Syrien am Syntagmaplatz

We escaped death in Syria to the vagrancy in Greece

Die syrischen Flüchtlinge, die seit Wochen am zentralen Syntagmaplatz in Athen unmittelbar gegenüber dem Parlament einen Sitz- und Hungerstreik (letzteren seit dem 24. November) durchführen, waren oder sind in großer Gefahr, wie unter anderem ertopen, die in Selbstverwaltung teilweise weiterbestehende Rundfunk- und Fernsehanstalt, heute am frühen Nachmittag berichtet hat.


Die politische, eindeutig rechtsradikal geprägte Schlägerpolizei MAT hat heute bereits zweimal versucht, die Syrer vom Ort ihrer Proteste zu verjagen. Das konnte für den Augenblick von politischen Aktivisten verhindert werden, aber die Polizei hat den Zugang zu den Hungerstreikenden abgesperrt. Als Anlaß nahm sie die Drohung eines Protestierenden, sich umzubringen.


Vom Anfang an, als die Polizei blitzartig einen Kessel um die Hungerstreikenden gezogen hatte, waren bereits, so indymedia Athens, Hunderte Sympathisanten  zur Stelle. Auch die Gewerkschaft der Buchhandelsangestellten, der Angestellten der Papiergeschäfte,  Verlage und Copyshops, die in der nahen Hermesstraße gegen die Sonntagsöffnung demonstrierten, waren zur Stelle, ebenso Syriza-Abgeordnete (Efimerida ton Sintakton). Die Sympathisanten der Hungerstreikenden wiederum ringten die Polizei ein. In der Folge kam es zu einer Reihe von kleineren Auseinandersetzungen zwischen Polizei, Sympathisanten und den Hungerstreikenden (indymedia A.)


Von ausgesuchtem Zynismus war, daß, wie Efimerída ton Sintaktón, die selbstverwaltete „Zeitung der Redakteure“, berichtet, daß die Polizei außerdem noch die versammelte Menge in zwei Teile teilte und dadurch Mütter auf der einen Seite und ihre hilflosen, alleingelassenen Kinder auf der anderen Seite zu stehen kamen. So behandelt man Kriegsflüchtlinge!


Deren Situation ist verzweifelt, zwei Flüchtlinge haben gedroht, sich umzubringen. Proto Thema berichtet von einem Fünfzehnjährigen, der sich aufhängen wollte (PTh). „Ich will lieber sterben als so weiterzuleben“ (APE-MPE). Kurz darauf wollte sich eine junge Mutter mit ihrem Neugeborenen ums Leben bringen. Die „gute“ Polizei eilte zu den beiden hin  und es gelang ihr, mit dem Versprechen, es werde in den nächsten Tagen eine Lösung gefunden werden, die beiden von ihrem Vorhaben abzubringen, nach zweistündigen Verhandlungen (PTh). Die beiden wurden dann in eine Unterkunft gebracht.


Die Meisten haben kein Geld mehr, es gibt keine finanzielle Unterstützung, kein Obdach. Ihr Protest bezieht sich auf diese Minimalforderungen, aber die meisten wollen längerfristig aus Griechenland weg, weil ihnen klargeworden ist, was Griechenland für ein Land ist: ein Land der Folter, ein Land der Massenabschiebungen, ein Land der von Faschisten/Nazis durchsetzten Polizei, ein Polizeistaat, ein Land ohne die minimalsten in anderen Ländern selbstverständlichen Überlebensgarantien für (politische) Flüchtlinge.


Viele von ihnen  haben in anderen europäischen Ländern Verwandte, von denen sie ohne Mühe aufgenommen und unterstützt werden könnten. Die Weiterreise wird ihnen verwehrt, da die Leute bekanntlicherweise in dem Land, in dem sie ankommen, zu verbleiben haben. Das befiehlt die europäische rassistische Diktatur.


Der unter anderem von den Grünen gewählte Bürgermeister Athens, Kaminis, der beispielhaft für die Räumung des Zeltlagers der Empörten am Syntagmaplatz verantwortlich war, mobbt auf mehr oder weniger direkte Weise schon seit Tagen gegen die Flüchtlinge: gestern hat er endlich, wie Ephimerida ton Syntakton berichtet, die Großzügigkeit besessen, für 30 bis 40 der insgesamt 300 Betroffenen eine Unterkunft zuzusagen – in einem Hotel, das zur Zeit seiner Zusage noch geschlossen war. Die anderen sollen nachkommen.


