Grenzen des Denkens in der Philosophie

thinking forbidden

Was macht eigentlich eine Universität in einer Zeit von Krisen, politischen Problemen und neuen Herausforderungen? Hier soll ein kleiner Erfahrungsausschnitt gegeben werden, warum die Wissenschaft in den derzeitigen Fragen um politische Probleme keinen Schritt weiterkommt und sich gewisse Leute im akademischen Betrieb einfach die falschen Fragen stellen. Dabei blenden diese Fragen derart weitere Fragen aus, dass anderen Leuten, die diese Fragen beantworten wollen, Schranken aufgesetzt werden.

 

Das Erlebte ist in einem philosophischen Seminar der Universität Hamburg passiert. Das Seminar selbst thematisiert den Markt und fragt insbesondere nach den „moralischen Grenzen“ des Marktes. Vordergründig geht es dabei um Fragen wie: Ist es moralisch geboten, menschliche Organe zu handeln? Oder muss man so etwas verbieten? Oder sollte man so etwas regulieren? Es werden auch vornehmlich „neue“ Texte zur sogenannten Kommodifizierungsdebatte gelesen (z.B. von Michael Sandel, Debra Satz oder auch Jason Brennan/Peter M. Jawroski).

 

Die hauptsächliche Argumentationslinie läuft entweder auf eine Liberalisierungsidee (so 'ne Art Anarchokapitalismus) oder auf eine sozialdemokratischen Verbots- oder Regulierungspolitik hinaus. Ich halte das für ziemlich verwerflich, insbesondere wenn man sich den derzeitigen politischen Kontext anschaut und sich überhaupt nicht anschaut, wie sich Märkte bilden und was sie auch ausmacht. Das bedeutet also, ich halte die ganze Argumentationslinie für sinnlos, weil sie die politischen Bedingungen, die überhaupt für funktionierende „Marktwirtschaften“ notwendig sind, außen vor lässt.

 

Ich bin daher wohl so etwas wie eine Oppositionelle in diesem Seminar. Die Fragen, die ich noch davor formulieren würde, wären wohl erst einmal Fragen nach der Existenz von Markt. Das heißt, man muss danach fragen: Warum gibt einen Markt? Was macht ihn aus? Und was sorgt überhaupt dafür, dass Menschen Waren auf diesem Markt austauschen? Ich habe auch persönlich, für mich selbst, die Konstitution des Marktes bei Marx beleuchtet, um diese Fragen für mich zu klären (und natürlich auch Antworten gefunden). Man muss dabei natürlich auch weiter nach dem Geld fragen. Also: Was ist Geld? Und was sorgt dafür, dass Menschen dieses Medium benutzen? (Da gehört z. B. auch der Staat dazu)


Weil diese Fragen philosophisch zu der Frage nach dem gesellschaftlich notwendigen Bedürfnis führen, wollte ich mit der Frage nach dem Bedürfnis in die Hausarbeit dieses Seminars gehen. Ich wollte also die Frage stellen: Was ist das Bedürfnis, das dafür sorgt, dass Menschen, die überhaupt nichts mit diesem Bedürfnis eines Dritten zu tun haben, anfangen, für die Befriedigung dieses Bedürfnisses zu arbeiten? Das ist eine wichtige Frage, weil sich damit auch beantworten lässt, ob der Markt moralisch überhaupt eine Bedeutung haben kann.

 

Als ich dem Dozenten, ein sehr junger Dozent, der gerade promoviert hat, diese Frage präsentiere, antwortet er: „Das ist doch eine empirische Frage.“. Es sei also eine Frage, die man die Leute selbst fragen müsse. Und dann käme als Antwort darauf eine Liste mit Bedürfnissen heraus, die trivial sei! Die hätte dabei keine philosophische Relevanz!

 

Er sagt damit dann, und das ist dieser Aussage ganz immanent, dass Bedürfnisse für den Austauschprozess von Waren völlig egal ist. Das heißt, es ist egal, ob ich mir ein Bein breche und das Bedürfnis nach ärztlicher Behandlung habe. Da er aber an den Markt glaubt, kommt es nun zu einer Bedürfnisbefriedigung dadurch, dass ich genug Kohle habe und Leute finde, die mir für eine Summe x das Bein behandeln. Damit sind von diesem Prozess erst einmal alle ausgeschlossen, die nicht genug Kohle haben (und das sind gar nicht so wenige). Das ist aber nur das eine. Das andere viel dramatischere ist, dass der Dozent scheinbar nicht verstanden hat, dass die Leute, die das Bein behandeln könnte, nur anfangen, weil sie (höchstwahrscheinlich) einen Profit davon erwarten. Das ist aber ein kontingenter Prozess, nicht notwendig und nur sozial ausgehandelt! Das kann auch ganz anders sein, z.B. fangen Leute an zu arbeiten, weil sie damit eine politische Idee verwirklichen wollen oder was auch immer.


Die Frage nach einer moralischen Eigenschaft eines Marktes ist damit, philosophisch gesehen, wohl nicht ausformulierbar. Das bedeutet, der Markt als ein Gedanke für moralisches Handeln ist absolut nicht notwendig. Die Betrachtung des Marktes in Hinsicht auf die Frage, wie ich mich nun am Besten verhalten könnte, ist völlig sinnlos. Sie trägt in keinster Weise etwas dazu bei, ob wir nun solche oder solche Produkte herstellen sollen. Sie trägt auch nichts dazu bei, wie jemand etwas zu fressen bekommt – das kann sie gar nicht.

