Der Revolutionär Sozialistische Bundes (RSB) hat gestern Abend einen sehr wichtigen Text zu Griechenland usw. veröffentlicht. Wichtig ist dieser, weil er
– anders als die Hamburger linkssozialdemokratische Traditionszeitschrift Sozialismus (1) – nicht in keynesianistischen Blütenträumen, die doch gerade vom Ergebnis der Tsipras-Eurozonen-Verhandlungen widerlegt wurden, schwelgt,
aber auch nicht – wie die Gruppe Arbeitermacht (GAM) – eine „griechische Revolution“ herbeiphantasiert, mit der sich angeblich (schon) solidarisiert werden könnte, (2)
aber auch nicht wie Teile der Linkspartei (3) ein „Ja“ in Griechenland und eine „Enthaltung“ im Bundestag zu der Brüsseler Vereinbarung propagiert,
aber auch nicht – in letztlich nationalistischer Manier – die Währungsfrage (Euro oder Grexit?) vor die Klassenfrage stellt
und schließlich auch nicht – wie bspw. das Lower Class Magazine (4) – über einen angeblichen „Verrat“ von SYRIZA jammert oder schimpft, sondern eine realistische Analyse von SYRIZA und der entstandenen Lage gibt.
1. Entgegen Hoffnungen, Enttäuschung über SYRIZA würde sich zwangsläufig nach links wenden (5), warnt der RSB: „Es gilt [...] zu beleuchten, warum dies so geschah und wo der Ausweg aus der jetzt (Mitte/Ende Juli 2015) entstandenen Sackgasse liegen kann. Denn wird der nicht gefunden und entschlossen angegangen, droht nicht nur weitverbreitete Demoralisierung, sondern auch ein starker Anstieg rechtsextremer Tendenzen (nicht nur in Griechenland, wo die Goldene Morgenröte bereits Morgenluft wittert) und ein tiefgreifender klassenpolitischer Rückschlag weit über die griechischen Grenzen hinaus.“
2. Zu SYRIZA heißt in dem Text: „Für manche mag es wie Schuppen von den Augen gefallen sein, dass [...] auf die – sogar noch weiter verschärften – Bedingungen der ‚Institutionen“ einging. [...]. Aber in Wirklichkeit handelt es sich gerade nicht um eine Kehrtwende der griechischen Regierung, sondern allenfalls um die ‚amtliche’ Bestätigung der seit Anfang an offen erklärten Absicht der Kooperation mit den ‚Institutionen’ (siehe das Abkommen vom 20. Februar und alle weiteren Erklärungen, in denen beteuert wurde, dass die Schulden anerkannt werden und zurückgezahlt werden sollen, dass eine Verhandlungslösung gesucht wird usw.). Manche mögen die Syriza-Führung für naiv und unprofessionell halten. Aber wir sehen die Ursache für ihre Kapitulation und die Missachtung des WählerInnenwillens in ihrer ideologischen Fixiertheit auf das herrschende kapitalistische System. Ihre gesamte strategische Orientierung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, jedenfalls dann, wenn wir die Verteidigung der Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung als Maßstab nehmen. Die Syriza-Strategie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Sie zielte auf eine ‚Verständigung’ mit den Herrschenden; zu keinem Zeitpunkt wurde die Memorandumspolitik als eine Klassenfrage begriffen und so gewertet, sondern immer nur als eine fehlerhafte Politik, die durch Argumente zu ändern wäre.“
3. Die Grexit-Frage wird, wie geboten, nicht an die erste, sondern an die zweite Stelle gesetzt; rückblickend auf die Fragestellung beim Referendum vom 5. Juli heißt es: „Hätte Syriza neben den Verhandlungen von vornherein die Bevölkerung auf einen anderen Weg orientiert – unter Verweis auf die offensichtliche Kompromisslosigkeit der ‚Institutionen’ – und wäre der Bruch mit der EU als unumgänglich erklärt worden, dann hätte sich nicht die Frage ‚Für oder gegen Europa’ gestellt. Dann wäre es bei dem Referendum um die Frage gegangen: Welches Europa wollen wir? Das des Kapitals oder ein Europa im Interesse der ausgebeuteten und unterdrückten Massen? In diesem Fall wäre auch die Frage des Grexits nur eine abgeleitete Frage und nicht die scheinbare Hauptfrage gewesen.“