Bei einem Treffen mit dem Generalsekretär im Innenministerium Sirigos, dem Bürgermeister und  dem Vertreter der Flüchtlinge wurde eine Partiallösung erreicht. Eine Weiterreise sei zwar nicht möglich (damit macht er den gebührenden Kotau vor seiner EU-Politik), aber er will, als einzige legal mögliche Lösung, eine Asylberechtigung en gros erteilen. Damit wird man zwar als Tourist in andere Länder der EU reisen können, sich dort aber nicht dauerhaft niederlassen können, berichtet Greek Reporter. Wäre dies ein Erfolg, ein Teilerfolg der Bewegung?


Press TV, ein Organ des iranischen Terrorstaates, der aber sehr um die Menschenrechte in Europa besorgt ist, bringt einen fairen und schnellen Bericht. Zur Unterkunft kommt Essen und ärztliche Versorgung, als Gegengabe für die Akzeptanz des ministeriellen Asylangebots,  erläutert Press TV. Fraglich ist, so berichten die Flüchtlinge, ob diese Sonderlösung der Ausgang für eine verbesserte Gesetzgebung sein wird. Eine solche kollektive Asylgewährung wird das erste Mal konzediert, Press TV erinnert an insgesamt 600 Begünstigte. Das erinnert ein wenig an ähnliche Partiallösungen in Italien in den  Achtzigerjahren, sowie Forderungen der sans-papiers in Frankreich nach ausschließlich kollektiven Lösungen, die sich allerdings auf eine permanente politisch begründete Aufenthaltsberechtigung, „hier mitten im Zentrum des Imperialismus, der an unserem Elend schuld ist“, wie es Madjiguène Cissé so oft meisterhaft formulierte, bezogen hat. Demgegenüber hat der Protest der Syrer einen eher praktische Ausrichtung.


Von der Polizeipräsenz berichtet Press TV nichts, das würde wohl zu sehr an den Iran erinnern, wo speziell die afghanischen Flüchtlinge, die früher hofiert wurden, heute zu einem regelrechten Volksfeind geworden sind und zu einem Objekt der dortigen Polizei.


Über alternative Medien konnten aber heute zahlreiche Unterstützer und Sympathisanten auf den Platz gebracht werden, und von Trotzkisten (KEERFA/SEK) bis zu den Anarchisten setzen sich viele mit ihrer Präsenz am Platz und bei Verhandlungen für die Syrer ein und gegen den Folterstaat.


In den vergangenen Wochen hat es viel Solidarität mit den Hungerstreikenden gegeben: während der Demonstration zum 40. Jahrestag des Massenmordes beim Aufstand im  Polytechnío und bei der großen 10.000 Leute umfassenden Demonstration für Nikos Romanos.


Bereits am Freitag war eine schnelle provisorische Lösung für Frauen mit Kleinkindern gefunden worden: sie wurden in städtische Unterkünfte gebracht. Umso „unverständlicher“ die massive Präsenz der Polizei – die auch noch den Verkehr absperrte. Will die Polizei einen Parallelstaat etablieren, mit eigenen Entscheidungen, wo ohnehin schon die Politik relativ positiv entschieden hat?


In den letzten Stunden sind in zahlreichen Boulevard- und Regierungsmedien die berühmten Meldungen über Schlepper erschienen. Sie hätten sich eingeschlichen, hätten dauernd die Streikenden bedroht, hätten gestohlen, sich gegen die in Aussicht stehenden Asylberechtigungen gewendet – um  ihre Angebote propagieren zu können: 4000 bis 10000 Euro für eine Weiterfahrt (Etwas irreal angesichts der offenkundigen Geldlosigkeit vieler Flüchtlinge).


Offensichtlich in diesem Zusammenhang seien heute zahlreiche Leute, „die man noch nie gesehen hat“, auf dem Syntagma-Platz erschienen. Die Plötzlichkeit dieser Meldungen, die jetzt, zur Abendzeit, gehäuft auftreten, überrascht.


Diese Schlepper, die knallhart ihre eigenen Interessen verfolgen, seien gegen das vernünftige Abkommen zwischen den Flüchtlingen und dem griechischen Staat, trieben einen Keil zwischen Flüchtlinge und Staat. So als sollte durch die Blume gesagt werden: Tunlichst Zusammenarbeit zwischen Flüchtlingen und Staat in allen Belangen!


