[HL] Unser Beitrag zum europäischen Mauerfall...

Walli

Mit dem zumindest temporären Europäischen Mauerfall haben die Bewegungen von Geflüchteten eine neue stärke gewonnen. Wärend heute Abend von Berlin die OpenBoarderCaravan ( facebook.com/openborderscaravan ) Richtung Kroatien aufbricht wird in Lübeck seit 2 Wochen tagtäglich praktische Unterstützung für den Europäischen Mauerfall geleistet. Für Geflüchtete die weiter nach Schweden reisen wollen ist die "Walli" zum sicheren Hafen geworden. Vor Ort gibt es ungebrochenes Engagement und dringenden Bedarf an Unterstützung.

Die Weltweit größte Flüchtlingsbewegung seit dem 2. Weltkrieg spielt sich immer noch zu 90% in den Ländern Afrikas und der arabischen Welt ab. Aber in Europa haben ihre Ausläufer das Grenzregiem zum Wackeln gebracht. Und während die EU am weiter- und wiederabschotten der militarisierten Außengrenzen Arbeitet und die Bundesregierung die nächste Asylrechtsverschärfung plant erkennen doch viele die historische Situation und ergreifen Initiativen vor Ort. Nachdem Dänemark die Durchreise erschwert ist die Fährverbindung von Lübeck ein zentraler Weg von Geflüchteten nach Skandinavien geworden. Auch weil viele Antirassist_innen im unabhängigen Kommunikationszentrum Alternative oder kurz "Walli" praktisch hand anlegen. 

 

Das Lübecker Flüchtlingsforum schreibt am 20. September:

"Im unabhängigen Kommunikationszentrum alternative ("Walli", Willy-Brandt-Allee 9) haben wir seit dem 9.9.2015 über 2800 Geflüchtete mit Essen, Kleidung, Übernachtungsplätzen versorgt und auf die Fähren nach Skandinavien begleitet. Für Tickets sind mehr als 100.000 Euro ausgegeben worden (ca. 50% davon werden durch freiwillige Beiträge der Refugees gedeckt.)
Wie könnt ihr helfen?
- GELDSPENDEN für Fährtickets: Gern in bar im Orgabüro auf der Walli (Willy-Brandt-Allee 9) vorbeibringen - oder auf das Spendenkonto des Flüchtlingsforum überweisen: IBAN: DE04 2001 0020 0806 1522 08, BIC: PBNKDEFFXXX
- MIT ANPACKEN: Betten machen, Klos putzen, Küchendienst übernehmen, Sachspenden sortieren, Auto fahren usw.: Koordination am Helfer_innen-Infopunkt gleich rechts unter dem weißen Zelt in der Toreinfahrt. Oder sich in den Online Schichtplan eintragen: https://schichtplan.immerda.ch/plans/show/pf9ptfcj5c
Einen guten Einblick in unsere Solidaritätsarbeit gibt dieses Video:
https://www.youtube.com/embed/uUFr8egEQUo
Gegen alle Grenzen in und um Europa! Für das Recht auf Bewegungsfreiheit für alle Menschen!"

 

Die praktische Unterstützung ist dabei auch ein Politikum. So prüft die Staatsanwaltschaft Lübeck nach einem Bericht der taz ob sie wegen Durchschleusen von Ausländern Ermittlungen aufnimmt. Die Antirassist_innen selbst schert das wenig. Alle politischen Stukturen in Lübeck und viele Menschen die einfach so zum Helfen vorbei kommen packen mit an und versuchen angesichts der Situation mit Schlafmangel zurecht zu kommen.

 

Einige Unterstützer_innen die aus Bremen nach Lübeck gereist sind berichten:

Selbstorganisierte Fluchthilfe nach Schweden | Fähren statt Frontex - Reisefreiheit für Alle

 

Wir sind vor einigen Tagen von Bremen nach Lübeck gefahren, um die dortigen Strukturen bei der Transit-Hilfe nach Skandinavien zu unterstützen. Es waren aufregende und ergreifende 30 Stunden, in denen wir alle ziemlich wenig geschlafen haben.

Die meisten refugees, die in Lübeck angekommen sind, sind über die sogenannte Balkan-Route nach Norddeutschland gekommen, den letzten Abschnitt haben sie meist mit dem Zug zurückgelegt. Da es sich rumgesprochen hat, dass der Weg nach Skandinavien über Lübeck derzeit funktioniert und das von Unterstützer_innen am Hamburger Bahnhof auch weitergetragen wird, kommen mit fast jedem Zug aus Hamburg Menschen an.

