich allein gestellt. Was wird geschehen? Der eine wird nicht
einmal genug produzieren können, um satt zu werden, während der andere
nie wenig genug arbeiten können wird, um nur das zu produzieren, was er
braucht... Wenn der Zweite nicht sein gesamtes Produkt konsumieren kann,
warum nicht eingestehen, dass der Erste davon profitieren kann?“ [34]
Man sieht in diesen paar Auszügen sehr klar, wie die kommunistische
Produktion durch ihre grundlegenden Prinzipien eingegrenzt ist:
- die gesellschaftliche Produktion ist unmittelbar,
- der Tausch ist abgeschafft,
- die Arbeitszeit ist nicht mehr der Massstab der menschlichen Tätigkeit und somit ist der Wert abgeschafft,
- die Produktion orientiert sich an der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse.
Und das kommunistische Programm des 19. Jahrhunderts, unter der formellen Herrschaft, ist klar skizziert: Die Arbeit wird auf alle ausgeweitet, da ihre Abschaffung damals nicht möglich war.
Doch schon sehr schnell entstehen Probleme, die Anhänger des
Kollektivismus machen den Einwand geltend, dass es den Überfluss auf der
Erde brauche, um dieses Ideal zu verwirklichen, und dass dieser nicht
existiere. Zu diesem Zeitpunkt entwickelt sich eine simplistische und
dogmatische kommunistisch-anarchistische Strömung, die behauptet, die
Verwirklichung des Kommunismus sei in Anbetracht des in der
kapitalistischen Gesellschaft bereits vorherrschenden Überflusses
unmittelbar ohne Übergangsphase möglich. Diese „amorphe“ Strömung
begnügt sich danach mit der Beschreibung eines subutopischen Systems der
idealen Gesellschaft, ohne sich mit der wirklichen Bewegung zu
befassen, die dorthin führt, und dies sogar während die bürgerliche
Gesellschaft zerstört wird. Auf diese Ideologie des „Nehmens von einem
Haufen“ antwortet Malatesta mit einer Präzisierung des Inhalts des
Kommunismus, indem er ihn als zu erreichendes Ziel und sich entwickelnde
menschliche Bewegung präsentiert, er macht nach der Revolution den
Umweg über die kollektivistische Organisation mit allem, was sie an
„bürgerlichem Recht“ voraussetzt, diese Etappe wird als notwendig
betrachtet. Malatesta muss sehr lange gegen den simplistischen und
dogmatischen Anarchismus-Kommunismus kämpfen, er war sehr schnell
vorherrschend und wurde gegen das Ende des Jahrhunderts unter der
Schirmherrschaft von Kropotkin die Norm. Merlino steht ihm in seiner
Kritik während den 1880er Jahren bei. Zitieren wir noch zweimal
Malatesta:
„Alles gehört allen, alles wird zum Vorteil aller genutzt; jeder
muß für die Gesellschaft alles in seinen Kräften Stehende tun und hat
das Recht, von der Gesellschaft die Befriedigung seiner sämtlichen
Bedürfnisse entsprechend dem Stand der Produktion und der
gesellschaftlichen Kräfte zu fordern. (Malatesta fährt fort, dass es
dafür notwendige Bedingungen gibt: 1) moralische, 2) materielle: ein
Überfluss der Produktion, damit jeder konsumieren kann, ohne seine
Arbeitszeit zu zählen, und eine Organisation der Arbeit, welche weder
für irgendjemanden abstossend, noch mühsam ist.)
Man kann diesen Widersprüchen abhelfen, indem man den Kommunismus sofort
nur an den Orten und in den Grenzen verwirklicht, wie sie die Umstände
gestatten und im übrigen, jedoch nur vorübergehend, den
Kollektivismus akzeptiert. In den ersten Zeiten wird der Kollektivismus,
von der Begeisterung des zu neuem Leben erwachten Volkes korrigiert und
vom mächtigen revolutionären Impuls gedrängt, keine Zeit haben, seine
schlechten Auswirkungen hervorzubringen. Um jedoch später einen Rückfall
in die bürgerliche Ideologie zu vermeiden, wird er sich rasch zum
Kommunismus hin entwickeln müssen. Und dabei wird die Aktion einer
bewußt kommunistischen Partei, die Aktion der Internationale, von
lebenswichtiger Bedeutung sein.
Die Internationale muß den Kommunismus überall vertreten; sie muß auf
die Vorteile verweisen, die sich dort ergeben haben, wo er praktiziert
wurde; sie muß zu veranlassen suchen, daß so viele Dinge wie möglich in
Gemeinbesitz überführt werden. Vor allem muß sie fordern, daß der
Kommunismus sofort und vollständig über die Dinge hinaus, wo er schon
jetzt Anwendung findet,
wie Wasser, gewöhnliche Straßen, Beleuchtung, öffentliche Hygiene usw.
auf Wohnungen, Bildung, Krankenpflege, Kinderversorgung und die
notwendigsten Lebensmittel angewandt wird, bevor er sich allmählich auf
sämtliche Produktionszweige ausdehnt. (Danach greift Malatesta die
Ideologie des Nehmens von einem Haufen heftig an.)“ [35]
„Mit Ausnahme der extremen Fragen haben wir keine Gründe, uns, im
Fieber der Entscheidung, was die künftige Gesellschaft, mit
Übertreibungen und Details, verschieden je nach Ort und Zeit, genau sein
möge, in kleine Kommissionen zu spalten, obwohl wir weit davon entfernt
sind, alle Ressourcen und möglichen Kombinationen davon vorherzusehen.
Es gibt z.B. keinen Grund, uns über Fragen wie diese zu spalten: ob die
Produktion ein tieferes oder höheres Niveau haben wird; ob die
Landwirtschaft komplett mit der Industrie verbunden sein wird; ob es
über grosse Distanzen möglich sein wird, den Tausch auf der Grundlage
der Gegenseitigkeit zu organisieren; ob alle Dinge gemeinschaftlich oder
gemäss einer Norm genutzt sein werden; oder ob der Gebrauch von einem
davon mehr oder weniger besonders sein wird. Schliesslich werden die
Modalitäten und Besonderheiten der Vereinigungen und der Bündnisse, der
Organisation der Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens weder
einheitlich sein, noch können sie im Vornhinein vorhergesehen oder
bestimmt werden.
Wir können die Veränderungen der Industrie, der Sitten, der
Produktionsmechanismen, des Aussehens der Städte, der Beschäftigungen,
der Gefühle der Menschen und der Beziehungen und gesellschaftlichen
Verbindungen nicht planen, oder nur sehr vage. Es ist zumindest absurd,
uns aufgrund einfacher Hypothesen zu spalten. Die Unterscheidung
zwischen dem anarchistischen Kollektivismus und dem Kommunismus ist auch
eine Frage der Modalitäten und der Übereinkünfte.
Es ist gewiss, dass die ’Vergütung gemäss ausgeführten Arbeiten’, die
von den Kollektivisten befürwortet wird, zu einer ungleichen
Akkumulation der Produkte und einer Rückkehr des Wuchers führen kann;
ausser die Akkumulation und der Wucher wären aufgrund von Verboten und
Besteuerungen unmöglich, die nur despotisch und hassenswert sein
könnten. Andererseits könnte das ’Nehmen nach Belieben’ der reichlich
vorhandenen Produkte und die Beschaffung weniger reichlich vorhandener
Produkte auch zu Willkür und erniedrigenden Pflichten führen. Das
kommunistische System ist also nicht frei von jeglichen Nachteilen.
Wir sind entschlossen kommunistisch. Doch darin muss das
wissenschaftlich Bewiesene von dem unterschieden werden, was sich noch
im Zustand von Hypothesen und Prognosen präsentiert; man muss zwischen
dem entscheiden, was auf revolutionäre Art und Weise gemacht werden
wird, d.h. durch Zwang und unmittelbar, und dem, was das Resultat der
zukünftigen Entwicklung sein soll, vertrauen wir also auf die freien
Energien aller, welche spontan und schrittweise harmonisiert werden.“ [36]
Vergleichen wir das mit Marx selbst, in seiner Kritik des Gothaer Programms schreibt er 1875:
„Um zu wissen, was man sich bei dieser Gelegenheit unter der Phrase
’gerechte Verteilung’ vorzustellen hat, müssen wir den ersten
Paragraphen mit diesem zusammenhalten. Letzterer unterstellt eine
Gesellschaft, worin ’die Arbeitsmittel Gemeingut sind und die
Gesamtarbeit genossenschaftlich geregelt ist’, und aus dem ersten
Paragraphen ersehn wir, daß ’der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach
gleichem Rechte, allen Gesellschaftsmitgliedern gehört’. ’Allen
Gesellschaftsgliedern’? Auch den nicht arbeitenden? Wo bleibt da ’der
unverkürzte Arbeitsertrag’? Nur den arbeitenden Gesellschaftsgliedern?
Wo bleibt da ’das gleiche Recht’ aller Gesellschaftsglieder? […]
Nehmen wir zunächst das Wort ’Arbeitsertrag’ im Sinne des Produkts der Arbeit, so ist der genossenschaftliche Arbeitsertrag das gesellschaftliche Gesamtprodukt.
Davon ist nun abzuziehen:
Erstens: Deckung zum Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel.
Zweitens: zusätzlicher Teil für Ausdehnung der Produktion.
Drittens: Reserve- oder Assekuranzfonds gegen Mißfälle, Störungen durch Naturereignisse etc.
Diese Abzüge vom ’unverkürzten Arbeitsertrag’ sind eine ökonomische
Notwendigkeit, und ihre Größe ist zu bestimmen nach vorhandenen Mitteln
und Kräften, zum Teil durch Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber sie sind
in keiner Weise aus der Gerechtigkeit kalkulierbar.
Bleibt der andere Teil des Gesamtprodukts, bestimmt, als
Konsumtionsmittel zu dienen. Bevor es zur individuellen Teilung kommt,
geht hiervon wieder ab:
Erstens: die allgemeine, nicht direkt zur Produktion gehörigen Verwaltungskosten.
Dieser Teil wird von vornherein aufs bedeutenste beschränkt im Vergleich
zur jetzigen Gesellschaft und vermindert sich im selben Maß, als die
neue Gesellschaft sich entwickelt.
Zweitens: was zur gemeinschaftlichen Befriedigung von Bedürfnissen bestimmt ist, wie Schulen, Gesundheitsvorrichtungen etc.
Dieser Teil wächst von vornherein bedeutend im Vergleich zur jetzigen
Gesellschaft und nimmt im selben Maß zu, wie die neue Gesellschaft sich
entwickelt.
Drittens: Fonds für Arbeitsunfähige etc., kurz, für, was heute zur sog. offiziellen Armenpflege gehört.
Erst jetzt kommen wir zu der ’Verteilung’, die das Programm, unter
Lassalleschem Einfluß, bornierterweise allein ins Auge faßt, nämlich an
den Teil der Konsumtionsmittel, der unter die individuellen Produzenten
der Genossenschaft verteilt wird.
Der ’unverkürzte Arbeitsertrag’ hat sich unterderhand bereits in den
’verkürzten’ verwandelt, obgleich, was dem Produzenten in seiner
Eigenschaft als Privatindividuum entgeht, ihm direkt oder indirekt in
seiner Eigenschaft als Gesellschaftsglied zugut kommt. […]
Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht,
also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet
ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie
herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent - nach den Abzügen -
exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein
individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag
besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden. Die individuelle
Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil
des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der
Gesellschaft einen Schein, daß er soundso viel Arbeit geliefert (nach
Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit
diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln
soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit,
das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der
andern zurück.
Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch
regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind
verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann
außer seiner Arbeit und weil andrerseits nichts in das Eigentum der
einzelnen übergehn kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber
die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft,
herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es
wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer
andern ausgetauscht.
Das gleiche Recht ist hier daher immer noch - dem Prinzip nach - das bürgerliche Recht,
obgleich Prinzip und Praxis sich nicht mehr in den Haaren liegen,
während der Austausch von Äquivalenten beim Warenaustausch nur im Durchschnitt, nicht für den einzelnen Fall existiert.
Trotz dieses Fortschritts ist dieses gleiche Recht stets noch mit einer bürgerlichen Schranke behaftet. Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportionell; die Gleichheit besteht darin, daß an gleichem Maßstab,
der Arbeit, gemessen wird. Der eine ist aber physisch oder geistig dem
andern überlegen, liefert also in derselben Zeit mehr Arbeit oder kann
während mehr Zeit arbeiten; und die Arbeit, um als Maß zu dienen, muß
der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden, sonst hörte sie
auf, Maßstab zu sein. Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht
für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil
jeder nur Arbeiter ist wie der andre; aber es erkennt stillschweigend
die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der
Arbeiter als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht.
Das Recht kann seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab
bestehn; aber die ungleichen Individuen (und sie wären nicht verschiedne
Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären) sind nur an gleichem
Maßstab meßbar, soweit man sie unter einen gleichen Gesichtspunkt
bringt, sie nur von einer bestimmten Seite faßt, z.B. im gegebnen Fall sie nur als Arbeiter
betrachtet und weiter nichts in ihnen sieht, von allem andern absieht.
Ferner: Ein Arbeiter ist verheiratet, der andre nicht; einer hat mehr
Kinder als der andre etc. etc. Bei gleicher Arbeitsleistung und daher
gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also
der eine faktisch mehr als der andre, ist der eine reicher als der andre
etc. Um alle diese Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt
gleich, vielmehr ungleich sein.
Aber diese Mißstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der
kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen
Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist. Das Recht kann
nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte
Kulturentwicklung der Gesellschaft.
In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die
knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit,
damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden
ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das
erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung
der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle
Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst
dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden
und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen
Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“
Wie man sehen kann, ist diese Demonstration schlüssig und wir könnten sie mit anderen Beispielen fortsetzen:
- zum Problem der Gewerkschaft und des Syndikalismus:
ein sehr heftiger Widerstand gegen den revolutionären Syndikalismus
oder den Anarchosyndikalismus (v.a. Malatesta, aber auch Nieuwenhuis),
oder sogar gegen die gewerkschaftliche Aktion selbst (Paraf-Javal [37] z.B.) trat in der anarchistischen Bewegung zutage, er ging der praktischen Kritik des deutschen Proletariats während der Bewegung der Arbeiterräte voraus.
