Seit der SYRIZA-Kehrtwende am Tage nach dem Referendum sind in der Debatten-Rubrik auf der Homepage des „neuen deutschland“ (1) eine ganze Reihe interessanter Artikel erschienen:
Am 11.7. schrieben Horst Kahrs und Tom Strohschneider: „Wir hatten [...] kurz nach dem Wahlsieg von SYRIZA, formuliert: ‚Wer sein eigenes Reden vom historischen Fensterspalt ernst nimmt, der in Athen angeblich geöffnet wurde, der sollte jetzt auch ernsthaft darüber reden, wie man aus einer bloßen Zuschauer-Solidarität heraustreten kann.’ Seien wir ehrlich: Hierzulande, und das ist der Maßstab unserer Kritik, ist darüber weder ernsthaft geredet worden, noch gab es eine wirksame Praxis über Appelle, Aufrufe, Erklärungen hinaus. Wir schätzen nicht gering, was Blockupy auf die Straße gebracht hat, oder die Demonstration am 20. Juni. Aber das ist es auch nicht, was mit dem Heraustreten aus der Zuschauersolidarität gemeint war. Es hatte sicher Gründe, dass dies nicht passiert ist. Wir fragen uns: Welche und was könnte mit Aussicht auf Besserung daran verändert werden? Reicht es aus, über kluge linke Krisenanalysen und Konzepte zu verfügen? Was haben wir im Kampf um Sprache und Deutungen, um Diskurshoheit gewonnen?“
Am gleichen Tag ging Tom Strohschneider der Frage nach, in welchem Verhältnis die neuen Vorschläge, die griechische Regierung zwischen Referendum und Brüsseler Gipfel beschloß, zu dem Referendums-Ergebnis stehen. Er schrieb: „Eine Mehrheit der Griechen hat sich vor knapp einer Woche gegen die Krisenpolitik der Gläubiger ausgesprochen. War das OXI ein Nein konkret zu den damals auf dem Tisch liegenden Vorschlägen? Oder ein Nein zur Krisenpolitik in der EU und damit vor allem ein Nein in Richtung Berlin allgemein? Oder vor allem eine demokratische Willenserklärung, sozusagen ein ‚Ja’ im Kleid des ‚Nein’, die der SYRIZA-geführten Regierung ein Mandat geben sollte, die Verhandlungen fortzusetzen, die Regierungspolitik weiter zu gestalten? Je nachdem, wie man das beantwortet, wird auch das Urteil über die nun vorgelegten Maßnahmen anders ausfallen.“
Diese vorgelegten Maßnahmen wurde zwei Tage später von Thomas Sablowski analysiert: „Was erhält Griechenland als Gegenleistung der Gläubiger für all diese Konzessionen? Der Antrag auf einen ESM-Kredit dient lediglich dem Zweck, den laufenden Refinanzierungsbedarf des griechischen Staates zu decken, und zwar nach dem Antrag vom 30.6. für zwei Jahre, nach dem Antrag vom 8.7. für drei Jahre.“ Statt diesen schlechten Handel abzuschließen schlug er vor: „Es gäbe freilich eine Alternative, die darin bestünde, wie vom linken Flügel in SYRIZA gefordert, die Banken unter öffentliche Kontrolle zu bringen, aus der Eurozone auszusteigen und gegenüber den Kapitaleignern in die Offensive zu gehen.“
Genau davor warnte am gleichen Tage Thomas Seibert: „Das linke Grexit-Griechenland würde im 21. Jahrhundert den Sozialismen des 20. Jahrhunderts ein Nachzugsprojekt hinzufügen: die autoritär-sozialistische Verwaltung eines Elendszustands, dessen Befürworter*innen eine ideologischen Dividende (‚sozialistisches Griechenland, voran, voran, die Zukunft wird strahlend sein!’) ausgezahlt wird, die immer weniger Leute zufriedenstellt, je länger der Zustand andauert.“
Am 15.7. legten Joachim Bischoff und Björn Radke ihre Einschätzung des Ergebnisses vor: Was Thomas Sablowski als Mangel erscheint – die bloße Umschuldung –, erscheint ihnen als Erfolg: „Die Bundeskanzlerin hat Recht mit der Einschätzung der positiven Substanz für die Regierung Tsipras: ‚Zunächst einmal in dem hohen Finanzbedarf.’ In der Tat: Bei Abschluss der Verhandlungen erhält Athen faktisch eine Umschuldung von ca. 50 Mrd. Euro für die nächsten drei Jahre. […]. Griechenland [...] hat auch eine Chance, auf einen wirtschaftlichen Erholungs- und Wachstumskurs zurückzufinden. Erschwert wird dieser Rekonstruktionsprozess der gesellschaftlichen Ökonomie durch weitere Kürzungen im Staats- und Sozialhaushalt, also weitere Verringerung von Kaufkraft.“
