Begleitet von vielen Protesten beschloss die Bundesregierung im September 2014 Waffenlieferungen in den Nord-Irak. Inzwischen sind dort auch mehr als 100 Bundeswehrsoldaten als Militärberater im Einsatz und Deutschland ist Teil der internationalen Koalition, die den Islamischen Staat mit Luftangriffen und Waffenlieferungen bekämpft. Die Autorin geht der Frage nach, warum die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung von außen bisher kaum in den Blick genommen wurden.
Im Angesicht des Vormarschs des Islamischen Staates (IS) scheint
zivile Konfliktbearbeitung an ihre Grenze zu kommen. Ihre Befürworter
werden im öffentlichen Diskurs an den Rand gedrängt, mit deutlichen
Versuchen, sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Sie werden als
„Friedensspinner“ bezeichnet oder ihnen wird Verantwortungslosigkeit
gegenüber den Opfern des IS vorgeworfen. Allein Gewalt scheint gegen die
blindlings mordenden Schergen zu helfen, so dass die Bundesregierung
die Gegenseite bewaffnet, um – so ihre Begründung – noch Schlimmeres zu
verhüten.
(Bild ©Fotolia/Zabelin)
Ich bin der Ansicht, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Militärische Gewalt ist in der Region von allen Parteien – inklusive den amerikanischen und anderen ausländischen Truppen – in allen denkbaren legalen, halb-legalen und illegalen Formen angewandt worden, wird weiterhin angewandt, und doch zeigt sich keine Besserung. Im Gegenteil. Zivile Konfliktbearbeitung hingegen mit ihrer weitergehenden, die Ursachen und eigenen Verstrickungen in den Blick nehmenden Perspektive, ihrer Vielzahl an diplomatischen, humanitären und zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten wurde bisher noch überhaupt nicht ernsthaft und umfassend versucht. Worauf warten wir noch, um mit dem Mehr desselben aufzuhören und endlich etwas deutlich Anderes zu versuchen, wenn es tatsächlich unser Ziel ist, zur Beendigung der Gewalt beizutragen?
Der IS ist nicht vom Himmel gefallen
Anders als es die öffentliche Wahrnehmung nahezulegen scheint, ist der Islamische Staat nicht vom Himmel gefallen. Er ist eine extremistische sunnitische Terrorbewegung, die nach dem Einmarsch im Irak 2003 entstanden ist. Anders als Al-Qaida hat er sich nicht auf ferne Feinde konzentriert, sondern letztlich im sunnitischen Bruderkrieg verstrickt, der ihn so geschwächt hat, dass er 2008 kaum noch handlungsfähig war.
Eine Erklärung für das spektakuläre Comeback des Islamischen Staates lieferte Peter Harling in „Le Monde Diplomatique“ vom 1. September 2014: „Dass die Bewegung wieder im Geschäft ist, ist nur zu einem kleinen Teil ihr Verdienst. Der Weg wurde ihnen von ihren Feinden geebnet…“ Dabei zeigte die Bewegung weit mehr Pragmatismus als im Monsterbild der westlichen Öffentlichkeit Platz findet. Sie griffen an, wo der Feind schwach war und hielten sich zurück, wo mit nennenswertem Widerstand zu rechnen war. Sie stießen in Regionen vor, für die keine Regierung viel Einsatz zeigte.