Die Flüchtlinge aber wollen sich nicht verfrachten lassen, sie wollen Pässe, sie wollen Reisefreiheit, sie wollen weg, sie trauen den Versprechungen nicht.


Was sollen sie auch in Griechenland? Wer findet schon Arbeit? Und wenn, dann zu Bedingungen, die allen Menschenrechten Hohn sprechen. Es wird von einem Mann berichtet, der, in Griechenland, in einer Küche, 14 Stunden lang für 10 Euro (!)  insgesamt  arbeiten muß. 


Ihre radikalen und gleichzeitig realistischen Forderungen werden jetzt zu Machinationen der Schlepper umgedeutet.


Als sei die Bewegung ein Produkt der Schlepperbanden?


Die unnötige massive Präsenz der Polizei wird damit überspielt, die Syrer mit ihren berechtigten Anliegen werden als in ihrer Intentionen und Anliegen verschmutzte Masse umstilisiert und damit wird ein wenig die Gutwilligkeit des griechischen Staates mitpropagiert.


Das alles  erinnert an die Votivkirche, wo genuinen Flüchtlingen Schlepperinteressen angedichtet wurden, von der demagogischen Kloakenpresse, und in der Folge alle Flüchtlinge als eine mit der Schlepperei verquickte Bande stigmatisiert wurden. Die in der Folge mit der heuchlerischen Beihilfe der Caritas zerteilt und zerstückelt werden konnte.


Nun ist durchaus denkbar, daß reelle Hyänen sich unter die Schlepper auf dem Syntagmaplatz gemischt haben – noch dazu wo berichtet wird, daß Araber aus zahlreichen anderen arabischen Ländern gesichtet worden seien.


Warum auch nicht? Aber dies wäre ja ein mehr als willkommener Anlaß für die Boulevardpresse, die ja zum Teil in der Hand von Mafiosi und mafiosen Oligarchen liegt (diese Oligarchen haben ja die überfallsartige Schließung der ERT im vergangenen Jahr betrieben), die ohne Zweifel politische Initiative im Sinne eines gleichgerichteten Staates, dessen Bild ja auch der Bürgermeister nachhechelt, zu diskreditieren. Wer weiß, wie weit es die griechische Boulevardpresse noch treiben wird!


Dieser spießige Bürgermeister, der seine Stadt mit einem sauberen Empfangsraum verwechselt, hat sich kürzlich verärgert über die  Straßenkioske geäußert, die ihm zu viele sind. Man könne auf den Gehsteigen kaum mehr weiterkommen.


Wer Athen einigermaßen kennt, weiß, daß man nicht wegen der Kioske am Weiterkommen behindert wird, sondern weil die Gehsteige voller Löcher und manchmal auch gefährlicher Unebenheiten sind. Darum kümmert sich aber der Herr Kaminis nicht.


Er will die Stadt von fremdartigen Flüchtlingen und einheimischen Kiosken säubern. Ein von den Grünen gewähltes Anhängsel der Polizei-Junta Samaras-Venizelos!


Wer Athen kennt, weiß, daß man nicht wegen den Flüchtlingen und den Demonstrationen am Fortkommen behindert wird, sondern daß die syrischen Flüchtlinge und die Demonstrationen die Stadt zu einer der Stadt der Beweglichkeit und Lebendigkeit machen wie keine andere in Europa.


Diese Beweglichkeit wird von allen Seiten eingeengt. Die Situation ist dreifach gefährlich: aufgrund der Präsenz der Polizei, aufgrund der Präsenz der Presse, aufgrund der Präsenz der Schlepper. „Bullen, dreckige Bestien, Journalisten!“ heißt eine beliebte Losung auf Demos. Es fehlen nur noch die Dealer, die der nahegelegene Omonoia-Platz oder die Ränder von Exarcheia leicht beisteuern können. Außerdem gibt es in Athen immer noch Faschisten, die mit Leichtigkeit einen Überfall durchführen können, von dessen Auftraggebern man nicht so bald etwas erfährt.


Aber vielleicht hat inzwischen die gute Polizei die Betroffenen schon weggebracht und wegverfrachtet, und s damit vor dem Ärgsten, der Schattenwelt der Schläger und Mörder der Goldenen Morgendämmerung und ähnlicher Institutionen, in die Obhut der Gemeinde und der Polizei gerettet.

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