Spätestens seit Ferguson kommen die amerikanischen Städte nicht zur Ruhe. Nun brannte es in Baltimore, nachdem wieder einmal ein junger Schwarzer von der Polizei getötet worden war. Im unten stehenden Bericht schildern einige Beteiligte ihre Erlebnisse der ersten größeren Krawallnacht am Samstag, dem 25. April. Dem Text gelingt es, ein wenig von der Stimmung dieses nächtlichen Abenteuers zu vermitteln.
Das englische Original des Textes findet sich hier, die Übersetzung ist der Seite www.magazinredaktion.tk entnommen.
Letzte Nacht in Baltimore
Wie nicht anders zu erwarten, verschleiern die Medienberichte über die Ereignisse am Samstag in Baltimore das Ausmaß der Krawalle der letzten Nacht. Das liegt unserer Meinung in erster Linie daran, dass das Geschehen die unmittelbare Folge des vollständigen taktischen Misserfolgs des Staates war, die Straßen unter Kontrolle zu halten. Einzuräumen, was TATSÄCHLICH passierte, würde bedeuten, vor ganz Amerika (das an seinen Bildschirmen zuschaut oder mitliest) zuzugeben, dass sie keine Kontrolle über uns haben, wenn wir wirklich ausrasten. Sie haben einfach nicht genug Bullen.
Zweifellos werden wir erleben, dass auf höchster Ebene Köpfe rollen, bei denen, die in Baltimore die Bullen rumkommandieren, da sie es letzte Nacht grandios verkackt haben. Oder wir werden nächste Woche die Nationalgarde auf den Straßen von Baltimore sehen.
Der Staat hat furchtbare Angst, dass dies DER Auslöser sein könnte. Der, den sie nicht eindämmen können.
Am Samstag, dem 25. April hatten die städtische Polizei von Baltimore wie auch die staatlichen Polizeitruppen von Maryland bis spät nach Mitternacht keinerlei Kontrolle mehr über den Großteil der Innenstadt Baltimores.
Der taktische Fehler des Staates bestand darin, beinahe alle ihre Bullen in voller Kampfmontur (also nicht besonders mobil) entweder an den Auffahrten der Autobahnen und Bundesstraßen zu postieren (sie dachten dabei wohl an die Protestwelle nach Eric Garners Ermordung in New York City, als die Taktik der Besetzung von Schnellstraßen in ganz Amerika nachgeahmt wurde) – oder aber sie das Baseballstadion bewachen zu lassen, wo gestern Abend zeitgleich das MBA-Spiel stattfand. Das Ausmaß der Konzentration ihrer Kräfte war so groß, dass die Parkplätze, auf denen die Zuschauer ihre Autos abgestellt hatten, bewacht waren – aber nichts anderes in unmittelbarer Nähe. An manchen Einfahrten stand eine geschlossene Polizeikette in Kampfausrüstung, während buchstäblich nur eine einzige Person indirekt die Kreuzung blockierte, schlicht weil sie die Bullen (verbal) wissen ließ, was sie fühlt.
Wir haben es noch nie erlebt, dass vermummte Protestierer sich VON HINTEN einer Bullenkette in volle Riotmontur nähern und um diese herumlaufen konnten und es noch nicht einmal eine verbale Warnung von den Bullen gab. Sowas passiert einfach nicht.
Die Bilder der Polizei als einer anscheinend allmächtigen Militärmacht wurden für die Kameras und Helikopter inszeniert. Es ist offenkundig, dass sie Befehle hatten, sich nicht einzumischen, solange die Protestierer nicht die Autobahnen betreten (die ohnehin schon durch die Anwesenheit der Bullen selbst blockiert waren) oder die Zuschauer des Baseballspiels belästigen. Du bist nur ein paar Häuserblocks entfernt und schmeißt alle Scheiben einer Bank ein, (während ein Typ hinter dir Zeit hat, ruhig einen Joint zu rauchen) und du siehst Dutzende Robocops ein eine andere Richtung rennen, die Scheinwerfer der Helikopter nur auf sie gerichtet. Fast so, als wollten sie sicherstellen, dass die Lichtstrahlen bloß nicht auf uns gerichtet sind. Die Bilder, die man im Fernsehen sah und die den Anschein erweckten, die Polizei hätte die Kontrolle, waren völlig übertrieben.
Das ist der Grund, warum für mehrere Stunden kleine umherschweifende Gruppen von Protestierenden (hauptsächlich sehr junge Halbwüchsige) die vollständige Kontrolle über die Straßen hatten.
Es ist nicht möglich, das Ausmaß dessen abzuschätzen, was überall in der Stadt passierte; es gab keine Organisation oder Kommunikation zwischen den verschiedenen Elementen, da es ein regelrechter Krawall war und kein Protest. Nur das Tränengas fehlte. Aber es gab die meiste Zeit keine Bullen um uns herum, sodass sie es nicht einsetzen konnten.
Gemeinsam können wir Folgendes bestätigen:
Mindestens zwei Gruppen von Protestierenden, um die herum sich jeweils mehrere kleinere Splittergruppen bewegten, brachen sofort in verschiedene Richtungen aus, als ein einzelner Bulle in normaler Uniform versuchte, eine andere Gruppe von einer andauernden Straßenblockade wegzuleiten. Die Gruppe, in der wir uns wiederfanden, begann damit, jeden verfügbaren Mülleimer, jede Sitzbank oder Baustellenabsperrung zu benutzen, um die Straße zu blockieren (in der Annahme, die Bullen würden uns verfolgen) und dann wahllos jedes Fenster und parkende Auto mit Steinen einzudecken. Das war keine Gruppe typischer Protestierer, die Eigentumsbeschädigungen ausführte und sich dabei an die übliche Wäscheliste hielt (Banken, Geldautomaten, etc.)