Zitieren wir einfach einige sehr charakteristische Sätze:
„Kurz, die Gewerkschaften sind ihrer Natur nach reformistisch, niemals revolutionär. […] Die Gewerkschaft kann mit einem sozialistischen, revolutionären oder anarchistischen Programm aus der Taufe gehoben werden, und das war bei vielen Gewerkschaften tatsächlich der Fall. Aber treu bleiben sie diesem Programm nur, solange sie schwach und ohnmächtig sind, d. h. solange sie von ein paar Enthusiasten und Idealisten initiierte und am Leben erhaltene Propagandagruppen, nicht aber zu effektiver Aktion fähige Organismen sind. Wenn sie erst einmal die Massen anzuziehen wissen und damit die Macht erlangen, Verbesserungen zu fordern und zu erzwingen, wird das ursprüngliche Programm zu einer hohlen Phrase, um die sich niemand mehr kümmert.“ [38]
„Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter sind die schlimmsten Feinde der Revolution.“ [39]
„Was ist eine Gewerkschaft? Es ist eine Gruppierung, in welcher sich Idioten nach Berufen sortieren, um zu versuchen, die Verhältnisse zwischen Bossen und Arbeitern etwas weniger unerträglich zu machen. Entweder, oder: Entweder haben sie keinen Erfolg, dann ist die gewerkschaftliche Arbeit nutzlos, oder sie haben Erfolg, dann ist die gewerkschaftliche Arbeit schädlich, denn eine Gruppe von Menschen wird ihre Situation erträglicher gemacht haben und somit die gegenwärtige Gesellschaft länger fortbestehen lassen.“ [40]
- zum Problem der politischen Aktion, dessen zwei Achsen der Parlamentarismus und die Eroberung des Staates sind. Auch hier schaffen es die Anarchisten, da sie die Lektion der Kommune gelernt und sich eigentlich die Demonstration des jungen Marx zur Politik angeeignet haben, das wirkliche Wesen der proletarischen Bewegung hervorzuheben. Während die Teilnahme am politischen Spiel anfangs (1848-1850, 1864-1873) noch akzeptabel war aufgrund von einer gewissen Anzahl an historischen Bedingungen, die man übrigens in Frage stellen könnte, was hier jedoch nicht unsere Absicht ist, kommt sie nach 1871 nicht mehr in Frage und die Beteiligung der Sozialdemokraten an der schrecklichen parlamentarischen Farce erlaubt den Anarchisten, daraus alle nötigen theoretischen Konsequenzen zu ziehen. Was die Eroberung des Staates betrifft, sind die Anarchisten mit der Praxis eben dieser Sozialdemokraten konfrontiert, mit ihrem Eindringen in die Regierungsgesellschaft; sie brauchen nur noch die Konsequenzen daraus zu ziehen, womit sie zur gleichen Schlussfolgerung bezüglich der Notwendigkeit der Zerstörung der Staatsmaschine kommen wie Marx in Der Bürgerkrieg in Frankreich von 1871. Wir werden diesen Punkt nicht vertiefen, da der Text von Nieuwenhuis [Le Socialisme en danger] die hierfür passende Argumentation darstellt; obwohl sich andererseits auch eine umgekehrte Strömung manifestiert, welche auf Bakunin zurückgeht und zum Anarchosyndikalismus führt.
IV. Offenkundig hindern die Grenzen des Anarchismus selbst ihn daran, zur Analyse der wirklichen Bewegung überzugehen,
obwohl er es geschafft hat, die Kritik der Sozialdemokratie, der
Politik und des Syndikalismus und das Wesen der
kommunistischen Produktion auszudrücken.
Der Kritik des Staates liegt die Illusion einer föderativen Gesellschaft
zugrunde, die auf der Autonomie der Kommunen basiert, ein historischer
und präkapitalistischer Rückschritt.
Der Kritik der politischen Aktion liegt der Kult der putschistischen
oder illegalen Aktion und der Propaganda zugrunde und sie bleibt auf
einer ideologischen Ebene.
Die Kritik des Syndikalismus bei einigen wird vom Kult der
„wirtschaftlichen“ Aktion bei anderen und, bei vielen davon, jenem des
Syndikalismus begleitet.
Die Kritik des Parlamentarismus wird mit dem Glauben an seine vollendete
Form und seine Verwirklichung kompensiert, die direkte Demokratie.
Schliesslich haben sie überhaupt keine Theorie über die herrschenden
Bedingungen in der Entwicklung des Kapitals, die zur Entstehung vom
Kommunismus als Bewegung und als Gesellschaft führen; ihr Weltbild ist
ideologisch, es übernimmt die bürgerliche Dichotomie:
Individuum/Gesellschaft, Wirtschaft/Politik usw.
Humanismus, Wissenschaftsgläubigkeit, Idealismus und Demokratismus
begleiten eine utopische Vision einer neuen Welt, die der Welt bloss
gezeigt werden muss und durch einfachen Willen verwirklicht werden kann.
Das Buch von Nieuwenhuis stellt den lebendigen Beweis dafür dar, v.a.
die beiden letzten Texte.
All diese Eigentümlichkeiten sind die Gründe, welche aus dem Anarchismus eine revolutionäre Ideologie in einer konterrevolutionären Periode gemacht haben, aber keine Grundlage für eine revolutionäre Theorie in Perioden des revolutionären Aufschwungs.
Für eine solche Theorie wird Marx die Grundlage sein (Trotzki, Rosa
Luxemburg, J. Knieff, A. Pannekoek usw.), obwohl die Anarchisten in praktischer
Hinsicht im revolutionären Aufschwung, und dann im revolutionären
Angriff von 1919 bis 1921 eine wichtige Rolle spielen werden, entweder
direkt (Italien, Russland), oder durch auf die „Arbeiterfrage“
fokussierte Organisationen wie die IWW oder FAUD (USA und Deutschland).
Die Wiedergeburt der proletarischen Bewegung gegen 1905 wird ziemlich
überall einen Rückgang des revolutionären Anarchismus bringen (ausser
vielleicht in Italien und Spanien) und die Blütezeit der besonderen
Anarchismen, mehr oder weniger bedeutender Sekten: „Illegalismus“,
„Anarchosyndikalismus“, Anarchismus mit kulturellen Ansprüchen (freie
Bildung, Freikörperkultur, Nomadismus, Vegetarismus usw.), die seine
historische Dekadenz bedeuten werden, welche Kropotkin während seinem
Kriegseintritt auf Seiten der Alliierten bestätigen wird. Der Lauf der
Zeit war jedoch verknotet worden, gut verknotet. Die jungen
„marxistischen“ revolutionären Theoretiker werden – sogar ohne es zu wissen und entgegen ihren Erklärungen
– das Wesentliche des anarcho-kommunistischen Inhalts
(Anti-Parlamentarismus, Anti-Etatismus) wieder aufnehmen, ohne
allerdings auf der Ebene der Vision der zukünftigen Gesellschaft gleich
weit zu gehen, denn das Problem der kommunistischen Produktion wird bis
zur Arbeit der holländischen Rätekommunisten und danach der
italienischen Linken, schon lange nach der Niederlage, fast nie in
irgendeiner Debatte der Bewegung erwähnt.
D. Revolutionäre Theorie und historische Zyklen
I. Die kommunistische Bewegung ist mit der offiziellen Errichtung der bürgerlichen Zivilgesellschaft geboren worden. Sie schmiedet ihre ersten Waffen im Laufe der bürgerlichen Revolution, von Beginn weg der kapitalistischen Gesellschaft spricht sie ihre erste Bekräftigung aus. Der Kapitalismus trägt seit seiner historischen Gründung den Kommunismus in sich und die kommunistische Bewegung, welche durch die Dynamik des Werts hervorgebracht worden ist, bürdet dem Kapital und der Bourgeoisie die Notwendigkeit auf, von ihrer eigenen Revolution ausgehend die Konterrevolution zu organisieren. Die erste Niederlage des Proletariats ereignete sich während der bürgerlichen Revolution selbst (Enragés, Sansculotten, Babeuf usw.). Was bedeutet, dass das kommunistische Programm im Innern der kapitalistischen Entwicklung selbst eingraviert ist und dass es sie wie ein feindlicher Doppelgänger, ein böser Schatten begleitet. Die kommunistische Bewegung existiert also während der ganzen kapitalistischen Epoche, von Anfang an bis zu ihrem Ende; es handelt sich um eine Bewegung, die revolutionäre und konterrevolutionäre Zyklen durchquert, was ein Ausdruck des grundlegenden Widerspruchs des Kapitals ist, das sich schlichtweg entwickelt. Die wirkliche Bewegung des Proletariats, die revolutionäre Bewegung entsteht nur in revolutionären Zyklen, bestimmt werden sie von der Wirtschaftskrise, die sich teilweise mit der konstanten Krise des Werts deckt, sie bis zur Endkrise reproduziert und durch sie zyklisch reproduziert wird. Nach jedem besiegten revolutionären Angriff liquidiert die sich ausbreitende Konterrevolution ein bisschen mehr die Vermittlungen zwischen der kommunistischen Bewegung und dem kommunistischen Programm. Die kommunistische Theorie wird sich also während dem nächsten Angriff neu formieren können, sie integriert das Programm und die wirkliche Bewegung und befruchtet sie getragen von der Praxis der revolutionären Klasse. Die Unterscheidung zwischen dem Programm und der Theorie ist also sehr wichtig, um die praktische Verbindung zwischen den Momenten des Bruchs zu erfassen.
II. Die Momente des revolutionären Aufschwungs sind gleichbedeutend
mit der Wiederaufnahme der revolutionären Theoretisierung. Das
Wiedererscheinen der kommunistischen Bewegung als gesellschaftliche
Bewegung, und nicht mehr einfach als objektive Bewegung des Werts
(Erschaffung der Bedingungen des revolutionären Angriffs selbst),
erlaubt es der Theorie, zur Theorie der gesellschaftlichen Bewegung,
Theorie der Praktiken des Bruchs der Klasse zu werden. „Hier ist der
Übergang von der ’Theorie des Endziels’, welche gewissermassen die
Zukunft verdinglichte, indem sie das Ziel (den Kommunismus) von seiner
Bewegung abstrahierte, da dieses nicht existierte, zur kommunistischen
Theorie, welche sich als Theorie einer gesellschaftlichen Bewegung,
einer wirklichen Tendenz der Gesellschaft hin zum Kommunismus
entwickelt." [41]
Es geht also nicht um eine Umsetzung in die Tat, eine irdische
Verwirklichung der Theorie, die während dem ganzen konterrevolutionären
Zyklus wie eine Reliquie aufbewahrt worden wäre und auf die wirklichen
Möglichkeiten angewendet werden müsste. Es geht um eine verallgemeinerte Aneignung der Theorie durch die Kommunisten,
d.h. eine Hervorbringung der Theorie der wirklichen Bewegung selbst,
eine Hervorbringung der Theorie durch die wirkliche Bewegung, unter dem
Zwang der Krise. Diese Aneignung/Hervorbringung der Theorie des
Kommunismus als revolutionäre Bewegung entsteht nicht nur gegen das in
Form von versteinerten „Prinzipien“ übermittelte kommunistische
Programm, welches entstellt und erstarrt und aufgrund der Wirkung der
Konterrevolution und der Niederlage des letzten revolutionären
Angriffs partiell und auf abstrakte Weise doktrinär geworden ist,
sondern auch von diesem Programm ausgehend, durch die unter dem Druck
der Ereignisse kritische Verdauung davon. Die Revolutionäre korrigieren,
komplettieren und vervollständigen das Programm angesichts der
wirklichen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Bewegung, genau wie sie
umgekehrt das Programm mit dem Verständnis der Bewegung, ihrer Momente
des Bruchs und ihrer organischen Richtung verbinden.
Die Theorie des Proletariats, die kommunistische Theorie ist somit sowohl Kommunikation des Programms, als auch Aneignung des theoretischen Verständnisses, Synthese der Theorie und der Praxis in der Praxis.
Der revolutionäre Aufschwung ist gleichbedeutend mit „dem Ende der theoretischen Tätigkeit als getrennte Tätigkeit aufgrund der zwingenden Notwendigkeit der praktischen Aneignung der Theorie durch das Proletariat“. [42]
„Eine Klasse, worin sich die revolutionären Interessen der Gesellschaft konzentrieren, sobald sie sich erhoben hat, findet unmittelbar in ihrer eigenen Lage den Inhalt und das Material ihrer revolutionären Tätigkeit: Feinde niederzuschlagen, durch das Bedürfnis des Kampfes gegebene Maßregeln zu ergreifen; die Konsequenzen ihrer eigenen Taten treiben sie weiter. Sie stellt keine theoretischen Untersuchungen über ihre eigene Aufgabe an.“ [43]
Die Theorie ist somit keine theoretische „Forschung“, keine von der
Praxis getrennte Tätigkeit mehr; sie ist keine Theorie mehr über die
Praxis, sie stellt die Verbindung wieder her mit jenen Fäden, die sie
mit dem vorhergehenden Angriff und dem Programm verbinden, indem sie die
vorhergehenden Errungenschaften dieser Theorie benutzt und überwindet.
Das Ende der Trennung Theorie/Praxis ist mit dem Ende anderer Trennungen
verbunden.
Zuerst verschwindet die Trennung Proletariat/Theoretiker. Die
Revolutionäre sind schlichtweg eine Hervorbringung der Bewegung, sind
Proletarier unter anderen, welche auf diese Art und Weise
gleichbedeutend mit der Bewegung der Klasse selbst sind. Die Theorie
steht in Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Bedingung, mit ihrem
Leben selbst. Die Theorie ist zu einem Synonym eines Prozesses der
gesellschaftlichen Vereinigung geworden.