In einem selbstverwalteten Zentrum auf der Lübecker Wallhalbinsel (Walli) wird seit dem 9. September Solidarität praktisch: im Café Brazil auf der Walli gibt es warmes Essen, auf allen erdenklichen Flächen wurden Schlafplätze hergerichtet, auf dem Gelände gibt es verschiedene Zelte, in denen sich die refugees mit Kleidung eindecken können und ein kleines Booking-Büro mit Dolmetscher_innen organisiert die Buchung der Fährtickets. Busse des Lübecker Stadtverkehrs oder Privatautos bringen die refugees zum Fährhafen und begleiten sie dort bis hinein in die Fähre. Für die Fährtickets wurden bisher 80.000 Euro ausgegeben, ein Großteil davon wird über Spenden finanziert. Das alles passiert bei Tag und bei Nacht und wird von einem beeindruckendem Orgateam getragen, das von vielen vielen Helfer_innen unterstützt wird.

 

Überall auf der Walli blickt man in müde Gesichter: Die Helfer_innen sind nach Doppel- und Nachtschichten müde, aber die refugees sind meist deutlich müder, da sie die letzten Monate wenig Ruhe zum Schlafen hatten, ständig auf der Flucht, ständig in Angst. Das Vertrauen, dass wir wirklich behilflich sein wollen und nicht die x-ten Betrüger_innen sind, ist oft erst dann zu sehen, wenn wir vor der Fähre stehen und sie wirklich auf die Fähre können und diese auch kein Schlauchboot ist. Dann kommt auch eine Welle von Dankbarkeit.

Wir hatten alle krasse Erlebnisse. Die Geschichten der Menschen, Gespräche, positive wie negative Situationen mit Offiziellen.

So kam eine hochschwangere Frau in Lübeck an, die aber sofort weiter wollte, da sie ihr Kind unbedingt in Schweden bekommen wollte. Es hieß sie hätte schon Vorwehen gehabt. Als ich die Frau von der Schiffsgesellschaft darauf angesprochen habe, meinte sie, dann könne sie es nicht verantworten, sie aufs Schiff zu lassen. Es gäbe keine Ärtz_innen oder Sanitäter_innen an Bord. Aber nach der Erklärung, warum es für das Pärchen wichtig sei, nach Schweden zu kommen, sagte sie nichts weiter und hat ohne Mucks eine Kabine für die beiden dazugebucht.

Oder der Kampfsportler aus dem Iran, der in der Türkei zwei Tage von der Polizei misshandelt wurde, aber so froh über die Solidarität war, die er während seiner Flucht erlebt hatte, dass er versprochen hat, in Zukunft einen Monat des Jahres anderen Leuten zu helfen.

 

In den Hansestädten an der Ostsee findet derzeit die vorgezogene praktische und selbstorganisierte Umsetzung der "Fähren statt Frontex"-Idee statt. Helfer_innen und Arbeitende von Busunternehmen/Fährunternehmen zeigen sich solidarisch, alle machen Überstunden, verteilen Süßigkeiten, spenden Geld oder drücken ihre Augen zu. Nicht alles ist legal, aber alles ist legitim. So fehlt (fast) nur noch ein Spielplatz am Fährterminal für die Kinder, damit die Wartezeit schneller rumgeht, wenn die Fähre nach Trelleborg oder Malmö mal wieder Verspätung hat. Und Kabinenplätze für alle, damit sie mal wieder 7 oder 8 Stunden schlafen können. Und natürlich Leute, die dahinfahren, um mitzuhelfen oder in ihren eigenen Städten gucken, was getan werden kann. Ein nächster Schritt muss dann sein, das Ganze politisch zu thematisieren, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen und Druck aufzubauen, dass der Slogan für die Einheitsfeierlichkeiten ("Grenzen überwinden") in die Realität übertragen wird, damit die Flucht weniger beschwerlich ist.

 

Eindrücklich ist auch ein Video der Lübecker Nachrichten und vom britischen BBC

 

Die praktische Unterstützung die hier in Lübeck und an viele, vielen anderen Orten geleistet wird ist ein konkreter Mauerstein der aus der Festung Europa gebrochen wird. Es ist eine historische Situation. Wer in die Geschichtsbücher schaut weiß wie sich im 2. Weltkrieg stück für stück Weltweit Länder abgeschottet haben. Er kann die Berichte der Geflüchteten darunter vieler Jüd_innen und politisch Verfolgter aus Deutschland heute noch finden. Es ist auch an uns, ob sich die Situation wiederholt und ob sich Entmenschlichung oder Solidarität durchsetzten kann. Dafür müssen die Projekte vor Ort noch stärker in unsere Wahrnehmung rücken. Müssen wir uns zusammenschließen und unüberhörbar nach außen tragen, dass unsere praktische Hilfe mehr ist als eine Geste der Menschlichkeit, nämlich ein praktischer Beitrag ist für den Europäischen Mauerfall. 

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