Das Leben im Gefängnis ist keine "all-inclusive" Veranstaltung, denn die Justizverwaltungen bemühen sich, Inhaftierte für alle möglichen Leistungen zur Kasse zu bitten. Im folgenden Beitrag soll es um die Stromkostenbeteiligungen im baden-württembergischen Justizvollzug gehen.
Rechtslage
Schon vor über 10 Jahren stellte das Oberlandesgericht Karlsruhe (Az.: 1 Ws 194/01, 23.05.2002) fest, dass ungeachtet einer konkreten strafvollzugsrechtlichen Regelung, Gefangene zivilrechtlich verpflichtet seien, für die von ihnen verbrauchte Energie zu bezahlen. Rechtsgrundlage sei das bestehende privatrechtliche Verhältnis gemäß § 151 BGB. Zwischenzeitlich wurde im Zuge der Föderalismusreform die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder übergeleitet und so findet sich seit 2010 im Justizvollzugsgesetzbuch-1 für Baden-Württemberg die Regelung, dass Gefangene an den Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen Geräte beteiligt werden können ( § 9 Abs. 2 JVollzGB-1).
Stromkostenerhöhung zum 01.01.2014
Zum 01.01.2014 wurde durch Erlass des Justizministeriums in Stuttgart die Stromkostenbeteiligung erheblich erhöht, stellenweise verdoppelt.
Beispiele: bis zum 31.1.2.2013 fielen für den Wasserkocher monatlich 1,55 Euro, für den Kühlschrank 2,69 Euro und eine Kaffee-Maschine 1,55 Euro an. Ab dem 01.01.2014 wurden für den Wasserkocher 2,50 Euro, den Kühlschrank 4,86 Euro und die Kaffee-Maschine 2,50 Euro monatlich ab gebucht.
Streit um die "Beteiligung"
Seit Januar 2014 streiten sich Inhaftierte, darunter auch ich selbst, mit den Vollzugsanstalten um den Begriff der Stromkosten-Beteiligung. Eine gute Freundin machte mich auf eine Entscheidung des OLG Hamburg vom 04.02.2011 (http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?show...) aufmerksam. Dort entschied das Gericht, der Begriff der "Beteiligung" bedeute denknotwendig, dass die von den Inhaftierten abverlangten Beträge unter den der JVA real entstandenen Kosten liegen müssten.
Landgericht Freiburg 04.07.2014 – Teil 1
Mit Beschluss vom 04.07.2014 (Az. 13 StVK 47/14) verwarf das Gericht meinen Antrag gegen die Stromkostenrechnung für Januar 2014 als unbegründet, da keinerlei Ermessenfehler der JVA erkennbar wären. Dieser Beschluss, wie weitere im Folgenden genannte Unterlagen sind als PDF-Dateien in diesem Artikel als Anhang zu finden.
Oberlandesgericht Karlsruhe 20.08.2014 - Teil 1
Auf immerhin acht Seiten bescheinigte das OLG der ersten Instanz, wie auch der JVA erhebliche Rechtsfehler
Das Gesetz sehe lediglich eine Beteiligung an den Stromkosten vor, dies verbiete von Inhaftierten Beträge zu verlangen, die über den Realkosten liegen. So mokierte das OLG, dass die JVA Freiburg ihrem Stromtarif 0,29 Euro/kWh zugrunde lege, obwohl ich bestritten hatte, dass der Anstalt als Großkundin ein solcher Tarif ihres Energielieferanten in Rechnung gestellt werde. Ferner merkte das Gericht an, es bestehe ein verfassungsrechtlich abgesicherter Grundbedarf, z.B. auf heißes Wasser, so zu prüfen sei, ob man den Wasserkocher überhaupt berechnen dürfe.
Folglich hob das OLG den LG-Beschluss auf und gab die Sache an das LG zurück zur neuen Entscheidung.
Landgericht Freiburg 30.03.2015 - Teil 2
Nachdem nunmehr das LG prüfte, welche Stromkosten der JVA realenstanden sind (sie zahlt 18,9 Cent an ihren Energierversorger/kWh), beanstandete mit Beschluss vom 30.03.2015 (13 StVK 47/14) der Richter nunmehr zumindest die Abrechnungen für Kühlschrank und Wasserkocher, hielt jedoch die 2,50 Euro/Monat für die Kaffeemaschine für angebracht.
Oberlandesgericht Karlsruhe 23.06.2015 - Teil 2
Jetzt erhielten die drei OLG-Richter, unter Vorsitz des Herrn Endress erneut Gelegenheit sich mit der Frage der Stromkostenbeteiligungen zu beschäftigen.
In einem stellenweise etwas ungehalten klingenden, immerhin sieben Seiten umfassenden Beschluss (Az. 2 Ws 156/15, vom 23. Juni 2015) beanstandete das OLG erneut die Vorgehensweise des Landgerichts und sah sich auch zu grundlegenden physikalischen Erläuterungen veranlasst ("Die Energie, die für die Erhitzung von einem Liter Wasser von etwa 20 Grad auf 100 Grad benötigt wird, ist stets konstant") und fand es erstaunlich, dass das Landgericht, der JVA darin folgend, davon ausgehe, eine Kaffeemaschine verbrauche fast doppelt soviel Strom wie ein Wasserkocher, wo doch das OLG Hamburg (a.a.O.) genau das Gegenteil annahm.
Abschließend merkte in einem Hinweis der Senat an, es sei - wie von mir beantragt - zumindest nicht ausgeschlossen, dass über den Rechtsstreit vom Gericht in einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung zu verhandeln sei, da ein solcher Anspruch auf Artikel 6 EMRK begründet werden könnte.