Am 16.7. erschien ein weiterer Artikel von Thomas Seibert: Er spricht von einer „Niederlage“ SYRIZAs und schreibt: „Die Partei Schäuble hat gesiegt, weil sie sich der Zustimmung von 70 Prozent der deutschen Gesellschaft sicher sein konnte. Das darin artikulierte Machtverhältnis entspricht den Machtverhältnissen in der großen Mehrheit der EU-Gesellschaften, voran der baltischen und skandinavischen, auch der niederländischen und der französischen, wohl auch der italienischen. [...]. Die Massen, [...], stehen selten links, und sie haben das auch diesmal nicht getan.“
Tomasz Konicz schlug am 20.7. vor: „Auf die Eskalationsstrategie Berlins muss die europäische Linke mit einer tatsächlichen Eskalation antworten, mit einer europäisch koordinierten und organisierten Boykottkampagne, wie sie spontan in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag BoycottGermany propagiert wurde. Die Linke muss unbedingt dem deutschen Wirtschaftskrieg adäquate Kampfformen entwickeln. Eine EU-weite Boykottkampagne gegen deutsches Kapital wäre das erste große gemeinsame Projekt einer europäischen Linken, in der sie sich als relevante transformatorische Kraft konstituieren könnte. Es ist die letzte Chance, eine Verfestigung des deutschen Europa - oder dessen Zerfall in Chauvinismus und nationalen Wahn - zu verhindern.“
Optimistischer äußerten sich am Folgetage Etienne Balibar, Sandro Mezzadra und Frieder Otto Wolf; sie hoffen auf eine „eine Dialektik von Anwendung und Widerstand in der Umsetzung der Vereinbarungen“: „Uns scheint nun, dass die Bestreitung der Regierungsentscheidungen, so legitim sie auch ist, jedenfalls nicht dazu führen darf, dem Feind in die Hände zu spielen. Entweder hält also die Einheit der Bewegung – dann wird es möglich seine, eine Dialektik von Anwendung und Widerstand in der Umsetzung der Vereinbarungen in Gang zu setzen. Oder sie zerbricht – womit dann die Hoffnung begraben wäre, wie sie in Griechenland, in Europa und sogar in der Welt aufgekommen war.“
Am 24.07 schrieb Andreas Hallbauer vor: „Rot-Rot-Grün ist [...] gegenwärtig nicht mehr als eine Schimäre. Im Gegenteil rückt die SPD unter Gabriel z.Zt. weit nach rechts, was sich gegenwärtig insbesondere an ihrer Griechenlandpolitik fest macht. Um die Widersprüche in der SPD voran zu treiben und mit der Politik der SPD-Führung unzufriedenen Sozialdemokraten eine Orientierung auch für deren eigene Auseinandersetzung zu bieten, sollte die Linkspartei einen ‚Offenen Brief an die Mitglieder und die Führung der SPD’ richten, wo sie diese auffordert zumindest wieder auf klassische sozialdemokratische Positionen zurückzukehren, insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, einer friedlichen Außenpolitik, einer progressiven Europapolitik, speziell gegenüber Griechenland, sowie sich in der Umweltpolitik den anstehenden Herausforderungen zu stellen, da ohne diese Kurskorrekturen eine Kooperation mit der Linkspartei, erst recht eine gemeinsame Regierung auf Bundesebene nicht möglich ist. Dieser ‚Offene Brief’ sollte massenhaft in einer entsprechenden Kampagne bundesweit auf Straßen und Plätzen verteilt werden.“