 

Ich empfinde es daher als Frechheit, dass man mir verbietet, philosophisch nach dem Bedürfnis zu fragen, um damit ein gesellschaftlich sinnvolles Handeln für die Produktion von Gütern zu formulieren. Nur mit einer solchen Definition, (die derzeitig, kapitalistisch durch zahlungsfähiges Bedürfnis definiert wird), wäre es möglich den Austausch von Gütern überhaupt so zu formulieren, dass man eine sinnvolle Aussage zur Moral im Austauschprozess machen kann. (Dabei geht dann vielleicht sogar der Markt, die Marktwirtschaft mit ihrem Tauschwert drauf – wer weiß?)


Aber der Punkt ist weiterhin, dass es an der Universität Leute (auch in hohen Positionen) gibt, die leider nichts verstanden haben, die bereits bei dem Wörtchen „Produktionsmittel“ an die Decke gehen. (hab ich auch schon gehabt. Ich hatte danach eine 15-minütige Falsifikationsrede an der Backe: „Den Begriff hat Marx nur in der Industrialisierung gebraucht. Da hat sich Marx total geirrt. Bla bla bla") Es ist manchmal wie ein Denkverbot: „Ja ne, also marxistisch darfst Du das nicht betrachten. Wo kämen wir denn da hin?“. Ich muss mich also mittlerweile auch selbst begrenzen. Freiem Denken muss man damit wohl eine Absage erteilen. Die Suche nach Antworten auf wichtige Fragen wird daher kontrolliert, womit sich eigentlich die Wissenschaft selbst abschafft und selbst diszipliniert.

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Wenn ich eine Hausarbeit zum europäischen Verwaltungsrecht machen muss, aber lieber über Sinn/Unsinn eben dieses schreibe werde ich natürlich auch darauf hingewiesen das dies für diese garnicht relevant ist. Warum regst du dich so auf? Thema verfehlt

Danke für deinen Bericht! Ich kenne viele politische Leute, die genau auf diese Weise/aus diesen Gründen von ihren (geisteswissenschaftlichen) Studien enttäuscht wurden und finde das sehr nachvollziehbar. Man bekommt u.a. nicht mal Kohle und muss trotzdem ständig nur langweiligen Müll auswendig lernen und wiedergeben und/oder bekommt laufend schlechte, unbegründete Bewertungen.

 

Die Frage – nach allem sehr verständlichen ärgern – ist nur: Darf man sich da wundern?

 

Wenn ich eine Strasse benutze, können mich Bullen anhalten. Wenn ich über die Autobahn fahre, wird mein Kennzeichen registriert. Wenn ich im Laden einkaufe, zahle ich Steuern. Wenn ich in die Schule gehe, wird mir das (und nur das) als 'wahr' vermittelt, was die Kultusminister-Konferenz als solches deklariert hat. Wenn ich das Internet nutze, kann das für kapitalistische und/oder repressiven Zwecke genutzt werden. Wenn ich mir (ARD-)TV antue, dann zwinkert Bulle A Bullen B zu und tritt ohne richtlerichern Beschluss die Tür ein (,,Gefahr im Verzug''). – Und siehe da: Der entscheidede Hinweis auf einen bösen ,,Kinderschänder'' wird gefunden...

 

Was ich sagen will: Angeblich sind Strassen, Autobahnen, Läden, Schulen, das Internet, Fernsehen und eben auch Unis großartige, demokratische (alds wäre das gut...) Instanzen, die vor allem und insbesondere den Zweck der Beglückung des ,,Volkes'' dienen und auch nicht müde werden sich selbst so dar zu stellen.

 

Wenn man sich aber schon Marxist(in) und Oppositionelle(r) (oder Anarchist[in] etc. pp.) versteht/deklariert, dann sollte man aber doch klar haben, dass es sich bei all diesen Institutionen um solche handelt, die von Staat und Kapital etabliert wurden. Und muss man sich fragen: Welche Interessen verfolgen Staat und Kapital? Und welchen Zwecken dienen diese Institutionen also folgerichtiger Weise primär? (Was würde etwa mit dem Internet passieren, wenn es Staat und Kapital mehr schaden als nutzen würde?!)

 

Klar eignen sich Diskrepanzen zwischen Anspruch und Realität bei solchen Dingen/Gruppen/Vereinen exzellent zur Agitation, aber sich selbst zu emotionalisieren, indem man hier staatlicher PR aufsitzt, obwohl man an anderer Stelle wohl (und hoffentlich) ganz abgebrüht sagen würde ,,Klar setzten Bullen, Gerichte und Militär nur Kapital-, Repressions- und Kontroll-Interessen durch'', halte ich für inkonsistent und falsch. – Antagonistisch denken (wie Marx z.B.)!

 

Mit solidarischen Grüßen

mitten aus dem Leben.

 

Ich kämpfe auch gerade bei drei schulpflichtigen Kindern mit meinem antikapitalistischen Anspruch und dem, was ihnen unter Androhung schlechterer Noten eben halt so "vermittelt" bzw. abgefragt wird. Das ist eine arge Gratwanderung. Will sie nicht zu Aussenseitern machen, aber genausewenig auf Linie bringen lassen. Perfides Spiel ...