Hier wäre allerdings der Klarheit halber noch hinzuzufügen, daß ein „Europa im Interesse der ausgebeuteten und unterdrückten Massen“ nur ein sozialistisches Europa sein kann. (6) Weiter unten werden in in der RSB-Erklärung aber ohnehin einige Punkte aufgezählt, die nach RSB-Ansicht „unverzichtbar“ sind und im Anschluß daran heißt es: „All diese Maßnahmen, die in ihrer Konsequenz auf die Errichtung einer nicht-kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinauslaufen – und dies auch zum erklärten Ziel haben müssen – haben nur dann eine Realisierungschance, wenn sie auf breitester Selbstaktivität der lohnabhängigen Bevölkerung, der RentnerInnen und der Jugend aufbauen.“ (Jene Punkte sind also hoffentlich nicht als „Forderungen“ an einen nach wie vorher bürgerlichen Staat zu verstehen – aber so ganz sicher bin ich mir da beim RSB nicht. [7])
4. Folglich ist auch klar, daß, falls es in Griechenland zu einer Wendung nach links kommt (was alles andere als sicher ist: siehe Nr. 1), dann kommt alles darauf an, das diese Wendung nicht isoliert bleibt: „es [wird] im Verlauf des Kampfes die aktive politische Unterstützung aus anderen Teilen Europas und es braucht dazu einen größeren ökonomischen Zusammenhang als es dieses Land für sich alleine darstellt.“
5. Es wird zwar von einer gemeinsamen „Front“ mit dem linken SYRIZA-Flügel gesprochen, aber erfreulicherweise nicht von einer Fusion der revolutionären Kräfte in Griechenland mit diesem. Allein irritiert etwas, das dem linken SYRIZA-Flügel, der auch nur linkssozialdemokratisch ist (8) – wenn auch im Moment konsequenter als der Tsipras-Flügel, bescheinigt wird „systemkritisch“ zu sein: „es [wird] in den kommenden Wochen und Monaten – spätestens nach der Sommerpause – darauf ankommen, dass sich eine breite Front aller systemkritischen Kräfte bildet – also von der linken Plattform in Syriza bis zum Bündnis der revolutionären Organisationen Antarsya –, das in den Betrieben und auf der Straße für eine andere Politik mobilisiert.“
(1) „Griechenland kann wachsen, aber die dafür notwendigen Investitionen können gegenwärtig kaum im Inland aufgebracht werden. Deshalb kommt dem europäischen Investitionsplan eine zentrale Bedeutung zu. Für einen tragfähigen Schuldenstand wäre eine nominale Wachstumsrate – das heißt einschließlich der Inflation – von 2% wichtig. Das ist nach einer langen Abwärtstendenz nicht besonders schwer zu erreichen.“ (http://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/den-grexit-von-links-traeumen/) – Und wieso sollte die EU das auf einmal machen, nachdem sie Tspiras und dem großen ‚Rest’ der griechischen Bevölkerung gerade etwas ganz anderes aufgedrückt hat?
(2) „Solidarität mit der griechischen Revolution!“ (http://www.arbeitermacht.de/infomail/829/griechenland.htm) / „The last few months saw the growth of a revolutionary situation in Greece, in which the popular masses in general, and the working class vanguard in particular, entered into open confrontation and class war with the ruling class.“ (http://www.fifthinternational.org/content/greece-syriza-surrenders-%E2%80%93-without-fight)
(3) http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/ja-griechenland-nein-deutschland/ (Gregor Gysi: Ja in Griechenland – Nein in Deutschland); http://forum-ds.de/wp-content/uploads/2015/07/Erkl%C3%A4rung-Luise-Neuhaus-Wartenberg-und-Dominic-Heilig.pdf (Luise Neuhaus-Wartenberg und Dominic Heilig: „Warum ein „Nein“ im Bundestag die falsche Antwort ist“).
(4) Die historische ‚Vorlage’ dafür wäre das Scheitern der französischen sozialistisch-‚kommunistischen’ Regierung Anfang der 80er Jahre, das den Aufstieg der Front National begünstigte; vgl. dazu: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/07/15/nix-gelernt-aus-griechenland-2015-nichts-und-aus-frankreich-198184-nichts-the-lefts-dirty-job/.
(5) http://lowerclassmag.com/2015/07/kapitulation-widerstand-revolutionaerer-bruch/ nd meine Kritik daran: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/07/13/noch-einmal-zur-kritik-des-verrats-begriffs/.
(6) Vgl. dazu: http://www.trend.infopartisan.net/trd0715/t430716.html.
(8) http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/07/18/materialien-zur-syriza-linken/.