Bereits am 23.07. erschien ein Beitrag von Janine Wissler und Nicole Gohlke, der nun eine explizit auf einander bezogene Debatte loslöste. Sie stellten u.a. die These auf: „Letztlich hat es aber die Linke in Europa versäumt, ernsthafte Überlegungen für einen Plan B zu entwickeln. In den Verhandlungen mit den Gläubigern hat sich die Linksregierung damit jeglicher Alternativen beraubt. Durch den Verzicht auf einen Plan B blieb am Ende nur eine einzige Option: Um jeden Preis im Euro zu bleiben. Entsprechend konnten die Institutionen den Preis fast beliebig in die Höhe treiben und die Regierung musste am Ende allem zustimmen, weil sonst nur der Bruch blieb, der unbedingt vermieden werden sollte.“
Darauf antwortete Detlef Georgia Schulze zwei Tage später: „Wir wissen mittlerweile, mit welcher Naivität der Tsipras-Flügel von SYRIZA, aber auch Varoufakis in die Verhandlungen mit der Troika hineingegangen ist. […]. Aber leider ist die SYRIZA-Linke nicht (viel) realistischer als der Regierungsflügel; vielleicht ist sie sogar noch unrealistischer: Während der Regierungsflügel der machtpolitischen Realität sich unterwerfend Rechnung trägt, ignoriert der linke Flügel sie einfach und schreibt und publiziert irgendwelche Wunschzettel: […]. Das Problem an SYRIZA ist nicht, daß sie bisher nicht radikal genug gehandelt hat, sondern daß sie schon für ihre bisherigen – in der Tat nicht sonderlich radikalen – Handlungen, zuvor nicht radikal genug gedacht hat; nicht bedacht hat, daß ihr (noch) die nötigen konzeptionellen und Machtressourcen fehlen, um ihre Wunschzettel erfüllt zu bekommen bzw. vielmehr, sie sich selber erfüllen zu können.“
Alban Werner bemängelte dagegen am gleichen Tag an dem Artikel von Janine Wissler und Nicole Gohlke: „Am Ende [ihres Textes] gestehen Wissler und Gohlke selbst zu: ‚Die Ursachen für das (vorläufige) Scheitern von SYRIZA liegen“ – nicht in erster Linie am Fehlen eines Plan B, sondern – „vor allem im Fehlen relevanter linker Bewegungen im Rest von Europa und natürlich an der historischen Schwäche der Linken in Deutschland’.“ Zu letzterem Thema vertritt Werner dann folgende These: „Trotzdem wäre es falsch zu glauben, die Unterstützung der Deutschen für Wolfgang Schäubles harte Verhandlungspolitik und das für Griechenland demütigende Verhandlungsergebnis sei in erster Linie auf manipulierende Medien zurückzuführen. Auch wenn es definitiv immer wieder Manipulationsversuche seitens der Medien gibt [...], heißt das nicht, dass sie alleine für die Mehrheitsmeinung ursächlich und prägend sind. Nur auf Manipulation abzustellen ist eine schlechte Variante linker Selbstberuhigung, denn mit einer so leicht manipulierbaren Masse von BürgerInnen wäre schlicht kein Sozialismus zu machen. In denselben Papierkorb linker Selbstberuhigungen gehören alle Erklärungen, die einfach auf ein subjektiv ‚falsches Bewusstsein’ deutscher BürgerInnen abstellen. Das Problem liegt – leider! – erheblich tiefer als das, was notwendige Medienschelte und akribische Diskursanalysen zu erreichen vermögen. Zu fragen ist vielmehr, warum die Deutung der Eurokrise von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, die Deutschland als vernünftige Wohlstandsinsel und die Krisenländer als wirtschafts-, finanz- und arbeitsmarktpolitische Sündenfälle hinstellt, bei so vielen Menschen plausibel ist und als sinnfällige Beschreibung der Wirklichkeit ungeprüft hingenommen wird.“ (1) http://www.neues-deutschland.de/rubrik/debatte/?s=0
Das ist kein Presseartike.
Das Geschriebene hat nichts mit der Verlinkung zu Tun. Nervt... oder meint ihr das ich jetzt das gesamte "Neue Deutschland" durchsuche?
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http://www.neues-deutschland.de/rubrik/debatte/?s=0