Harling führt im Einzelnen aus, wie die Mächte in der Region - die Türkei, die USA, Russland, Iran, Syriens Präsident Assad, der damalige irakische Regierungschef Maliki und die Golfmonarchien – den Islamischen Staat haben wieder mächtig werden lassen. Ich beschränke mich auf ein zentrales Moment, welches eine Resultante all dieser Einzelmotive ist: Die reale und noch viel mehr die erlebte Marginalisierung von Sunniten, die sich im Irak drangsaliert und in Syrien im Stich gelassen fühlen. Dass westliche Länder sich mit Versuchen zur Rettung der Jesiden überbieten, Waffenlieferungen und Bombardierungen von Sunniten eingeschlossen, während Assads Truppen zehntausende sunnitische Zivilisten in den Städten Syriens ermorden, ist Wasser auf die Mühlen des Gefühls der Entrechtung und Erniedrigung vieler Menschen. Harling endet mit dem Satz: „Der Islamische Staat selbst steht für wenig. Er wird von einem System genährt.“
In dieser Geschichte ist der Islamische Staat zumindest auch eine abhängige Variable der verleugneten Zusammenhänge internationaler Politik und gravierender Fehler ihrer Akteure. Die Geschichte, die durch die allgegenwärtigen Medienberichte derzeit über den Islamischen Staat transportiert wird, ist eine andere: Plötzlich waren diese Mörder da, die keine Skrupel kennen und furchtlos mordend über alles und jeden herfallen. Der Islamische Staat selbst trägt mit einer effizienten und sehr erfolgreichen PR- und Propagandamaschinerie das Seine zu dieser Wahrnehmung bei. So entsteht zunehmend ein allgemeines, gleichwohl sehr dynamisches Bild von äußerster Brutalität, blind wütender Gewalt und politischem Fanatismus.
Wirksame Propagandamaschinerie des IS
Auch wenn der Vergleich von Grausamkeiten grundsätzlich problematisch
ist, möchte ich den Islamischen Staat zumindest zu zwei aktuellen
Tragödien ins Verhältnis setzen. Nicht mit dem Ziel, ihn zu
verharmlosen, sondern um deutlich zu machen, dass wir unsere Motivlage
hinterfragen müssen, wenn wir uns mit Waffengewalt auf der Seite der
vermeintlich Guten dem vermeintlich fremden Bösen entgegenstellen.
(Bild ©Fotolia/mathesius)
Im Kongo sind in den 90er Jahren mehr als drei Millionen Menschen oft auf brutalste Weise ums Leben gekommen. Es gilt als die größte humanitäre Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings gingen die dortigen Kämpfer ohne internationale PR-Strategie vor, ohne Kommunikation in unserer Richtung und ohne eine weiterführende Ideologie. Im Irak selbst sind, nachzulesen in ‚Body Count‘ der IPPNW von März 2013, in der Folge des Einmarsches der USA und ihrer Verbündeten zum Sturz Saddam Husseins zwischen 1,2 und 1,8 Millionen Menschen gestorben, die ohne diese Intervention noch leben würden. Die meisten sind Opfer der anhaltenden Gewalt geworden. Damit sind als Folge des Einmarsches ca. 5 Prozent der irakischen Bevölkerung gestorben, halb so viele, wie in Deutschland im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind. Weder das massenhafte gewaltsame Sterben im Kongo noch das im Irak hat in der Bundesregierung einen vergleichbaren Positionierungs- oder Handlungsdruck erzeugt.
Der Islamische Staat ist brutal und er ist furchtbar, aber nicht brutaler und furchtbarer als andere Terrormilizen. Doch anders als andere kommuniziert er mit uns, provoziert und verwickelt uns: Er filmt und zeigt die Hinrichtung westlicher Journalist/innen und Helfer/innen, die zum Hohn in orangen Anzügen stecken, wie sie von Häftlingen im US-Gefangenenlager Guantanamo getragen werden. Anders als andere Terrorgruppen trägt der Islamische Staat uns – so scheint es – seine Feindschaft in einer perversen Kontaktaufnahme an.
Wir stellen der mörderischen Selbstinszenierung des Islamischen Staates nichts entgegen. Im Gegenteil. Wir leisten Schützenhilfe – kein Artikel, keine Rede ohne: „barbarisch“, „bestialisch“ und „Mörderbanden“, deren Vernichtung der amerikanische Präsident als sein erklärtes Ziel verfolgt. Willig folgen wir mit dieser Begrifflichkeit sprachlich dem Islamischen Staat in seine archaische Welt von Gut und Böse, gläubig und ungläubig, rein und unrein – und fallen damit wie dieser der Spaltung anheim. Wie die Ideologen des Islamischen Staates halten auch wir uns für die Guten, die das fremde Böse mit Gewalt bekämpfen müssen.