Die andere Trennung ist jene zwischen den verschiedenen Ursprüngen der
Revolutionäre. Leute verschiedener Ursprünge nehmen an der Periode des
revolutionären Aufschwungs teil, sie haben mit verschiedenen
ideologischen Gruppen gebrochen und davon die Kritik gemacht (heutzutage
haben die Kommunisten sehr verschiedene Vergangenheiten: ehemalige
Bordigisten, ehemalige Anarchisten, ehemalige Trotzkisten, Ehemalige von
Socialisme ou Barbarie, ehemalige Rätekommunisten usw.), sie
benutzen also verschiedene Sprachen und haben nicht eine absolut
gemeinsame Einschätzung der Bewegung. Dies, in Verbindung mit der
Herkunft von verschiedenen Bereichen der gesellschaftlichen Entwicklung,
der besonderen historischen Situationen, wird langsam aber sicher vom
revolutionären Aufschwung negiert und überwunden: Der Vereinigungsprozess macht die Theorie einheitlich, was nicht bedeutet, dass es keine Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten mehr gibt; ganz im Gegenteil.
In einer Periode des revolutionären Aufschwungs (z.B. die Erste
Internationale) hat die Theorie aufgrund des sie auf drückende Art und
Weise vereinenden historischen Zwangs einen einheitlichen Charakter.
Hier liegt ihre Verbindung zur zentralen Perspektive des Kommunismus, die Totalität der Situation, welche die Äusserlichkeit des Programms zerstört.
Die Welt zeigt (erneut) ihre versteckte Fratze als ihr öffentliches
Gesicht und die Revolutionäre vereinen sich auf praktische Art und
Weise, die Theorie ist der Kreislauf dieser Vereinigung und ihrer
praktischen Bedingungen.
III. In einer konterrevolutionären Periode ist die Errungenschaft des
kommunistischen Programms und der kommunistischen Theorie der
vorhergehenden Revolution innerhalb der Gruppen, harten Kerne und Sekten
zerstreut, die somit zur körperlichen und geistigen Verbindung zwischen
den revolutionären Angriffen werden. Die Abwesenheit wirklich
kommunistischer Kämpfe des Proletariats verwandelt die Theorie in
Dogmen, Prinzipien, Programme, Probleme, Hypothesen usw., genauso
zahlreich wie die Gruppen, harten Kerne oder Sekten. Die kommunistische
Theorie wird jedoch von jenen Leuten bewahrt, welche versuchen, der
Epoche zu widerstehen, sich nicht an ihr zu beteiligen. Der Ausschluss
vom „öffentlichen Leben“ ist die unerlässliche Bedingung für die
Möglichkeit, die kommunistische Theorie und das kommunistische Programm
den folgenden Generationen zu übermitteln. Eben gerade weil sie
isoliert, vom öffentlichen Leben, der somit konterrevolutionären
historischen Tätigkeit getrennt sind, können die Revolutionäre den
programmatischen Lauf der Bewegung weiterführen.
Man sollte gewiss nicht glauben, dass es möglich ist, der wirklichen
Welt zu entkommen. Der Idealismus, welcher im Glauben besteht, es sei
möglich, das kommunistische Programm während eines vollständigen
konterrevolutionären Zyklus ohne Abweichungen, Entartungen oder
Amputationen zu bewahren, geht zwingend mit einer zeitlosen Konzeption
des ewigen Revolutionärs, einem „Battilocchio“ der Theorie einher. Die
Theorie, welche immer Theorie einer historischen Bewegung ist, kann,
wenn diese historische Bewegung unmittelbar konterrevolutionär ist, nur
durch verschiedene Vermittlungen und Ideologisierungen revolutionär
sein. Sie lebt nicht durch die Gnade der Geschichte, von der
konterrevolutionären Wirklichkeit verschont, sie geht sogar so weit,
dass sie diese in gewissen Aspekten ausdrückt; als Überlebende eines
konterrevolutionären Zyklus wird sie übrigens zum Ausdruck der
Konterrevolution während dem erneuten revolutionären Aufschwung: So
wurden der Bordigismus oder der Rätekommunismus zu konterrevolutionären
Ausdrücken der gegenwärtigen wirklichen Bewegung und sie werden sich
schon bald aktiv an der praktischen Konterrevolution beteiligen.
Doch die kommunistische Theorie überlebt die Niederlagen der
revolutionären Angriffe, weil sie die Theorie einer Bewegung ist, welche
die gesamte kapitalistische Periode, all ihre Zyklen durchdringt. Sie
ist keine unmittelbare Hervorbringung. Sie ist – und das ist ihre grundlegende Eigenschaft
– immer ein bisschen weiter als der historische Moment, denn sie drückt
seinen Sinn, seine Richtung, seine Möglichkeiten und seine
Notwendigkeiten aus. Die kommunistische Theorie ist nicht nur dem ganzen
kapitalistischen Zyklus innewohnend, d.h., dass sie sich als
grundlegendes Programm von Beginn weg des Zyklus herausbildet, sondern
sie ist auch zu jedem Zeitpunkt Prophezeiung. Die immediatistische Konzeption der Theorie ist eine Pforte, hinter welcher es von „theoretisierten“ Empirismen wimmelt.
Das hindert die revolutionäre Bewegung nicht daran, während
konterrevolutionärer Perioden unter verschiedenen Erscheinungen,
Sprachen, Kostümen, Masken zu überleben (z.B. der Anarchismus
zwischen 1875 und 1905, die bordigistischen, rätekommunistischen,
surrealistischen usw. Sekten nach 1921 und bis Mai 1968). Diese Bewegung
ist so mächtig, so stark, dass sie manchmal gar die Konterrevolution
dazu zwingt, mit ihren offiziellen Stimmen in ihrem Namen zu sprechen
(Beispiele von Rassinier, Rossi usw.). Doch diese verschiedenen Masken
kleben ihr zwangsläufig an der Haut und verändern sie, setzen sich darin
fest. Während einer konterrevolutionären Periode hat die Theorie einen
disparaten Charakter: Sie ist auf die Kritik partieller Aspekte der
Totalität fixiert (die Kritik des Stalinismus z.B., oder die Kritik der
Arbeit im Namen des Spiels, ein anderes Beispiel), ohne alle Aspekte zu
sehen. Sie versteht in der Regel den zeitgenössischen Zyklus nicht als
konterrevolutionär und jeder gesellschaftliche Zwischenfall oder jede
Rationalisierung des Systems wird zum unmittelbaren Bevorstehen der
kommunistischen Revolution (Anarchisten) oder dem Weltkrieg (Socialisme ou Barbarie).
Die Bewegung verfällt dem Aktivismus (Programme communiste), während
sie gleichzeitig von A bis Z eine persönliche Geschichte bastelt, in
welcher sie immer vollständig eine reine und feste Doktrin verteidigt
hat. Sie ist unfähig, eine Bilanz zu erstellen, und das ist gar eine
ihrer Eigenschaften. Keine Theorie der wirklichen Bewegung existiert,
die ihr erlauben könnte, sich als besonderen Moment zu erfassen. Man
theoretisiert den Rat wie man die Partei theoretisiert, doch man erfasst
ihren historischen Inhalt nicht. Kurz, die Bewegung befasst sich
während einer konterrevolutionären Periode nicht mit kommunistischer
Theorie, sondern mit Versatzstücken und Annäherungen. Zudem gibt es
genauso viele Systeme zum Verständnis der vergangenen Niederlage wie es
Ansprüche dafür gibt.
Eigentlich folgt die Theoretisierung während einer konterrevolutionären Periode vier Hauptachsen:
a) die Unfähigkeit, eine Lehre aus der besiegten Revolution zu ziehen,
daraus eine theoretische Bilanz zu erstellen, die nicht nur partiell
ist. Deshalb hält sie sich in der Regel zu lange mit ideologischen
Fixierungen, mit den Formen der revolutionären Bewegung auf (Räte für
die deutsch-holländische Linke nach 1921, die Kommune für die
Kommunarden wie Lefrançais und sogar für die Anarcho-Kommunisten wie
Kropotkin nach 1871) und befasst sich nicht mit dem kommunistischen
Inhalt der Bewegung. Oder aber sie geht nicht weiter als eine negative
Bekräftigung dieses Inhalts: Kritik von allen unmittelbaren und
formellen Gegnern der Bewegung (Parteien, Gewerkschaften, Bolschewismus
usw. für die deutsch-holländische Linke), ohne fähig zu sein, die
Bewegung als aktive Negation zu sehen, welche den Kommunismus oder die
Bedingungen seiner Umsetzung bekräftigt, und zu verstehen, was wirklich den kommunistischen Sieg verhinderte.
Diese Fähigkeit/Möglichkeit, die wirkliche Bewegung zu erfassen und sie
auszudrücken, existiert nur während einer Periode des revolutionären
Aufschwungs und des Zurückgehens davon, wenn die Revolution, auf ihren
angehäuften Leichen sitzend, noch mit ihrem Blut den Sinn des Moments
und seine Lehren skizziert (z.B. Marx, welcher Bürgerkrieg in Frankreich und Kritik des Gothaer Programms
gegen das Ende der Bewegung schrieb). Die kommunistische Theorie,
welche die Theorie einer zum Kommunismus gehenden Bewegung ist, ist dann
Theorie der historischen Bedingungen, ihres Ausgangs in facto. Dazwischen ist sie nur der unwirkliche Schatten oder, im besten Fall, das Spiel der Wellen vor dem Sturm. Es
ist der gegenwärtige revolutionäre Aufschwung, welcher es erlaubt, die
vergangene Revolution zu verstehen, Lehren daraus zu ziehen, sie zu
theoretisieren. Genau wie man vom Menschen ausgehen muss, um den
Affen zu verstehen, muss man vom aktuellen Sturm, inmitten seiner
Irrwege und Verbrechen, ausgehen, um den vergangenen Sturm zu verstehen,
in dem wir – und wenn es nicht wir sind, sind es unsere vorherigen
Brüder – untergegangen sind und aus dem wir rauskommen müssen. Die
Theorie ist wohl Prophezeiung, aber auch Neuerschaffung der Vergangenheit,
erhellende und erklärende Erfassung unserer Geschichte als Sinn,
welcher unsere gegenwärtige Praxis der vergangenen Geschichte gibt.
b) die Vorherrschaft der theoretischen Arbeit, welche darin besteht, die Formulierung und die Definition des kommunistischen „Programms“ zu präzisieren und zu vervollständigen. Diese Arbeit kann nur dogmatisch, rigid und doktrinär sein. Sie ist gleichbedeutend mit der Theoretisierung des Endziels als abstrakte Wesenheit, doch erlaubt seine Transkription und v.a. das Verständnis seines wirtschaftlichen Aspekts. Diese Arbeit der Klassifizierung und der Bekräftigung des kommunistischen Programms kann die Gestalt der Konstitution eines doktrinären Korpus annehmen, das den Kommunismus als absolute Opposition gegen die Wirklichkeit und die sie verteidigenden Bewegungen präsentiert (italienische, sogenannt bordigistische Linke), indem speziell auf die Definition seines Wesens beharrt wird (Abschaffung der Lohnarbeit, Zerstörung des Tausches und des Werts, Abschaffung der Produktion durch Unternehmen), wobei einige Aspekte vergessen gehen und zudem absolut konterrevolutionäre Positionen in Bezug auf den ganzen Rest gewahrt werden. Sie kann die Gestalt eines Versuchs der Beschreibung der wirtschaftlichen Mechanismen annehmen, welche die kommunistische Transformation der Gesellschaft, die Zerstörung der Lohnarbeit und des Tausches in einer Periode der formellen Herrschaft konstituieren, wobei sie schnell der Konstruktion eines Systems organisatorischer Rezepte verfällt (holländische Linke, Arbeit der GIK über die kommunistische Wirtschaft). Schliesslich kann sie in selteneren Fällen die Gestalt eines Versuchs der Systematisierung des zentralen Kerns der materialistischen Theorie annehmen: Dialektik und Geschichte, Bewusstsein und Praxis, Marxismus und Arbeiterbewegung, mit dem Risiko, schnell der getrennten philosophischen Forschung zu verfallen (z.B. Korsch).
c) die Ansicht und Beschreibung der „neuen“, mit der Entwicklung des Kapitals während des konterrevolutionären Zyklus erschienenen Phänomene der Gesellschaft. Diese Praxis, den Finger auf die modernen Aspekte der Gesellschaft zu legen, ist in der Regel Teil der Gründung von ideologischen Systemen, welche komplett auf diesen Phänomenen basieren, ohne dass sie versuchen, sie mit dem kommunistischen Programm in Verbindung zu bringen oder sie innerhalb der Theorie des Proletariats und davon ausgehend zu verstehen. Beispiele dafür sind u.a. die „sexuelle Befreiung“, die „Kritik der Arbeit“, das „Spiel“, das „Spektakel“, die „Ware“ usw. Diese Gruppen haben in den meisten Fällen nicht die geringste (oder nur eine sehr schwache) Verbindung mit dem zuvor niedergeschlagenen revolutionären Angriff und sind gänzlich ein Produkt der konterrevolutionären Periode (Socialisme ou Barbarie, die Situationistische Internationale z.B.). Sie sind auf ambivalente Weise der genauste Ausdruck davon; sie gehen mit der ganzen Ideologie, dem ganzen Modernismus und den falschen, mit der Konterrevolution verbundenen Problemen hausieren; doch andererseits legen sie mit Gewalt den Finger auf die neuen Bedingungen der kommenden Revolution und erlauben sich, eine heftige Kritik aller Theorien vor ihnen auszuarbeiten, und dies vom offensichtlichen Standpunkt der modernsten Konterrevolution aus, jene, welche am nächsten bei der Revolution liegt. (Man muss z.B. festhalten, dass, während dem sich aktuell vollendenden konterrevolutionären Zyklus, nur die „Rätekommunisten“ direkt der revolutionären Bewegung der 1920er Jahre entstammen; die Bordigisten waren bis ungefähr 1930 eine extremistische Fraktion der Sozialdemokratie nach bolschewistischer Spielart, welche während der Bewegung der Fabrikbesetzungen keine andere Rolle als eine politische gegen die italienischen Proletarier spielte.)
d) die Kritik der konterrevolutionären Gesellschaft, d.h. v.a. die Kritik dessen, was diese Gesellschaft vereinigt, ausdrückt und symbolisiert. Diese Kritik der Politik
haben fast alle theoretischen Manifestationen des Kommunismus während
einer konterrevolutionären Periode gemeinsam. Sie ist eine
Frontalopposition gegen die schlichte Existenz in dieser Gesellschaft.
