Ein Reisebericht der etwas anderen Art. Besuch aus fünf Standorten beim verdi-Kongreß in Leipzig zu beiderseitigem Nutzen
Morgens um fünf Uhr trafen sich am Donnerstag die Bad Hersfelder Streikenden von Amazon vor Fra 3 und warteten auf die Busse nach Leipzig und nach Rheinberg. Um sechs ging es dann los. In Leipzig war die erste Station die Zelte vor Amazon, wir wurden laut begrüßt von den Leipzigern. Es kamen auch KollegInnen aus Rheinberg, Graben (bei Augsburg) und Werne.
Wir hatten viel Zeit, uns mit Kaffee und aus der Gulasch-Kanone zu
stärken, dann gab es einige Reden von VertreterInnen aus
Rheinberg, Bad Hersfeld, Graben und Werne. Sie berichteten über
die Situation vor Ort. In Bad Hersfeld sind in den letzten Tagen
30 KollegInnen in ver.di eingetreten: Das Besondere daran: Es sind
auch KollegInnen eingetreten, die bis vor kurzem noch auf der
gegnerischen Seite waren, bei "pro Amazon". Deren Eintritt und
damit Übertritt freute die StreikaktivistInnen besonders! Außerdem
sind etliche KollegInnen polnischer Herkunft eingetreten, was auf
die engen Kontakte zu den KollegInnen in Poznan zurückzuführen
ist.
Der Vorsitzende Frank Bsirske hielt eine verkürzte Rede, weil er
mit akuten Schmerzen danach zum Zahnarzt fuhr. Er sagte, daß er im
Mai 2013 beim ersten Streik, als er hier an dieser Stelle
gestanden habe, nicht erwartet habe, daß inzwischen in acht von
neun Amazon-Standorten gestreikt würde (Nur Brieselang bei Berlin
hat sich den Streiks noch nicht angeschlossen. DW). Amazon sei ein
globaler Riese mit einer Kultur der Angst. In Deutschland mit
einem Krankenstand von 20 Prozent. Diese Kultur der Angst dürfe
man nicht zulassen.. Mit der Devise: "Gute Arbeit!" habe das
nichts zu tun. Bei Amazon herrsche ein Kapitalismus des 19.
Jahrhunderts - aber es sei auch ein Modell der Zukunft. Mit den
Beschäftigten in Polen, Frankreich und CSR müsse verdi dagegen
halten. Er sagte: "Die Herausforderung
nehmen wir an. Wir wollen gewinnen. Das ist meine Botschaft".
Das Wort Sozialpartnerschaft nahm er, im Gegensatz zu anderen
Funktionären, nicht in den Mund. Er umschrieb es: Amazon darf
nicht allein bestimmen, die Arbeitsbedingungen müssen
ausgehandelt werden!
Nach der Rede von Frank Bsirske fuhren wir zum ver.di-Kongreß
auf dem Gelände der Leipziger Messe. Nachdem die ca. 120
Streikenden aus fünf Standorten eine halbe Stunde in einem
heißen Zugang zur Halle warten mußten, bekamen sie das Signal,
auf die Bühne zu kommen. Sie wurden von den 2.000 Delegierten
und Gästen mit minutenlangen standing ovations empfangen. In
ihren Streikwesten, mit Transparenten, Megaphonen und
Trillerpfeifen simulierten sie die Situation an den
Standorten. Fünf von ihnen gaben statements oder Grußworte ab.
Einer von ihnen kritisierte die ver.di - Bundesleitung, die
Streikabsichten der Basis im Juni und Juli "ausgebremst" habe.
Ansonsten war der Besuch in Leipzig nicht nur ein
Solidaritätsbesuch bei den dortigen Amazon-KollegInnen sondern
auch eine genutzte Aufklärungsmöglichkeit. In der Vorhalle war
ein Stand mit infos der Streikenden, eine Kollegin aus Bad
Hersfeld hatte am Tag vorher die Delegierten über den Streik
informiert. Der Nutzen für den ver.di-Apparat bestand darin,
sich als Kümmerer präsentiert zu haben.
Es gibt den schönen Spruch: Nach dem Streik ist vor dem Streik!
Bei den Amazon-Standorten trifft er wörtlich und permanent zu!
Noch sind an den Streiks nur zehn bis 30 Prozent der Beschäftigten
beteiligt.
Das macht deutlich, welche Aufgaben den AktivistInnen bevorstehen:
Der Organisationsgrad muß viel höher werden. Die von AktivistInnen
geschaffene Vernetzung zu polnischen, französischen und
tschechischen KollegInnen muß weiter ausgebaut, gemeinsame Streiks
verabredet werden! Erst dann ist man fähig, dem Riesen statt
Mückenstichen Florettstiche zu versetzen und ihn
verhandlungswillig zu machen. Das ist ein langer Weg, was den
KollegInnen allerdings schon seit dem ersten Streik im Mai 2013
bewußt ist.
Es steht Wille gegen Wille: Der Wille vieler tausender
Beschäftigter gegen den Willen von Jeff Bezos, die Konfrontation
Arbeit gegen Kapital.
Mit den Methoden der Sozialpartnerschaft ist der Kampf jedoch
nicht zu gewinnen. Es gibt keine Sozialpartnerschaft zwischen
Ausgebeuteten und Ausbeutern, es gibt nur Kampf von Arbeit gegen
Kapital. Und wenn Funktionäre oder Beschäftigte noch die
Vorstellung von Sozialpartnerschaft im Kopf haben, ist es unsere
Aufgabe, diese Vorstellungen als Illusionen zu enttarnen.
Die VertreterInnen von Sozialpartnerschaft haben das Ziel, daß das
Gegenüber zum Sozialpartner wird oder zur Sozialpartnerschaft
zurückkehrt.
Die Streikenden von Amazon haben das Interesse und das Ziel, daß
sich ihre Lage verbessert. Gibt es Streikende, die Jeff Bezos als
ihren Partner bezeichnen würden?
Dieter Wegner
(aktiv bei Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg)
<jourfixe.hh@t-online.de>
Quelle
www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/handel/handel-amazon/standing...