Es war eine Meute hauptsächlich schwarzer Jugendlicher, die schlicht genug vom Polizeiterror hatten, der sich wahllos und mit vollständiger Immunität vor Strafverfolgung gegen sie richtet, zusammen mit der schweigenen Zustimmung der Mehrheit der Leute um sie herum, ob schwarz oder weiß. Es war ein verdammter RIOT.
Junge Mädchen, die nur halb so groß und schwer waren wie die meisten in der Menge, sahen eine andere Frau das Pflaster aufbrechen und deckten sich sofort mit so vielen Steinen auf einmal ein (um sicherzugehen, dass JEDE Scheibe eingeschmissen würde), sodass sie von anderen freundlich darauf hingewiesen werden mussten, dass wir im Weitergehen mehr davon herausbrechen würden. Wir versprachen ihnen, dass uns der Vorrat nicht ausgehen würde.
Wir schrieen dem jungen Mädchen eine Warnung zu, das versehentlich zurückgeblieben war, als diese acht Zivilbullen aus ihren nicht gekennzeichneten Autos sprangen, um die Kinder zusammenzuschlagen, die sie einige Minuten zuvor mit Steinen eingedeckt hatten. Sie rannte nicht nur nicht weg, sondern brachte die Schweine eigenhändig dazu, sich zu verpissen und zurück in ihre Autos zu steigen, obwohl ein besonders weißer und fetter Bulle von seinen Chefs davon abgehalten werden musste, seine Pistole auf sie zu richten. Der Fotojournalist, der in dieser Situation Bilder machte, weigerte sich zuzugeben, dass er die Szene fotografiert hatte, als wir ihn aufforderten, das Beweismaterial herauszugeben. Leider erlaubten die Umstände uns nicht, das Filmmaterial dennoch zu bekommen. Glücklicherweise war dasselbe Mädchen eine Stunde später damit beschäftigt, ihre Freunde dazu zu bringen, zurück in die Innenstadt zu gehen. Sie hatte keine Angst.
Diese jungen Frauen sind der schlimmste verdammte Albtraum der Bullen! Sie sind wirklich unkontrollierbar.
Wir könnten mit Einzelheiten fortfahren, aber wir haben kein Interesse daran, dem Staat unsere guten Taten in einer bestimmten Ordnung aufzulisten.
Jedoch können keine Worte das Gefühl beschreiben, das uns überkam, als wir wieder an demselben Laden vorbeikamen, dessen Waren bereits vor zwei Stunden wiederangeeignet worden waren und eine andere Gruppe auftauchte, mit strahlenden Gesichtern wegen der sechs Bullenkarren, die nahe Camden Yard nicht bloß beschädigt, sondern in Brand gesetzt worden waren. Anders als in Ferguson waren diese Streifenwagen nicht in der Nähe der Demo als Köder platziert worden. Und sie kamen noch zu den Dutzenden (ja, Dutzenden) anderer privater und Zivilbullenautos dazu, die zusammen mit all den anderen Boutiquen, Rechtsanwaltbüros, Banken und Spätis von der zuvor erwähnten Gruppe selbst beschädigt worden waren.
(Wenn es davon kein Foto auf einem Tweet gibt, so liegt das daran, dass wir keine verdammten Schwachköpfe sind, die sich selbst fotografieren und dass genug erfahrene Freunde unterwegs waren, um unseren Crews zu erklären, warum beide Hände viel nützlicher sind, um Steine zu halten und zu werfen.)
Die Botschaft war sehr klar und richtete sich nicht nur an die Bullen, sondern an jeden in Baltimore:
No Justice, No Peace.
Fuck the Police.
Deshalb wurde ALLES kaputt gemacht. Wir werden die Schweine nicht mehr nett und „friedlich“ bitten, damit aufzuhören, uns zu töten.
Sicher wäre es viel einfacher, diesen Bericht als Übertreibung abzutun, aber fragt euch selbst, ob „1000“ Protestierende, die einige Autos „beschädigten“, die schwammig als „Polizeieigentum“ bezeichnet wurden, in der Lage wären, den verdammten Staat dazu zu bringen, das Stadion der Orioles bei laufendem Spiel abzusperren und Tausende von Zuschauern zu erklären, sie müßten drinnen bleiben, weil er draußen nicht für deren Sicherheit garantieren kann?
Wir wissen, dass das einzige Massenmedium, dass über diesen Aspekt der Ereignisse berichtet, fortfährt zu betonen, dass die Stadionsperrung vor dem letzten Wurf aufgehoben worden sei, aber sie sagen nicht, wie viele Leute für Stunden nach dem Ende des Spiels dort blieben und auf die Ankunft ihrer Autos zu warteten, um nach Hause in die Vororte zu fahren. Nebenbei gesagt waren wir zu diesem Zeitpunkt schon zurück in unseren eigenen Vierteln auf der Westseite. Aber im Ernst: Die Bullen wären definitiv nicht in der Lage gewesen, den wohlhabenderen und in ihrer großen Mehrheit weißen Zuschauern irgendein Gefühl von Sicherheit und Ruhe zu vermitteln – den Zuschauern, die zu dem Polizeiterror, dem wir ausgesetzt sind, weiterhin Schweigen und ihm somit zustimmen – wenn sie zurück zu ihren bewachten Parkplätzen über die Straße gelaufen wären.
An alle von außen zureisenden oder lokalen Unruhestifter überall in den besetzten Staaten von Amerika: Jetzt ist unsere Zeit, wild zu sein!
Fuck the Police.
A.C.A.B.
26.04.2015