Zu einem Zeitpunkt, wo die „Arbeiterbewegung“ in ihrer staatlichen oder
privaten Form eines der Organe des Kapitals und die Politik jenes
Tätigkeitsfeld ist, wo die gesellschaftlichen Kategorien ihre Stellung
innerhalb verschiedener taktischer Bündnisse regulieren, ist es
unmöglich, die Politik und alles, was sie umgibt, nicht zu kritisieren
(Parlamentarismus, Staatsgläubigkeit, Klassenbündnisse, Gründung
formeller Organisationen usw.). Natürlich ist diese Kritik je nach
Gruppen und Perioden mehr oder weniger lebendig (die Kritik der Politik
durch die Anarchisten zwischen 1875 und 1905 war einiges stärker als
jene der „Linken“ seit 1929, das hängt auch mit der unterschiedlichen
Situation im Kontext einer Epoche des „nationalen“ Wiederaufbaus
zusammen usw.) und v.a. mehr oder weniger bewusst anti-politisch. Was jedoch die Kraft dieser Kritik ausmacht, ist ihr tief kommunistischer Charakter:
die einfache Bekräftigung, dass die Revolution ein gesellschaftlicher
Prozess ist und dass das entlöhnte Elend sehr wohl eine Trennung der
menschlichen Gemeinschaft, und nicht des politischen Lebens ist; die
Bekräftigung, dass die Klassenbewegung des Proletariats nur
gleichbedeutend mit der Zerstörung der Trennung zwischen produktiver und
menschlicher Tätigkeit sein kann; die Bekräftigung des autonomen
Projekts des Proletariats, zwar innerhalb der Dynamik des Kapitals, aber
dagegen.
Wenn es die Revolutionäre so schaffen, die Prinzipien des Kommunismus in
den Händen zu behalten, wenn alles auf ihr Vergessen durch die Menschen
hindeutet, wenn diese Revolutionäre das allen Hindernissen zum Trotz
tun, obwohl sie diese entstellen und den folgenden Generationen
entstellt weitergeben, indem sie ihnen nur Prinzipien weitergeben, indem sie auf diese Art und Weise den Faden der Zeit weben,
braucht man sich trotzdem keine Illusionen zu machen. Neben der
Tatsache, dass dieser Faden rot ist, rot jedoch aufgrund vom während
seinem Weben erduldeten Leiden wie die Abgänge, die Selbstmorde, die
Stürze in den Wahnsinn, was der Tragödie des Kommunismus (seine unmögliche Verwirklichung, die Abwesenheit einer wirklichen gesellschaftlichen Basis) in dieser Periode entspricht,
sollte einem bewusst sein, dass die fortbestehenden Revolutionäre nicht
Verkörperungen ihres Willens sind, sondern auch von der Geschichte
hervorgebracht werden. Es gibt keine so totale Konterrevolution, dass
sie nicht kontinuierlich gegen (zukunftslose) Revolten,
Widerstände (gegen die Rationalisierung des Kapitals), proletarische
Kämpfe (ohne organische Richtung) kämpfen müsste. Zudem erleben gewisse
geographische Zonen die Entwicklung des revolutionären Prozesses mit
Verspätung (das Beispiel von Nieuwenhuis und Holland) oder sind im
Gegenteil dem Aufschwung voraus usw. Sogar zu diesem Preis bestehen die Revolutionäre fort. Es gibt wirklich keinen Ausweg.
IV. Der „Marxismus“ ist eine Ideologisierung der von der „Partei
Marx“ formulierten Theorie. Dieser beteiligte sich selbst an dieser
Versteinerung, v.a. durch seine politischen Schriften und Positionen.
Der Widerspruch von Marx ist die Tatsache, das Leben eines Wesens, des
Kapitals, von seiner Geburt bis zu seinem Tod zu beschreiben, obwohl er
zu einer Zeit lebte, wo dieses Wesen sich erst am Entwickeln war, der
Wert beherrschte noch nicht reell, sondern nur formell die Arbeit und die Gesellschaft, daher kommt die Verherrlichung der Politik,
da die „Partei Marx“, welche somit „marxistisch“ wurde, ihre Analyse
der kapitalistischen Produktionsverhältnisse in die unmittelbare und
aktive Wirklichkeit umsetzen wollte. Die Politik ist die
unumgängliche Tätigkeit, welche mit der formellen Herrschaftsweise des
Werts verbunden ist, zu einem Zeitpunkt, wo nicht nur die
kapitalistische Produktionsweise existiert, sondern auch äussere und
innere, immer noch präkapitalistische Zonen. Taktik. Demokratie. [44]
Ein schrecklicher Widerspruch existierte zwischen den praktischen
Möglichkeiten der Bewegung, welche zu diesem Zeitpunkt nur eine
Bewegung der Arbeiter war und höchst politische Aufgaben zu erfüllen
hatte (Einführung der bürgerlichen Demokratie 1848, Einführung der
direkten Volksdemokratie 1871, Verallgemeinerung der Lohnarbeit und des
Proletariats während der Zweiten Internationale, dann politische
Diktatur des Proletariats 1919), ein Widerspruch zwischen dem und ihren
eigenen Schlussfolgerungen, die über den Rahmen ihrer bestimmten Epoche hinausgingen und Marx aus seiner Analyse des Kapitals und seiner wirklichen Bewegung, sowie den grundlegend kommunistischen
Charakter der Kämpfe des Proletariats zwischen 1848 und 1871 gezogen
hatte, trotz ihrer Grenzen. Was Marx bezüglich des Programms und des
Verständnisses der wirklichen Bewegung zwischen 1848 und 1871 sagte, war
eine radikale Kritik dessen, was er zwischen diesen Zeitpunkten und danach, und sogar teilweise dessen, was er während dieser Zeit tun konnte. Marx konnte den Einfluss seines theoretischen Werks in der unmittelbaren Bewegung nur qualitativ begrenzen. Engels beschränkte sich hingegen nach dem Tod von Marx darauf, ihn zu schwächen und zum Verschwinden zu bringen.
„Nichts zeigt den revolutionären Charakter von Marx´ Theorien deutlicher als die Schwierigkeit, sie in nichtrevolutionären Zeiten zu verteidigen. […] Aber es ist schwieriger, ’außerhalb dieser Welt’ zu stehen, denn niemand kann wissen, wann sich die Dinge ändern […] man kann jedoch sagen, daß Marx selbst nicht von Widersprüchen frei war, d.h., daß auch er einer sich ändernden Wirklichkeit Achtung erweisen und, um überhaupt reagieren zu können, in nichtrevolutionären Zeiten auf eine nichtrevolutionäre Weise reagieren mußte. […] Da der Marxismus während der Aufschwungphase des Kapitalismus nicht stumm bleiben wollte, konnte er sich nur in einer Weise äußern, die einer Theorie widersprach, die aus der Erkenntnis eines realen und immer existierenden Klassenkampfes resultierte. Die Theorie eines immerwährenden Klassenkampfes ist nicht gerechtfertigter, als das bürgerliche Konzept des Fortschritts. Zwei Alternativen [boten] sich ihm: Er konnte sich entweder außerhalb der aktuellen Entwicklung stellen und sich auf ein praxisfernes radikales Denken zurückziehen oder unter den gegebenen Umständen an den aktuellen Kämpfen teilnehmen und die revolutionären Theorien für ’bessere Zeiten’ aufheben. Diese letzte Alternative wurde umgesetzt in das ’richtige Gleichgewicht zwischen Theorie und Praxis’ und Niederlage oder Erfolg proletarischer Aktivitäten wurde damit wieder einmal das Ergebnis von ’richtiger’ oder ’falscher’ Taktik, der Frage der richtigen Organisation und der korrekten Führung.“ [45]
Marx und dann Engels waren also die ersten Bürokraten und Ideologen der Arbeiterbewegung. Ihre grundlegenden Schriften (Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Grundrisse, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Kritik des Gothaer Programms und Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats)
machen erst heute wirklich Sinn; denn erst heute hat sich der von Marx
beschriebene Kapitalismus vollständig verwirklicht und erst heute steht
die Frage des Kommunismus vollständig auf der Tagesordnung, ohne
Vermittlungen oder Übergangsphase.
Die Marxschen Werke konnten also nur der ideologischen Ausbildung der
sozialdemokratischen Bürokratie dienen, welche aus im Umgang mit der
Dialektik und der Ökonomie, allerdings als getrennte Sphären,
spezialisierten Intellektuellen und einem Teil der Arbeiteraristokratie
zusammengesetzt war. Die „Marxsche“ Theorie diente nur noch dazu, die
Notwendigkeit des Kapitalismus durch die wissenschaftliche Kenntnis
seiner Gesetze und Strukturen zu beweisen (siehe aktuell Althusser) und
damit die kapitalistischen Verhältnisse unter der seelsorgerischen
Führung der kleinen und grossen politischen und gewerkschaftlichen Chefs
zu verewigen. Die Kritik der politischen Ökonomie verwandelte sich von
einem Zentrum der Theorie innerhalb der kommunistischen Praxis des
Proletariats – da Studie jener Widersprüche, welche den Kapitalismus
niederringen sollten – in eine Wissenschaft der Ökonomie, eine
bürgerliche wissenschaftliche Kategorie. Dieser Ökonomismus hatte die
Notwendigkeit als Grundlage, die kapitalistische Wirtschaft zu
verstehen, um die Lohnarbeit innerhalb des kapitalistischen
Verhältnisses gegen das Kapital, d.h. die Entwicklung des Kapitalismus
(Deutschland) zu verteidigen oder die Akkumulation des nationalen Kapitals zu erschaffen (Russland). Der „Marxismus“ wurde somit zur Theorie des variablen Kapitals, und ist es geblieben.
Diesbezüglich ist er eines der solidesten Aushängeschilder der
Konterrevolution. Er wurde auch zum Diskurs der herrschenden Klasse des
östlichen Kapitalismus (UdSSR, China, Kuba usw.) und zum im Westen
tendenziell vorherrschenden akademischen Diskurs. Die kommunistische
Theorie bildet sich durch die Zerstörung des Marxismus und nur die
Apostel der Konterrevolution werden sich noch über seine durch etliche
kapitalistische Diskurse zersetzte Leiche beugen.
V. Die Anarchisten hatten im 19. Jahrhundert mit ihrer Behauptung Recht, dass der proletarische Staat ein Ding der Unmöglichkeit sei.
Sie lagen auch in ihrer Verweigerung der Politik richtig, sie zeigten
und bekräftigten damit das besondere Wesen der proletarischen
Revolution, welche aus menschlichen, und nicht politischen Gründen
gemacht wird. Sie drückten das aus, was Marx seit 1844 geschrieben,
jedoch beiseite gelegt hatte.
Ihre Bekräftigungen waren jedoch ambivalent: Die Ideologie der (Lohn-)Arbeit
war bei ihnen besonders übersteigert und somit kam die Politik auf
„Umwegen“ zurück. Tatsächlich wurde die Richtigkeit ihrer Konzeption auf
einen subutopischen, humanistischen und religiösen Zustand reduziert, der Ausdruck der formellen Herrschaft des Werts über die Arbeit war, denn die Politik und die formelle Herrschaft des Werts sind miteinander verbunden. [46]
Der anarchistische Föderalismus war nicht im geringsten kommunistisch, d.h. überhaupt nicht staatszerstörerisch,
er war eine reaktionäre Konzeption des historischen Rückschritts:
Gruppen von Produzenten sind in einem durch die Regularisierung des
Anti-Staats „gerecht“ gemachten Markt miteinander konfrontiert. Die menschliche Gemeinschaft wird gleichzeitig anarchisch und zentralisiert, auf dem gesellschaftlichen Menschen und seinem Bewusstsein basierend sein.
Was diesen Punkt (die Kritik der Entfremdung) betrifft, haben die Anarchisten beträchtlich viel beigetragen, obwohl es die meiste Zeit nur eine humanistische Bekräftigung sein konnte, welche die Gestalt des Mystizismus annahm und somit selber mystifizierend wurde.
Nachdem sie als Sammelbecken für die Revolutionäre zwischen 1875 und
1905 gedient hatte, kompromittierte sich die anarchistische Ideologie,
wie alle sozialistischen Strömungen damals, während des Ersten
Weltkrieges und verwirklichte sich, fand ihre Wirklichkeit im Spanien von 1936, wo der Skandal nicht nur die Beteiligung der CNT-AIT an der republikanischen, konterrevolutionären Regierung war, welche Arbeiter erschoss (und kritische Kämpfer wie Berneri ermordete), sondern auch der Grund dieser Beteiligung: Die Kollektivierungen,
welche von ihnen als Zerstörung der kapitalistischen
Produktionsverhältnisse betrachtet wurden, wurden dort auch sehr schnell
nur zu einem Potenzial der Verallgemeinerung, trotz den
vielversprechenden Prämissen des fabelhaften Kampfes der spanischen
Proletarier und Kleinbauern.
VI. Die Theorie ist einheitlich während einer revolutionären Periode;
sie wird disparat und partiell während einer konterrevolutionären
Periode.
Die kommunistische Theorie kann nichts anderes sein als gebunden an die
gesellschaftliche Praxis der proletarischen Bewegung, sie ist weder
„marxistisch“ noch „anarchistisch“. Obwohl uns Marx alle (oder
fast alle) Grundlagen der kommunistischen Theorie überlassen hat, muss
man sich der Wichtigkeit und der Funktion der anarchistischen Bewegung
bis etwa 1905 (und sogar danach, in einigen Fällen), deren explosiven, mit dem Entstehen des proletarischen Bewusstseins bis zum Ende des kapitalistischen Prozesses verbundenen Inhalts
(konstante Bekräftigung des kommunistischen Endziels, auch wenn es
nicht möglich ist, es zu verwirklichen, und sei es nur negativ) bewusst
sein, welcher mit dem Auftauchen des proletarischen Bewusstseins
bis zum Ende des kapitalistischen Prozesses verbunden ist. Diese vom
Anarchismus unternommene „Kritik der Politik“, welche der Marxismus
verpasste, müssen und können wir uns zu einem historischen Zeitpunkt
wiederaneignen, wo der revolutionäre Prozess der kommunistischen
Transformation der Welt die Kritik der Politik und der (Lohn-)Arbeit,
die Erschaffung des „Gemeinwesens“, d.h. der menschlichen Gemeinschaft
bekräftigt. Der Text von Nieuwenhuis ist ein Beispiel für die Wiederaneignung der Theorie durch die wirkliche Bewegung.