"falsches" programm
ch teile nicht ganz deine positive einschätzung der RSB erklärung. wenn man sich das "programm" anguckt, auf der eine "breite front aller systemkritischen [?] kräfte" gebildet werden soll, dann ist das reiner linkskeynesianismus:
" Unabdingbar für eine eigenständige Entwicklung der griechischen Wirtschaft ist ein umfangreicher Schuldenschnitt und die offensive Zurückweisung aller illegitimen und verabscheuungswürdigen Staatsschulden.[3]
[eigenständige entwicklung der griechischen wirtschaft? wann gab es sowas jemals. ist nicht gerade die internationale verflechtung kenzeichen des kapitalistischen imperialismus als der realität des WELTmarktes. von den moralistischen begriffen "illegitim" und "verabscheuungswürdig" will ich lieber erst gar nicht reden. siehe auch facebook.com/joachimschillhahn/posts/1116600608369452
leider sind deine [TaP] kommentare nicht mehr zu lesen]
·
Kategorische Zurückweisung aller Sparauflagen ganz gleich seitens welcher Kreditgeber oder sonstiger (nicht nur ausländischer) Institutionen. Ausgabenkürzungen darf – ja muss es – bei den Repressionsapparaten (vor allem dem Militär) und sonstigen Stellen geben, die nicht den Lebensstandard der lohnabhängigen Bevölkerung berühren, etwa bei Prestigeprojekten, Repräsentationsausgaben usw.
[soll sich der bürgerliche staat selbst abrüsten?]
· Unverzügliche Inangriffnahme eines alternativen Wirtschaftsprogramms, das sich unter anderem auf folgende Pfeiler stützen muss:
o Umfangreicher Ausbau der sozialen Sicherungssysteme;
[reformismus!]
o Staatliche Aufträge für Infrastrukturmaßnahmen, die das Leben der einfachen Bevölkerung erleichtern (Transportwesen, Energieversorgung usw.);
[keynesianismus!]
o Vergesellschaftung der großen Unternehmen in Industrie und Handel sowie des gesamten Finanzsektors. Im Unterschied zur Verstaatlichung unter kapitalistischen Vorzeichen muss dies auf entschädigungsloser Enteignung beruhen und muss die Betriebe unter Kontrolle der dort Beschäftigten sowie der allgemeinen Öffentlichkeit stellen.
[das ist richtig. aber WER soll das machen? eine rätebewegung gibts ja wohl in griechenland nicht]
o Stopp aller Privatisierungen;
[WER ist aufgefordert? der bürgerliche staat?]
o Stark progressive Besteuerung der Reichen und damit einhergehend Kapitalexportkontrollen, Offenlegung der Geschäftsbücher aller großen Firmen;"
[wieder: WER ist der adressat dieser forderung?]
dieses ganze "programm" ist bestenfalls satter linksreformismus und hat nichts mit den revolutionären essentials zu tun, für die wir seinerzeit im NAO prozess eingetreten sind
https://systemcrash.wordpress.com/2014/03/20/was-bleibt-vom-nao-prozess-als-fliesstext/.
es gibt in griechenland keine vorrevolutionäre situation. darum verdampfen alle "übergangsforderungen" im politischen nirvana. die bittere realität ist, dass man sich erst einmal über die elemente eines "revolutionären programs" VERSTÄNDIGEN muss, bevor man eine breitere gesellschaftliche verankerung angehen kann. solange ist alles gerede über "revolution" und "antikapitalistische systemüberwindung" wolkenkuckucksheim-geschwätz. - und leider ist das selbst für griechenland wahr. das hilft zwar kurzfristig den leuten gar nix, aber vlt dann doch mal auf längere sicht gesehen schon. denn in einem hat der RSB natürlich recht:
"Ein Verharren in Missmut und Mutlosigkeit wäre die schlechteste Option überhaupt. Denn trotz der Kapitulation der griechischen Regierung und dem Obsiegen der „Institutionen“ gibt es doch auch Chancen, die nicht als gering bewertet werden sollten. Die EU-Institutionen (faktisch weitgehend beherrscht von der deutschen Regierung und ihren Alliierten) haben sich nicht nur in den Augen der griechischen Massen als Halsabschneider erwiesen. Auch in anderen Ländern wächst – wenn auch vorläufig noch verhalten – die Einsicht, dass mit diesem Gebilde eine interessengeleitete Klassenpolitik durchgesetzt wird: gegen jedes Experiment linker Politik, welche sich für das Anliegen der Ausgebeuteten und Unterdrückten einsetzt."
http://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=52425&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=9ed51665f9
unrealistische "Analyse"
wahrscheinlich ist das keine Analyse hier, sondern ein bloßes Statement seitens des RSB/ TaP.