Wir akzeptieren die angetragene Feindschaft
Es gelingt uns nicht, dem Sog zu widerstehen, eine umfassende Perspektive aufrecht zu erhalten, unsere Verstrickung in die Misere zu sehen und auf dieser Grundlage aktiv zu werden. Wir akzeptieren die angetragene Feindschaft, wir nehmen den Fehdehandschuh auf. Das ist eine aus Friedenssicht verhängnisvolle Kapitulation, ein bedrückendes Scheitern. Alle großen Friedenskämpfer: Gandhi, Martin-Luther King, Mandela, Jesus haben die ihnen angetragene Feindschaft beharrlich abgelehnt. Sie haben Taten verurteilt, nicht Menschen.
Hier müsste – spätestens – zivile Konfliktbearbeitung bzw. eine am Frieden orientierte Politik einsetzen. Sie müsste der Suggestionskraft der berichteten Ereignisse widerstehen, heraustreten aus dem Sog der Bilder und Nachrichten und besonnen ebenso wie nüchtern eine breitere Perspektive wählen und ihre Handlungen daran ausrichten.
Das würde – um nur einige Beispiele zu nennen – bedeuten,
- viel mehr zu tun, um syrische Flüchtlinge zu unterstützen und aufzunehmen sowie vor Ort humanitäre Hilfe zu leisten;
- den Waffenhandel mit den Golfstaaten zu hinterfragen, bzw. einzustellen;
- auf deren Herrscher einzuwirken, damit sie die Unterstützung und Duldung sunnitischer Extremisten einstellen;
- den Iran einzubinden;
- die Türkei zum Einen bei der Versorgung der Flüchtlinge zu unterstützen und zum Anderen klar zu machen, dass der Handel mit Dumping-Öl durch den Islamischen Staat unterbunden werden muss;
- sich um Kontakt zum Islamischen Staat selbst zu bemühen;
- Angebote zu machen, die es für Kämpfer attraktiv machen, die Extremisten zu verlassen.
Schließlich müssten wir eingestehen, dass die Lage nicht von außen zu kontrollieren ist. Nach allem, was in der Region in den letzten zweihundert Jahren angerichtet wurde, wären selbst dann keine schnellen Lösungen zu erwarten, wenn es einen aufrichtigen – aktuell nicht erkennbaren – Versuch gäbe, umfassend Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.
Dämonisierung ist keine Politik
Eine solche komplexere und selbstkritischere Sicht müsste sich auch in größerer Nüchternheit in der Rede niederschlagen. Das inakzeptable und äußerst brutale Verhalten der IS-Kämpfer muss benannt und abgelehnt werden. Gleichzeitig gilt es anzuerkennen, dass auch die IS-Kämpfer Menschen sind; vermutlich mit einem übermäßigen Bedürfnis nach Überwindung von Ohnmacht, nach Zugehörigkeit und Anerkennung sowie nach einer klaren Ordnung. Henry Kissinger hat kürzlich gesagt: „Die Dämonisierung Putins ist keine Politik.“ Ich möchte das umformulieren: Die Dämonisierung des Islamischen Staates ist keine Politik. Sie entlastet uns allerdings von den Qualen der Ambivalenz, weil Gut und Böse klar verteilt werden und scheint uns der Verantwortung für unser Handeln in einem weiter gefassten Kontext zu entheben.
Aber: Hier ist kein Monster vom Himmel gefallen, wie eine biblische Heimsuchung. Vielmehr sind wir konfrontiert mit einer Systemvariablen der internationalen Politik im Nahen und Mittleren Osten, deren Teil wir sind. Hierfür gilt es im Sinne einer zivilen Konfliktbearbeitung Verantwortung zu übernehmen.
Dafür wäre nicht weniger als ein Paradigmenwechsel notwendig. Wer wie die Bundesregierung seine Ressourcen vorrangig in militärische Ausrüstung investiert, wird die sich ihm stellenden Aufgaben als solche wahrnehmen, die mit militärischen Mitteln zu bewältigen sind. In den Worten des Philosophen und Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“
Der Text ist ein Auszug aus dem ZFD impuls Band 6 mit dem Titel „Unwirksam und hilflos".? Zivile Konfliktbearbeitung als Handlungsprinzip in eskalierten Konflikten.“
Susanne Luithlen ist Leiterin der Akademie für Konflikttransformation im Forum Ziviler Friedensdienst.