Zum Zeitpunkt, wo das Kapital die Politik dank der sich allen
ideologischen Voraussetzungen entledigenden reellen Herrschaft des Werts
liquidiert, wird die anarchistische Kritik wieder in die kommunistische
Theorie integriert, auf schon fast teleskopische Art und Weise.
Zum Zeitpunkt, wo die gesamte gesellschaftliche Tätigkeit eigentlicher
Prozess des Kapitals ist, wo der Gebrauchswert zu einem einfachen
Grenzträger der Wertbewegung geworden ist, wo jede gesellschaftliche
Kategorie eine Funktion für das Kapital im Tausch gegen die
verallgemeinerte Lohnarbeit darstellt, „braucht das Kapital keine
Krücken mehr, um sich zu bewegen, es entledigt sich der alten
ideologischen Vermittlungen wie z.B. der politischen Ideologie und kann
von nun an direkt das Leben der Menschheit durch die Tätigkeit des Werts
organisieren“. Zu diesem Zeitpunkt gibt es für uns keinen Gegensatz
mehr zwischen der von den Anarchisten formulierten Kritik der Politik
und der von Marx formulierten materialistischen Theorie des
proletarischen Kampfes.
„Das Proletariat kann keine Vermittlung zwischen ihm und seiner
Revolution mehr zulassen, d.h. keine andere Partei ausser seine eigene
Bewegung des Bruchs mit dem Kapital und seiner eigenen Zerstörung. Die
Selbstaufhebung des Proletariats wird gleichzeitig die Zerstörung der
politischen Erpressung verwirklichen, welche gegenüber dem sich
rekonstituierenden Proletariat gezwungen sein wird, sich objektiv in
einer Bewegung zu vereinigen: in jener der universellen Konterrevolution
des Kapitals.
Das Ende des Kapitals ist gleichbedeutend mit dem Ende der Demokratie, dem Ende der Politik und ihres äussersten Inhalts: des Spektakels.“ [47]
August 1973
Übersetzt aus dem Französischen von Kommunisierung.net.
Quelle: Jean-Yves Bériou, Théorie révolutionnaire et cycles historiques, La Sociale, Montreal, 2013.
[1] La Perspective du communisme, 1971.
[2] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung.
[3] La Perspective du communisme.
[4] Karl Marx und Engels, „Revue, Mai bis Oktober 1850“ in Neue Rheinische Zeitung, Fünftes und Sechstes Heft, MEW, Bd. 7, 5. Aufl., 1973, S. 440.
[5] Karl Marx an Freiligrath, Brief vom 29. Februar 1860, MEW, Bd. 30, 1974, S. 495.
[6] Marx an Kugelmann, Brief vom 9. Oktober 1866, MEW, Bd. 31, 1965, S. 529.
[7] Die anfänglichen Positionen von Marx bezüglich der Kommune können sehr gut mit seiner strategischen Analyse der „progressiven“ nationalen Kämpfe erklärt werden, v.a. in Deutschland.
Für Marx war der französisch-preussische Krieg auf Seiten Preussens ein progressiver Krieg, denn er sei nicht gegen das französische Volk, sondern gegen das imperialistische
französische Regime von Napoleon III. gerichtet gewesen. Diese
Konzeption der Ereignisse war Teil einer Sichtweise, welche den Anspruch
hatte, eine globale der sozialen Revolution zu sein. Tatsächlich sah er
das Epizentrum der Konterrevolution im zaristischen Russland, das mit
dem kapitalistischen England und dem imperialistischen Frankreich
verbündet war; diese Konterrevolution verhinderte die Entwicklung der
nationalen Einheit Deutschlands, somit der dazugehörigen
Industrialisierung und gleichzeitig des deutschen Proletariats. Für ihn
war das deutsche Proletariat das Epizentrum der europäischen sozialen
Revolution, man musste also die deutsche Bourgeoisie in ihrer
historischen Aufgabe und somit im französisch-preussischen Krieg
unterstützen, womit zudem das französische Proletariat vom
bonapartistischen Regime befreit würde.
Natürlich endete diese Theoretisierung in dieser unglaublichen Idee, welche er in einem Brief an Engels erwähnt:
„Die Franzosen brauchen Prügel. Siegen die Preußen, so die Zentralisation der state power
nützlich der Zentralisation der deutschen Arbeiterklasse. Das deutsche
Übergewicht würde ferner den Schwerpunkt der westeuropäischen
Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland verlegen, und man hat
bloß die Bewegung von 1866 bis jetzt in beiden Ländern zu vergleichen,
um zu sehn, daß die deutsche Arbeiterklasse theoretisch und
organisatorisch der französischen überlegen ist. Ihr Übergewicht auf dem
Welttheater über die französische wäre zugleich das Übergewicht unsrer
Theorie über die Proudhons etc.“ (Marx an Engels, 20. Juli 1870, MEW 33,
S. 5.)
Natürlich führte diese ganze Sichtweise, welche selbst von der noch
unvollendeten Konterrevolution hervorgebracht wurde, zu Positionen, die
später zu den politischen Grundlagen der sozialdemokratischen Doktrin
wurden. Das Verhältnis zwischen Marx und der Sozialdemokratie ist nicht
nur negativ, sondern auch positiv. Dieser Wille, das gemäss den Gesetzen
der historischen und ökonomischen Entwicklung notwendige Voranschreiten
der Ausweitung der Klassenkämpfe und ihrer Folgen durch eine Epoche
reich an besonderen Situationen und bedeutenden historischen
Vermittlungen auf einer universellen Ebene (Zeit und Raum) global zu
betrachten, brachte ihn dazu, mit gesenktem Kopf in diese Vermittlungen
hineinzufallen. Natürlich geht es hier nicht um das Individuum „Marx“,
sondern um das gesellschaftliche Verhältnis.
Die Unterstützung des deutschen Kapitalismus zur Zerstörung des
Bonapartismus und zur Erschaffung eines grösseren Handlungsspielraumes
für das französische Proletariat und gleichzeitig zur Erschaffung der
Grundlagen einer Verstärkung der Proletarisierung in Deutschland usw.,
dieses ganze taktische Kalkül im Namen der grossen „wissenschaftlichen“
Strategie führte dazu, die wirkliche Bewegung, die Bewegung der
revolutionären Klasse zu opfern. Zwei Punkte sind klar:
1) Das Epizentrum der Revolution war eindeutig das französische Proletariat, das während der Kommune der ganzen Welt als Träger des Inhalts der historischen Bewegung erschien.
2) Diese Haltung war gleichbedeutend mit der Unterstützung Bismarcks in
Deutschland und der Entwaffnung der deutschen Proletarier im Namen der
für ihren künftigen Kampf notwendigen, bürgerlichen nationalen
Revolution, obwohl ihr Kampf schon existierte. Wenn Dangeville in den von ihm herausgegebenen Écrits militaires
von Marx und Engels versucht, dies durch eine pseudodialektische
Gymnastik zu rechtfertigen, enthüllt er seine teleologischen Rückstände:
„Tatsächlich waren die französischen Arbeiter unfähig, ihre Bourgeoisie
zu stürzen (und Bismarck übernahm diese Aufgabe).“ Denn es ist absolut
klar, dass Bismarck den Aufstieg der französischen Bourgeoisie
einleitete, indem er Thiers und Versailles, ihre wahren Repräsentanten,
an die Macht brachte. Die Art und Weise, um jeden Preis die taktischen
Positionen der Meister rechtfertigen zu wollen, eine morbide und
lächerliche Manie der Bordigisten, erreicht hier ihren Höhepunkt: die
Anfertigung einer unwirklichen Geschichte, die für die gute Sache der
ideologischen Geschichte des „invariablen“ Programms agiert. Dieser
schlechte, von Dangeville übernommene Witz von Marx und Engels findet
ihre wirkliche Vollendung in der Sozialdemokratie. Unmittelbar führen
einige Fäden direkt zu Bernstein und anderen: die metaphysischen
Subtilitäten zwischen defensiven und offensiven Kriegen (man kennt den
Weg, welchem sie folgen werden); die Unterstützung Bismarcks, die sich
kaum von jener Lassalles unterschied: „Darum aber den Antibismarckismus
zum alleinleitenden Prinzip erheben, wäre absurd. Erstens tut B[ismarck]
jetzt, wie 1866, immer ein Stück von unsrer Arbeit, in seiner Weise und ohne es zu wollen, aber er tut’s doch.
Er schafft uns reineren Bord als vorher.“ (Engels an Marx, 15. August
1870, MEW 33, S. 40); die Beteiligung an der Kriegsführung und am Aufruf
zur Konsolidierung einer nationalen Armee gegen das Prinzip der
Arbeitermilizen, all das verbunden mit der Forderung nach heftiger
Repression des preussischen Staates gegen alle Arbeiter und Kleinbauern,
die sich dem Militäreinsatz zu entziehen suchten (siehe den
abstossenden Text von Engels Die preussische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei, 1865); und wir könnten diese Liste weiterführen, welche beweist, dass Marx und Engels die Sozialdemokratie im Vornhinein gründeten.
Es geht jedoch nicht darum, wie in der Schiessbude den Ball auf die
beiden Herren zu werfen, sondern auch darum, zu erkennen, inwieweit Marx
und Engels all diese Linie taktischer Positionen als Notwendigkeiten des Moments konzipierten. Obwohl ihre Analyse absolut falsch
war, bezog sie sich auf eine kommunistische Sichtweise der Bewegung des
Proletariats; sie kann sehr gut durch die blendenden Vermittlungen der
Epoche erklärt werden, obwohl die Sozialdemokraten und ihre
„sozialistischen“ oder „stalinistischen“ Nachfolger diese ganze Analyse
übernehmen werden, als ob sie nichts mit ihrem Kontext zu tun hätte, als
ob sie absolut, ewig, für immer und seit jeher gültig wäre („Die Armee
von Valmy“). Marx war ein Materialist und konnte sich täuschen, da
materiell durch die Epoche beschränkt, doch diese Schmierenkomödianten
und Politiker wenden bloss ad aeternum „marxistisch“ genannte
Prinzipien auf die Lösung materieller Probleme an, was etwas ganz
anderes ist. Marx rief zwar dazu auf, Bismarck zu unterstützen, doch das
war nur provisorisch usw. Zwei Tatsachen können für diese von der
gegenwärtigen wirklichen Bewegung leider noch nicht geführte Diskussion hier provisorisch als Schlussfolgerung dienen:
1) Marx korrigierte sein Urteil über die Kommune, Deutschland und die Sozialdemokratie und Russland (siehe den Briefwechsel mit Vera Sassulitsch); und zwar korrigierte er sein Urteil auf eine Art und Weise, die überhaupt keinen Raum für Zweifel lässt.
2) Er bevorzugte die mächtige Entwicklung der deutschen Industrie
gegenüber ihrer Stagnation, weil die Widersprüche sich desto stärker
verschlimmern, je mehr eine Wirtschaft aufblüht, was schlussendlich die
für die Revolution notwendigen, tiefen Krisen hervorbringt; er hatte
diese Position also nicht, weil er an eine harmonische Entwicklung des
gesellschaftlichen Prozesses glaubte, wie seine deutschen Schüler;
sondern weil eben die Theorie des Proletariats nur eine Theorie der Katastrophe sein kann; eben genau aus dem umgekehrten Grund.
Die Positionen von Marx zum französisch-preussischen Krieg und der
Entstehung der Kommune sind, obwohl sie hier nur kurz behandelt werden
können, von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der
gegenwärtigen historischen Bewegung (militärische Frage, nationale Frage
usw.), doch diese Arbeit wurde bis anhin nur von „orthodoxen Schülern“,
von Verächtern ohne Intelligenz realisiert, für welche diese
Intelligenz auch nicht notwendig war, weil es ihre wirkliche Situation
nicht erforderte. Wir denken besonders, dass der Vergleich mit den
Schriften Bakunins zur gleichen Zeit (Briefe an einen Franzosen zur aktuellen Krise, Das Knuto-germanische Kaiserreich)
und ihre wirkliche Konfrontation es erlauben würde, diesbezüglich etwas
klarer zu sehen und gleichzeitig die Erste Internationale unter dem
Aspekt der organischen Verbindung zwischen den verschiedenen
Entwicklungsphasen, sowie das existierende dialektische Verhältnis
zwischen diesem Aspekt und der Totalität der Klassenkämpfe zwischen 1870
und 1871 zum Vorschein bringen würde, eine Totalität, die Marx und
Bakunin, auf bestimmte Phasen des gesellschaftlichen Prozesses fixiert,
erst im Nachhinein verstanden haben. Die Schriften Bakunins sind zur
Analyse dieses entscheidenden historischen Moments unumgänglich: In
Bezug auf den französisch-preussischen Krieg benutzt der Russe die
gleichen Argumente wie Marx, jedoch zur Verteidigung der französischen
Seite (Aufruf zur Volksarmee usw.), wobei er genau wie Marx die
sogenannte Unfähigkeit des französischen Proletariats verachtet, sich
ihrer Bourgeoisie zu entledigen, es jedoch als Epizentrum der
europäischen Revolution betrachtet, und er auch in Bezug auf Bismarck
und Deutschland einen treffenderen Standpunkt hat.
[8] Am
Abend des 14. September verlässt Michail Bakunin Genf in Richtung Lyon.
Dort will er versuchen, sein Programm zu verwirklichen, die
Schlussfolgerung der Briefe an einen Franzosen, in welchen er erklärt, Frankreich sei nur durch die Anarchie und die Revolte in den Provinzen
zu retten, indem „die Regierungsmaschine zerstört“ wird (das wird auch
die wichtige Lehre der Niederlage der Kommune sein, auch wenn sie das
während ihrer Existenz, aufgrund ihrer Isolation von der Provinz, wo die
Erhebungen unbedeutend waren oder sogleich niedergeschlagen wurden,
nicht realisieren konnte).
