Wie vor wenigen Tagen berichtet, befinden sich seit dem 3. Juli 2015 zwei Sicherungsverwahrte in einem unbefristeten Hungerstreik.
Die Forderungen
Herr H., der schon 2014 mit einem Hungerstreik Schlagzeilen machte und gegen die Haftbedingungen in der Freiburger Sicherungsverwahrung protestierte, sowie Herr P., fordern, dass VertreterInnen des Justizministeriums, sowie des Landgerichts Freiburg in der JVA erscheinen, um zusammen mit anderen Mitverwahrten die desolate Situation in der SV-Anstalt zu erörtern.
Sie kritisieren, dass Fehlen jeglicher Aussenorientierung. Was heißt das? Während in anderen SV-Anstalten z.B. therapeutisch kooperative Insassen motiviert werden durch zusätzliche Ausführungen, d.h. Unter Bewachung gehen sie in die Innenstadt einkaufen (so z.B. JVA Schwalmstad), gibt es in der Freiburger SV keinerlei Anreiz- oder Motivationssystem.
Ferner fehle es an einer realistischen Entlassungsperspektive für die allermeisten Insassen, obwohl das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 04.Mai 2011 gefordert habe, die Anstalten müssten zwingend alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um möglichst rasche 'Entlassreife' herzustellen.
Aufmerksam machen wollen sie auch auf den bloßen Verwahrcharakter; so starb erst am 11.11.2014 ein Mitverwahrter, dessen Tod dann zu umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart, sowie einer Anfrage der CDU-Landtagsfraktion (Drucksache 15/6867, abrufbar unter landtag-bw.de), führte. Weitere Verwahrte vegitierten hier vor sich hin: der eine kote und nässe sich fast täglich ein, ein anderer lebe in einer meist total vermüllten Zelle. Beiden Verwahrten müsste ein anderer Verwahrter deshalb, manchmal täglich, die Zelle putzen und teilte ihnen die Wäsche zu.
Zwanzig weitere Sicherungsverwahrte haben in einer 'Solidaritätserklärung' sich der Kritik der beiden Hungerstreikenden angeschlossen und die Unterschriftenliste an Herrn Dr. Lasotta (Mitglied des Landtags) gesandt und ihn gebeten sich einzuschaĺten.
Selbst Sicherungsverwahrte die lediglich wegen Betäubungsmittelstraftaten verurteilt wurden, würden keine echte Perspektive bekommen: so habe im Fall des Herrn D. das Landgericht Freiburg schon vor fünf Monaten empfohlen, Herr D. solle Arbeit zugeteilt werden, damit er einen regelmäßigen Tagesablauf erlerne und nach einigen Monaten könne man erwägen ihn in eine andere JVA zu verlegen, wo er an einer Diamorphin-Substitution (Heroin-Ersatzstoff) teilnehmen und hernach eventuell entlassen werden könne. Noch heute wartet Herr D. auf die Chance arbeiten zu können!
Wenn also, so die beiden Protestierenden und viele weiter Untergebrachten, selbst jemanden mit einem Delikt wie diesem, keine echte Chance erhalte, dann gelte dies um so mehr für die hier sonst inhaftierten Gewalt- und insbesondere die Sexualtäter. Wie wohl jeder seine Strafe abgesessen habe, werde man wie ein Strafgefangener behandelt, mit maximalen Sicherungsmaßnahmen – erst recht seit vor wenigen Wochen der ehemalige Chef der Isolations-/Sicherheitsabteilung der Strafhaft, Herr Amtsinspektor H. in die SV-Anstalt versetzt wurde und umgehend mit intensiven Zellenkontrollen und weiteren Maßnahmen von sich reden machte.
Für Versuche der Kontaktaufnahme verwies Herr H. auf seine Freiburger Rechtsanwältin Frau Gröbmayr.
Die Reaktion der Haftanstalt
Zuerst probierte es man mit ignorieren, dann wurden Dokumentationsmappen Station angelegt: es wird von dem uniformierten Dienst schriftlich jeden Tag dokumentiert, wann Nahrung angeboten und abgelehnt wurde. Am 07.Juli 2015 mussten die beiden dann zum Arzt, wo sie ihm eine Patientenverfügung übergaben. Insbesondere Herr H. betont, er wolle sich unter keinen Umständen zwangsernähren und zwangsbehandeln lassen. Dies dokumentierte dann der Anstaltsarzt Herr S. In den Akten.
Am Mittwoch den 08.Juli 2015 fanden auf den vier Stationen der SV-Anstalt Sondersitzungen mit der therapeutischen Leiterin Frau Dr. S., dem Vollzugsleiter Herr Dipl-Sozialpädagogen G., besagtem Amtsinspektor H., dessen Vertreter und weiteren Vollzugsbeamten, einer Sozialarbeiterin, sowie einem weiteren Psychologen Herrn Dipl-Psych. M., statt.