Leicht pikiert lautete der letzte Hinweis der drei OLG-Richter, der Richter der 1. Instanz möge künftig den von ihm erlassenen Beschluss unterzeichnen, damit man wisse, wer eine Entscheidung getroffen habe und schickte den Vorgang erneut ans Landgericht zurück.
Justizministerium und Vollzugsanstalt reagieren
Zum 01.08.2015 wurden nun erstmalig, die Stromkostenbeteiligungen für alle Inhaftierten des Landes gesenkt.
So kostet der Strom für den Kühlschrank 3,00 Euro (zuvor 4,86 Euro), für den Wasserkocher fallen 0,50 Euro (zuvor 2,50 Euro) und die Kaffee-Maschine 1,00 Euro (zuvor 2,50 Euro) an.
Landtag prüft Petition
Der Landtag von Baden-Württemberg (petitionen@landtag-bw.de) prüft nunmehr, ob allen Inhaftierten des Landes die zu viel bezahlten Stromkostenbeteiligungen seit dem 01.01.2014 zurückzuerstatten sind (Petition Nr. 15/05383). Denn faktisch hat das Land zu Unrecht zehntausende von Euro vereinnahmt- und das von Inhaftierten, die in der Regel nicht über das Wissen, oder die notwendigen finanziellen Mittel verfügen, um gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen.
Bislang weigern sich die Vollzugsanstalten, so auch die Leitung der JVA Freiburg, jenen Inhaftierten die nicht vor Gericht gezogen waren, die zu viel bezahlten Beteiligungen zurück zu erstatten.
Nebenschauplätze
Die Staatsanwaltschaft Freiburg hatte auf Strafanzeige hin ermittelt, ob sich Bedienstete der JVA strafbar gemacht haben könnten, weil sie zu hohe Stromkostenbeteiligungen von den Gefangenen verlangt hatten.
Die Staatsanwaltschaft stellte nur wenige Monate später das Verfahren ein (220 Js 13861/15), da weder Betrug, noch Untreue bejaht werden könnten. Eigenwillig mutete an, dass der ermittelnde Staatsanwalt die Erklärung eines der Beschuldigten wörtlich in die Einstellungsverfügung übernahm und diese Äußerung des Beschuldigten dann die Begründung für die Einstellung darstellte. In der eingangs erwähnten PDF-Datei findet sich die Originalverfügung der Staatsanwaltschaft.
In einem Parallelverfahren zu der Stromkostenthematik, denn aus rechtlichen Gründen muss man jeden Monat gegen die jeweils erfolgte Stromkostenabbuchung Klage einreichen, hatte der Leiter der Wirtschaftsverwaltung der JVA Freiburg dem Landgericht einen kompletten Kontoauszug meiner Person überreicht, aus welchem sich ergab, wer mir wann Geld zugeschickt hatte, welche Rechnungen ich bezahlte und welche sonstigen Ausgaben zu begleichen waren.
Eigentlich sollte auch für inhaftierte das Grundrecht auf Datenschutz ("informationelle Selbstbestimmung") gelten, weshalb ich beantragt hatte festzustellen, dass die Übermittlung eines vollständigen Kontoauszugs rechtswidrig war. Im ersten Anlauf billigte der promovierte Richter Dr. G. vom LG Freiburg (13 StVK 71/14) die Vorgehensweise der JVA. Das hiergegen angerufene OLG Karlsruhe (2 Ws 245/14)hob den Beschluss am 10.11.2014 auf und wies darauf hin, dass die JVA schließlich die nicht relevanten Daten auch hätte schwärzen können.
Nun kam das Landgericht nicht mehr um hin die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit auszusprechen (Beschluss vom 26.06.2015, Az.: 13 StVK 71/14). Auch diese Beschlüsse finden sich in der PDF-Datei zum Nachlesen.
Resümee
Wir haben gesehen, es ist ein langwieriger, mühseliger Weg, sich gegen Rechtsverletzungen die durch Bedienstete der Vollzugsanstalten begangen werden, vor Gericht zu wehren.
Mal gewinnt man, mal verliert man - und stets lässt man sich auf jene Form der Auseinandersetzung ein, die der Staat den Bürgerinnen als "Spielwiese" zur Verfügung stellt. Irgendein Unrechtsbewusstsein auf Seiten der Vollzugsbediensteten war zu keinem Zeitpunkt zu spüren (man kann deren Schriftsätze selbst in der PDF-Datei nachlesen). Kaum ein Gefangener nimmt deshalb, selbst wenn es ihm einen finanziellen Vorteil brächte, den Rechtsweg in Anspruch.
Politisch ist es eine sehr zwiespältige Angelegenheit sich der Waffen dieses Staates zu bedienen, um gegen dessen Organe der Exekutive vorzugehen; und mich selbst kostet es stets aufs Neue Überwindung diese Möglichkeiten zu nutzen, denn ich sehe und spüre diesen inneren Widerspruch.
Trotzdem kann es richtig und wichtig sein - vorliegend sieht man an der Änderung im Bereich der Stromkosten, dass nun viele tausend Gefangene in Baden-Württemberg einen unmittelbaren finanziellen Vorteil durch die gerichtlichen Entscheidungen haben werden.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
http://www.freedom-for-thomas.de
gegen die abzocke inhaftierter
auf der facebook-seite der gg/bo ist falks bericht über die dreiste kostenbeteiligung gefangener menschen dokumentiert...
facebook.com/Gefangenengewerkschaft
solidarische der gg/bo