Am 4. September hatte sich ein Komitee zur Rettung im Rathaus
eingerichtet, es war jedoch am 15. durch einen gewählten, aus
gemässigten Tendenzen bestehenden Gemeinderat ersetzt worden. Am 17. und
18. wird im Verlauf von politischen Sitzungen, auf Anregung des
russischen Revolutionärs, ein Komitee zur Rettung von Frankreich
eingesetzt. Am 25. verfassen Bakunin und seine Freunde ein grosses
Plakat, das einen Aufruf zum Aufstand darstellt und folgendes
dekretiert: die Abschaffung der Verwaltungs- und Regierungsmaschine des
Staates; Volksgerichtsbarkeit; die Bezahlung der Steuern und Hypotheken
ist unterbrochen; in jeder Gemeinde übernimmt ein Komitee zur Rettung
von Frankreich die Macht; die Gründung einer revolutionären Konvention
zur Rettung von Frankreich in Lyon, das aus Delegierten aus den Komitees
in den Departementen zusammengesetzt ist. Das Plakat schloss ab mit:
„Zu den Waffen!!!“ Die Unterzeichnenden kamen aus Lyon und der Region
(Albert Richard, Palix, Blanc u.a.), aus Marseille (Bastelica) und aus
Saint-Étienne (Dupin). Am 26. findet eine öffentliche Sitzung statt, wo
der Text des Plakats vorgelesen wird. Am 28. bricht der Aufstand aus,
Cluseret wird als General der revolutionären Armee bejubelt, die
Nationalgarden werden entwaffnet und das Komitee zur Rettung von Frankreich
richtet sich im Rathaus ein. Doch der Mangel einer ernsthaften Basis
(einige Gruppen bewaffneter Arbeiter) und die Unentschlossenheit der von
einem Opera-buffa-General (Cluseret, der sich, man weiss es, in Paris
noch brillanter hervortut) angeführten Operettenaufständischen zwingen
die meisten Gefährten Bakunins zur Flucht und bringen den Gemeinderat
sogleich wieder zurück. Der kurz in Gewahrsam genommene, und dann von
seinem Freund Ozaroff gerettete Bakunin ist gezwungen, nach Marseille zu
gehen.
Diese „verrückte Eskapade“ Bakunins, der zu ihrer Verwirklichung mit
radikalen und jakobinischen, kleinbürgerlichen Phrasendreschern oder
schlichtweg Verrätern (einige flogen als Agenten von Napoleon III. auf)
zusammengearbeitet hatte, erlaubte es Marx auf etwas zu einfache Art und
Weise, sich darüber lustig zu machen, denn all das war voluntaristisch,
putschistisch und „komiteebezogen“ (die Komitees zur Rettung sind eine
besonders bürokratische Konzeption des revolutionären Aufstands);
gleichzeitig war es ein ehrlicher Versuch, der Isolation von Paris
vorzubeugen, ein praktischer Versuch, Thiers und seiner Bourgeoisie
vorauszugehen, verbunden mit einer tiefen Angst in Anbetracht der
entscheidenden Situation für das französische Proletariat. Dieser
Versuch war nicht dermassen absurd und die Niederlage war
gleichbedeutend mit einer tieferen Niederlage: der unvermeidbaren
Niederlage der Pariser Kommune. Zu jener Zeit, wo Marx die französische
Arbeiterklasse auf mehr als nur ambivalente und unrealistische Art und Weise
mit Ratschlägen zur Mässigung überschüttete, versuchten Leute mit ihren
Mitteln und ihrer Energie den Aufstand auf ganz Frankreich auszuweiten.
Doch Marx traf den Kern der Sache bezüglich der Bedeutung des Problems
in Bezug auf die Anmassung, den Staat per Dekret abschaffen zu wollen,
Bakunin masste sich das an und diese Anmassung enthält alle Ambivalenz
und Ahistorizität der anarchistischen Ideologie:
„Am 28. September, dem Tage seiner Ankunft, hatte das Volk sich des
Stadthauses bemächtigt. Bakunin nahm Posto darin: der kritische, der
lange Jahre hindurch erwartete Moment war endlich da, an welchem Bakunin
den revolutionärsten Akt vollziehen konnte, den die Welt jemals gesehen
– er dekretierte die Abschaffung des Staates. Aber der Staat, in
der Form und Gestalt von zwei Kompanien Bourgeois-Nationalgarden, drang
ein durch einen Eingang, den zu besetzen man vergessen hatte, fegte den
Saal aus und schickte Bakunin eiligst auf den Weg nach Genf.“ (Karl
Marx, Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Assoziation, 1873, MEW 18, S. 351.)
[9] In England z.B., siehe „Du rackett politique au cirque électoral“ in Le Voyou, Nr. 1.
[10] MEW, Bd. 33, 1976, S. 206.
[11] François Martin, Quelques leçons d’une insurrection passée pour une insurrection future.
[12] Karl Marx, Brief an Sorge vom 27. September 1877, MEW 34, S. 295.
[13] Paul
Brousse (1843-1912) ist zu dieser Zeit der Anführer des französischen
Possibilismus. Brousse ist ein typischer Repräsentant des politischen
Arbeiterkarrierismus, der politischen Tendenz, proletarische Kämpfe auf
Ökonomismus, auf „praktische“ Reformen, auf die empörte Verweigerung
jeglicher Theorie zu reduzieren. Was die verschiedenen Lebensabschnitte
von Brousse miteinander verbindet, ist sein Anti-Marxismus einer
ausgesprochen bornierten und reaktionären Prägung, der nicht
vergleichbar ist mit seinem Pol der radikalen Kritik wie bei Malatesta,
Nieuwenhuis usw. Paul Brousse oder „von der Bombe zu den
Gemeinderatswahlen“.
Tatsächlich war Paul Brousse zuerst Anarchist, und sogar einer dieser
aktiven Männer zwischen 1872 und 1878. Er gründete mit Alerini und Camet
im Frühling 1873 das Sozialistische revolutionäre Propagandakomitee Südfrankreichs, das seinen Sitz in Barcelona hatte und dort die Zeitung La Solidarité révolutionnaire
herausgab, eine anarchistische Zeitung, deren Artikel grösstenteils von
ihm selbst geschrieben waren und die klandestin nach Frankreich
gebracht und dort verteilt wurde. Er ging danach in die Schweiz, um sich
dort den Anti-Autoritären anzuschliessen, nachdem er mehrere Monate in
Lyon verbracht hatte, während welchen er Kontakte zur bedeutenden
revolutionären Gruppe im Quartier Croix-Rousse geknüpft hatte, jene
Gruppe, welche später im flüchtigen Wiederauftauchen subversiver
Tendenzen innerhalb der französischen proletarischen Bewegung eine
derart grosse Rolle spielt. Als Delegierter einer französischen Sektion
und der spanischen Föderation nahm er 1878 am ersten Kongress der
anti-autoritären IAA [AdÜ: gemeinhin bekannt als Juraföderation] teil,
danach organisierte er in Bern das Treffen zwischen Bakunin, Alerini,
Pindy und den Spaniern Farga und Vinas. Er war eine bedeutende Figur in
der Westschweiz, v.a. innerhalb der Redaktion des Bulletin de la Fédération jurassienne.
Er gründete eine Sektion in Bern und war dort auch an der Gründung
einer deutschsprachigen Sektion beteiligt, deren Zeitung die Arbeiter-Zeitung
(1876-1877) war und welche die Grundlage des Beginns der
anarchistischen revolutionären Bewegung im deutschsprachigen Raum
darstellt. Er war auch einer der Mitglieder dieser französischen, von
Pindy gegründeten Föderation und ihrer Verwaltungskommission (mit Pindy,
Alerini, Dumartheray und Montels); im Juni 1877 gründete er mit der
Hilfe von Kropotkin die Zeitung der Föderation, L’Avant-Garde,
die klandestin in Frankreich verteilt wurde; schliesslich redigierte er
das abstentionistische Manifest im Oktober 1877. Während er all diesen
Tätigkeiten nachging, war Brousse Teil der kleinen „revolutionären
Gemeinschaft“, die mehr oder weniger geheim rund um Kropotkin
organisiert war und parallel zur Organisation der IAA [AdÜ:
Juraföderation] internationale Kontakte pflegte. Ausserdem war er
zusammen mit Costa der Repräsentant des extremistischsten Flügels der
Bewegung im Februar 1877, er organisierte, obwohl die „Gemässigten“ rund
um James Guillaume dagegen waren, eine Strassendemonstration in Bern,
die beträchtliche Unruhen und, für ihn, Gefängnis und Verbannung zur
Folge hatte; doch v.a. war er einer jener, welche offen die
Notwendigkeit der „Propaganda der Tat“ verteidigten: Mit Costa hielt er
mehrere Konferenzen und äusserte mehrere Erklärungen, welche die Bombe
und das Dynamit priesen. Und diese gleiche Ungeduld, etwas zu erhalten, nicht auf die Revolution zu warten, führte ihn auf den Weg des Reformismus, der dieser gleichen Ungeduld entspringt,
denn Reformen erhält man „während man wartet“, „mangels besserer
Alternativen“. Die italienische Linke sah immer die Bedeutung dieses
Verhältnisses, als sie bekräftigte, dass die Ungeduld die Quelle des Opportunismus ist.
Und diese gleiche Ungeduld, die Brousse auf diese Weise zum Reformismus
führte, führte ihn sogar sehr schnell dazu, denn er schlug 1878 am
Kongress der Juraföderation die Teilnahme an den Gemeindewahlen und die
Unterstützung der Kandidatur Blanquis vor. Der Wille, die Geschichte
durch Bomben oder den Putsch zu beschleunigen, hat die gleichen Wurzeln,
wie die Tatsache, ihr kleine Dinge entreissen zu wollen, die trotz
allem die Anfänge der grossen Revolution darstellen sollen. Als Brousse
1879 aus der Schweiz verwiesen wird, tritt er in die Reihe, indem er
sich Guesde und seinen Freunden anschliesst.
[14] MEW, Bd. 37, S. 232.
[15] „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten“, MEW Bd. 21, S. 223.
[16] In
Dänemark wird 1889 die linke oppositionelle Minderheit, die von Gerson
Trier und Nicolaï Petersen angeführt wird und die Wochenzeitung Arbedjeren
(„Der Arbeiter“) herausgibt, mit nur 2700 von 40000 Stimmen auf
Anregung des Exekutivkomitees der dänischen sozialdemokratischen Partei
nach verschiedenen bürokratischen Manövern, Wahlmanipulationen und einer
heftigen, zur Personalisierung tendierenden Polemik, um der wirklichen
Bedeutung und den theoretischen Grundlagen besser Einhalt zu gebieten,
ausgeschlossen. Engels gibt in dieser Affäre, obwohl er ein persönlicher
Freund von Trier und mit ihnen einverstanden war, dem Ausschluss seine
päpstliche Segnung, womit er einmal mehr die klare und deutliche
Entwicklung der Zweiten Internationale hin zu einem eindeutig
bürgerlichen Organismus begünstigt, der nicht einmal mehr reformistisch
ist.
Um sich bewusst zu machen, dass man es in diesem Fall genau wie in
Holland oder Schweden nicht mit einem zufälligen, mit einem „Fehler“
oder einer „taktischen“ Uneinigkeit zwischen verschiedenen Fraktionen
zusammenhängenden Phänomen, sondern mit einem allgemeinen Phänomen in
einem bestimmten historisch-geographischen Bereich (die Zweite
Internationale in den angelsächsischen und nördlichen Ländern) zu tun
hat, ist es nützlich, etwas zurückzugehen und die Geschichte der
sozialen Bewegung in Dänemark bis 1889 zu skizzieren.
Es existierte 1871 eine Sektion der Zweiten Internationale,
hauptsächlich in Kopenhagen, deren Führung – eine bemerkenswerte
Tatsache – in den Händen von Arbeitern und intellektuellen Proletariern,
und nicht in den Händen von Klein- oder Grossbürgerlichen wie in
Deutschland (Doktoren, Professoren usw.) war. Sie hatte eine Zeitung, Socialisten,
die von Harald Brix herausgegeben wurde, ab April 1872 eine
Tageszeitung war und mehrmals von der Zensur und der Polizei konfisziert
wurde, was der Grund war, dass sie manchmal im Ausland, wie z.B. in
Hamburg oder Malmö (Schweden), erschien; um diese Zeitung war die
gesamte aktive Fraktion des dänischen Proletariats gruppiert, die in den
häufig von Gewalt begleiteten, fast immer in physischen Konfrontationen
mit der Polizei endenden Streiks intervenierte.
Dieser Prozess erreichte seinen Höhepunkt am 5. Mai 1872. An diesem Tag streikten die Maurer und Socialisten
hatte alle Arbeiter Kopenhagens zu einem grossen, entscheidenden
Treffen eingeladen. Selbstverständlich wurde es von der Regierung
verboten, die Polizei lancierte einen Angriff gegen den öffentlichen
Platz, wo das Treffen abgehalten werden sollte, und besetzte ihn; es kam
zu einem heftigen Zusammenstoss und mehrere Anführer wurden verhaftet:
Louis Piot, Paul Gellef, Harald Brix u.a. Angeklagt wegen Aufruf zu Mord
und Plünderung (damals schon!) wurden sie zu mehreren Jahren
Zwangsarbeit verurteilt. Trotzdem vergrösserte und vertiefte sich die
Bewegung und im August 1873 wurde die Arbeiter-Assoziation von der
Regierung verboten und aufgelöst. Daraufhin wurde die Sozialdemokratische Partei gegründet und alles begann langsam zu verfaulen.
Zwischen 1870 und 1873 ging Europa durch eine bedeutende wirtschaftliche
und politisch-militärische Krise, die es dem industriellen Proletariat
erlaubte, ziemlich überall zu intervenieren, doch v.a. in Paris, und zum
revolutionären Angriff und der Kommune führte. Nach der Niederlage der
französischen Arbeiterklasse konnte die Konterrevolution die Ordnung mit
Hilfe der Staaten wiederherstellen, die vor allen anderen Funktionen zu
anti-proletarischen Waffen geworden waren.
Der Zyklus der Konterrevolution dauerte danach ungefähr 45 Jahre,
charakterisiert war er hauptsächlich durch den Aufstieg der
Sozialdemokratie auf fast schon totalitäre Art und Weise. Alles, was
innerhalb der sozialistischen Bewegung theoretisch zum Kommunismus
tendierte, wurde mühevoll und systematisch ausgehobelt und/oder aus der
von den Sozialdemokraten komplett politisch monopolisierten
Arbeiterbewegung ausgeschlossen; G-W-G’ konnte ungestört seinen Walzer
tanzen: Innerhalb der Gleichung war ’ gleichbedeutend mit dem Recht auf
die demokratische Existenz für das Proletariat. Dieses Schema wird umso unbestreitbarer, je weiter man der dänischen Odyssee mit all ihren Unwägbarkeiten folgt.