Mehrere Stunden befragten diese die Verwahrten. Auf der Station auf der die Hungerstreikenden leben, wurde allerdings vor Beginn des Gesprächs der Untergebrachte Herr J. weggeschlossen, denn laut Frau Dr. S. Habe dieser sie in der Vergangenheit u.a. als „Frau Mengele“ bezeichnet und damit schwer beleidigt.
Das dann folgende eineinhalbstündige Gespräch verlief in relativ gesittetem Rahmen. Offenbar zu ruhig,denn am Folgetag gab es die Rückmeldung, dass als Resümee bei der Anstaltsleitung nach allen Gesprächen angekommen sei, dass doch soweit alles einigermaßen in Ordnung sei, es gäbe keine ungute Stimmung und die vorgetragenen Beschwerdepunkte beträfen im wesentlichen Randbereiche.
Es war übrigens direkte Folge des Hungerstreiks, dass es solche Konferenzen gab. In all den Jahren die nun diese SV-Anstalt existiert, gab es ein derartiges Gespräch mit allen Verwahrten noch nie.
Beiläufig wurde dann noch mitgeteilt, dass das für den 15.Juli 2015 geplante Grillfest im Hof der SV-Anstalt abgesagt, zumindest verschoben sei, denn es sei „ethisch nicht vertretbar“ (O-Ton Anstaltspsychologe M.) im Hof zu grillen, während zwei Verwahrte hungerten.
Ein Beamter des uniformierten Dienstes stellte jedoch die Vermutung in den Raum, in Wahrheit habe man verhindern wollen, dass angesichts der aufgeheizten Stimmung 40 oder 50 Verwahrte zeitgleich in den Hof kämen, dazu noch all die ehrenamtlichen BetreuerInnen die als Gäste eingeladen waren.
Die Presse
Einer der beiden Hungerstreikenden hatte sich die Telefonnummer eines SWR-Journalisten 'genehmigen' lassen (auch einer der Kritikpunkte: Verwahrte dürfen sich weder anrufen lassen, noch beliebige Nummern anrufen. Man muss sich im Vorfeld schriftlich um die Freischaltung einer bestimmten Nummer bemühen) und gab dann am 09.Juli 2015 telefonisch ein Interview.
Der SWR berichtete sodann über deren Hungerstreik.
Am 09.07.2015 berichtete die Badische Zeitung über den Hungerstreik; ließ dort aber sehr ausführlich einen Sprecher des Justizministeriums zu Wort kommen, der unterstellte, die beiden hätten ja die Möglichkeit gewissermaßen heimlich zu Essen.
Im übrigen seien der JVA und dem Justizministerium keine Forderungen der Protestierenden bekannt; dies könnte auf eine fehlende Kommunikation hindeuten, denn Herr H. hatte sich u.a. an Frau Ministerialdirektorin Gallner im Ministerium brieflich gewandt und dort die Forderungen deutlich beschrieben.
Da der Gewichtsverlust der Hungerstreikenden regelmäßig kontrolliert wird, kann man auch problemlos die Ehrlichkeit der Hungerstreikenden belegen; und so mag man die Ausführungen des Pressesprechers des Ministeriums unter Desinformation verbuchen.
Ausblick
Der Mitverwahrte H. wiegt bei 1,78 cm nur noch 61,7 kg; und er äußert den festen Willen „diesmal“
es durchzuziehen, bis sich jemand von der Aufsichtsbehörde hier einfinde.
Erst vor wenigen Wochen machte die JVA Bruchsal Schlagzeilen, weil - mal wieder – ein Gefangener starb. Dann wurde vor wenigen Tagen die ehemalige Anstaltsärztin von der Staatsanwaltschaft wegen des Hungertodes eines Isolationsgefangenen angeklagt, so dass man vermuten könnte, der Hausspitze des Justizministeriums, dem SPD-Justizminister Stickelberger, sei nicht sonderlich an einem neuen Todesfall gelegen, der nämlich den Fokus der Öffentlichkeit in verstärktem Maße auf die desolate, hoffnungslose Situation in der SV-Anstalt lenken würde: Todesfälle 2013 und 2014. 2015 starb dann ein ehemaliger Verwahrter nur wenige Monate nach seiner Haftentlassung. Einem Verwahrten musste ein ganzes Bein amputiert werden, einem anderen der Unterschenkel.
Diese Stimmung von Krankheit, Verfall, Siechtum und Tod beherrscht das Empfinden vieler der Verwahrten; insbesondere derer die keine Chance haben in absehbarer Zeit lebend entlassen zu werden.
Nicht umsonst werden Sicherungsverwahranstalten 'Totenhäuser' genannt.
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA (SV)
Hermann-Herder-Str.8, D-79104 Freiburg
danke & solidarität!
danke thomas für den bericht!
Danke Thomas!
dem kann ich mich nur anschließen. Danke Thomas!