Zu 1.) der "linksruck" in gr, der mit der Wahl mit Syriza einherging, mag einer gewesen sein, jedoch wird hier vergessen, dass syriza mit einer rechtspopulistischen Partei koaliert. dann wurde, nach dem annehmen des spardiktats, die komplette linke kabinettsseite ausgetauscht. vom linksruck bleibt da wohl nicht mehr viel übrig.
zu 3.) die Frage nach dem Grexit wurde bewusst nicht gestellt, da die Griechen mehrheitl. für einen Verbleib in der EU sind, jedoch mehrheitlich gegen die neuesten Sparauflagen. insofern ist klar, welche der zwei Abstimmung besser zu gewinnen ist bzw. war
zu 4.) das wird nicht passieren! erst kommt das fressen, dann die moral. ist auch in "unseren" kreisen so.
zu 2.) natürlich geht es syriza nicht um die überwindung des kapital(ismus). vielleicht mal als das parteiprogramm in einer verqualmten hinterstube verfasst wurde. mit der regierungsverantwortung, war auch das passé! was soll man davon halten, wenn ein referendum über sparauflagen abgehalten wird, die Bevölkerung sagt nein- und ein paar wochen später werden exakt diese forderungen erfüllt und sogar noch strenger erfüllt als ursprüngl geplant? ...den leuten, die, als syriza an die macht kam, nur müde lächeln konnten, da anti-parlamentaristisch eingestellt, kann ich so langsam verstehen.
wieso die sparauflagen noch härter ausfallen, weiß ich nicht, ich kann nur mutmaßen, dass es in den verhandlungen in brüssel seitens der geldgeber massive drohungen gegeben hat, von wegen "wir lassen euch ausbluten und verhunern, wenn ihr nicht einwilligt", anders is diese farce mit dem referendum für mich kaum nachvollziehbar.
gruß
Was wolltest Du mit Deinem Kommentar sagen?
Sorry,
ich habe jetzt gerade erst - aus Anlaß meines neuen Textes:
SYRIZA ist tot! Es lebe SYRIZA?
https://linksunten.indymedia.org/de/node/151892
hier wieder reingeguckt:
zu 1.: a) "syriza mit einer rechtspopulistischen Partei koaliert": Ja, das ist zu kritiseren. Aber das ist zum einen nicht die Ursache des weiteren Schlamasels und selbst auch nur ein Symptom der grundsätzlich parlamentarischen Orientierung von SYRIZA.
b) "dann wurde, nach dem annehmen des spardiktats, die komplette linke kabinettsseite ausgetauscht. vom linksruck bleibt da wohl nicht mehr viel übrig."
"annehmen des spardiktats". Das ist ja der - zum kritisierten Gegenstand gemachte - Anlaß des Textes.
"vom linksruck bleibt da wohl nicht mehr viel übrig". Wurde in dem Text etwas anderes behauptet? Nein. Von einem "Linksruck" ist eh weder in meinem Artikel noch in dem RSB-Text die Rede - obwohl es im Jan. 'linker' war SYRIZA zu wählen als ND oder POSAK zu wählen, und der dadurch bewirkte Effekt hielt auch ein paar Monate an. Daß er nicht lange anhalten würde, hatte ich allerdings - im Gegensatz zu SYRIZA-Fans - schon 2012 erwartet:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/07/19/micha-pruetz-macht-macht... (siehe dort am Ende: "PPS. – nur für’s Protokoll:")
zu 3.: "die Frage nach dem Grexit wurde bewusst nicht gestellt". Auch dazu wurde weder von mir noch vom RSB etwas anderes behauptet.
zu 4.: "das wird nicht passieren! erst kommt das fressen, dann die moral. ist auch in 'nseren' kreisen so." - Dann können wir ja alle politisch Aktivität einstellen...
zu 2.: "natürlich geht es syriza nicht um die überwindung des kapital(ismus)." - Einige Linke scheinen Anderes von SYRIZA erwartet zu haben; ich und der RSB aber nicht. -
Nach alledem verstehe ich nicht, worauf Du mit Deinem Kommentar hinaus wolltest. -
Den besprochenen Text gibt es im übrigen mittlerweile auch auf der Seite des RSB selbst:
Griechenland - Mehr denn je : An einem Bruch mit der EU führt kein Weg vorbei!
http://www.rsb4.de/content/view/5564/85/