Im August 1877 retteten sich Piot und Geleff durch die Ausreise nach
Amerika, mit der Kasse, was gar nicht so dumm war. Darum erschien Socialisten
immer unregelmässiger und der Skandal erreichte die sozialistische
Bewegung. Dort gehört die moralische Empörung im allgemeinen und
grosszügigerweise zum guten Ton, doch kritische Härte hat nichts mit
Moral zu tun. Warum, und das ist die wahre Frage, die in sich selbst
ihre Antwort enthält, flüchten zwei Revolutionäre mit der Kasse, die das
Beste (und das Schlimmste) ihres Lebens gegeben, das Gefängnis riskiert
und in die Strafkolonie verbannt worden waren und die radikale Strömung
des dänischen Proletariats während diesen Jahren intensiver Kämpfe
repräsentiert hatten? Der Grund dafür war, dass es keine
revolutionäre mehr, sondern eine konterrevolutionäre Bewegung war und
sie darin nichts verloren hatten; Harald Brix hatte sein Zuhause in
einem dänischen Gefängnis aufgrund politischer Agitation; er starb 1881.
Die Politiker hatten nun freie Hände.
Ende 1877 fand der erste Sozialistenkongress in Dänemark statt. Er nahm
das Gothaer Fusionsprogramm an und repräsentierte 7000 Mitglieder,
während die Assoziation auf dem Höhepunkt der Kämpfe 1872 kaum 700
hatte; was das zwingend konterrevolutionäre Wesen einer solchen
Partei mit 7000 Mitgliedern 1877 beweist, zu einer Zeit der
gesellschaftlichen Ruhe und in einem kleinen Land wie Dänemark. Es
genügt, die gewählten Motionen zu lesen, um zu realisieren, inwieweit
die revolutionäre Tendenz verschwunden war, um der „politischen“ und
„gewerkschaftlichen“ Agitation Platz zu machen. Ihre beiden Stützpfeiler
waren der Parlamentarismus und die gewerkschaftliche Tätigkeit. Im Jahr
1884 verbündete sich die dänische SP mit der bürgerlichen Opposition,
um den Minister Estrup zu stürzen, was ihre Mitgliederzahl und ihre
Popularität auf beeindruckende Art und Weise anwachsen liess: Sie hatte
ihr Eintrittsticket in die demokratische Arena erlangt. Und wir gehen
über den Rest hinweg.
In einem internen Rundschreiben zur Vorbereitung des Kongresses 1888
kann man folgendes lesen: „Wir müssen alles versuchen, um praktische
Reformen zu erreichen, welche dazu beitragen, die Situation des
Kleinbürgertums zu verbessern.“ Das gleiche stand auch in einer
öffentlichen Erklärung: „Der Staat muss den Bauern mit Landbesitz die
notwendigen Kapitale günstig zur Verfügung stellen.“ Während den
Gemeindewahlen 1888 in Kopenhagen erklärte die dänische SP offen, dass
sie die Interessen des Kleinbürgertums repräsentiere, und schlug die
Versöhnung zwischen Arbeitern und Kleinbürgerlichen vor. Es geht hier
nicht einmal mehr um taktische Klassenbündnisse und das übliche
Geschwätz bezüglich dieser Fragen, sondern um einen unverblümten
Seitenwechsel hinsichtlich der gesellschaftlichen Schranke. Und zu
diesem Zeitpunkt gruppiert sich die anti-parlamentarische marxistische
Minderheit um die Zeitung Arbedjeren, um auf den Bruch
hinzuarbeiten, von dem wir weiter oben gesprochen haben (zu diesem Thema
muss angemerkt werden, dass es von Anfang eine um Sophus Phill
gruppierte Opposition gab). Die Ausgeschlossenen, die von ihren Gegnern
zu Unrecht als „Anarchisten“ bezeichnet wurden, gründeten die Revolutionäre sozialistische Partei und behielten Arbedjeren
als Parteizeitung. Sie kämpfen an drei Fronten: gleichzeitig gegen den
Staat und die Polizei (Petersen ist immer mal wieder im Gefängnis),
gegen die Arbeitgeberschaft und gegen die Sozialdemokratie. Sie weigern
sich, gemäss ihren eigenen Worten, „Politik zu machen“ und setzen den
politischen Kampf mit dem bürgerlichen Streben nach Reformen gleich, das
sie ebenfalls bekämpfen. Am skandinavischen Kongress in Christiania
(102 Delegierte) im August 1890 ist die Diskussion zwischen
Sozialdemokraten und revolutionären Sozialisten heftig, letztere werfen
ersteren ihre Weigerung vor, den Kampf der Arbeitslosen zu unterstützen,
eine Weigerung, die mit der Verteidigung der Interessen der Bauern mit
Landeigentum, der Handwerker und der wohlhabenden Arbeiter und der
organisierten Sabotage des unmittelbaren Kampfes für den
Acht-Stunden-Tag zu tun hat. Die dänische SP endet übrigens ziemlich
böse; nachdem sie im Parlament fünf Sitze gewonnen hat, verbündet sie
sich mit den radikalen Bürgerlichen und wird zu einem europäischen
Mitglied des „Possibilismus“.
Petersen muss ein Jahr (1892-1893) aufgrund eines Artikels im Arbeiter
ins Gefängnis, der sich zum Aufstand und der Zerstörung des Staats
bekennt. Während seinem Gefängnisaufenthalt übernimmt eine andere, eher
anarchistische Tendenz die Führung in der Redaktion des Arbeiter und beginnt, Artikel der von Landauer angeführten Zeitung Der Sozialist
aus Berlin zu reproduzieren; nach einem Jahr kann der Arbeiter nicht
mehr erscheinen (alles gemäss einem Brief von Petersen an Engels vom 8.
Juli 1893). Um nicht zwischen Engels und den „Jungen“ Position beziehen
zu müssen, behauptet Petersen, die dänische Opposition sei eine
Opposition hinsichtlich taktischer Prinzipien, während es zwischen der
deutschen Opposition und der Führung der deutschen SP nur „Nuancen“ gebe
(gemäss einem Artikel von Petersen im Arbeiter am 8. November
1891). Die Ambivalenz ist tief und 1901 (u.a.) bringt der Druck der
Führung der Zweiten Internationale (Bebel, die Österreicher) die Führung
der dänischen SP dazu, die Ausschlüsse von 1889 rückgängig zu machen.
Während der Periode zwischen 1889 und 1901 erreicht die Radikalität der
dänischen Linken der Zweiten Internationale ihren Höhepunkt, Trier
spricht sogar positiv vom Anarchismus in den 1894 veröffentlichten
Artikeln und proklamiert, er habe mehr mit Bakunin und Kropotkin
gemeinsam als mit dem „Sozialdemokratismus“. Ausser 1916, wo Trier die
SP aus Protest gegen ihren Ministerialismus verlässt, manifestiert sich
die Opposition innerhalb der Sozialdemokratie (1901-1916). Trier starb 1918, während er seine Sympathie für die neue Sozialistische (später Kommunistische) Arbeiterpartei ausdrückte, ihr jedoch nicht beitreten wollte, weil die Partei parlamentaristisch blieb.
Die eher anarchistische Tendenz der Redaktion nach 1892 ist kaum
artikuliert; und erst in der ersten Dekade dieses [des 20.] Jahrhunderts
entsteht mit der Tageszeitung Die sozialistische Arbeiterzeitung
(1908) von Chr. Christensen, ein Schüler von Trier und Petersen, eine
nicht-marxistische revolutionäre Tendenz (bis 1915 schreibt auch
Petersen von Zeit zu Zeit in dieser Zeitung, danach wird er nach einem
Selbstmordversuch mehr oder weniger verrückt). Diese Tendenz, welche
zwischen 1905 und 1908 einen anti-parlamentaristischen Text von Herman
Teistler von ungefähr 1890 mit dem Titel „Wacht auf“ veröffentlicht,
wird später auch für den Import der „revolutionär syndikalistischen“
Ideen nach Dänemark verantwortlich sein. Im Jahr 1908 gründen Chr.
Christensen und andere die Syndikalistische Föderation und 1910 die Union der gewerkschaftlichen Opposition,
wovon eine Tendenz gegen 1920 versucht, sich mit der
nicht-anarcho-syndikalistischen kommunistischen Linken zu vereinen (der
Haupttext von Christensen datiert von 1921 und trägt den Titel „Moskau
und der Syndikalismus“ – im gleichen Jahr zerstört der vereinigende und
spaltungsfeindliche Sinowjewismus diesen Versuch).
[17] Eine Bewegung zwischen der dänischen und der holländischen entwickelte sich in Schweden, jedoch auf weniger radikalen Grundlagen und quantitativ unbedeutender. Besonders degenerierte die Bewegung nach einer terroristischen Phase schneller als woanders hin zu ihrer arbeiterorientierten Achse und war der Beginn der schwedischen anarchosyndikalistischen Bewegung, die heute noch existiert und sogar die einzige Bewegung dieser Art mit einer gewissen gewerkschaftlichen Bedeutung bleibt, nachdem die CNT in Wirklichkeit verschwunden ist. Die SAC ist ein Beispiel dafür, was die Grenzentwicklung des syndikalistisch-revolutionären Inhalts in der modernen Gesellschaft hervorbringen kann: „Apolitismus“, sozialer Bürgersinn, sozialer Pazifismus, Mitbestimmung, Verherrlichung der Demokratie, Unterstützung des Wohlfahrtsstaates usw. Bei Nettlau findet man einige Informationen zur Bergregen-Bewegung.
[18] La Perspective du communisme.
[19] Négation I, "Le Prolétariat comme destructeur du travail".
[20] Ebd.
[21] La Perspective du communisme.
[22] Encyclopédie socialiste syndicale et coopérative de l’Internationale ouvrière, herausgegeben von Compère-Morel.
[23] Karl Kautsky, zitiert gemäss Lenin, Was tun?
[24] Jean-Louis
Pindy (oder Pendy) (1840-1917) war ein Schreiner, der 1867 der
Internationale beitrat und deren Sektion in Brest gründete; im gleichen
Jahr verlegte er seinen Wohnsitz nach Paris, wo er sich sehr schnell
aktiv am Leben der IAA beteiligte. Pindy war damals in der von Tolain
angeführten proudhonianischen Fraktion, die am Basler Kongress (dritter
Kongress der IAA) gegen das Kollektiveigentum des Bodens gestimmt und wo
er als Repräsentant der Gewerkschaftskammer der Schreiner von Paris
teilgenommen hatte. Pindy wurde, nachdem er aufgrund der gegen die IAA
gerichteten Prozesse im Gefängnis war, einer der Repräsentanten des
revolutionären Proletariats, einer der agierenden Mitglieder der Partei
des Proletariats während der Agitation in den Jahren vor der Kommune. Er
war einer der Gründer des Zentralkomitees der 20 Kreise; er signierte das Rote Plakat
vom 6. Januar 1871, das den Verrat der Regierung des 4. September
verurteilte und radikale Massnahmen zur Führung des „Volkskrieges“
vorschlug und dessen letzten Sätze lauteten „Platz dem Volk! Platz der
Kommune!“; er beteiligte sich gleichzeitig an den Arbeiten des
Föderalrats der IAA und der Redaktionskommission derer neuen Zeitung, La Lutte à outrance;
er tritt am 6. September 1870 in die Nationalgarde ein und wird Anfang
März 1871 Mitglied des Zentralkomitees; und am 18. März gehört er zu
jenen, welche das Rathaus besetzen.
Während der Kommune, an welcher er sich beteiligte, war er Mitglied der
Militärkommission, dann folgte er auf Assi als Gouverneur des Rathauses
und unterschrieb am 15. Mai die Erklärung der „Minderheit“ gegen den
Wohlfahrtsausschuss.
Nachdem er es geschafft hatte, sich eine gewisse Zeit in Paris zu
verstecken, flüchtete er in die Schweiz, wo er danach Gold- und
Silberpunzer wurde. Er war sehr engagiert in der Juraföderation als
Sekretär und Korrespondent des Föderalkomitees, und das während sehr
langer Zeit, sein Wohnsitz war in La Chaux-de-Fonds, wo das Zentrum der
Bewegung war.
Er gründete 1872 mit Dumartheray die französische Föderation der IAA,
die v.a. aus in die Schweiz geflüchteten Kommunarden bestand und
versuchte, durch Kontakte mit einigen zerstreuten Individuen und Gruppen
v.a. in der Region Rhône-Alpes (Lyon, Saint-Étienne usw.) und eine mehr
oder weniger illegale Existenz, den durch die Niederschlagung der
Kommune zerrissenen Faden wieder weiterzuspinnen. Die französische
Föderation blieb lange schattenhaft, doch durch die unaufhörliche Arbeit
von Mitgliedern wie Camet, Gillet, Alerini usw., die zwischen
Barcelona, der Schweiz und Lyon-Saint-Étienne hin- und herreisten,
schaffte sie es, die „revolutionäre“ Fraktion des französischen
Proletariats neu aufzubauen: Im Sommer 1877 gaben Paul Brousse und Pindy
mit der Hilfe von Kropotkin die erste Nummer der L’Avant-Garde
heraus, die Zeitung der französischen Föderation, deren Handlungsfeld
die Propaganda in Frankreich war, wo sie klandestin verteilt wurde;
einen Monat später fand der erste Kongress der französischen Föderation
statt, er war eindeutig anarchistisch und kollektivistisch, die
Organisatoren waren Montels und Brousse: Der Kongress nominierte eine
Verwaltungskommission, die nur aus Verbannten bestand, Alerini, Brousse,
Dumartheray, Montels und Pindy.
Im Oktober 1877 unterschrieb er das Plakat mit dem von Brousse verfassten und die Arbeiter zur Stimmenthaltung aufrufenden Manifest;
diese fast überall in Frankreich plakatierte Erklärung, die eine
Antwort auf die Verleumdungen der Radikalen von Lyon war, welche sich
die revolutionären Arbeiter zunutze machen wollten, um sich im Kontext
der Krise des 16. Mai geschickt aus der Affäre zu ziehen, wurde mit
einer zweiten fortgesetzt, die sie bestätigte und von Jeallot, Ferré,
Dumartheray, Alerini und Pindy unterschrieben war.
Pindy war einer der Unterzeichner und der Hauptredakteur des von der
französischen Föderation der anti-autoritären IAA präsentierten Berichts
am zweiten Nationalkongress in Lyon, der, wenn er auch v.a. eine
Versammlung von gewerkschaftlichen und Berufsdelegierten war, einer
gemässigter und „apolitischer“ als der andere, so doch die Manifestation
einer „revolutionären“ Opposition bestehend aus etwa zehn Delegierten
wie Ballivet und Dupiren erlebte, die ausserdem Mitglieder der IAA
waren.
Er beteiligte sich auch am Leben der anti-autoritären Internationale; am
Kongress von Saint-Imier von 1872 war er Delegierter als Repräsentant
mehrerer französischer Sektionen mit Montels, dann am sechsten Kongress
der IAA in Genf, der eigentlich der erste Kongress der anti-autoritären
Internationale war, als Repräsentant des jurassischen Föderalkomitees,
danach wird er einer der Anführer der Organisation und nimmt an allen
Kongressen bis zum letzten 1877 teil.
Im Jahr 1914 zeigt er sich wie so viele andere (wie sein Freund Montels, der das Manifest der Sechzehn
unterschrieb) sehr „Union sacrée“ und erlangte schliesslich einen
Geruch der patriotischen Heiligkeit, was für einen Anarchisten nicht so
schlecht war.
[25] Gustave
Lefrançais (1825-1901) ist sicher einer der bemerkenswertesten und
eigentümlichsten französischen Revolutionäre der zweiten Hälfte des
letzten Jahrhunderts. Lefrançais erlebte 1848, das Exil in England, die
Vorbereitung der Kommune, die Erste Internationale und die Kommune, die
anti-autoritäre Internationale in der Schweiz usw., ohne je in den
politischen Sümpfen auf dieser Strecke den Boden unter den Füssen zu
verlieren.
„Unser Leben ist eine Reise
Durch den Winter und die Nacht.
Wir suchen, was den Weg uns weise,
Am Himmel, wo kein Stern uns lacht.“
(Lied der Schweizer Garden, 1793, das Céline seinem Buch Reise ans Ende der Nacht vorangestellt hat.)
Er stellt das seltene Beispiel eines Mannes dar, der den Kommunismus
durch zwei Konterrevolutionen hindurch repräsentierte und der trotz seiner Epoche und gegen sie Kommunist blieb.
Lefrançais ist laizistischer, atheistischer und sozialistischer Lehrer,
wird 1847 entlassen und wird Kanzleischreiber; er beteiligt sich an der
Revolution 1848; 1849 beteiligt er sich am Brüderlichen Verein der sozialistischen Lehrer, Lehrerinnen und Professoren
und an der Niederschrift seines Unterrichtsprogramms, aus diesem Grund
findet im April 1850 ein Strafprozess gegen ihn statt und er wird zu
Hausarrest in Dijon verurteilt.
Im Mai 1852 gelingt ihm die Ausreise nach London; dort lebt er im Elend
und muss sich gegen die durchaus lebendige politische Erpressung
verteidigen; Lefrançais, der seine Situation mit seinen Freunden wie
Joseph Déjacques teilt, macht sich Gedanken und nach eineinhalb Jahren
in London kehrt ein kommunistischer Revolutionär nach Paris zurück, der
die Kritik des Proudhonismus, des Mutualismus, des Blanquismus gemacht
und v.a. verstanden hat, dass das Proletariat mit den kleinbürgerlichen
Demokraten oder Jakobinern wie Ledru-Rollin nichts zu tun hat. Zwischen
1853 und 1868 trifft er sowohl alle revolutionären als auch die anderen
Oppositionellen.
Während der Periode zwischen 1868 und 1871, die gleichbedeutend mit dem
Erstarken des revolutionären Prozesses ist, bringt die noch unsichere
Klasse Leute wie Pindy, Lefrançais, Leverdays, Vermorel usw. hervor, die
sie, ohne „Theoretiker“ oder „Zauberer“ zu sein, über ihre eigene
geschichtliche Bewegung aufklären. Lefrançais wird schnell zu einem der
populärsten Redner in all den öffentlichen, in der Vauxhall, im
Pré-aux-Clercs, in der Redoute abgehaltenen revolutionären
Versammlungen, wo sich all die sich wirklich in Bewegung befindenden
Randgruppen auf der Suche nach sich selbst hineindrängen; Lefrançais ist
dort einer der wichtigsten Vertreter und Verteidiger des Kommunismus,
der freien Vereinigung usw. Er ist Mitglied des Komitees der Wachsamkeit
im vierten Kreis, dann des Zentralkomitees der 20 Kreise, fordert
vergeblich dringende Massnahmen. Nachdem er im Gefängnis Mazas gewesen
ist, wird er als Mitglied der Kommune, dann der Exekutivkommission
gewählt; er ist Teil der „Minderheit“ gegen den Wohlfahrtsausschuss.
Nachdem er nach Genf geflüchtet ist, gründet er mit Mâlon und Ostyn die Revolutionäre Genfer Propaganda- und Aktionssektion, deren führender Kopf er ist, und nimmt an den internationalen Kongressen der anti-autoritären IAA teil.
Er arbeitet bis etwa 1878 bei vielen „anti-autoritären“ Zeitungen seiner Zeit mit; er veröffentlicht auch Broschüren (République et révolution, De l’attitude à prendre par le prolétariat en présence des partis politiques, De la dictature
usw.), in welchen er versucht, den autonomen Kampf des Proletariats und
die Verweigerung der Politik zu theoretisieren. Er will nicht mit den
Anarchisten verbunden oder identifiziert werden: Er gehört keiner
Partei, keiner Sekte an.
Der „Kommunalismus“ ist, mit Ausnahme des in ihm enthaltenen
Fourierismus, ein Versuch, den Inhalt der proletarischen Bewegung der
Epoche zu studieren und zu verstehen, er ist auf die von der Bewegung
angenommene Form „Kommune“ fixiert, genau wie der „Rätekommunismus“
später die Bewegung auf ihre Form „Rat“ reduzierte, natürlich nach ihrer
Niederlage.
Nachdem er die Lausanner Sektion neu organisiert hat und sich mit
Vermeerch duellierte, kommt Lefrançais 1887 nach Paris zurück; am Ende
seines Leben hielt er sich fern – fern zwar, doch fern von der Politik.
„Ich sterbe immer überzeugter, dass die sozialen Ideen, welche ich mein
ganzes Leben kundgetan und für welche ich, so gut ich konnte, gekämpft
habe, richtig und rein sind.
Ich sterbe immer überzeugter, dass die Gesellschaft, inmitten welcher
ich gelebt habe, nur die zynischste und ungeheuerlichste aller
Räubereien ist.
Ich sterbe, während ich die tiefste Verachtung aller politischen
Parteien kundtue, mögen sie sozialistisch sein, ich habe diese Parteien
immer nur als Gruppierungen einfacher Naiver betrachtet, welche von
scham- und skrupellosen Karrieristen angeführt werden.“ (Testament von
Lefrançais.)
„Ihr Verrückten seid noch jene Menschen, welche ich am meisten liebe.
Mit Euch kann man arbeiten und sich selber bleiben.“ (An Kropotkin.)
[26] Errico Malatesta, „Kollektivistische Internationale und anarchistischer Kommunismus“, Pensiero e Volontà, Rom, 25. August 1926 in Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 42.
[27] Errico Malatesta, „Programm und Organisation der internationalen Arbeiterassoziation“, La Questione sociale, Florenz, Juni 1884 in Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 43-44.
[28] Errico Malatesta, „Wille“, nachgedruckt im Réveil, Genf, März 1914.
[29] Paul Brousse, Arbeiter-Zeitung, Bern, 28. Oktober 1876, S. 4.
[30] Bulletin jurassien, Dezember 1876.
[31] Errico Malatesta, „Kollektivistische Internationale und anarchistischer Kommunismus“, op. cit., S. 42.
[32] "Allgemeine Sitzung der Jurassischen Föderation am 12. Oktober in La Chaux-de-Fonds", Le Révolté, Genf, Oktober 1879.
[33] Cafiero, Le Révolté, Genf, Dezember 1880.
[34] La Révolution sociale, August 1881.
[35] Errico Malatesta, „Kollektivistische Internationale und anarchistischer Kommunismus“, op. cit., S. 44-45.
[36] „Aufruf“ und „Programm“, L’Azzociazione, Nizza-London, 1890.
[37] Paraf-Javal (1888-1942), ein sehr ambivalenter individualistischer Anarchist, d.h. einerseits sehr interessant in gewisser Hinsicht (Kritik der Gewerkschaften, der Politik) und andererseits beteiligt an jeglichem Schwachsinn wie die „freien Milieus“, „Freimaurer“ usw. Er ist ein Freund des berühmten „Libertad“ (1875-1908) und gründet zusammen mit ihm und anderen Anarchisten wie Lorulot, der zukünftige Kopf der Libre pensée, oder Kibaltschitsch (alias Victor Serge) 1905 die Zeitschrift L’Anarchie. Diese Zeitschrift repräsentierte in der anarchistischen Bewegung die rein individualistische Strömung, sowie den Illegalismus (sie wird Bonnot beeinflussen) und die Kritik des gesellschaftlichen Lebens des Kapitals. Die letzte Nummer erscheint im Juli 1914.
[38] Errico Malatesta, „Anarchismus und Gewerkschaften“, Pensiero e Volontá, 1925. Dieser Artikel ist zwar 1925 erschienen, er beschreibt jedoch sehr gut Malatestas Position von Anfang an.
[39] Henri Dhorr, Le Libertaire, Juni 1897.
[40] Paraf-Javal, Le Libertaire, April 1904.
[41] Le Bulletin communiste, „Prolétaires et communistes“.
[42] Ebd.
[43] Karl Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850, MEW 7, S. 19-20.
[44] Siehe Le Voyou, Nr. 1.
[45] Paul Mattick, „Karl Kautsky: Von Marx zu Hitler“ in Jahrbuch Arbeiterbewegung. Theorie und Geschichte 2, 1974.
[46] Siehe „Le prolétariat comme destructeur du travail“, op. cit.
[47] Le Voyou, Nr. 1.
erstmal gespeichert,
weil nix fürs runterkommen nach harter Schichtarbeit. Andererseits ziemlich spannend ausserhalb des massenmedialen Geseieres zu lesen. Kann jetzt nur von meinem Standpunkt als "Proletarier" ausgehen : bitte mehr davon ! Die Arbeiterklasse von heute begreift sich in meinem Bekanntenkreis nur noch als Lohnkonsumenten, ganz grob gesagt. Entweder gut verkauft oder eben Pech oder schlechten Tag gehabt. Mit Marx/Engels braucht man ihnen nicht zu kommen, so sinnvoll es vllt. auch wäre. Klassenbewusstsein gibt es scheinbar nur von oben, unten scheint alles normal und gewohnt, ist halt eben so.
Wie dort ein Um/Nachdenken in Gang setzen, ohne als "roter" da zu stehen, der 60 Millionen oder sonstwieviele auf dem Gewissen hat ? Die "Gegenseite" hat da derzeit leider leichtes Spiel mit ihrer super einfachen Weltanschauung.
Ein kleiner Hilferuf vom "working poor" an die Intelligenz. Schnittstelle benötigt!
Tip
ideologie kritisieren, auch die eigene, bzw. ideologiefrei argumentieren mit fakten, zahlen, wissenschaft etc. ideologie kann nur einen möglichen ausweg zeigen...
antwort
das will ich mal sehen, wie mensch ideologiefrei wird ... voralllem indem mensch sich auf die wissenschaft und die von ihr produzierten fakten stützt
erst mal mehr Solidarität
wichtig ist dass es erst mal Zusammenhalt gibt, und die KollegInnen nicht dabei mitmachen, sich gegenseitig zu bescheißen.
Was die Geschäftsführung will, ist einen um die ÜBerstunden und die ganzen Abrechnungen zu bescheißen.
Wenn Du erst mal einen guten Freundeskreis auf Arbeit hast, das ist was wert.
Die Texte sind alle sehr abstrakt und Geschichte.
Wichtig ist mir erst mal: weniger Arbeiten für mehr Geld. Langsamer und sich schonen, gemeinsam bummeln, bremsen.
Die Perspektive aus der die Texte sind könnte sein:
den Laden zu übernehmen, Besetzung, Auftragsbücher aneignen, die Stromversorgung, in Selbstverwaltung fortführen.
Sozialisieren - syndikalisieren - egalisieren - kooperieren.
Also wenn sich in einer Firma ein Basissyndikat ausdehnt, dann auch mit der Veränderung der Beziehungen untereinander. Nicht wie die üblichen Gewerkschaften.
Und wenn die selbstverwalteten Zellen mehr werden, können sie Kooperationsbeziehungen herstellen - weltweit.
Diese politischen Labels, wie sich wer nennt und was Du bist, das ist alles ziemlich ungenau, und morgen schon wieder nicht mehr passend.
Hauptsache kooperieren.
Solidarität
ist leider schwerer zu erreichen als Opportunismus. Habe auf 10 Freundschaften vielleicht einen "Feind". Kollegial gesehen. Da aber jener eine recht geschickt auf die WIR-Frage setzt (meine Schicht ist die beste!) , kommt bei uns keine/r mit keiner/m klar.
Volle Spaltung, nochnichtmal von oben herab. Eher von den Leuten heraus, obwohl sie ihre "Feinde", also *die* andere Schicht, teilweise nichtmal vom Vornamen her kennen.
Wie dort auch nur einen Hauch von Solidarität etablieren ?
Die machen sich gegenseitig fertig, die "oben" bekommen eigentlich nur dann etwas mit, wenn von den "neuen" keine/r länger wie paar Tage bleibt. Dort noch Gedanken wie Solidarität zu etablieren, grenzt an Masochismus.
So sehr ich mich da gegenteilig auch einzubringen versuche.